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Die Uni als ein Ort, wo Lösungsansätze
für soziale, ökonomische und ökologische Fragen der Gesellschaft
erarbeitet werden? Ein Jahr nach den bundesweiten Studierendenprotesten sind die
Hochschulen von dieser Utopie weiter entfernt denn je.
Kaum ist die neue Bildungsministerin Edelgard Bulmahn im Amt, beschließen
ihre Parteigenossen in Niedersachsen per Gesetz 100 DM
"Verwaltungsgebühren" pro Semester einzuführen. Ein
offener Affront in mehrfacher Hinsicht: Edelgard Bulmahn ist nicht nur
Landesvorsitzende der niedersächsischen SPD, sie war es auch, die sich in ihrer
Partei am deutlichsten gegen Studiengebühren ausgesprochen hatte.
Wie schon in Berlin und Baden-Württemberg werden die Einnahmen aus den
"Verwaltungsgebühren" den Hochschulen aus ihrem Etat gestrichen
und direkt in die Landeskasse fließen, was auch der niedersächsische
Bildungsminister Oppermann in einem Streitgespräch mit studentischen
VertreterInnen unumwunden zugab: Die EXPO 2000 müsse eben irgendwie
finanziert werden. Außerdem wird die in Aussicht gestellte Reform der
Studienfinanzierung als Rechtfertigung für die Erhebung von
Studiengebühren herangezogen. Da die Regierungskoalition bis Ende 1999 eine
Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vorlegen
wolle, durch die die materielle Situation der Studierenden verbessert werde,
bräuchten sich diese ja keine Sorgen zu machen – sie hätten dann ja Geld,
so die Argumentation des niedersächsischen Bildungsministers.
Ein Jahr nach
dem Unistreik
Vor einem Jahr hätte dieses dreiste Vorgehen erheblichen Aufruhr verursacht:
Protestaktionen, Großdemonstrationen, Vorlesungsboykotts, besetzte
Hochschulen. Für wenige Wochen hatten es die Studierenden geschafft, Bildung
tatsächlich zu einem "Megathema" zu machen. Nach einem Jahr
scheint nun wieder Normalität eingekehrt zu sein, alle besuchen brav ihre
Vorlesungen, bei Erwähnung der Worte "Vollversammlung" oder
"Streik" verdrehen Studierenden nur genervt die Augen.
Gebessert hat sich die vielfach beklagte Situation an den Hochschulen bislang nicht.
Immerhin fand aber ein Regierungswechsel statt, der viele Studenten hoffen
läßt. Hatten nicht gerade die Oppositionsparteien, die sich nun auf der
Regierungsbank wiederfinden, hoch und heilig gelobt, die Forderungen der
StudentInnen umzusetzen?
Trauen wollten sie den Solidaritätsbekundungen und Reformversprechen der
Politiker nie ganz, doch war es ermutigend, daß die SPD und die von ihr regierten
Länder aufgrund des studentischen Streiks in der Auseinandersetzung um das
Hochschulrahmengesetz nicht vollends auf die damalige Regierungslinie
einschwenkten.
Was aber blieb davon? Wenige Absätze im "rot"-grünen
Koalitionsvertrag, die darüber hinaus äußerst schwammig formuliert
sind. So heißt es, man wolle die Erhebung von Studiengebühren
"ausschließen" und das Hochschulrahmengesetz
"weiterentwickeln".
Dazu ist jedoch sowohl eine Mehrheit im Bundestag nötig als auch die
Zustimmung der Länder, die in diesen Fragen nicht übergangen werden
können. So aber dürfte es Bildungsministerin Bulmahn schwer haben,
gutgemeinte Reformansätze zu realisieren; denn die Bildungsminister der
Länder erhielten durch die jüngste Novelle des Hochschulrahmengesetzes
Spielräume, die sie nun nicht einfach wieder hergeben wollen. Und auch die
Finanzminister der Länder werden den Hochschulen eher weniger als mehr Geld
zubilligen wollen. Wieviel unter diesen Bedingungen von den verheißenen
Hochschulreformen übrigbleiben wird, ist fraglich.
Doch eine umfassende Hochschulreform bedarf mehr als der Änderung einiger
Gesetze. Und hier muß sich die neue Regierung zu recht vorwerfen lassen,
daß es mit ein paar technokratischen Vorschlägen nicht getan ist;
Hochschulpolitik bewegt sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen staatlichen
Regelungen, gesellschaftlichen Ansprüchen und Anforderungen der Arbeitswelt.
