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Die Szene hätte in Deutschland in den 30er Jahren
spielen können. Während eines Zeitraums von etwa einem Monat
behauptete ein bekannter Parlamentsabgeordneter, daß die Juden verantwortlich
seien für die Wirtschaftsprobleme des Landes; vor Reportern brüstete er
sich damit, daß er "alle Juden ins Jenseits schicken" wolle, er rief:
"Ins Grab mit allen Juden!", und drückte seinen Wunsch aus, bei
seinem Tod "mindestens ein Dutzend Juden mitzunehmen".
Das Land jedoch ist Rußland im Oktober und frühen November 1998, und
der Betreffende ist der frühere General Albert Makaschow, ein Mitglied der
Parlamentsfraktion der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation
(KPRF).
Wenn es noch irgendeinen schwachen Rest von Marxismus in der Führung der
KPRF gegeben hätte, wäre Makaschow umgehend aus der Partei
ausgeschlossen worden. Die KPRF-Abgeordneten hätten außerdem
für die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität gestimmt, so
daß er nach dem noch aus der sowjetischen Ära stammenden Gesetz, das
die "Entfachung ethnischer Spannungen" verbietet, unter Anklage
hätte gestellt werden können.
Es geschah jedoch etwas ganz anderes. Makaschow erhielt seitens der Partei intern
einen milden Tadel. "Wir haben die unzulässige Form seiner
Bemerkungen zur Kenntnis genommen und seine Maßlosigkeit verurteilt",
äußerte sich der KPRF-Vorsitzende Gennadi Sjuganow
später.
Im Parlament stellten die Gegner der KPRF am 4.November im Parlament einen
Antrag, der Makaschows Äußerungen, die "Besorgnis in weiten
Teilen der Gesellschaft" hervorriefen, als "kraß und am Rande des
Vulgären" verurteilte. Der Antrag kam nicht durch, da nahezu alle
Abgeordneten der KPRF dagegen stimmten oder sich enthielten.
Bis zu diesem Punkt hätten die KPRF-Führer noch einen gewissen
Spielraum gehabt, Makaschows Stellungnahmen als Ausrutscher eines isolierten
Parteiekzentrikers abzutun. Doch durch die Weigerung, seine Äußerungen
öffentlich zu verurteilen, übernahm die KPRF die Verantwortung
dafür.
Die Rechten nahmen dieses politische Geschenk an. Der Öl- und Medienmagnat
Boris Beresowski erklärte: "Die Kommunisten sollten als die Träger
einer Idee, die zum Auseinanderbrechen Rußlands führen könnte,
verboten werden." Der frühere Ministerpräsident Jegor Gaidar
beschuldigte die KPRF, sich in Nazis zu verwandeln, und meinte: "Wenn
Rußland ein demokratisches Land bleiben will, sollte es die Kommunistische
Partei verbieten."
Was Beresowski und Gaidar vorschlagen - die Unterdrückung der politischen
Partei mit der bei weitem größten Anzahl von Sitzen im Parlament -
würde das Ende jeder ernsthaften Demokratie in Rußland bedeuten. Doch
mit ihrer Idee eines Verbots stehen Beresowski und Gaidar nun nicht als Vertreter des
Totalitarismus da, sondern als zornige Beschützer der Rechte von
Minderheiten.
Wenn sich die KP-Führer so leicht ausmanövrieren lassen, so sind sie
schlichtweg nicht besonders klug. Aber ihr Debakel war nicht bloß das Resultat
einer taktischen Dummheit.
Die KPRF-Führer haben auch deswegen Makaschow nicht diszipliniert, weil sie,
zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, mit ihm übereinstimmen. Auch
Sjuganow stört sich an der Präsenz von Juden, wenngleich er dabei bisher
zurückhaltender war als der Ex-General. "Es gibt heute kein
Publikum", erklärte Sjuganow im Oktober in der Fernsehsendung Akuli
Politpera, "das nicht Fragen zum Thema Juden stellt. Dies sollte uns alle
beunruhigen. Es ist kein Geheimnis, daß die von Jelzin vertretene Personalpolitik
das Prinzip der nationalen Repräsentation unseres Landes im Bereich der
Exekutive, der Wirtschaft, der Finanzen und der Medien verletzt ... Heute fühlt
sich das russische Volk bedrängt."
