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Weihnachten, das ist seit dem Jahre 354 u.Z. der offizielle
Geburtstag von Jesus Christus im Machtbereich der katholischen Kirche. Wie viele der
an diesem Tag gepflegten Bräuche ist dieser Feiertag allerdings älter und
hat als "kürzester Tag des Jahres" zum Beispiel im germanischen
Kult eine lange Vorgeschichte. Der 24.Dezember als "Nacht der Mutter"
hatte in vielen Gegenden eine höhere Bedeutung. Der Brauch den Kindern etwas
zu schenken kam in der evangelischen Oberschicht im 16. Jahrhundert auf, denn das
Christuskind sollte den Kindern etwas schenken und nicht der Nikolaus, der diese
Aufgabe in katholischen Gebieten noch lange übernahm. Mit dem Triumph des
Bürgertums im 19.Jahrhundert setzte sich das Weihnachtsgeschenk bis in den
letzten Winkel unserer Gesellschaft durch.
In den 60er Jahren unseres Jahrhunderts wurde die Vorweihnachtszeit zum Inbegriff
des Konsumterrors. Weihnachtsmärkte sind die Materialisierung einer weit
verbreiteten Ambivalenz. Strahlen sie doch eine Behaglichkeit aus, angesichts
graudunkler Tage und stehen gleichzeitig für die absolute Macht des Marktes
über jegliche Spiritualität. Diejenigen, denen es gelingt, sich dieser
Ambivalenz zu entziehen, indem sie z.B. den knallharten Marxisten nach außen
kehren, zeichnen sich nicht selten durch verbitterte preußische Humorlosigkeit
aus. Diese hat dem Sozialismus allerdings immer mehr geschadet als
genützt.
Sicherlich ist die Ambivalenz auch nicht wie in der DDR zu lösen, indem etwa
versucht, wird aus Engeln "geflügelte Jahresendzeitfiguren" zu
machen. So sollte das Problem als eines derjenigen betrachtet werden, deren
Lösung sich im Laufe der Geschichte ergeben wird, und das dennoch wert ist, bei
einem Gläschen Glühwein erörtert zu werden.
Wonsaponatime
Die Popmusik hat natürlich keinerlei Schwierigkeiten mit dieser Ambivalenz.
Yoko Ono verbindet ihre Qualitäten als Künstlerin mit denen einer
Geschäftsfrau auf hohem Niveau. Es ist daher nicht verwunderlich, daß sie
als Nachlaßverwalterin von John Lennon genau in der Vorweihnachtszeit mit
einer neuen Produktion auf den Markt drängt. The John Lennon Anthology, das
ist eine CD-Box, die bisher nicht erschienene Titeln oder Versionen auf vier CDs zu
Gehör bringt. Ergänzt wird die Box durch ein 60seitiges Booklet, in dem
Informationen, aber auch Zeichnungen von John Lennon enthalten sind.
Die Anthologie ist ein Geschenk für alte Beatles-Fans. Aus der Schaffensperiode
1969-1980 ist hier Geniales neben Skurrilem zu finden, immer gepaart mit einer Prise
Humor. Deutlich wird auch, daß John Lennon der politischste der "fab.
four" war. Neu ist allerdings, wie er in "Rishikesh Song" über
George Harrison und Yogi Maharishi so richtig ablästert.
Daß die Beatles nach wie vor eine besondere Popularität besitzen, wird
allein daran sichtbar, daß sie die Band mit den meisten Webseiten im Internet
sind. Der Musiksoziologe Ger Tillekens von der Universität Groningen
behauptet in seiner jüngsten Veröffentlichung sogar: "Erst die
Musik der Beatles hat die 68er Studentenrevolte möglich gemacht." Das
ist Mythenbildung der aktuellen Art. John Lennon stellt auf Wonsaponatime in
"God is a Concept" demgegenüber klar: "I don’t believe in
Beatles."
