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Die Globalisierung von Kapital und Produktion mit ihren
Begleiterscheinungen stellt die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. VIC
THORPE, der Generalsekretär der Internationalen Chemiearbeitergewerkschaft
ICEM, beschreibt sie von einem kritischen gewerkschaftlichen Standpunkt aus als
Machtkonzentration und setzt sich damit auseinander, wie Gewerkschaften ihr
begegnen können. Der Ansatz ist für derzeitige
Gewerkschaftsführer ungewöhnlich. Wir dokumentieren deshalb, aus
Platzgründen leider gekürzt, den 1.Teil der dreiteiligen
Ausführungen, die im ICEM-Info 4/97 und 1/98 nachzulesen sind.
Globalisierung ist der Ausdruck gesteigerter Konzernmacht über die kritischen
Entscheidungen auf weltweiter Ebene. Es handelt sich dabei um ein wirtschaftliches,
aber im gleichen Umfang auch um ein soziales und politisches Phänomen. Dabei
hat es Auswirkungen auf das Leben von arbeitenden Menschen im gesamten Umgang
miteinander.
Es ist leicht, Globalisierung unter Bezugnahme auf eine Reihe von abstrakten globalen
Wirtschaftsindikatoren zu beschreiben. Danach wird Globalisierung beschrieben als
Anstieg der direkten ausländischen Investitionen oder des Welthandelsvolumens
oder als der phänomenale Anstieg der weltweiten Finanzströme und
Transaktionen zwischen internationalen Börsen. Es wird häufig gesagt,
daß angesichts dieser Trends die Regierungen gegenüber den
internationalen Märkten an Macht verloren haben.
Allein betrachtet unterstützen diese Berichte eher die Vorstellung der
Globalisierung als unkontrollierbarem natürlichen Wirtschaftsprozeß,
dessen Wurzeln tief in gelehrter akademischer Theorie zu finden sind – einem
Prozeß, der durch menschliche Intervention nicht gestoppt, umgeleitet oder
gebremst werden kann.
Diejenigen, die diese Ideologie vertreten, kommen zu dem Schluß, daß die
soziale Entwurzelung und das aus dem Globalisierungsprozeß entstehende Leid
unausweichlich und notwendig sind, um schlecht definierte positive Ergebnisse zu
erzielen, die auf einer weitergefassten wirtschaftlichen Interaktion zwischen Nationen
oder Regionen beruhen. Mit anderen Worten: heute Schmerz und morgen Freude, oder
"das Schlaraffenland", wie eine frühere Generation von
gewerkschaftlichen Internationalisten es so lebhaft paraphrasiert hat!
Weltweite Statistiken der Gegenwart bestätigen dieses Bild nicht. Das
Welteinkommen hat sich nicht wesentlich erhöht, die Nahrungsmittelerzeugung
pro Kopf ist sogar zurückgegangen. Mehr Menschen als je zuvor
überleben gerade noch unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit war
weltweit noch nie so hoch: die Generation der gering bezahlten, informell
Beschäftigten verringert die Gleichheit.
Gleichzeitig waren die Kapitalrenditen noch nie in der Geschichte so hoch: es giebt
mehr Megareiche und Nutznießer der astronomischen Gehälter von
Führungskräften; die Welt der Superreichen wird größer, aber
die Welt der Bettelarmen vergrößert sich noch schneller. Statistisch
gesehen ist es deutlich, daß es langfristige Gewinner und Verlierer im
Globalisierungsmachtspiel gibt und geben wird.
Die Statistiken aus den letzten zwanzig Jahren bestätigen, dass
"Globalisierung" auch der Prozess ist, durch den die Lücke zwischen
Reich und Arm sich sowohl global als auch innerhalb der einzelnen Staaten dramatisch
vergrößert hat. Weltweit werden satte 85% des Reichtums der Welt von
20% der Bevölkerung verzehrt, während die untersten 20% der
Weltbevölkerung versuchen müssen, mit nur 1,5% zu leben.
Als internationale Gewerkschaft, die sich um die Verbesserung von Löhnen und
Arbeitsbedingungen in der ganzen Welt bemüht, ist die ICEM tagtäglich
mit der Tatsache konfrontiert, daß "Globalisierung" ein bequemes
Schlagwort ist, das eine im wesentlichen sozialfeindliche Verschiebung in den
Machtbeziehungen in der ganzen Welt verbirgt. Im Zentrum dieser Machtverschiebung
stehen die multinational tätigen Konzerne, die auf Kosten der nationalen
Regierungen und national ansässiger sozialer Organisationen zu
Schlüsselinstitutionen in allen weltweiten Angelegenheiten werden.
