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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 13

Wer ermordete Galina Starowoitowa?

Rußland

Wenn gewählte Staatsdiener in Rußland ermordet werden, nimmt man gemeinhin an, daß sie in dubiose Geschäfte verwickelt waren. Von Galina Starowoitowa, die 52jährige Duma-Abgeordnete, die für die Partei "Demokratisches Rußland" einen Wahlkreis aus St.Petersburg vertrat und am 20.November dort umgebracht wurde, ist solches nicht bekannt. Ungewöhnlich für russische Politiker, stand sie im Ruf, sich eher von Ideen denn von Interessen leiten zu lassen. Unermüdlich bekämpfte sie die öffentliche Korruption.
  Sicher, wegen ihres Vertrauens in die Selbstheilungskräfte des Marktes wurde sie oft mit Margaret Thatcher verglichen. Aber anders als diese, die jetzt dafür wirbt, daß der Massenmörder Augusto Pinochet aus dem Gefängnis entlassen wird, hat Starowoitowa sich ernsthaft für die Menschenrechte eingesetzt.
  Wer hat sie umgebracht? Der frühere Chef der Privatisierungsbehörde, Anatoli Tschubais, zeigte sofort auf die Linke. Starowoitowa habe "den Kommunisten und Banditen im Weg gestanden". Die Kommunisten hätten Gründe gehabt, ihren Tod herbeizuwünschen, denn "alles, was sie tat, tat sie, um zu gewährleisten, daß diese Ideologie nie wieder siegen wird".
  Der frühere Premierminister Jegor Gaidar nahm ebenfalls die KPRF ins Visier. Der Mörder "hatte ein Ziel: die Gegner der Nazis und Faschisten einzuschüchtern". Es sei nötig, "diesen Mord mit einem entschlossenen Kampf gegen die abstoßende braune Horde zu beantworten, die in jüngster Zeit so offensichtlich aus den roten Bannern der Kommunistischen Partei hervorgekrochen ist". Starowoitowa hatte in den Wochen vor ihrem Tod die KPRF wegen der antisemitischen Erklärungen ihres Abgeordneten Albert Makaschow heftig kritisiert.
  Trotzdem war die Vorstellung, die KP habe ihren Mörder gedungen, so sehr an den Haaren herbeigezogen, daß nicht einmal die Moskauer Tagespresse sie ernstnahm, die sonst keine Gelegenheit ausläßt, die Linke anzugreifen. Wie hätten die Partei auch die geschätzten 150000 US-Dollar für den Mord aufbringen sollen, wenn sie nicht einmal Geld für die Kampagne zu den Kommunalwahlen in St.Petersburg am 6.Dezember hatten?
  Unter Journalisten ist deshalb die gängige Meinung die, Starowoitowa sei umgebracht worden, weil sie die gefährlichste Position innehatte, die man heute in Rußland innehaben kann: die zwischen ehrgeizigen und verbrecherischen Geschäftsleuten und viel Geld.
  St.Petersburg ist bekannt als eine der am meisten vom Verbrechen heimgesuchten Städte Rußlands. Der Einfluß von Verbrecherbanden reicht tief in die städtische Verwaltung. Für Politiker, die mit Mafiabossen kooperieren, fallen ein paar Krümel ab, für die, die sich verweigern, gibt es Kugeln oder Bomben. Wenn Politiker ein Amt erobern oder halten wollen, müssen sie allerdings energische Aktionen gegen das organisierte Verbrechen fordern.
  Starowoitowa war jedoch bekannt dafür, daß sie für ihre Meinung auch eintrat. Über die Jahr hat sie sich viele Feinde gemacht, vor allem im Lager des Bürgermeisters Wladimir Jakowlew.
  In der Stadtverwaltung konkurrieren verschiedene Clans um Geld und Macht, und die Stadtoberhäupter sind nicht selten in der Situation, darüber entscheiden zu müssen, wer die dicksten Brocken erhält. Ein Wahlamt ist deshalb ein Preis, um den es sich lohnt zu kämpfen. Laut der Zeitung Segodnja war die jüngste Kommunalwahlkampagne in St.Petersburg "die schmutzigste in der russischen Geschichte ... In jedem Wahlkreis hat mindestens ein Vertreter des organisierten Verbrechens kandidiert."
  Starowoitowa hat damit gedroht, den Banditen das Spiel zu verderben, indem sie einen Block von Kandidaten zusammenstellte, der sich nicht einschüchtern ließ. Monatelang hat sie versucht, zersplitterte und demoralisierte liberale Grüppchen zu überzeugen, daß sie ihre Differenzen begraben und eine gemeinsame Kandidatenliste vorlegen. Durch ihren Tod ist ihr das auch gelungen.
  Aber selbst wenn die neuen Abgeordneten todesmutig sind, stehen sie vor unüberwindbaren Hindernissen. Und wie sie an die Sache rangehen, kommen sie keinen Schritt weiter.
  Starowoitowas Prämisse in ihrem Kampf gegen das organisierte Verbrechen war, daß Rußlands neue Elite sich selbst reformieren will, Kernstücke von ihr bereit sind, Opfer zu bringen und Risiken einzugehen, um Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Doch das war nie realistisch.
  Zu Beginn dieses Jahrzehnts waren die ersten, die sich anschickten, die neuen Kapitalisten zu werden, Industriemanager, die sich Staatseigentum aneigneten, wendehälsige Bürokraten aus dem Staats- und Parteiapparat und die bereits aufstrebende Mafia. Mit sehr wenigen Ausnahmen wurden die wirklich großen Vermögen angehäuft durch widerrechtliche Aneignung von öffentlichem Eigentum unter Bruch oder Umgehung der Gesetze.
  Verblendet von einer antisozialistischen Phobie haben die Demokraten der frühen "Reform"periode den Leuten den Weg bereitet, die jetzt ihre Feinde sind. Natürlich wäre es eine Beleidigung der Tapferkeit und Ehrlichkeit von Starowoitowa, wollte man sie jetzt für ihren Mord mitverantwortlich machen. Aber jeder, der ihre demokratischen Positionen teilt, muß ihre Illusionen in den Kapitalismus und die Kapitalisten abweisen. Keine Reformströmung in der jetzigen Elite wird ernsthaft denen den Garaus machen, die solche Killer anheuern, oder die korrupten Elemente aus den Ministerien entfernen.
  Die einzige Kraft, die in der Lage wäre, das organisierte Verbrechen zu schlagen und Demokratie und Menschenrechten tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen, wäre die Masse der Bevölkerung, die Arbeiter und Bauern, die für ihre Anliegen kämpfen. Am Ende dieses Jahrhunderts steht, wie an seinem Anfang, die russische Bevölkerung vor der Aufgabe der demokratischen Revolution. Wieder einmal ist sie unauflöslich mit der einer sozialistischen Revolution verknüpft.
  Renfrey Clarke
 
  Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.343, 2.12.1998. (Übersetzung: ak.)
 


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