Wonsaponatime, eine Auswahl, die Yoko Ono für diese gesondert erschienene
CD ausgekoppelt hat, ist ein guter Tip für die Fans von aktuellen Brit-Pop-
Gruppen. Die Musik auf der Scheibe macht nicht nur deutlich, wo die Wurzeln dieser
Musik liegen. Die Vielseitigkeit John Lennons zwischen Rock’n Roll, Liedermacher
und Soundtüftler läßt alle anderen Bands dieses Genres bis heute
erblassen. Während Yoko Onos Musik weiterhin die Punkmusik
beeinflußt, verweist ihre Auswahl der Lennonlieder auf die verschiedenen
Facetten der Musik von John Lennon, mit der seine Einflüsse auf die
Entwicklung der Popmusik eindrucksvoll unterstrichen werden.
Daß Yoko Ono für ihre Arbeit von Blättern wie dem Stern nahezu
der Leichenfledderei bezichtigt wird, ist widerlich. Hätte irgendein Produzent
etwa vom Jimi Hendrix oder den Doors eine derartig großartige Werkschau
vorgelegt, die gleichen Blätter wären voll des Lobes. Vielleicht, weil sie
an der Produktion selber nicht herummeckern können. Weil es eine CD ist, die
produziert wurde, nicht um sich nostalgisch schöner Tage und Nächte zu
erinnern, sondern die eher auffordert weiterzumachen, sich zu erinnern, aber dabei nach
vorne zu blicken.
Ob John Lennon bei seinen Blicken nach vorn - so pflanzte er schon Jahre vor Beuys
Eichen für den Frieden - allerdings an eine deutsche Versicherung gedacht hat,
die einmal den "Lennon-Förderpreis" für junge Musiker
stiften würde, glaube ich kaum. Dieser Stiftung, 1993 von der Itzehoer
Versicherung gegründet, haben sich mittlerweile eine ganze Reihe anderer
Sponsoren angeschlossen.
Abzuraten ist davon, die CD all denen zu schenken, die sich den Blick nach vorn
verbauen, wie die Nörgler, die nicht aufhören zu behaupten, Techno
wäre keine Musik, und sich in ihr Gestern verkriechen. Die dabei lange
vergessen haben, wie ihre Eltern vor 30 Jahren gegen die Musik der Beatles wetterten.
Hier rate ich eher zur Scheibe Working Class Hero - a Tribute to John Lennon, auf der
Bands der 90er Jahre Lennonlieder interpretieren. Besonders schön: die Fassung
der Red Hot Chili Peppers von "I Found Out".
Widescreen
Neben den Vernagelten, für die aktuelle elektronische Popmusik nur der
Baß aus dem GTI auf der linken Spur an der roten Ampel ist, gibt es sicherlich
eine Reihe offener Menschen, die bei ihren Hörgewohnheiten abgeholt werden
können. Rolf Maier Bode, 1974 in Berlin, und Farid Gharadjedaghi, 1974 in
Teheran geboren, sind das Duo RMB. Düsseldorf, wo die beiden leben, ist
anscheinend ein gutes Pflaster für elektronische Popmusik. So kam zum Beispiel
Kraftwerk von hier.
Vielleicht liegt es an der klassischen Musikausbildung, die die beiden genossen haben,
daß ihre Musik, obwohl sie Trancemusik mit Technoelementen und Housemusik
verbindet, das Verständnis dafür auch Uneingeweihten nahebringen kann.
Daß genau dies sie bei eingefleischten Technofans herabsetzt, wird sie hoffentlich
wenig kratzen. Ihr erstes Album This World is Yours wurde im September 1995 zu
einem der zwanzig am häufigsten verkauften Alben.
Ihre Musik ist deutlich von New-Age-Einflüssen geprägt. Mit Widescreen
hat RMB eine CD vorgelegt, in dem diese Einflüsse von der Gestaltung des
Covers bis in jedes einzelne Stück zu verfolgen ist. Dennoch ist die Musik weit
davon entfernt, einen selig dahinschlummern zu lassen, und Digeridooklänge
bleiben die Ausnahme.
Als Greenpeaceaktivisten waren die beiden mit von der Partie, als es darum ging, gegen
die französischen Atomtests am Mururoa-Atoll zu demonstrieren.
