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Millionen von Betroffenen der "Asien"- und der
"Rußlandkrise" sind in einen Teufelskreis der Verelendung geraten. Aus einem
Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geht der scharfe Anstieg der Erwerbslosigkeit (8
Millionen verloren bislang allein in Indonesien ihren Arbeitsplatz) und das katastrophale Absinken der
Reallöhne hervor (Indonesien 1998 minus 30%...).
Auf derlei kommt es den bürgerlichen Wirtschaftsexperten jedoch nicht an. Sie
verdrängen die Gefahren für die kapitalistische Weltwirtschaft, sobald es an den
Börsen wieder einmal aufwärts geht. Etwa seit drei Monaten schienen die USA mit Hilfe
von Zinssenkungen wieder auf der Sonnenseite der Konjunktur angelangt. Die jüngste
brasilianische Erschütterung hat gezeigt, wie wenig das Gespenst der globalen Krise gebannt
ist.
Am 13.1. machte die Börse in São Paulo erstmal dicht. Der Bovespa-Index war um
über 10% abgestürzt. Nachdem die brasilianische Notenbank die Schwankungsbreite der
Landeswährung gegenüber dem US-Dollar erweitert hatte, verlor der Real
gegenüber dem Dollar 8%.
In einer Reihe anderer lateinamerikanischer Länder, vor allem denen, die mit Brasilien
über die Wirtschaftsgemeinschaft Mecorsur verbunden sind, erfolgten prompt ebenfalls
Kurseinbrüche an den Börsen (z.B. in Argentien um ebenfalls 10%, aber auch in Chile,
Peru, Venezuela und Mexiko). Und diesmal reagierten auch die wichtigen Börsenplätze
in den reichen Industrieländern sofort mit Kurseinbrüchen. Auch der Höhenflug
der bundesdeutschen Aktienkurse vom Anfang des Jahres wurde von einem starken Ausschlag nach
unten gebrochen.
Unmittelbarer Auslöser der Krise war die Entscheidung der Provinzregierung des braslianischen
Bundesstaats Minas Gerais, die Begleichung seiner Schulden von ca. 15 Milliarden Dollar an die
Zentralregierung um 90 Tage zu verschieben. Auch andere Provinzregierungen sind verschuldet, und
Oppositionspolitiker wie Luis Ignácio da Silva ("Lula"), historischer Führer der
Arbeiterpartei (PT), sprachen sich für ein "Schuldenmoratorium" aus. Innerhalb nur
eines Tages verschärfte sich die Kapitalflucht dramatisch; über eine Milliarde Dollar
verließ das Land. Doch ist dies nur der vorläufige Höhepunkt einer
Kapitalfluchtbewegung, die schon Monate andauert - obwohl Verzinsungen bis zu 50% (!) dazu
anreizten, Geldkapital in Brasilien unterzubringen.
Die Auslandsschulden Brasiliens liegen bei 250 Milliarden Dollar. Der Gesamtschuldenberg des
Landes beträgt 40%, das Haushaltsdefizit über 8% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die
Devisenreserven sind innerhalb eines halben Jahres von ca. 70 auf 35 Milliarden Dollar
eingeschmolzen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte Brasilien gegen Ende letzten Jahres 41,5
Milliarden Dollar an Krediten zugesagt - nur um den Schuldendienst weitere drei Jahre ableisten zu
können! Nun ist klar, daß das nicht reicht, und daß die reichen Industriestaaten
mehr Geld aufbringen müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, mit in den Strudel zu
gelangen.
Eine allgemeine Rezession scheint für den ganzen lateinamerikanischen Subkontinent
anzustehen. Auch die Aktienwerte deutscher Geschäftsbanken haben auf das brasilianische
Wetterleuchten empfindlich reagiert. Vor allem aber die US-Wirtschaft könnte durch die neue
Entwicklung aus dem Gleis geraten. Immerhin gehen 20% des US-Exporte nach
Lateinamerika.
Nach der Abwertung des brasilianischen Real gingen die Börsenkurse wieder nach oben. Doch
solche extrem kurzfristigen Schwankungen können nicht beruhigen; sie sind selbst ein
Krisensymptom.
Die Abwertung des Real wird deshalb positiv bewertet, weil sie die Exportchancen Brasiliens
verstärkt, die Verschuldungsdynamik mildert und die Zahlungsfähigkeit stärkt.
Dem steht gegenüber, daß dadurch die Lage der Konkurrenten Brasiliens auf dem
Weltmarkt wiederum verschlechtert wird.
Aus den reichen Ländern importierte Güter werden zudem in Brasilien teurer. Die von
den reichen Industrieländern und vom IWF geforderte "Sanierung" der
brasilianischen Staatsfinanzen würde, nach innen ernsthaft durchgesetzt, scharfe soziale
Konflikte, Hungerrevolten und "indonesische Verhältnisse"
heraufbeschwören.
Erwin Schmidt