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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 02 vom 21.01.1999, Seite 2

China im Finanzstrudel

Der nächste Dominostein?

Eine vorübergehende konjunkturelle Abkühlung" prognostizierte kürzlich das renommierte Kieler Institut für Weltwirtschaft für das Jahr 1999. Angesichts dessen, wie im Augenblick rund um den Globus ein Dominostein nach dem anderen fällt, klingt das eher nach Pfeifen im Walde.
  Bis zum Oktober galt Brasilien, dessen Ökonomie derzeit vom freien Weltmarkt gründlich zerrüttet wird, als einer der Rettungsanker der Weltökonomie. Ein anderer ist China, doch auch dort verdunkelt sich inzwischen der Konjunkturhimmel.
  Bisher konnten die Zentralbanker in Peking und Hongkong inmitten der Währungsturbulenzen der asiatischen Krise Yuan und Hongkong-Dollar stabil halten und so vor allem den südlichen Nachbarländern einige Luft verschaffen.
  Folge einer Abwertung dieser beiden Währungen wäre zweifelsohne ein krisenverschärfender Preiskrieg und verstärkter Abwertungsdruck auf die übrigen Währungen der Region. Verhindert haben ein derartiges Szenario bis dato stattliche Devisenreserven und ein kräftiges Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik, gestützt nicht zuletzt von einem breiten Strom ausländischer Direktinvestitionen.
  Nun zeigen sich auch in Deng Xiaopings Musterländle die ersten Krisenanzeichen. Anfang des Jahres brach in der südchinesischen Boomprovinz Guangdong das zweitgrößte Investmenthaus des Landes zusammen. Die internationale Finanzwelt reagierte nervös. Bis zuletzt hatten die ausländischen Anleger, unter ihnen auch Commerzbank und Dresdner Bank, gehofft, die Regierung würde für die Schulden des provinzeigenen Unternehmens geradestehen. In Peking dachte man jedoch nicht daran und übergab die Sache den Konkursrichtern.
  Die über hundert staatseigenen Investmenthäuser, die im In- und Ausland Kredite für Investitionsprojekte einwerben, spielen eine gewichtige Rolle in Chinas Wirtschaftsplanung. Der durch den jüngsten Zusammenbruch hervorgerufene Vertrauensverlust, den die Kommentatoren von Faz bis Financial Times beklagen, könnte sich also dämpfend auf die weitere Entwicklung auswirken.
  Aber das ist nur eines von vielen Problemen, die Chinas Politikern derzeit die Stirn in Sorgenfalten legen. Finanzminister Xiang Huaicheng gab Anfang Januar überraschend eine ungewöhnlich pessimistische Einschätzung der zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung ab: "Die wirtschaftliche Situation im Inneren wie im Äußeren", zitieren ihn Hongkonger Zeitungen, "läßt 1999 wenig Raum für Optimismus."
  Nach wie vor schwache Inlandsnachfrage und schlechte Ergebnisse der staatseigenen Betriebe ließen nach Xiangs Worten negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum erwarten. Das Bruttosozialprodukt wächst zwar nach offiziellen Angaben noch immer beachtlich schnell (+7,8% im vergangenen Jahr), doch war es 1998 im fünften Jahr in Folge zurückgegangen.
  Xiang rät daher zur Vorsicht: "Die asiatische Finanzkrise verschärft sich und in der Weltwirtschaft nehmen Unsicherheit und Instabilität zu. Unsere Exporte werden in diesem Jahr kaum noch zunehmen, wenn sie nicht gar zurückgehen. Im Inland haben wir weder das Problem der Überproduktion noch das der Staatsbetriebe gelöst."
  Bereits im vergangenen Jahr hatten die Exporte der Volksrepublik stagniert. Die Einfuhren gingen gar um 3,8% zurück.
  Die staatseigenen Betriebe bereiten den Pekinger Führern schon seit Jahren erhebliche Kopfschmerzen, fahren sie doch zumeist nur rote Zahlen ein. Die Lösung sieht man in Privatisierung und Massenentlassungen. Für die Angestellten hat das oft katastrophale Folgen, denn am Arbeitsvertrag hängen in der Regel auch Betriebswohnung, -rente und - krankenversicherung.
  So ist es denn keine Seltenheit, daß die häufigen Streiks und Demonstrationen wegen nicht gezahlter Löhne gelegentlich aktive Unterstützung der mitbetroffenen Rentner bekommen.
  Nach einem im Oktober von der Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichten Bericht liegt in den Städten die Arbeitslosenquote bereits bei 8 Prozent - doppelt so hoch wie die offiziellen Zahlen. Nicht einbezogen sind in diese Rechnung jene ca. 120 Millionen, die auf der Suche nach Arbeit durchs Land ziehen, als "Illegale" in den Städten wohnen und von keiner Statistik erfaßt werden. Darüber hinaus gibt es auf dem Land nach verschiedenen Angaben 100 bis 160 Millionen Arbeitslose.
  Neue Arbeitsplätze könnten geschaffen werden, so das Credo der Deng-Jünger in Peking, wenn die marktradikalen Reformen vorangetrieben und so ein hohes Wirtschaftswachstum erzielt würde. Nötig wären allerdings mindestens 9% pro Jahr, ein Wert, der im Augenblick kaum erreichbar scheint.
  Zumal die offiziellen Wachstumszahlen von einigen Beobachtern als zu hoch angezweifelt werden. Sie verweisen darauf, daß z.B. die Stromproduktion kaum zugenommen hat, was nur schwer mit dem behaupteten Anstieg des Bruttosozialprodukts um 7,8% in Einklang zu bringen ist. Auch der angegebene Umfang der Direktinvestitionen wird angezweifelt, da diese in den Devisenreserven nicht wiederzufinden sind. Die Frage, die sich in der Region mancher bang stellt, ist also, ob hinter einem Vorhang geschönter Zahlen auch in China die Krise bereits eingesetzt hat.
  Wolfgang Pomrehn