Größter Erfolg des Duos war bisher 1996 die Single Spring, die sie
über 250000 mal verkauften. Dieses Stück hatten sie direkt nach ihrer
Rückkehr vom Mururoa-Atoll produziert, die Eindrücke von der Fahrt
sind sehr präsent. Auf Widescreen ist das Stück zur Hälfte im
Studio produziert, zur anderen Hälfte eine Liveaufnahme von der Love Parade
1997 in Berlin.
Im Gegensatz zu dem mit einem 15seitigen Booklet üppig ausgestatteten Cover
von Wonesaponatime gibt das Cover von Widescreen lediglich Auskunft, daß der
Gesang auf der CD von Tina Lux, Pete L. und Angela Caran ist, und daß Pete L.
auch noch Gitarre spielt. Die meisten Stücke auf der CD sind tanzbare
Musikstücke, die sich aber auch daheim gut anhören. In "No
Women No Kids" dokumentieren die beiden Musiker, daß der
Jazz nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen ist. Es ist immer wieder erstaunlich, wie der
Jazz seit hundert Jahren fortschrittliche Musik beeinflußt.
Mann alive
Häufig ist es so, daß Popmusiker und Popmusikerinnen an einem
bestimmten Punkt ihrer Laufbahn den Jazz für sich entdecken. Einer der
wenigen, die den anderen Weg gegangen sind, ist der Keyborder und Arrangeur
Manfred Mann. Aus der Republik Südafrika ging er nach England, da er sich
seine persönliche und seine künstlerische Jazz-Zukunft nicht im
Apartheidregime vorstellen konnte. Klar hat er dabei auch an seine Karriere gedacht.
Doch biederte er sich, nachdem er in Europa Karriere gemacht hatte, dem
Apartheidregime genausowenig an, wie er - als es Mode wurde - an
prestigeträchtigen Antiapartheidkonzerten teilnahm. Dabei hat er mit
"Somewhere in Afrika" 1982 ein sowohl musikalisch wie auch politisch
kaum beachtetes Meisterwerk weißer Solidaritätserklärung mit dem
Befreiungskampf in Südafrika abgeliefert.
Nach seinen Erfolgen als Popmusiker in den 60er Jahren versuchte er sich mit Manfred
Chapter III an einer Mischung aus Jazz und Beatmusik. Zu früh, die Erfolge des
Jazzrock begannen Jahre später. Nach dieser Phase wiederholten sich
Erzählungen, die kurz gefaßt folgenden Inhalt haben: "Ich habe
Manfred Manns Earth Band auf ’nem Festival gesehen und war hin und weg, jetzt habe
ich mir ’ne Studioplatte angehört, und das ist irgendwie daneben." Die
Atmosphäre eines solchen Konzerts einzufangen, das geht einfach
nicht.
Nach Live in Budapest ist Mann alive der zweite offizielle Versuch, es dennoch zu
wagen. Manfred Mann schreibt im Coverbooklet von Mann alive: "Ich habe beim
Abmischen keinen Spaß gehabt, aber beim Hören des Ergebnisses dann
doch." Der Sänger Chris Thompson steuert bei: "Klar gab es
Mängel und Fehler in den Konzerten, aber es ist schön, wie sich die
Musiker gerade da herausgewunden haben. Wir hätten das im Studio
overdubben können, aber dann wäre der Charakter des Livekonzerts weg
gewesen."
Tatsächlich, wer einmal - und das ist uneingeschränkt zu empfehlen – auf
einem Manfred-Mann-Konzert gewesen ist, für den ist die Doppel-CD kein
Ersatz. Doch bei geschlossenen Augen "Father of Day, Father of Night",
von Noel McCala und Chris Thompson gesungen, voll aufdrehen, genießen, wie
es sich anhört, wenn ein vielseitiger Gitarrist wie Mick Rogers und ein virtuosen
Keyborder wie Manfred Mann nach 30 Jahren gemeinsamer Musikerfahrung sich auf
der Bühne zuspielen, das hat schon etwas von Paul Klee: "Kunst gibt nicht
das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar."