Von Sjuganow sind auch Stellungnahmen belegt, laut denen er davon spricht, daß
"zu viele ethnische Nichtrussen" die Fernsehnachrichten
präsentieren, in der Regierung sitzen und andere wichtige Posten besetzt halten.
Der Staat solle Regelungen treffen, um zu sichern, daß die ethnischen Russen
(etwa 80 Prozent der Bevölkerung) nicht von den Juden (etwa 0,5 Prozent) und
anderen Angehörigen ethnischer Minderheiten verdrängt
werden.
Solche Auffassungen stehen im völligen Gegensatz zum proletarischen
Internationalismus, für den Marx eingetreten ist. Aber auch sonst würde
Marx Probleme haben, irgendeine seiner Ideen in der Praxis der heutigen russischen
"kommunistischen" Führer wiederzufinden.
Während die neue kapitalistische Elite des Landes das Konzept des
Klassenkampfs mit Elan und Rücksichtslosigkeit verfolgt - so weit, daß
Millionen Arbeiter keinen Lohn ausgezahlt bekommen -, haben Sjuganow und Co. die
Idee vom Klassenkampf stillschweigend ad acta gelegt. Sie streben eine bequeme
Anpassung an den Kapitalismus an - eine Anpassung, zu der nun auch Ministerposten
in einer Regierung gehören, die der privaten Geschäftemacherei alles
andere als feindlich gegenüber steht.
Ein solches Projekt erfordert eine gewisse politische Basis. Die findet man nicht unter
politisch aktiven Arbeitern, von denen nur wenige etwas anderes als Haß
für die neue Elite empfinden, mit der sich die KP-Führer arrangieren
möchten. Statt dessen haben Sjuganow und Co. versucht die Partei auf
nationalistische Gefühle zu gründen, indem sie behaupten, daß die
KPRF "russischer" und besorgter um den Status der Russen im
Verhältnis zu anderen ethnischen Gruppen sei als ihre Gegner.
Ist erst einmal so ein Kurs eingeschlagen, ist es nur konsequent, wenn sie
verrückte Chauvinisten wie Makaschow fördern, die einen breiten Anhang
unter den russischen Nationalisten haben. Wenn Makaschow dazu aufruft, durch
Massaker an Juden die Würde der Russen zu verteidigen, fällt es den
Parteiführern äußerst schwer, entschieden gegen ihn vorzugehen:
Sjuganow selbst sieht in der Präsenz von Juden in Rußland einen Grund
zur "Besorgnis".
Die jüdischen Mitglieder der neuen Elite sind verständlicherweise
abgestoßen von dem zunehmend offeneren Rassismus der Führer der
größten Partei des Landes. Aber die weitaus meisten russischen
Kapitalisten sind keine Juden, und sie haben keinen besonderen Grund, sich über
die Aussicht, daß jüdische Konkurrenten gewaltsam von der Bühne
entfernt werden, zu beklagen. Wenn die "kommunistischen" Führer
die Arbeitenden ermutigt, ihre Energien im Kampf untereinander - Russen gegen
Juden, Russen gegen Tataren, Russen gegen Tschetschenen - zu verschwenden, so ist
das etwas, womit die Kapitalisten leicht leben können.
Die Entscheidung der KPRF-Führer, Makaschow zu verteidigen, ist somit nicht
nur eine unheilvolle Entwicklung für die Angehörigen ethnischer
Minderheiten in Rußland, sondern für die Werktätigen des Landes
im allgemeinen. Seit Jahren haben politisch bewußte Arbeiter in Rußland
verstanden, daß Sjuganow und seine Kumpane ein historische Ruine
repräsentieren, über die man hinwegschreiten oder die man einfach
beiseite räumen muß. Es ist kaum zu vermeiden, nun eine weitergehende
Schlußfolgerung zu ziehen: daß die KPRF-Führer Feinde geworden
sind, die bekämpft werden müssen.
Renfrey Clarke
Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.342, 25.11.1998. (Übersetzung:
hgm.)