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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 15

Prozeß der Selbstbestätigung

Organisierte Kriminalität ist überall

Otto Schily, der amtierende Innenmininister und frühere Verteidiger der Roten Armee Fraktion, ist schon im letzten Bundestagswahlkampf mit der überall lauernden Bedrohung auf Stimmenfang gegangen: der "Organisierten Kriminalität". Auch seit seiner Amtszeit dient sie ihm wie schon seinen Vorgängern als Begründung für neue Sicherheitskonzepte, der Projektion von Feindbildern und der Differenzierung zwischen legaler und illegaler Bereicherung. Vor allem Ausländer werden gerne mit der OK in Verbindung gebracht. Dabei weiß eigentlich niemand so genau, was OK eigentlich ist. Selbst ein Präsident des Bundeskriminalamts mußte vor dem Rechtsausschuß des Bundestags gestehen, daß die Definition von OK "selbst Eingeweihten nur in glücklichen Stunden verständlich ist".
  Wer trotzdem diesem Synonym für die Bedrohung von Recht und Freiheit durch Schwerstkriminalität begegnen will, sollte sich mit dem vor kurzem erschienenen Buch Der OK-Komplex von Norbert Püttner wappnen. Nicht, um in effektivere Methoden der polizeilichen Bekämpfung von Schwerstkriminalität eingewiesen zu werden, sondern um die "OK" nicht nur als politschen Kampfbegriff in Wahlprogrammen, sondern vor allem als Offensive der Sicherheitsexperten begreifen zu können.
  Püttner zeichnet das Bild einer Waage: Während die Befugnisse der Polizei immer schwerer wiegen, kommt dem "Schutz der Bürgerrechte kaum noch Bedeutung zu. Die OK-Bekämpfung erfolgt geheim und ist damit schwer kontrollierbar. Um weitere gesetzliche Maßnahmen zu legitimieren, behaupten die Sicherheitsexperten, sie hätten es mit "neuen Formen des Verbrechens" zu tun. Ein Teufelskreis, der nach Ansicht von Püttner dazu führt, daß die "programmierte Erfolgslosigkeit" herhalten muß, um immer wieder "Kompetenzen und Mittel zu verlangen, deren Vergeblichkeit erneut programmiert wäre".
  Auch wenn die innere Logik der OK nicht besonders stimmig ist, sind doch die Nebenwirkungen beträchtlich. Die im Zuge der OK-Debatte installierten Privilegien sprechen den OK-Abteilungen besondere Rechte zu: Informationen über potentielle OK-Belange müssen zu ihr transferiert werden; das Legalitätsprinzip, das schon immer im polizeilichen Alltagsbetrieb Ausnahmen kannte, wird durch opportune polizeiliche Handlungen beseitigt. Innerhalb der Sicherheitsapparate wird von allen Abteilungen Vertrauen zur OK-Polizei verlangt, "das vorab und jenseits aller Kontrollierbarkeit gegeben werden soll".
  Der Beschäftigung mit dem Thema "OK in der BRD" ist ein erkenntnistheoretisches Problem immanent: es stehen nur Informationen aus einer Quelle zur Verfügung, und deshalb beschäftigt sich Püttner zunächst mit der Quelle selbst. Sein Resümé ist kaum beruhigend: "Rechtsstaatlich im herkömmlichen Sinne läßt sich die OK- Bekämpfung nicht mehr nennen." Und diese Entwicklung ist nicht neu, sie wird seit den 70er Jahren kontinuierlich betrieben. Eines der wesentlichen Merkmale ist die Wende von der prinzipiell reaktiven Strafverfolgung hin zur präventiven Verbrechensbekämpfung, die überall Verdachtsmomente wittert.
  Püttner dreht den Spieß um. Wenn, so der Autor, die normalen Institutionen als die "Brutstätten" neuer Kriminalitätsformen anzunehmen sind, dann sind die "normalen" institutionellen Bedingungen und Prozeduren zur Disposition zu stellen.
  Gerhard Klas
 
  Norbert Püttner, Der OK-Komplex, Münster (Westfälisches Dampfboot) 1998; 450 Seiten, 62 Mark.
 


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