Artikel SoZ

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 02 vom 21.01.1999, Seite 2

Börsen-Beben

Brasilien: Neuer Schlag

Millionen von Betroffenen der "Asien"- und der "Rußlandkrise" sind in einen Teufelskreis der Verelendung geraten. Aus einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geht der scharfe Anstieg der Erwerbslosigkeit (8 Millionen verloren bislang allein in Indonesien ihren Arbeitsplatz) und das katastrophale Absinken der Reallöhne hervor (Indonesien 1998 minus 30%...).
  Auf derlei kommt es den bürgerlichen Wirtschaftsexperten jedoch nicht an. Sie verdrängen die Gefahren für die kapitalistische Weltwirtschaft, sobald es an den Börsen wieder einmal aufwärts geht. Etwa seit drei Monaten schienen die USA mit Hilfe von Zinssenkungen wieder auf der Sonnenseite der Konjunktur angelangt. Die jüngste brasilianische Erschütterung hat gezeigt, wie wenig das Gespenst der globalen Krise gebannt ist.
  Am 13.1. machte die Börse in São Paulo erstmal dicht. Der Bovespa-Index war um über 10% abgestürzt. Nachdem die brasilianische Notenbank die Schwankungsbreite der Landeswährung gegenüber dem US-Dollar erweitert hatte, verlor der Real gegenüber dem Dollar 8%.
  In einer Reihe anderer lateinamerikanischer Länder, vor allem denen, die mit Brasilien über die Wirtschaftsgemeinschaft Mecorsur verbunden sind, erfolgten prompt ebenfalls Kurseinbrüche an den Börsen (z.B. in Argentien um ebenfalls 10%, aber auch in Chile, Peru, Venezuela und Mexiko). Und diesmal reagierten auch die wichtigen Börsenplätze in den reichen Industrieländern sofort mit Kurseinbrüchen. Auch der Höhenflug der bundesdeutschen Aktienkurse vom Anfang des Jahres wurde von einem starken Ausschlag nach unten gebrochen.
  Unmittelbarer Auslöser der Krise war die Entscheidung der Provinzregierung des braslianischen Bundesstaats Minas Gerais, die Begleichung seiner Schulden von ca. 15 Milliarden Dollar an die Zentralregierung um 90 Tage zu verschieben. Auch andere Provinzregierungen sind verschuldet, und Oppositionspolitiker wie Luis Ignácio da Silva ("Lula"), historischer Führer der Arbeiterpartei (PT), sprachen sich für ein "Schuldenmoratorium" aus. Innerhalb nur eines Tages verschärfte sich die Kapitalflucht dramatisch; über eine Milliarde Dollar verließ das Land. Doch ist dies nur der vorläufige Höhepunkt einer Kapitalfluchtbewegung, die schon Monate andauert - obwohl Verzinsungen bis zu 50% (!) dazu anreizten, Geldkapital in Brasilien unterzubringen.
  Die Auslandsschulden Brasiliens liegen bei 250 Milliarden Dollar. Der Gesamtschuldenberg des Landes beträgt 40%, das Haushaltsdefizit über 8% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Devisenreserven sind innerhalb eines halben Jahres von ca. 70 auf 35 Milliarden Dollar eingeschmolzen.
  Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte Brasilien gegen Ende letzten Jahres 41,5 Milliarden Dollar an Krediten zugesagt - nur um den Schuldendienst weitere drei Jahre ableisten zu können! Nun ist klar, daß das nicht reicht, und daß die reichen Industriestaaten mehr Geld aufbringen müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, mit in den Strudel zu gelangen.
  Eine allgemeine Rezession scheint für den ganzen lateinamerikanischen Subkontinent anzustehen. Auch die Aktienwerte deutscher Geschäftsbanken haben auf das brasilianische Wetterleuchten empfindlich reagiert. Vor allem aber die US-Wirtschaft könnte durch die neue Entwicklung aus dem Gleis geraten. Immerhin gehen 20% des US-Exporte nach Lateinamerika.
  Nach der Abwertung des brasilianischen Real gingen die Börsenkurse wieder nach oben. Doch solche extrem kurzfristigen Schwankungen können nicht beruhigen; sie sind selbst ein Krisensymptom.
  Die Abwertung des Real wird deshalb positiv bewertet, weil sie die Exportchancen Brasiliens verstärkt, die Verschuldungsdynamik mildert und die Zahlungsfähigkeit stärkt. Dem steht gegenüber, daß dadurch die Lage der Konkurrenten Brasiliens auf dem Weltmarkt wiederum verschlechtert wird.
  Aus den reichen Ländern importierte Güter werden zudem in Brasilien teurer. Die von den reichen Industrieländern und vom IWF geforderte "Sanierung" der brasilianischen Staatsfinanzen würde, nach innen ernsthaft durchgesetzt, scharfe soziale Konflikte, Hungerrevolten und "indonesische Verhältnisse" heraufbeschwören.
  Erwin Schmidt