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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 11

Konzerne in der Welt

Auf dem Weg zur globalen Macht

Die Globalisierung von Kapital und Produktion mit ihren Begleiterscheinungen stellt die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. VIC THORPE, der Generalsekretär der Internationalen Chemiearbeitergewerkschaft ICEM, beschreibt sie von einem kritischen gewerkschaftlichen Standpunkt aus als Machtkonzentration und setzt sich damit auseinander, wie Gewerkschaften ihr begegnen können. Der Ansatz ist für derzeitige Gewerkschaftsführer ungewöhnlich. Wir dokumentieren deshalb, aus Platzgründen leider gekürzt, den 1.Teil der dreiteiligen Ausführungen, die im ICEM-Info 4/97 und 1/98 nachzulesen sind.
  Globalisierung ist der Ausdruck gesteigerter Konzernmacht über die kritischen Entscheidungen auf weltweiter Ebene. Es handelt sich dabei um ein wirtschaftliches, aber im gleichen Umfang auch um ein soziales und politisches Phänomen. Dabei hat es Auswirkungen auf das Leben von arbeitenden Menschen im gesamten Umgang miteinander.
  Es ist leicht, Globalisierung unter Bezugnahme auf eine Reihe von abstrakten globalen Wirtschaftsindikatoren zu beschreiben. Danach wird Globalisierung beschrieben als Anstieg der direkten ausländischen Investitionen oder des Welthandelsvolumens oder als der phänomenale Anstieg der weltweiten Finanzströme und Transaktionen zwischen internationalen Börsen. Es wird häufig gesagt, daß angesichts dieser Trends die Regierungen gegenüber den internationalen Märkten an Macht verloren haben.
  Allein betrachtet unterstützen diese Berichte eher die Vorstellung der Globalisierung als unkontrollierbarem natürlichen Wirtschaftsprozeß, dessen Wurzeln tief in gelehrter akademischer Theorie zu finden sind – einem Prozeß, der durch menschliche Intervention nicht gestoppt, umgeleitet oder gebremst werden kann.
  Diejenigen, die diese Ideologie vertreten, kommen zu dem Schluß, daß die soziale Entwurzelung und das aus dem Globalisierungsprozeß entstehende Leid unausweichlich und notwendig sind, um schlecht definierte positive Ergebnisse zu erzielen, die auf einer weitergefassten wirtschaftlichen Interaktion zwischen Nationen oder Regionen beruhen. Mit anderen Worten: heute Schmerz und morgen Freude, oder "das Schlaraffenland", wie eine frühere Generation von gewerkschaftlichen Internationalisten es so lebhaft paraphrasiert hat!
  Weltweite Statistiken der Gegenwart bestätigen dieses Bild nicht. Das Welteinkommen hat sich nicht wesentlich erhöht, die Nahrungsmittelerzeugung pro Kopf ist sogar zurückgegangen. Mehr Menschen als je zuvor überleben gerade noch unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit war weltweit noch nie so hoch: die Generation der gering bezahlten, informell Beschäftigten verringert die Gleichheit.
  Gleichzeitig waren die Kapitalrenditen noch nie in der Geschichte so hoch: es giebt mehr Megareiche und Nutznießer der astronomischen Gehälter von Führungskräften; die Welt der Superreichen wird größer, aber die Welt der Bettelarmen vergrößert sich noch schneller. Statistisch gesehen ist es deutlich, daß es langfristige Gewinner und Verlierer im Globalisierungsmachtspiel gibt und geben wird.
  Die Statistiken aus den letzten zwanzig Jahren bestätigen, dass "Globalisierung" auch der Prozess ist, durch den die Lücke zwischen Reich und Arm sich sowohl global als auch innerhalb der einzelnen Staaten dramatisch vergrößert hat. Weltweit werden satte 85% des Reichtums der Welt von 20% der Bevölkerung verzehrt, während die untersten 20% der Weltbevölkerung versuchen müssen, mit nur 1,5% zu leben.
  Als internationale Gewerkschaft, die sich um die Verbesserung von Löhnen und Arbeitsbedingungen in der ganzen Welt bemüht, ist die ICEM tagtäglich mit der Tatsache konfrontiert, daß "Globalisierung" ein bequemes Schlagwort ist, das eine im wesentlichen sozialfeindliche Verschiebung in den Machtbeziehungen in der ganzen Welt verbirgt. Im Zentrum dieser Machtverschiebung stehen die multinational tätigen Konzerne, die auf Kosten der nationalen Regierungen und national ansässiger sozialer Organisationen zu Schlüsselinstitutionen in allen weltweiten Angelegenheiten werden. Multinationale Konzerne kontrollieren jetzt zwei Drittel des Welthandels, mehr als 75% der weltweiten Investitionen und haben Oligopolpositionen in fast allen Märkten für strategische Produkte.
