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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 5

"Nicht an der falschen Stelle sparen"

Interview mit Dieter Schwuchow zum Gewerkschaftstag der IG Metall

Anfang Dezember fand ein ao. Gewerkschaftstag der IG Metall zur Organisationsreform statt. Das nachstehende Interview über seine Ergebnisse führte Hermann Dierkes für die Betriebszeitung EH direkt, die von der Vertrauenskörperleitung von Eisenbahn & Häfen, Duisburg, herausgegeben wird.

Beim 5.außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall stand die Organisationsreform (OE-Projekt) im Mittelpunkt. Du warst einer der Duisburger Delegierten. Was waren für dich die Highlights auf dem Mannheimer Treffen?
  Dieter Schwuchow: Zu erwarten waren erst mal keine großen Höhepunkte, denn im Mittelpunkt stand die Behandlung von 429 Anträgen zur Organisationsreform, aufgegliedert in 13 Themenblöcken.
  In seiner Eröffnungsrede würdigte Klaus Zwickel den Regierungswechsel und den großen Anteil, den die Gewerkschaften daran hatten. Eingefordert hat er den Politikwechsel, der sich auch in einem neuen Anlauf für ein "Bündnis für Arbeit" niederschlagen soll. Wichtig war aus meiner Sicht, daß Zwickel dem Vermischen von tariflicher Einkommensverbesserung mit dem "Bündnis für Arbeit" eine Absage erteilt hat.
  Ein weiteres Highlight bestand für mich im selbstbewußten Abstimmungsverhalten der Delegierten. Zumindest in zwei Fällen sind sie der Empfehlung der Antragsberatungskommission nicht gefolgt.
 
  Welchen Eindruck hat der Auftritt des neuen Bundeskanzlers auf die Delegierten hinterlassen?
  Ich glaube, das war sehr unterschiedlich. Von der Grundstimmung her wurde Schröder schon sehr freundlich empfangen. Ich glaube, das gehört sich auch so, denn wir wollen nicht nach ein paar Tagen in das gleiche Horn tuten wie die Vertreter der Wirtschaftsverbände. Ich meine damit allerdings überhaupt nicht, daß man der neuen Regierung kritiklos gegenüberstehen sollte. Darauf hat übrigens auch Zwickel in seiner Rede Wert gelegt. Es gab aber auch andere Stimmen. So forderte ein Kollege aus Berlin die Delegierten förmlich auf, den Kanzler gern zu haben, denn es sei der erste Kanzler nach 18 Jahren, der Gewerkschaftstagsdelegierte mit "liebe Kolleginnen und Kollegen" angesprochen habe. Soweit wollten aber viele Delegierte nun doch nicht gehen ...
 
  Wie war die Stimmung unter den Delegierten hinsichtlich der Personalentscheidung für den Zweiten Vorsitzenden, die nach Riesters Wechsel in das Arbeitsministerium fällig war?
  Das läßt sich am Wahlergebnis für den neuen Zweiten Vorsitzenden Jürgen Peters klar ablesen. Über 90% der Delegierten stimmten für ihn. Ein deutliches Votum auch gegen den ursprünglichen Vorschlag von Klaus Zwickel im Vorstand, den Organisationskassierer Bertin Eichler als seinen Stellvertreter wählen zu lassen. Auch der letzte Delegierte sollte gemerkt haben, daß da irgendwas nicht stimmt. Nach der Wahl von Peters gab es von Zwickel keine freudigen Glückwünsche. Wie ich meine, falsche Eitelkeit. Die Delegierten haben dies mit Befremden registriert. Jürgen Peters scheint eine starke Persönlichkeit zu sein, und das ist auch notwendig in einer großen Organisation wie der IG Metall. Hier muß ein starker Vorsitzender einen starken Vertreter oder eine starke Vertreterin neben sich haben.
 
  Nun zum eigentlichen Thema "OE-Konzept". Der Gewerkschaftstag sollte ja eine mehrjährige Entwicklungs- und Erprobungsphase abschließen. Was ist eigentlich unter OE-Projekt zu verstehen und worauf zielt es ab? Kannst du Beispiele nennen?
 