Dem versuchten die StudentInnen in ihrem Protest Rechnung zu tragen, indem sie nicht
nur (wie die Presse glauben machen wollte) für die Verbesserung allein ihrer
Lernbedingungen eintraten, sondern sich auch bemühten, andere
gesellschaftliche Gruppen miteinzubeziehen.
Hochschulen sind ein zentraler Dreh- und Angelpunkt in der Verteilung von
Lebenschancen; hier erwerben Menschen Qualifikationen, die für ihren
beruflichen Werdegang entscheidend sind. Nicht alle können dies tun – selektiert
wird schon in der Schule, nur wer die Möglichkeit hat, das Abitur zu machen,
darf auf die Hochschule. Hochschulen sind darüber hinaus auch Orte der
Ideologieproduktion: Durch die Prioritätensetzung in der Forschung – sei es im
naturwissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Bereich – werden bestimmte
Ergebnisse erzielt und so gesellschaftliche Diskurse wesentlich geprägt. Die
wesentlichsten Fragen zur Funktion der Hochschulen müssen daher die nach dem
Zugang und der gesellschaftlichen Partizipation am Wissenschaftsprozeß
sein.
Professorale Besitzstandswahrung
Zur Zeit liegt die Entscheidungsgewalt an den Hochschulen in den Händen der
Professoren. Seit das Bundesverfassungsgericht 1973 entschied, daß den
Professoren in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung die Mehrheit der Sitze
und Stimmen gebühre, werden jegliche Ansätze zur Demokratisierung der
Hochschulen mit dem Verweis auf jenen Richterspruch abgebügelt. Die
übrigen Mitglieder der Hochschule – wissenschaftliches und technisches
Personal, StudentInnen – dürfen zwar an Entscheidungen teilhaben,
können sie aber meist nicht wesentlich beeinflussen.
Dazu kommt, daß Professoren durch das System der Selbstrekrutierung
(wissenschaftlich "Habilitation" und "Berufung" genannt)
häufig einem feudal anmutenden Standesdünkel verhaftet sind.
International einmalig ist darüber hinaus das Arbeitsverhältnis der
deutschen Professoren – sie sind Beamte auf Lebenszeit und damit unkündbar.
Durch die im Grundgesetz verbürgte Wissenschaftsfreiheit genießen sie ein
weiteres Privileg: Professoren sind individuelle Grundrechtsträger, d.h., sie sind
in ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit frei und ungebunden.
Diese drei Absicherungen auf institutioneller, arbeitsrechtlicher und wissenschaftlicher
Ebene erlauben es, von einer "professoralen Kaste" zu sprechen, die die
Hochschulen beherrscht. Dies führt in mehrerer Hinsicht zur Stagnation, da
Professoren wenig dialogbereit und -fähig im Hinblick auf die anderen
Mitglieder der Hochschule sind. Gerade in Zeiten enger Hochschuletats betreiben sie
eine Politik der Besitzstandswahrung. Die Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses, alternative Wissenschaftsansätze, studentische Interessen und
Reformvorschläge bleiben so auf der Strecke. Ebenso verhindert das von
patriarchalischer Kumpanei geprägte Professorenkartell Wissenschaftlerinnen
den Zugang und erstickt so feministische Forschung und Lehre im Keim.
Lebenslängliches Lernen
Auf der anderen Seite wird insbesondere von Wirtschaft und Industrie verstärkt
die Forderung formuliert, "bedarfsgerecht" auszubilden. Hochschulen
sollen ihren AbsolventInnen möglichst nur noch die sog.
"Schlüsselqualifikationen" vermitteln, die fachspezifische
Ausbildung soll größtenteils in den Betrieben laufen und direkt den
Bedürfnissen vor Ort angepaßt werden. Unter dem Stichwort
"Lebenslanges Lernen" sollen sich die Arbeitenden im Laufe ihrer
Beschäftigung z.B. an den Hochschulen weiter fortbilden, um den Erfordernissen
der Arbeit zu entsprechen.
Hochschulen werden aus dieser Perspektive nurmehr als Lernfabriken betrachtet, in
denen die human ware entsprechend den Anforderungen der Arbeitgeber geformt wird.
"Lernen" wird hier als bloßes "Updating" und als
Bereitschaft, sich den Bedingungen der kapitalistischen "Wissens- und
Informationsgesellschaft" anzupassen, definiert.
Mit Begriffen wie "Wettbewerbsfähigkeit" und
"Effizienz" werden Eingriffe in die Struktur der Akademischen
Selbstverwaltung gerechtfertigt, um demokratische
Mitbestimmungsmöglichkeiten einzuschränken oder
abzuschaffen.