  Der Machtzuwachs für Organisationen, die sich allein vom Kriterium des wirtschaftlichen Erfolgs ohne Beschränkung durch soziale, umwelt- und gleichheitsrelevante Fragen leiten lassen, ist das insgesamt wichtigste wirtschaftliche, soziale und politische Faktum des letzten Jahrzehnts des 20.Jahrhunderts.
  Veränderungen der Strategie
  Auf ihrem Weg zur globalen Macht haben die multinationalen Konzerne begonnen, ihre Strategien und internen Strukturen zu verändern.
  Es hat eine grundlegende Veränderung im Schwergewicht der Multinationalen weg von der Marktexpansion und hin zur Marktkontrolle in den großen Märkten der Industrieländer gegeben. Dies ist nicht auf Marktsättigung oder die Umleitung von Mitteln zur Expansion in neue Regionen zurückzuführen, wie manche behaupten, sondern auf eine veränderte Perspektive der wichtigsten Akteure unter den Konzernen.
  Es gibt eine offensichtliche Bewegung weg von den Investitionen in höhere Produktion und hin zu einem Schwergewicht auf kapitalintensive Techniken, welche die Kosten bei stabilen Produktionszahlen senken und insbesondere den Faktor Arbeit aus dem Produktionsprozeß herausdrängen.
  Der Wettbewerb zwischen den multinationalen Konzernen ist kein Rennen um die Erschließung neuer Märkte, sondern ein Machtspiel um Marktanteile. Der Konzern im Oligopol macht keine Gewinne, indem er größeren Absatz aufgrund der Effizienz von niedrigeren Preisen oder höherer Qualität erzielt, sondern durch geringere Kosten im Rahmen stabiler Marktanteile und Preise.
  Betriebsergebnisse werden aufgrund von geringeren Kosten vor dem Hintergrund stabiler oder steigender Preise und nicht aufgrund von höherem Absatz bei geringeren Margen erzielt. Dies setzt sich direkt in Arbeitsplatzverluste für gewerbliche Arbeitnehmer um.
  Intern hat man im Konzern den Aufstieg der angestellten und bonusbegünstigten Führungskräfte gesehen, die im wesentlichen die Information und damit das Nervenzentrum des Konzerns kommandieren. Der Aufstieg des Konzernfachmanns wurde als Schlüsselelement für Veränderungen im heutigen Geschäftsleben dargestellt. Angestellte Fachleute (selbst die mit exorbitant hohen Gehältern) werden von anderen Motiven getrieben als der traditionelle Unternehmer. Ein großer Teil der riesigen Vergütungen für Führungskräfte in Konzernen ist seltsamerweise von hohen Renditen unabhängig geworden.
  Das Anliegen im Konzern scheint sich von den ausgeschütteten Gewinnen, welche die Rendite der Aktionäre und das Kapital erhöhen, zu den thesaurierten Gewinnen verlagert zu haben, die enorme Gewinne für Führungskräfte erlauben und durch gestiegene Marktmacht langfristig größere Sicherheit für die Organisation aufbauen. Der Konzern ist daher weniger ein Geldvermehrer als eine Übung in dynastischem Denken. [...]
  Die Dynamik der modernen Marktkräfte stammt nicht aus der Macht der Wirtschaft, sondern aus der Wirtschaftsmacht. Die Marktkraft mit der beherrschenden Stellung ist der Konzern. Gleichzeitig ist der globale Prozess, dem wir beiwohnen, kein Prozess der Macht von Globalisierung, sondern der Globalisierung der Macht.
  Globale Wirtschaftsmacht
  Die Grundlage der gestiegenen Macht der Konzerne findet man in Investitionen, Handel, Finanzen, Märkten und Technologie. [...]
  Eine substantielle Veränderung in den Strömen der direkten Auslandsinvestitionen fand vor fast zehn Jahren statt. Die Auslandsinvestitionen von Konzernen hatten sich zwischen 1981 und 1988 im Durchschnitt auf etwa 50 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen. Aber 1988 erhöhte sich das Gesamtvolumen auf 168 Milliarden Dollar, und seit dieser Zeit hat es jedes Jahr die Marke von 200 Milliarden Dollar erreicht und überschritten.