Multinationale Konzerne kontrollieren jetzt zwei Drittel des Welthandels, mehr als
75% der weltweiten Investitionen und haben Oligopolpositionen in fast allen
Märkten für strategische Produkte.
Der Machtzuwachs für Organisationen, die sich allein vom Kriterium des
wirtschaftlichen Erfolgs ohne Beschränkung durch soziale, umwelt- und
gleichheitsrelevante Fragen leiten lassen, ist das insgesamt wichtigste wirtschaftliche,
soziale und politische Faktum des letzten Jahrzehnts des 20.Jahrhunderts.
Veränderungen der Strategie
Auf ihrem Weg zur globalen Macht haben die multinationalen Konzerne begonnen,
ihre Strategien und internen Strukturen zu verändern.
Es hat eine grundlegende Veränderung im Schwergewicht der Multinationalen
weg von der Marktexpansion und hin zur Marktkontrolle in den großen
Märkten der Industrieländer gegeben. Dies ist nicht auf
Marktsättigung oder die Umleitung von Mitteln zur Expansion in neue Regionen
zurückzuführen, wie manche behaupten, sondern auf eine
veränderte Perspektive der wichtigsten Akteure unter den Konzernen.
Es gibt eine offensichtliche Bewegung weg von den Investitionen in höhere
Produktion und hin zu einem Schwergewicht auf kapitalintensive Techniken, welche
die Kosten bei stabilen Produktionszahlen senken und insbesondere den Faktor Arbeit
aus dem Produktionsprozeß herausdrängen.
Der Wettbewerb zwischen den multinationalen Konzernen ist kein Rennen um die
Erschließung neuer Märkte, sondern ein Machtspiel um Marktanteile. Der
Konzern im Oligopol macht keine Gewinne, indem er größeren Absatz
aufgrund der Effizienz von niedrigeren Preisen oder höherer Qualität
erzielt, sondern durch geringere Kosten im Rahmen stabiler Marktanteile und
Preise.
Betriebsergebnisse werden aufgrund von geringeren Kosten vor dem Hintergrund
stabiler oder steigender Preise und nicht aufgrund von höherem Absatz bei
geringeren Margen erzielt. Dies setzt sich direkt in Arbeitsplatzverluste für
gewerbliche Arbeitnehmer um.
Intern hat man im Konzern den Aufstieg der angestellten und bonusbegünstigten
Führungskräfte gesehen, die im wesentlichen die Information und damit
das Nervenzentrum des Konzerns kommandieren. Der Aufstieg des Konzernfachmanns
wurde als Schlüsselelement für Veränderungen im heutigen
Geschäftsleben dargestellt. Angestellte Fachleute (selbst die mit exorbitant hohen
Gehältern) werden von anderen Motiven getrieben als der traditionelle
Unternehmer. Ein großer Teil der riesigen Vergütungen für
Führungskräfte in Konzernen ist seltsamerweise von hohen Renditen
unabhängig geworden.
Das Anliegen im Konzern scheint sich von den ausgeschütteten Gewinnen,
welche die Rendite der Aktionäre und das Kapital erhöhen, zu den
thesaurierten Gewinnen verlagert zu haben, die enorme Gewinne für
Führungskräfte erlauben und durch gestiegene Marktmacht langfristig
größere Sicherheit für die Organisation aufbauen. Der Konzern ist
daher weniger ein Geldvermehrer als eine Übung in dynastischem Denken.
[...]
Die Dynamik der modernen Marktkräfte stammt nicht aus der Macht der
Wirtschaft, sondern aus der Wirtschaftsmacht. Die Marktkraft mit der beherrschenden
Stellung ist der Konzern. Gleichzeitig ist der globale Prozess, dem wir beiwohnen, kein
Prozess der Macht von Globalisierung, sondern der Globalisierung der
Macht.
Globale Wirtschaftsmacht
Die Grundlage der gestiegenen Macht der Konzerne findet man in Investitionen,
Handel, Finanzen, Märkten und Technologie. [...]
Eine substantielle Veränderung in den Strömen der direkten
Auslandsinvestitionen fand vor fast zehn Jahren statt. Die Auslandsinvestitionen von
Konzernen hatten sich zwischen 1981 und 1988 im Durchschnitt auf etwa 50
Milliarden Dollar pro Jahr belaufen. Aber 1988 erhöhte sich das
Gesamtvolumen auf 168 Milliarden Dollar, und seit dieser Zeit hat es jedes Jahr die
Marke von 200 Milliarden Dollar erreicht und überschritten.