Die Stichwortgeber finden sich mittlerweile nicht mehr nur auf der Arbeitgeberseite
(wie z.B. das von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte "Centrum für
Hochschulentwicklung"), solche Positionen werden inzwischen auch in
"Modernisierungs"-Kreisen der SPD und der Grünen
vertreten.
An den Hochschulen zeigt sich der Einfluß der Wirtschaft und der Industrie in der
Drittmittelforschung, wo Firmen zweckgebundene Mittel für die Forschung zur
Verfügung stellen und in der Finanzierung von Stiftungsprofessuren ("S-
Professuren"). Mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes fand auch die
"leistungsgesteuerte Mittelvergabe" (Output-Steuerung) Eingang in die
Hochschulhaushalte. Künftig sollen die Hochschulen ihre staatlichen Mittel
anhand von "Leistungskriterien" erhalten, anhand derer ihre
"Effizienz" gemessen werden soll. Die gängigen Kriterien sind hier
die Zahl der AbsolventInnen innerhalb der Regelstudienzeit, die Höhe der
eingeworbenen Drittmittel, die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
usw.
Beide Tendenzen, die der neoliberalen Modernisierung und Effektivierung und die der
konservativen Besitzstandswahrung, halten sich zur Zeit die Waage und gehen
streckenweise sogar Zweckbündnisse ein. Wie weit dies tragen wird und welche
Richtung sich gegen die andere durchsetzen wird, ist noch nicht klar; sobald aber den
Professoren der Verlust ihrer Pfründe durch eine konsquente
"effiziente" Modernisierung drohen sollte, werden sie diese unheilige
Allianz aufkündigen.
Gemein ist jedoch beiden Tendenzen, die Selektivität im Bildungssystem zu
verstärken – einerseits durch fragwürdige elitäre
"Begabungs"konzepte, andererseits über eine materielle
Ausgrenzung durch Studiengebühren. Bildung wird allein in die Verantwortung
des einzelnen gestellt und so zum privaten (finanziellen) Risiko.
Um die Gestaltung der Bildungspolitik nicht den Konservativen und Modernisierern zu
überlassen, ist es dringend geboten, eine breit angelegte Debatte von links zu
führen. Hochschulen dürfen nicht länger nur als lästige
Kostenfaktoren gesehen werden – im Gegenteil: Bildung ist eine gesellschaftliche
Aufgabe, der Staat darf sich daher weder seiner finanziellen noch seiner inhaltlichen
Verantwortung entziehen. Als öffentliche Institutionen müssen
Hochschulen bedarfsgerecht finanziert werden; dabei ist unumgänglich, die
überkommenen akademischen Strukturen von Grund auf zu demokratisieren, da
sonst die Mittel wiederum in den üblichen professoralen Nischen
versickern.
Dazu müssen alle Mitglieder der Hochschule gleiche Mitwirkungsrechte
erhalten, wie es seit Anfang der 60er Jahre eingefordert wird. Selbstverständlich
reicht eine Demokratisierung allein auf der Strukturebene nicht aus; auch der Zugang
zur Hochschulbildung muß wesentlich ausgeweitet werden.
Wenn Wissenschaft und Forschung nicht allein für den wirtschaftlichen
Fortschritt instrumentalisiert werden sollen, müssen wir uns verstärkt mit
der Problematik der gesellschaftlichen Partizipation am Wissenschaftsprozeß
auseinandersetzen. Die Elfenbeintürme müssen geöffnet werden
für relevante gesellschaftspolitische Fragestellungen, an denen sich
Gewerkschaften, Umweltverbände, Bürgerinitiativen,
Frauenverbände, MigrantInnen und andere Gruppen beteiligen können
müssen.
Nur dann wird es möglich sein, Hochschulen in öffentliche Orte der
Emanzipation umzuwandeln, an denen zufriedenstellende Lösungsansätze
für die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme der
Gesellschaft erarbeitet werden können. Erst dann wird es den Hochschulen
möglich sein, ihrer Funktion und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht
zu werden. Doch um diesen Prozeß in Gang zu setzen, ist weit mehr nötig
als der kurzatmige Protest einer Studierendengeneration, die bislang nur ihre Ohnmacht
im Kampf gegen finanzielle Sachzwänge erfahren hat.
Ulrike Gonzales
Ulrike Gonzales ist Referentin für Hochschulpolitik des freien
zusammenschlusses von studentInnenschaften (fzs) und Mitglied des Bundesvorstands
des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
(BdWi).