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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 15

"Musik hat keine Grenzen und wir recken uns nach dem Äußersten."

Barbara Thompson & Paraphernalia, Shifting Sands, Temple Music

Musikpassagen, die Spannung aufbauen, wie sie im Zirkus unmittelbar vor dem dreifachen Salto von Trapezkünstlern herrscht. Dann wieder federleichte Sequenzen. "Aufregende Klangfolgen und treibende Rhythmen", das sind die Elemente moderner Klassik und moderner Rockmusik, die Barbara Thompson so zusammengefügt hat. Shifting Sands, so der Name, den sie dieser Musik gibt, ist sicherlich keine große Überraschung oder ein überragendes Album. Es ist eine Standortbestimmung ihrer Band Paraphernalia. 1975 gegründet, hat diese Gruppe zwischen Jazz und Rock eine stabile, in diesem Genre kaum bekannte Kontinuität bewahrt. Gleichzeitig spielen ihre Mitglieder auf allen möglichen anderen Hochzeiten. Allen voran die 1944 geborene Komponistin und Saxophonistin, die sich seit 1996 Jazzbotschafterin des Vereinigten Königreichs nennen darf. Sie spielt mit im United Jazz und Rock Ensemble, komponiert Filmmusik, ist Leiterin einer Big Band und und und.
  Besonders zu erwähnen wäre noch ihre Umsetzung von Kurt-Weill- Liedern für Saxofon und Streichinstrumente. "Ich bin schon seit Jahren in die Musik von Kurt Weill verliebt", sagt Barbara Thompson, "in seine eindringlichen Melodien, ihre unerwarteten Wendungen, in seine Verwendung moderner Harmonien und interessante Orchestrierung, die eine Menge von Blech- und Holzbläsern, gelegentlich auch Saxofone, aber fast niemals Streichinstrumente allein enthält." Es ist nicht schwer zu erraten, daß sie mit diesem Werk besonders in den Jazzkreisen der ehemaligen DDR einen großen Erfolg hatte.
  Dennoch bleibt Paraphernalia die Gruppe mit der größten Ausstrahlung. Das liegt sicherlich auch an den anderen Mitgliedern der Gruppe. Jon Hiseman, Drummer, der im vorletzten Jahr seine ehemalige Band Colosseum wiederbelebte, Peter Lemer, der mit seinem Klavierspiel ab und zu an Keith Jarrett erinnert, Paul Westwood, dessen Baßspiel maßgeblich für die Leichtigkeit der Musik verantwortlich zeichnet.
  Neu auf dieser Platte: Billy Thompson, den Barbara Thompson nicht ohne stolzen Unterton einen sehr begabten jungen Violinisten nennt. Die Zwiegespräche zwischen Barbaras Saxofon beziehungsweise Flöte und Billys Geige zeugen nicht nur von beider Talent, sondern sind vor allem die Passagen auf der Platte, die auch beim mehrmaligen Hören noch etwas Neues in sich bergen.
  Nun ist diese Art Standortbestimmung geradezu das Gegenteil von dem, was in der allgegenwärtigen Standortdebatte sonst getan wird. Wesentliche Elemente in letzterer zwingen die Menschen gegeneinander, machen fremde Subjekte für ihre Misere verantwortlich, halten jedoch die verantwortlichen Verhältnisse für unabänderlich. Die Musik dieser Platte präsentiert demgegenüber, wie der Einfluß von Musikerinnen und Musikern nicht nur verschiedener Herkunft, sondern auch verschiedener Genres den Charakter der eigenen Musik festigt.
  Dabei ist die Musik weit davon entfernt, sich in Konkurrenz zu all diesen Einflüssen zu setzen. Ihre Identität liegt in der Erkundung jenseits der eigenen Welt. Diese Produktion, im eigenen Haus aufgenommen, auf dem eigenen Label produziert, streckt sich nach den eigenen Grenzen, immer bereit, einen Schritt weiter zu gehen. Das beginnt nahezu unmerklich im Titelsong und wird am deutlichsten im letzten Stück "Head in the Sand".
  DJ Tommy
 


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