Artikel |
Beim 5.außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall stand die
Organisationsreform (OE-Projekt) im Mittelpunkt. Du warst einer der Duisburger
Delegierten. Was waren für dich die Highlights auf dem Mannheimer
Treffen?
Dieter Schwuchow: Zu erwarten waren erst mal keine großen Höhepunkte,
denn im Mittelpunkt stand die Behandlung von 429 Anträgen zur
Organisationsreform, aufgegliedert in 13 Themenblöcken.
In seiner Eröffnungsrede würdigte Klaus Zwickel den Regierungswechsel
und den großen Anteil, den die Gewerkschaften daran hatten. Eingefordert hat er
den Politikwechsel, der sich auch in einem neuen Anlauf für ein
"Bündnis für Arbeit" niederschlagen soll. Wichtig war aus
meiner Sicht, daß Zwickel dem Vermischen von tariflicher
Einkommensverbesserung mit dem "Bündnis für Arbeit" eine
Absage erteilt hat.
Ein weiteres Highlight bestand für mich im selbstbewußten
Abstimmungsverhalten der Delegierten. Zumindest in zwei Fällen sind sie der
Empfehlung der Antragsberatungskommission nicht gefolgt.
Welchen Eindruck hat der Auftritt des neuen Bundeskanzlers auf die Delegierten
hinterlassen?
Ich glaube, das war sehr unterschiedlich. Von der Grundstimmung her wurde
Schröder schon sehr freundlich empfangen. Ich glaube, das gehört sich
auch so, denn wir wollen nicht nach ein paar Tagen in das gleiche Horn tuten wie die
Vertreter der Wirtschaftsverbände. Ich meine damit allerdings überhaupt
nicht, daß man der neuen Regierung kritiklos gegenüberstehen sollte.
Darauf hat übrigens auch Zwickel in seiner Rede Wert gelegt. Es gab aber auch
andere Stimmen. So forderte ein Kollege aus Berlin die Delegierten förmlich auf,
den Kanzler gern zu haben, denn es sei der erste Kanzler nach 18 Jahren, der
Gewerkschaftstagsdelegierte mit "liebe Kolleginnen und Kollegen"
angesprochen habe. Soweit wollten aber viele Delegierte nun doch nicht gehen
...
Wie war die Stimmung unter den Delegierten hinsichtlich der Personalentscheidung
für den Zweiten Vorsitzenden, die nach Riesters Wechsel in das
Arbeitsministerium fällig war?
Das läßt sich am Wahlergebnis für den neuen Zweiten Vorsitzenden
Jürgen Peters klar ablesen. Über 90% der Delegierten stimmten für
ihn. Ein deutliches Votum auch gegen den ursprünglichen Vorschlag von Klaus
Zwickel im Vorstand, den Organisationskassierer Bertin Eichler als seinen
Stellvertreter wählen zu lassen. Auch der letzte Delegierte sollte gemerkt haben,
daß da irgendwas nicht stimmt. Nach der Wahl von Peters gab es von Zwickel
keine freudigen Glückwünsche. Wie ich meine, falsche Eitelkeit. Die
Delegierten haben dies mit Befremden registriert. Jürgen Peters scheint eine
starke Persönlichkeit zu sein, und das ist auch notwendig in einer großen
Organisation wie der IG Metall. Hier muß ein starker Vorsitzender einen starken
Vertreter oder eine starke Vertreterin neben sich haben.
Nun zum eigentlichen Thema "OE-Konzept". Der Gewerkschaftstag sollte
ja eine mehrjährige Entwicklungs- und Erprobungsphase abschließen. Was
ist eigentlich unter OE-Projekt zu verstehen und worauf zielt es ab? Kannst du
Beispiele nennen?