Symbolisch für die Aufzeichnung der 97er Tour der Earth Band ist Bob Dylans
"The Times They Are A Changing". Hier fließt der Schmalz Dylans
zusammen mit dem Bombastrock der späten 70er und den Beats der 80er Jahre,
aufgefrischt mit aktuellem Gitarrenrock. Wenn Thompsen und McCala dann
wiederholen: "Come fathers and mothers throughout the land, don’t criticize
what you can’t understand-, dann ist zu merken, sie sprechen nicht wie Dylan ein
imaginäres Puplikum an, sondern ihr ganz konkretes, und es bleibt zu hoffen,
daß die Aufforderung ankommt. Nicht nur deswegen ist die Platte ein Muß
für Mama und Papa.
We rock hard
Ebenfalls bekannt durch ihre Liveauftritte, jedoch vor einem ganz anderen Publikum,
sind die Free Stylers. Wer ihre Studioaufnahmen auf We Rock Hard hört, kann
kaum glauben, daß sie dies alles wirklich live bringen. Doch Djing, Instrumente
und Gesang werden live eingespielt, hinzu kommt noch eine Break-Dance-Truppe. Die
Musik ist schwer in eine Kategorie zu packen. Zuviele Versatzstücke von Rap,
Dub und Rockmusik werden ineinander verschachtelt. Da werden genauso Anleihen
bei Publik Enemy gemacht wie bei Aerosmith.
Herz der Band sind die beiden Londoner DJs Aston Harvey und Matt Cantor. Die CD
vermittelt die riesige Freude, die die Musiker beim Zerlegen und Zusammensetzen von
anderen Musikstücken und dem Hinzufügen eigener Elemente gehabt
haben. Ihre Rockmusik vermittelt den Spaß an Dekonstruktion und
Neukonstruktion, immer auf eine tanzbare Art und Weise. Das ist nicht Musik einer
auf Boy Groups und Spice Girls abfahrenden Szene, sondern sie wendet sich an
quirlige Oberschülerinnen und Oberschüler, die ihr erstes selbstverdientes
Geld für ’n Handy oder ’ne neue Soundkarte ausgeben, sich aber nicht scheuen,
auch die Plattensammlung älterer Rockfans nach Schätzen zu
durchsuchen.
Oft besser als das Original sind dabei die Anleihen bei Publik Enemy. Die Free Stylers
bringen diese Musik in den Schmelztiegel London und geben ihm dadurch einen Drive,
der auf jede Arroganz verzichtet. Zum Erfolg der CD trägt sicher auch Tenor Fly
bei, der bei "Dancehall Vibes" und "B-Boy Stage" singt. Mit
einem verdammt hohen Tempo ziehen die Musiker die Stücke durch, es bleibt
fast keine Atempause zum Verschnaufen.
Zusammen mit Asian Dub Foundation stellen die Free Stylers eine neue Generation im
Umgang mit verschiedenen Musikgenres dar. Respekt stellt sich dabei nicht mehr als
Verbeugung vor früheren Stars, sondern als Übernahme von Elementen
ihrer Musik dar. Element ist hier wörtlich gemeint. Nicht verschämtes
Abgucken, sondern Auslösen der Elemente und ihre Zusammenfügung zu
eigenem Neuen - das ist ihre Art, Respekt zu zeigen.
Ausgangspunkt dieser Musik sind auch keine festgefügten Bands mehr, sondern
die Zusammenarbeit in verschiedenen Projekten. So hat nicht nur Tenor Fly auf dieser
CD mitgearbeitet, sondern auch noch eine Reihe anderer Künstlerinnen und
Künstler. Dabei bleibt allerdings der Stil, den die beiden DJs entwickelt haben,
deutlich in jedem Stück zu hören.
Nicht unbedingt die Musik, die mensch beim Gedanken an den Weihnachtsbaum
assoziiert, aber bestens geeignet, jedweder verlogenen Scheinfriedlichkeit effektiv
entgegen zu wirken.
DJ Tommy