Im Gegensatz zu manchen Überzeugungen stammt diese Veränderung
nicht aus der Suche der Konzerne nach billigen Arbeitskräften, denn bis 1993
ging der große Teil des Anstiegs in andere Industrieländer mit hohen
Löhnen, aus denen die Konkurrenten unter den multinationalen Konzernen
stammten. Die USA waren bspw. ein Hauptziel für ausländische
Investitionen in den gesamten 80er Jahren.
Die Anreize für diese Investitionen bestanden in geringeren Investitionsrisiken,
dem Schutz der globalen Marktanteile und der Bildung von Allianzen in Vorwegnahme
neuer regionaler Strukturierungen.
Multinationale Konzerne mit Sitz in den USA, Frankreich, Deutschland, dem
Vereinigten Königreich und Japan sowie anderen reicheren Ländern
besitzen weltweit 93% aller Investitionen. In den letzten drei Jahrzehnten haben diese
Unternehmen 70–80% in den Ländern mit Firmensitz der jeweils anderen
investiert. Das heißt, 75% der Investitionen fanden in den Ländern mit
Konzernsitzen in der sogenannten Triade aus USA/Japan/Europäischer Union
statt.
Seit 1989 begann sich das Verhältnis von 75% zu 25% zu verändern, was
in erster Linie auf die massiven Investitionen in zehn Ländern in Asien
zurückzuführen ist. 1994 erfolgten 40% der Auslandsinvestitionen von
Konzernen in Ländern außerhalb der Triade. Je mehr sich dieses
Verhältnis verändert, desto mehr kann auch gesagt werden, daß es
eine "Globalisierung" der Investitionen von Multinationalen und der
globalen Macht der Konzerne gibt…
Diese Veränderung in den Anteilen der Auslandsinvestitionen von
multinationalen Konzernen hat sich erst in den letzten sieben Jahren ereignet, vor dieser
Zeit waren die Investitionen in Länder außerhalb der Triade
zurückgegangen und hatten 1984 ihren Tiefstand erreicht.
Dieser Aspekt der Konzernmacht ist schwer zu fassen und hängt stark von
angenommenen politischen Risiken im Zusammenhang mit Investitionen ab. Soziale
oder politische Unruhen in China und Südasien könnten bspw. zu einer
völligen Umkehr dieses Trends führen, wie dies Anfang der 80er Jahre in
Lateinamerika der Fall war. […]
Der Handel hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sogar noch stärker
konzentiert. 1972 erfolgten 74% des Welthandels zwischen den reichen OECD-
Ländern. 1994 betrug diese Zahl 77%. Außerdem schwankt der Anstieg
der Exporte aus Billiglohnländern sehr stark. Daher berichtet die
Welthandelsorganisation, daß es im Jahre 1996 einen wesentlichen
Rückgang der Wachstumsraten beim Handel aus Asien einschließlich
Chinas gegeben hat.
Wiederum ist der wahre Faktor des Wandels in den Handelsbeziehungen die
zunehmende Kontrolle durch multinationale Konzerne. 1994 konnte man mit Recht
behaupten, daß die Multinationalen Konzerne mindestens 70% des Welthandels
kontrollierten. 35% des Welthandels machen die internen Transfers von Teilen oder
Vorprodukten zwischen den Tochtergesellschaften des gleichen Unternehmens aus, und
weitere 35% werden von den Konzernen für den direkten Absatz auf dem
Weltmarkt produziert.
Selbst ein beträchtlicher Teil des verbleibenden Prozentsatzes sind Lieferungen
von Subunternehmen für die multinationalen Konzerne.
Daher ist die Globalisierung im Handel nicht sosehr ein Wachstum im Handel oder
eine stärkere Verteilung desselben, sondern eine Zunahme der Macht der
multinationalen Konzerne über den Welthandel.
Die Trends bei der Kontrolle der Multinationalen Konzerne über den Handel
wurden begleitet von einer Zunahme der Oligopole in den Branchen, in denen sie
tätig sind. Fast alle internationalen Branchen zeichnen sich jetzt durch die
Dominanz von fünf bis zehn multinationalen Konzernen aus, die 60–70% des
Welthandelsvolumens und 50% der Weltproduktion in der jeweiligen Branche
kontrollieren – manchmal sogar noch mehr.
Die multinationalen Konzerne teilen sich die Märkte eher für bestimmte
Produktlinien als für Produktkategorien… Oligopsonie – das Vorhandensein von
nur einigen wenigen dominanten Käufern am Markt – erweitert die Macht der
multinationalen Konzerne als Einkäufer von Rohstoffen, im Bereich der
Landwirtschaft und als Lieferanten von Futtermitteln.