  Diese Frage zu beantworten ist nicht einfach, denn OE ist sehr umfangreich. Eigentlich zielt OE darauf ab, sehr vieles besser zu machen, Ressourcen einzusparen oder effizienter einzusetzen, in finanzieller und personeller Hinsicht. Das ist um so notwendiger, als die Anforderungen immer größer und häufig komplizierter werden, aber die Mittel knapper. Schließlich hat die Organisation eine Menge Mitglieder verloren, nicht in erster Linie, weil sie unzufrieden waren, sondern weil soviel Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Beispiele für OE könnte ich viele nennen. So koordinieren inzwischen viele Verwaltungsangestellten die Bildungsarbeit, Verwaltungsstellen wie Essen, Mülheim und Oberhausen arbeiten enger zusammen zu Themen wie Industrieansiedlung in der Region, die Verwaltungsstelle Duisburg hat das OE-Projekt genutzt, um Serviceleistungen für die Mitglieder zu verbessern, die Arbeit zu optimieren und den Informationsfluß zu verbessern. OE hat 1992 begonnen und fand mit dem Gewerkschaftstag seinen (vorläufigen) Abschluß. Der Prozeß als solcher, seine weitere Umsetzung, ist aber damit nicht beendet.
 
  Welche Auswirkungen wird der beschlossene Abbau von Hauptamtlichenstellen haben und was ist von der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements zu halten, wo doch die Personengruppenarbeit stark abgebaut werden soll?
 
  Es gab zu dieser Frage einige Anträge, weil es auch Thema des OE-Prozesses ist. Einige Anträge wurden allerdings nicht in die OE-Entschließung aufgenommen, weil der Vorstand sich noch Entscheidungen vorbehält. Aber der nächste ordentliche Gewerkschaftstag soll erneut die Richtung bestimmen. Hier spielt natürlich der Beitritt der Gewerkschaft Textil-Bekleidung und der Gewerkschaft Holz und Kunststoff noch eine Rolle.
  OE soll die Arbeit der Ehrenamtlichen stärken. Das hat natürlich den Hintergrund, daß in der Frankfurter Vorstandsverwaltung, aber auch örtlich, Personal abgebaut werden soll. Auch die IG Metall muß sparen. Wir hoffen allerdings sehr, daß dies an der richtigen Stelle passiert und nicht auf Kosten unserer Kampfkraft und der Mitgliederbetreuung geht.
  In der Frage der Personengruppenarbeit gab es eine sehr rege Diskussion. Vorgesehen war, daß nur die Frauen- und Jugendarbeit beibehalten wird. Das hieße, daß die Arbeit der Ausländer- und Angestelltenausschüsse wegfällt. Ergebnis der Diskussion war eine entsprechende Änderung der Entschließung, aber die Diskussion um die Personengruppenarbeit ist damit noch nicht beendet.
 
  Gab es deutliche Unterschiede in den Äußerungen der Delegierten, je nachdem, ob sie aus den neuen Bundesländern oder aus dem Westen kamen?
  Diese Unterschiede gab es in der Tat. Bei bestimmten Abstimmungen gab es sogar ein Nord-Ost-Westgefälle. Das wurde u.a. deutlich, als es um die zukünftigen Handlungsfelder der IG Metall ging. Nach dem Willen des Vorstands sollte die Aufgabe "Gesellschaftspolitik" in der Entschließung über die Handlungsfelder nicht mehr auftauchen. Der Empfehlung der Antragsberatung auf Annahme sind vor allem Delegierte aus dem Westen gefolgt, der Norden und der Osten lehnte mehrheitlich ab. So wurde doch das Handlungsfeld Gesellschaftspolitik in die Entschließung aufgenommen.
 
  Werden die beschlossenen Maßnahmen und Verfahrensweisen die IG Metall als Kampfverband stärken, oder ist eher mit dem Gegenteil zu rechnen?
  Das ist abzuwarten. Es liegt ja in der Hauptsache an uns, an den Aktiven in der Gewerkschaft, an den Mitgliedern, inwieweit man den Vorstellungen folgen kann. Es kommt drauf an, den OE-Prozeß mit Leben zu erfüllen.
 
  Zurück zum aktuellen Geschehen. Wie wurde das "Bündnis für Arbeit" auf dem Gewerkschaftstag behandelt, was war dein Eindruck von der Meinung der Delegierten?
  Das "Bündnis für Arbeit" zog sich wie ein roter Faden durch den Gewerkschaftstag. Immer wieder wurden Erfahrungen aus dem letzten Bündnisversuch herangezogen. Einseitige Vorleistungen unsererseits, so die Stimmung, dürfe es nicht mehr geben. In erster Linie sind die Arbeitgeber jetzt am Zug.
 


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