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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 2

Lomé-Abkommen

Abschluß unter deutscher EU-Präsidentschaft

Unter dem EU-Vorsitz der Bundesrepublik im ersten Halbjahr 1999 soll das Lomé-Nachfolgeabkommen, seit 1975 Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Ländern der Dritten Welt, unter Dach und Fach gebracht werden. So sieht es der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vor. Das derzeit vierte Abkommen zwischen der EU und den insgesamt 71 Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten (AKP) regelt wirtschafts-, handels- und entwicklungspolitische Angelegenheiten zwischen beiden Verhandlungspartnern und wird im Jahr 2000 auslaufen.
  Im Gegensatz zu den 70er Jahren haben die AKP-Staaten heute noch schlechtere Karten: Überangebot und Preisverfall von Rohstoffen lassen das alte kolonialwirtschaftliche Interesse an ihren Ausfuhren gegen Null tendieren. Nach dem Ende der bipolaren Weltordnung ist auch das geostrategische Interesse an der in der Mehrzahl afrikanischen Staaten nur noch gering.
  Das Lomé-Nachfolgeabkommen soll nun endlich den Vorgaben des Maastrichter Vertrags gerecht werden, der im Artikel 130 ausdrücklich auf das Ziel einer "harmonischen Eingliederung" der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft hinweist. Die Integration in das weltwirtschaftliche Gefüge soll nach Ansicht der zuständigen Minister in den einzelnen europäischen Ländern gemäß der Liberalisierungsbestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) erfolgen.
  Die EU klagt über eine negative Handelsbilanz von 7 Millarden Mark. Während 1996 die AKP-Staaten nach Angaben des statistischen Amts der EU, Eurostat, Güter im Wert von 44 Milliarden Mark nach Europa exportieren, erfolgte in umgekehrter Richtung lediglich ein Warenfluß von 37 Milliarden.
  Besonders interessant ist die Zusammensetzung der Produktpalette. Aus den AKP- Staaten nach Europa werden vor allem Kaffee, Kakao, Rohrzucker, Baumwolle und Bananen, Erdöl und Rohdiamanten gehandelt, die insgesamt mehr als 60 Prozent der Gesamteinfuhren aus den AKP-Staaten ausmachen.
  Im Gegensatz dazu exportiert Europa in die AKP-Staaten vor allem verarbeitete Produkte: Maschinen, mechanische Geräte, Fahrzeuge, landwirtschaftliche und chemische Erzeugnisse machen 59 Prozent der Ausfuhren in die AKP-Gruppe aus.
  Fallende Rohstoffpreise sind deshalb ein Grund für den Bedeutungsverlust vor allem der afrikanischen AKP-Staaten für den Weltmarkt. Europäische NGOs, die in Afrika tätig sind, warnen hinsichtlich der ungleichen ökonomischen Potenz vor den katastrophalen Auswirkungen der WTO-Regeln. "Globalisierung macht nur Sinn zwischen Ländern mit mehr oder minder gleichem Wirtschaftsstandard. Wie soll der afrikanische Agrar- und Industriesektor die europäische Konkurrenz ohne Schutzmaßnahmen verkraften?"
  Diese Bedenken scheren die Protagonisten des Freihandels wenig. Die alte Bundesregierung, aber auch die EU-Kommission, bestehend aus 20 Kommissaren und etwa 15000 Beamten, betonten und betonen die Notwendigkeit der WTO- Konformität eines neuen Abkommens. Die alte Bundesregierung wollte die AKP-Staaten sogar dazu zwingen, dem äußerst umstrittenen Multilateralen Abkommen über Investitionen (MAI) beizutreten.
  Eine besondere Bedeutung kommt deshalb der neuen Bundesregierung zu, die im ersten Halbjahr 1999 den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft inne hat. Ihr Koalitionspapier kündigt nicht nur den Abschluß der Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen während der deutschen Präsidentschaft an, sondern hat außerdem die Zuständigkeit für die Lomé-Verhandlungen vom Wirtschaftsministerium ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) verschoben.
  Die neue Chefin des Ministeriums, Heidemarie Wieczorek-Zeul, kündigte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau an, sich gegen die "Sachzwänge der Globalisierung" wehren und den "Kapitalismus zähmen" zu wollen. Ob dabei ihre sozialdemokratischen "Genossen" mitspielen, darf bezweifelt werden.
  Als Beispiel kann hier die EU-Bananenmarktordnung herhalten, die jüngst von der WTO verworfen wurde. Sie regelt den Import von Bananen in die EU und bevorzugt dabei EU-Produzenten und Anbieter aus AKP-Staaten. Nun soll die EU bis Ende 1999 eine WTO-konforme Lösung finden, d.h. die Bevorzugung der AKP- Bananen abschaffen. Der sozialdemokratisch dominierte Bundesrat hat in einem Beschluß vom 8.Mai 1998 bekräftigt, sich in der Frage der europäischen Bananenmarktordnung "weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, daß die Umgestaltung der gemeinsamen Marktordnung für Bananen den entsprechenden Forderungen der WTO vollständig Rechnung trägt und nicht für bisher rechtswidrig erfolgte Begünstigungen wieder ungerechtfertigte Ausgleichsmaßnahmen eingeführt werden".
  Wieczorek-Zeul hofft hingegen darauf, daß sie bei den Anschlußverhandlungen über das Welthandelsabkommen 1999 ihren Einfluß geltend machen kann und endlich "soziale und ökologische Kriterien" beachtet werden. Dabei macht sie ausgerechnet den Bock zum Gärtner und lobt den EU-Handelskommissar Sir Leon Brittan, einen expliziten Vertreter des Freihandels und Verfechter des MAI, für seine "sozialen und ökologischen" Bemühungen, denen seitens der alten Bundesregierung "besonders dicke Knüppel zwischen die Beine" geworfen worden seien.
  Gerhard Klas
 


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