  Im Gegensatz zu manchen Überzeugungen stammt diese Veränderung nicht aus der Suche der Konzerne nach billigen Arbeitskräften, denn bis 1993 ging der große Teil des Anstiegs in andere Industrieländer mit hohen Löhnen, aus denen die Konkurrenten unter den multinationalen Konzernen stammten. Die USA waren bspw. ein Hauptziel für ausländische Investitionen in den gesamten 80er Jahren.
  Die Anreize für diese Investitionen bestanden in geringeren Investitionsrisiken, dem Schutz der globalen Marktanteile und der Bildung von Allianzen in Vorwegnahme neuer regionaler Strukturierungen.
  Multinationale Konzerne mit Sitz in den USA, Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Japan sowie anderen reicheren Ländern besitzen weltweit 93% aller Investitionen. In den letzten drei Jahrzehnten haben diese Unternehmen 70–80% in den Ländern mit Firmensitz der jeweils anderen investiert. Das heißt, 75% der Investitionen fanden in den Ländern mit Konzernsitzen in der sogenannten Triade aus USA/Japan/Europäischer Union statt.
  Seit 1989 begann sich das Verhältnis von 75% zu 25% zu verändern, was in erster Linie auf die massiven Investitionen in zehn Ländern in Asien zurückzuführen ist. 1994 erfolgten 40% der Auslandsinvestitionen von Konzernen in Ländern außerhalb der Triade. Je mehr sich dieses Verhältnis verändert, desto mehr kann auch gesagt werden, daß es eine "Globalisierung" der Investitionen von Multinationalen und der globalen Macht der Konzerne gibt…
  Diese Veränderung in den Anteilen der Auslandsinvestitionen von multinationalen Konzernen hat sich erst in den letzten sieben Jahren ereignet, vor dieser Zeit waren die Investitionen in Länder außerhalb der Triade zurückgegangen und hatten 1984 ihren Tiefstand erreicht.
  Dieser Aspekt der Konzernmacht ist schwer zu fassen und hängt stark von angenommenen politischen Risiken im Zusammenhang mit Investitionen ab. Soziale oder politische Unruhen in China und Südasien könnten bspw. zu einer völligen Umkehr dieses Trends führen, wie dies Anfang der 80er Jahre in Lateinamerika der Fall war. […]
  Der Handel hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sogar noch stärker konzentiert. 1972 erfolgten 74% des Welthandels zwischen den reichen OECD- Ländern. 1994 betrug diese Zahl 77%. Außerdem schwankt der Anstieg der Exporte aus Billiglohnländern sehr stark. Daher berichtet die Welthandelsorganisation, daß es im Jahre 1996 einen wesentlichen Rückgang der Wachstumsraten beim Handel aus Asien einschließlich Chinas gegeben hat.
  Wiederum ist der wahre Faktor des Wandels in den Handelsbeziehungen die zunehmende Kontrolle durch multinationale Konzerne. 1994 konnte man mit Recht behaupten, daß die Multinationalen Konzerne mindestens 70% des Welthandels kontrollierten. 35% des Welthandels machen die internen Transfers von Teilen oder Vorprodukten zwischen den Tochtergesellschaften des gleichen Unternehmens aus, und weitere 35% werden von den Konzernen für den direkten Absatz auf dem Weltmarkt produziert.
  Selbst ein beträchtlicher Teil des verbleibenden Prozentsatzes sind Lieferungen von Subunternehmen für die multinationalen Konzerne.
  Daher ist die Globalisierung im Handel nicht sosehr ein Wachstum im Handel oder eine stärkere Verteilung desselben, sondern eine Zunahme der Macht der multinationalen Konzerne über den Welthandel.
  Die Trends bei der Kontrolle der Multinationalen Konzerne über den Handel wurden begleitet von einer Zunahme der Oligopole in den Branchen, in denen sie tätig sind. Fast alle internationalen Branchen zeichnen sich jetzt durch die Dominanz von fünf bis zehn multinationalen Konzernen aus, die 60–70% des Welthandelsvolumens und 50% der Weltproduktion in der jeweiligen Branche kontrollieren – manchmal sogar noch mehr.
  Die multinationalen Konzerne teilen sich die Märkte eher für bestimmte Produktlinien als für Produktkategorien… Oligopsonie – das Vorhandensein von nur einigen wenigen dominanten Käufern am Markt – erweitert die Macht der multinationalen Konzerne als Einkäufer von Rohstoffen, im Bereich der Landwirtschaft und als Lieferanten von Futtermitteln.
