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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 14

Nicht bereit zur Anpassung

Tagung über den Marxisten Leo Kofler und die heimatlose Linke im Nachkriegsdeutschland

Leo Kofler ist heute nur noch wenigen ein Begriff. Dabei war er neben den Frankfurter kritischen Theoretikern Max Horkheimer und Theodor W. Adorno und neben dem Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth der wohl einflußreichste Marxist im Nachkriegsdeutschland. Am Wochenende vom 13./14.November erinnerte deswegen in Bochum eine Arbeitstagung der 1996 gegründeten Leo-Kofler-Gesellschaft e.V. an das frühe Wirken des 1995 im Alter von 88 Jahren gestorbenen Philosophen und Soziologen.
  Aufgewachsen im linkssozialdemokratischen "Roten Wien" der 20er und 30er Jahre wurde Kofler politisch und theoretisch durch den Austromarxismus vor allem Max Adlers geprägt. Unter dem Eindruck von Faschismus und Krieg sowie den Schriften von Georg Lukács löste er sich jedoch von dieser Tradition, schrieb 1944 sein erstes, vielbeachtetes Werk zur Lage der dialektischen Soziologie und ging 1947 schließlich aus dem Schweizer Exil in die "sowjetisch- besetzte Zone" Deutschlands, voller Hoffnungen auf einen demokratisierten und entbürokratisierten deutschen Sozialismus.
  Kofler kritisierte jedoch bald die zunehmende Vulgarisierung des Marxismus, sprich: Dogmatismus, Mechanismus und Ökonomismus der sich stalinisierenden SED- Herrschaft, bekam Berufsverbot und mußte die junge DDR Ende 1950 als einer der ersten Linksintellektuellen verlassen.
  In seinen Anmerkungen zum politikgeschichtlichen Kontext dieses lebensgeschichtlichen Lernprozesses hob der Berliner Historiker Thomas Klein auf der Tagung hervor, daß Kofler zwar alles gewußt, aber nichts verstanden zu haben scheint. Die auch ihn selbst ereilende kalte bürokratische Herrschaftslogik der 1949/50 mit aller Gewalt einsetzenden Repression hat er vollkommen mißverstanden. "Ich habe fest zur Partei gestanden, ich war immer ein guter Marxist. Aber denen hat meine Theorie nicht gepaßt, und zwar aus deren Unwissenheit heraus. Das ist doch eine Tragödie, oder nicht?" So Kofler in einem längeren Fernsehinterview, das am Anfang der Tagung gezeigt wurde.
  Thomas Klein schilderte dagegen die Anfänge der SED- Parteikontrolltätigkeit, die Einleitung einer Politik der Säuberungen gegen alle Formen tatsächlicher und potentieller Opposition und betonte mehrfach, daß dieser Prozeß – anders als heute vielfach angenommen – keiner irrationalen Überspitzung in die Enge getriebener Arbeiterbürokraten entsprang. Wir haben es hier vielmehr, so Klein, mit einem ausgesprochen rationalen und im Sinne der Herrschaftsgewinnung notwendigen Prozeß zu tun.
  An die Zeit der 50er Jahre erinnerte der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe in seinem Eröffnungsvortrag. Unter den schwierigsten materiellen Bedingungen versuchten Kofler und seine Frau Fuß zu fassen, doch zur Anpassung an die BRD-Verhältnisse im Kalten Krieg war er ebenfalls nicht bereit. Daß sich die weitverbreiteten Hoffnungen auf einen antifaschistisch-radikaldemokratischen Neuanfang nach wenigen Jahren zerschlugen, bedeutete, so Deppe, eine tiefgreifende historische Niederlage für Linke jenseits von Stalinismus und Sozialdemokratie, warf sie zurück auf kleine Zirkel ohne größere gesellschaftliche Einflußmöglichkeiten. Verbot der KPD (bereits 1951 beantragt), Godesberger Programmdebatte der SPD und gewerkschaftliche Burgfriedenspolitik markieren diesen Prozeß im westlichen Deutschland.
  Deppe hob Koflers Bedeutung für diese "heimatlose Linke" hervor, denn Kofler widmete sich in diesen Jahren nicht nur der marxistischen Kritik von Stalinismus und sozialdemokratischem Anpassungsprozeß an den Wirtschaftswunderkapitalismus, er beteiligte sich vielmehr auch aktiv an der gewerkschaftsoppositionellen Tätigkeit eines Viktor Agartz. Kofler sollte nicht vergessen werden, so Deppe abschließend, denn seine biografische Standhaftigkeit und sein theoretisches Beharren auf einer lebendigen Dialektik können auch heute noch so etwas wie Vorbildcharakter haben.
  Stärker auf die theoretischen Traditionslinien hob schließlich der Frankfurter Politikwissenschaftler Alex Demirovic ab. Er näherte sich einem gleichermaßen zentralen wie heiklen Problemfeld jener Zeit, nämlich Koflers Verhältnis zur sog.Frankfurter Schule. Leo Kofler und Horkheimer/Adorno, das gilt heute als kaum kompatibel, doch war, darauf wies Demirovic überzeugend hin, ihr theoretischer Ausgangspunkt ein gemeinsamer. Alle drei stehen in der Tradition des sog. "westlichen Marxismus", der unter dem Einfluß der Oktoberrevolution und des theoretischen Werkes von Georg Lukács mit dem mechanistischen, fortschrittsgläubig-fatalistischen Marxismus der alten Sozialdemokratie der Jahrhundertwende brach und die Rolle des subjektiven Faktors, die Rolle des Bewußtseins, der Theorie und derjenigen Phänomene, die traditionellerweise als Überbau bezeichnet werden in die materialistische Theorie zurückholte. Totalität und Dialektik, das sind die zentralen Begriffe dieser erneut an Hegel anknüpfenden Tradition.
  Doch während Kofler zeit seines Lebens am Lukácschen Totalitätsbegriff festhalten sollte, gingen Horkheimer und Adorno bald weiter und arbeiteten an einer "Dekonstruktion" auch dieser Begriffe. Lukács und auch Kofler fielen unter das Verdikt, nicht antistalinistisch genug zu sein, letztlich Apologeten der Unfreiheit zu bleiben, und Kofler seinerseits bezichtigte Horkheimer/Adorno des ästhetischen Nihilismus und des politischen Pessimismus. Ein schwieriges Verhältnis, das auch seine persönliche Dimension in unterschiedlichen Biografien und Charakteren hatte, wie Demirovic anhand von Briefpassagen deutlich machte.
  Was jedoch damals zu schwerwiegenden Differenzen Anlaß bot, sollte heute angesichts der postmodernen Infragestellung der aufklärerischen und marxistischen Tradition relativiert werden. Mit diesem Plädoyer erntete Demirovic nicht nur viel Beifall, sondern die, theoretisch betrachtet, inhaltlich gehaltvollste Diskussion der gesamten Arbeitstagung.
  Insgesamt ein gelungener (und gut besuchter) Auftakt zur Aufarbeitung von Leben und Werk eines der herausragenden sozialistischen Intellektuellen der deutschen Nachkriegszeit. Weitere Tagungen sind geplant.
  Christoph Jünke
  Kontakt & Informationen: Leo-Kofler-Gesellschaft e.V., c/o Uwe Jakomeit, Ruhrstraße 29, 58452 Witten.
 


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