Diese Frage zu beantworten ist nicht einfach, denn OE ist sehr umfangreich. Eigentlich
zielt OE darauf ab, sehr vieles besser zu machen, Ressourcen einzusparen oder
effizienter einzusetzen, in finanzieller und personeller Hinsicht. Das ist um so
notwendiger, als die Anforderungen immer größer und häufig
komplizierter werden, aber die Mittel knapper. Schließlich hat die Organisation
eine Menge Mitglieder verloren, nicht in erster Linie, weil sie unzufrieden waren,
sondern weil soviel Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Beispiele für
OE könnte ich viele nennen. So koordinieren inzwischen viele
Verwaltungsangestellten die Bildungsarbeit, Verwaltungsstellen wie Essen,
Mülheim und Oberhausen arbeiten enger zusammen zu Themen wie
Industrieansiedlung in der Region, die Verwaltungsstelle Duisburg hat das OE-Projekt
genutzt, um Serviceleistungen für die Mitglieder zu verbessern, die Arbeit zu
optimieren und den Informationsfluß zu verbessern. OE hat 1992 begonnen und
fand mit dem Gewerkschaftstag seinen (vorläufigen) Abschluß. Der
Prozeß als solcher, seine weitere Umsetzung, ist aber damit nicht
beendet.
Welche Auswirkungen wird der beschlossene Abbau von Hauptamtlichenstellen haben
und was ist von der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements zu halten, wo
doch die Personengruppenarbeit stark abgebaut werden soll?
Es gab zu dieser Frage einige Anträge, weil es auch Thema des OE-Prozesses ist.
Einige Anträge wurden allerdings nicht in die OE-Entschließung
aufgenommen, weil der Vorstand sich noch Entscheidungen vorbehält. Aber der
nächste ordentliche Gewerkschaftstag soll erneut die Richtung bestimmen. Hier
spielt natürlich der Beitritt der Gewerkschaft Textil-Bekleidung und der
Gewerkschaft Holz und Kunststoff noch eine Rolle.
OE soll die Arbeit der Ehrenamtlichen stärken. Das hat natürlich den
Hintergrund, daß in der Frankfurter Vorstandsverwaltung, aber auch
örtlich, Personal abgebaut werden soll. Auch die IG Metall muß sparen.
Wir hoffen allerdings sehr, daß dies an der richtigen Stelle passiert und nicht auf
Kosten unserer Kampfkraft und der Mitgliederbetreuung geht.
In der Frage der Personengruppenarbeit gab es eine sehr rege Diskussion. Vorgesehen
war, daß nur die Frauen- und Jugendarbeit beibehalten wird. Das hieße,
daß die Arbeit der Ausländer- und Angestelltenausschüsse
wegfällt. Ergebnis der Diskussion war eine entsprechende Änderung der
Entschließung, aber die Diskussion um die Personengruppenarbeit ist damit noch
nicht beendet.
Gab es deutliche Unterschiede in den Äußerungen der Delegierten, je
nachdem, ob sie aus den neuen Bundesländern oder aus dem Westen
kamen?
Diese Unterschiede gab es in der Tat. Bei bestimmten Abstimmungen gab es sogar ein
Nord-Ost-Westgefälle. Das wurde u.a. deutlich, als es um die zukünftigen
Handlungsfelder der IG Metall ging. Nach dem Willen des Vorstands sollte die
Aufgabe "Gesellschaftspolitik" in der Entschließung über die
Handlungsfelder nicht mehr auftauchen. Der Empfehlung der Antragsberatung auf
Annahme sind vor allem Delegierte aus dem Westen gefolgt, der Norden und der Osten
lehnte mehrheitlich ab. So wurde doch das Handlungsfeld Gesellschaftspolitik in die
Entschließung aufgenommen.
Werden die beschlossenen Maßnahmen und Verfahrensweisen die IG Metall als
Kampfverband stärken, oder ist eher mit dem Gegenteil zu rechnen?
Das ist abzuwarten. Es liegt ja in der Hauptsache an uns, an den Aktiven in der
Gewerkschaft, an den Mitgliedern, inwieweit man den Vorstellungen folgen kann. Es
kommt drauf an, den OE-Prozeß mit Leben zu erfüllen.
Zurück zum aktuellen Geschehen. Wie wurde das "Bündnis
für Arbeit" auf dem Gewerkschaftstag behandelt, was war dein Eindruck
von der Meinung der Delegierten?
Das "Bündnis für Arbeit" zog sich wie ein roter Faden durch
den Gewerkschaftstag. Immer wieder wurden Erfahrungen aus dem letzten
Bündnisversuch herangezogen. Einseitige Vorleistungen unsererseits, so die
Stimmung, dürfe es nicht mehr geben. In erster Linie sind die Arbeitgeber jetzt
am Zug.