  Das deutlichste Anzeichen bzw. die statistische Angabe, anhand derer man in der Wirtschaft eine Unterscheidung zwischen der derzeitigen Situation und der Vergangenheit treffen kann, ist das Wachstum der Finanzströme in der ganzen Welt.
  Dies begann schon in den 70er Jahren, als die multinationalen Ölgesellschaften große Dollareinlagen im Ausland hatten, die als Kredite an die Dritte Welt vergeben wurden und die sog. "Schuldenkrise" beschleunigten…
  Als Ergebnis dieser Aktivitäten ist das Volumen der Finanztransaktionen viel schneller gewachsen als der Handel oder die Investitionen. Das ließ auf der weltweiten Finanzszene eine neue Gruppe von Machteinheiten auftauchen – die transnationalen Banken und Kreditbewertungsagenturen. Es ist sogar noch bedeutender, daß dadurch die multinationalen Konzerne in die Lage versetzt wurden, Währungs- und Finanztransaktionen als Teil ihres gesamten Arsenals zur Erwirtschaftung von Überschüssen zu betrachten.
  Die Hauptrolle in diesen Dramen wurde häufig von den Institutionen von Bretton Woods gespielt – der Weltbank und dem Weltwährungsfonds. Sie übernahmen die Führungsrolle bei der Verteilung von Grundmitteln, um damit den Abhängigkeitskreislauf anzustoßen, und haben dies dann mit der Eintreibung von Schulden fortgesetzt, was zur Öffnung von zuvor verschlossenen Finanzmärkten und -anlagen für das internationale Kapital geführt hat.
  In Wirklichkeit sind diese Gremien aber nur Stichwortgeber. Die Mittelströme über private Banken, Versicherungen und Investitionsfonds sowie die CashManagement-Abteilungen der multinationalen Konzerne wurden vor kurzem auf die enorme Summe von 1,3 Billionen Dollar pro Tag geschätzt. Das ist 100mal mehr als das Tagesvolumen des Welthandels und eine größere Summe als die Anlagen aller nationalen Zentralbanken der Welt zusammengenommen.
  Während die multinationalen Konzerne ihre Oligopolposition auf den nationalen und internationalen Märkten verstärkt haben, haben sie auch die Schlüsseltechnologien für die Produktion absorbiert. Der Schlüssel für die jetzige und künftige Warenproduktion liegt in der steigenden Anwendung von Technologien, welche die Verwendung und Abhängigkeit von Arbeitskräften und Rohstoffen verringern können.
  Daher sind die multinationalen Konzerne als Lobbyisten für einen internationalen Kontrollmechanismus über die Technik aufgetreten. Dieser hat sich innerhalb der neuen Welthandelsorganisation als weltweit geltendes Gesetz zum Schutz von geistigem Eigentum (Patenten) manifestiert…
  Multinationale Konzerne kontrollieren mehr als 80% aller Industriepatente, und ein wesentlicher Anteil ihres Überschusses stammt aus Lizenzgebühren für die Verwendung dieser Technologien.
  Einsatz globaler Macht - national und regional
  Mit ihrer einschüchternden internationalen Macht ausgestattet, konnten die Konzerne Druck auf die wichtigsten Regierungen ausübern, um ihre Macht im Inland weiter auszubauen...
  Eine teilweise politische Antwort auf die nationalen Auswirkungen der Konzernmacht hat sich langsam in Form der Schaffung von regionalen Handelsblöcken herausgebildet – am weitesten entwickelt ist die Europäische Union gefolgt von NAFTA, Mercosur und APEC.
  Diese Gründungen sind ausgesprochen politische Versuche, ausreichend große Märkte aufzubauen, um die unsteten multinationalen Konzerne, die einmal innerhalb der eigenen Grenzen gewachsen sind, unter Kontrolle zu bekommen und wieder zu zähmen. Es ist jedoch bereits jetzt deutlich, daß diese regionalen Gruppierungen mit fast den gleichen regionalen Zwängen konfrontiert sein werden wie die nationalen Regierungen, wenn die neoliberale Politik der dort vereinigten Regierungen und die Rhetorik über die Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Blöcken als Leitlinie betrachtet werden kann.
  Die ersten Anzeichen von Verknüpfungen zwischen diesen Blöcken demonstrieren deren Funktion als Etappenstation auf dem Weg zur politischen Globalisierung und sicherlich nicht zum Gegenteil.
 


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