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Leo Kofler ist heute nur noch wenigen ein Begriff. Dabei
war er neben den Frankfurter kritischen Theoretikern Max Horkheimer und Theodor
W. Adorno und neben dem Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth der
wohl einflußreichste Marxist im Nachkriegsdeutschland. Am Wochenende vom
13./14.November erinnerte deswegen in Bochum eine Arbeitstagung der 1996
gegründeten Leo-Kofler-Gesellschaft e.V. an das frühe Wirken des 1995
im Alter von 88 Jahren gestorbenen Philosophen und Soziologen.
Aufgewachsen im linkssozialdemokratischen "Roten Wien" der 20er und
30er Jahre wurde Kofler politisch und theoretisch durch den Austromarxismus vor
allem Max Adlers geprägt. Unter dem Eindruck von Faschismus und Krieg
sowie den Schriften von Georg Lukács löste er sich jedoch von dieser Tradition,
schrieb 1944 sein erstes, vielbeachtetes Werk zur Lage der dialektischen Soziologie
und ging 1947 schließlich aus dem Schweizer Exil in die "sowjetisch-
besetzte Zone" Deutschlands, voller Hoffnungen auf einen demokratisierten und
entbürokratisierten deutschen Sozialismus.
Kofler kritisierte jedoch bald die zunehmende Vulgarisierung des Marxismus, sprich:
Dogmatismus, Mechanismus und Ökonomismus der sich stalinisierenden SED-
Herrschaft, bekam Berufsverbot und mußte die junge DDR Ende 1950 als einer
der ersten Linksintellektuellen verlassen.
In seinen Anmerkungen zum politikgeschichtlichen Kontext dieses
lebensgeschichtlichen Lernprozesses hob der Berliner Historiker Thomas Klein auf der
Tagung hervor, daß Kofler zwar alles gewußt, aber nichts verstanden zu
haben scheint. Die auch ihn selbst ereilende kalte bürokratische Herrschaftslogik
der 1949/50 mit aller Gewalt einsetzenden Repression hat er vollkommen
mißverstanden. "Ich habe fest zur Partei gestanden, ich war immer ein guter
Marxist. Aber denen hat meine Theorie nicht gepaßt, und zwar aus deren
Unwissenheit heraus. Das ist doch eine Tragödie, oder nicht?" So Kofler in
einem längeren Fernsehinterview, das am Anfang der Tagung gezeigt
wurde.
Thomas Klein schilderte dagegen die Anfänge der SED-
Parteikontrolltätigkeit, die Einleitung einer Politik der Säuberungen gegen
alle Formen tatsächlicher und potentieller Opposition und betonte mehrfach,
daß dieser Prozeß – anders als heute vielfach angenommen – keiner
irrationalen Überspitzung in die Enge getriebener Arbeiterbürokraten
entsprang. Wir haben es hier vielmehr, so Klein, mit einem ausgesprochen rationalen
und im Sinne der Herrschaftsgewinnung notwendigen Prozeß zu tun.
An die Zeit der 50er Jahre erinnerte der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe
in seinem Eröffnungsvortrag. Unter den schwierigsten materiellen Bedingungen
versuchten Kofler und seine Frau Fuß zu fassen, doch zur Anpassung an die
BRD-Verhältnisse im Kalten Krieg war er ebenfalls nicht bereit. Daß sich
die weitverbreiteten Hoffnungen auf einen antifaschistisch-radikaldemokratischen
Neuanfang nach wenigen Jahren zerschlugen, bedeutete, so Deppe, eine tiefgreifende
historische Niederlage für Linke jenseits von Stalinismus und Sozialdemokratie,
warf sie zurück auf kleine Zirkel ohne größere gesellschaftliche
Einflußmöglichkeiten. Verbot der KPD (bereits 1951 beantragt),
Godesberger Programmdebatte der SPD und gewerkschaftliche Burgfriedenspolitik
markieren diesen Prozeß im westlichen Deutschland.
Deppe hob Koflers Bedeutung für diese "heimatlose Linke" hervor,
denn Kofler widmete sich in diesen Jahren nicht nur der marxistischen Kritik von
Stalinismus und sozialdemokratischem Anpassungsprozeß an den
Wirtschaftswunderkapitalismus, er beteiligte sich vielmehr auch aktiv an der
gewerkschaftsoppositionellen Tätigkeit eines Viktor Agartz. Kofler sollte nicht
vergessen werden, so Deppe abschließend, denn seine biografische
Standhaftigkeit und sein theoretisches Beharren auf einer lebendigen Dialektik
können auch heute noch so etwas wie Vorbildcharakter haben.
Stärker auf die theoretischen Traditionslinien hob schließlich der
Frankfurter Politikwissenschaftler Alex Demirovic ab. Er näherte sich einem
gleichermaßen zentralen wie heiklen Problemfeld jener Zeit, nämlich
Koflers Verhältnis zur sog.Frankfurter Schule. Leo Kofler und
Horkheimer/Adorno, das gilt heute als kaum kompatibel, doch war, darauf wies
Demirovic überzeugend hin, ihr theoretischer Ausgangspunkt ein gemeinsamer.
Alle drei stehen in der Tradition des sog. "westlichen Marxismus", der
unter dem Einfluß der Oktoberrevolution und des theoretischen Werkes von
Georg Lukács mit dem mechanistischen, fortschrittsgläubig-fatalistischen
Marxismus der alten Sozialdemokratie der Jahrhundertwende brach und die Rolle des
subjektiven Faktors, die Rolle des Bewußtseins, der Theorie und derjenigen
Phänomene, die traditionellerweise als Überbau bezeichnet werden in die
materialistische Theorie zurückholte. Totalität und Dialektik, das sind die
zentralen Begriffe dieser erneut an Hegel anknüpfenden Tradition.
Doch während Kofler zeit seines Lebens am Lukácschen Totalitätsbegriff
festhalten sollte, gingen Horkheimer und Adorno bald weiter und arbeiteten an einer
"Dekonstruktion" auch dieser Begriffe. Lukács und auch Kofler fielen
unter das Verdikt, nicht antistalinistisch genug zu sein, letztlich Apologeten der
Unfreiheit zu bleiben, und Kofler seinerseits bezichtigte Horkheimer/Adorno des
ästhetischen Nihilismus und des politischen Pessimismus. Ein schwieriges
Verhältnis, das auch seine persönliche Dimension in unterschiedlichen
Biografien und Charakteren hatte, wie Demirovic anhand von Briefpassagen deutlich
machte.
Was jedoch damals zu schwerwiegenden Differenzen Anlaß bot, sollte heute
angesichts der postmodernen Infragestellung der aufklärerischen und
marxistischen Tradition relativiert werden. Mit diesem Plädoyer erntete
Demirovic nicht nur viel Beifall, sondern die, theoretisch betrachtet, inhaltlich
gehaltvollste Diskussion der gesamten Arbeitstagung.
Insgesamt ein gelungener (und gut besuchter) Auftakt zur Aufarbeitung von Leben und
Werk eines der herausragenden sozialistischen Intellektuellen der deutschen
Nachkriegszeit. Weitere Tagungen sind geplant.
Christoph Jünke
Kontakt & Informationen: Leo-Kofler-Gesellschaft e.V., c/o Uwe Jakomeit,
Ruhrstraße 29, 58452 Witten.