Das deutlichste Anzeichen bzw. die statistische Angabe, anhand derer man in der
Wirtschaft eine Unterscheidung zwischen der derzeitigen Situation und der
Vergangenheit treffen kann, ist das Wachstum der Finanzströme in der ganzen
Welt.
Dies begann schon in den 70er Jahren, als die multinationalen Ölgesellschaften
große Dollareinlagen im Ausland hatten, die als Kredite an die Dritte Welt
vergeben wurden und die sog. "Schuldenkrise" beschleunigten…
Als Ergebnis dieser Aktivitäten ist das Volumen der Finanztransaktionen viel
schneller gewachsen als der Handel oder die Investitionen. Das ließ auf der
weltweiten Finanzszene eine neue Gruppe von Machteinheiten auftauchen – die
transnationalen Banken und Kreditbewertungsagenturen. Es ist sogar noch
bedeutender, daß dadurch die multinationalen Konzerne in die Lage versetzt
wurden, Währungs- und Finanztransaktionen als Teil ihres gesamten Arsenals
zur Erwirtschaftung von Überschüssen zu betrachten.
Die Hauptrolle in diesen Dramen wurde häufig von den Institutionen von
Bretton Woods gespielt – der Weltbank und dem Weltwährungsfonds. Sie
übernahmen die Führungsrolle bei der Verteilung von Grundmitteln, um
damit den Abhängigkeitskreislauf anzustoßen, und haben dies dann mit der
Eintreibung von Schulden fortgesetzt, was zur Öffnung von zuvor
verschlossenen Finanzmärkten und -anlagen für das internationale Kapital
geführt hat.
In Wirklichkeit sind diese Gremien aber nur Stichwortgeber. Die Mittelströme
über private Banken, Versicherungen und Investitionsfonds sowie die
CashManagement-Abteilungen der multinationalen Konzerne wurden vor kurzem auf
die enorme Summe von 1,3 Billionen Dollar pro Tag geschätzt. Das ist 100mal
mehr als das Tagesvolumen des Welthandels und eine größere Summe als
die Anlagen aller nationalen Zentralbanken der Welt zusammengenommen.
Während die multinationalen Konzerne ihre Oligopolposition auf den nationalen
und internationalen Märkten verstärkt haben, haben sie auch die
Schlüsseltechnologien für die Produktion absorbiert. Der Schlüssel
für die jetzige und künftige Warenproduktion liegt in der steigenden
Anwendung von Technologien, welche die Verwendung und Abhängigkeit von
Arbeitskräften und Rohstoffen verringern können.
Daher sind die multinationalen Konzerne als Lobbyisten für einen
internationalen Kontrollmechanismus über die Technik aufgetreten. Dieser hat
sich innerhalb der neuen Welthandelsorganisation als weltweit geltendes Gesetz zum
Schutz von geistigem Eigentum (Patenten) manifestiert…
Multinationale Konzerne kontrollieren mehr als 80% aller Industriepatente, und ein
wesentlicher Anteil ihres Überschusses stammt aus Lizenzgebühren
für die Verwendung dieser Technologien.
Einsatz globaler Macht - national und regional
Mit ihrer einschüchternden internationalen Macht ausgestattet, konnten die
Konzerne Druck auf die wichtigsten Regierungen ausübern, um ihre Macht im
Inland weiter auszubauen...
Eine teilweise politische Antwort auf die nationalen Auswirkungen der Konzernmacht
hat sich langsam in Form der Schaffung von regionalen Handelsblöcken
herausgebildet – am weitesten entwickelt ist die Europäische Union gefolgt von
NAFTA, Mercosur und APEC.
Diese Gründungen sind ausgesprochen politische Versuche, ausreichend
große Märkte aufzubauen, um die unsteten multinationalen Konzerne, die
einmal innerhalb der eigenen Grenzen gewachsen sind, unter Kontrolle zu bekommen
und wieder zu zähmen. Es ist jedoch bereits jetzt deutlich, daß diese
regionalen Gruppierungen mit fast den gleichen regionalen Zwängen
konfrontiert sein werden wie die nationalen Regierungen, wenn die neoliberale Politik
der dort vereinigten Regierungen und die Rhetorik über die
Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Blöcken als Leitlinie betrachtet
werden kann.
Die ersten Anzeichen von Verknüpfungen zwischen diesen Blöcken
demonstrieren deren Funktion als Etappenstation auf dem Weg zur politischen
Globalisierung und sicherlich nicht zum Gegenteil.