Artikel |
Eine vorübergehende konjunkturelle Abkühlung"
prognostizierte kürzlich das renommierte Kieler Institut für Weltwirtschaft für das
Jahr 1999. Angesichts dessen, wie im Augenblick rund um den Globus ein Dominostein nach dem
anderen fällt, klingt das eher nach Pfeifen im Walde.
Bis zum Oktober galt Brasilien, dessen Ökonomie derzeit vom freien Weltmarkt gründlich
zerrüttet wird, als einer der Rettungsanker der Weltökonomie. Ein anderer ist China, doch
auch dort verdunkelt sich inzwischen der Konjunkturhimmel.
Bisher konnten die Zentralbanker in Peking und Hongkong inmitten der Währungsturbulenzen
der asiatischen Krise Yuan und Hongkong-Dollar stabil halten und so vor allem den südlichen
Nachbarländern einige Luft verschaffen.
Folge einer Abwertung dieser beiden Währungen wäre zweifelsohne ein
krisenverschärfender Preiskrieg und verstärkter Abwertungsdruck auf die übrigen
Währungen der Region. Verhindert haben ein derartiges Szenario bis dato stattliche
Devisenreserven und ein kräftiges Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik, gestützt
nicht zuletzt von einem breiten Strom ausländischer Direktinvestitionen.
Nun zeigen sich auch in Deng Xiaopings Musterländle die ersten Krisenanzeichen. Anfang des
Jahres brach in der südchinesischen Boomprovinz Guangdong das zweitgrößte
Investmenthaus des Landes zusammen. Die internationale Finanzwelt reagierte nervös. Bis
zuletzt hatten die ausländischen Anleger, unter ihnen auch Commerzbank und Dresdner Bank,
gehofft, die Regierung würde für die Schulden des provinzeigenen Unternehmens
geradestehen. In Peking dachte man jedoch nicht daran und übergab die Sache den
Konkursrichtern.
Die über hundert staatseigenen Investmenthäuser, die im In- und Ausland Kredite
für Investitionsprojekte einwerben, spielen eine gewichtige Rolle in Chinas Wirtschaftsplanung.
Der durch den jüngsten Zusammenbruch hervorgerufene Vertrauensverlust, den die
Kommentatoren von Faz bis Financial Times beklagen, könnte sich also dämpfend auf die
weitere Entwicklung auswirken.
Aber das ist nur eines von vielen Problemen, die Chinas Politikern derzeit die Stirn in Sorgenfalten
legen. Finanzminister Xiang Huaicheng gab Anfang Januar überraschend eine
ungewöhnlich pessimistische Einschätzung der zu erwartenden wirtschaftlichen
Entwicklung ab: "Die wirtschaftliche Situation im Inneren wie im Äußeren",
zitieren ihn Hongkonger Zeitungen, "läßt 1999 wenig Raum für
Optimismus."
Nach wie vor schwache Inlandsnachfrage und schlechte Ergebnisse der staatseigenen Betriebe
ließen nach Xiangs Worten negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum erwarten. Das
Bruttosozialprodukt wächst zwar nach offiziellen Angaben noch immer beachtlich schnell
(+7,8% im vergangenen Jahr), doch war es 1998 im fünften Jahr in Folge
zurückgegangen.
Xiang rät daher zur Vorsicht: "Die asiatische Finanzkrise verschärft sich und in der
Weltwirtschaft nehmen Unsicherheit und Instabilität zu. Unsere Exporte werden in diesem Jahr
kaum noch zunehmen, wenn sie nicht gar zurückgehen. Im Inland haben wir weder das Problem
der Überproduktion noch das der Staatsbetriebe gelöst."
Bereits im vergangenen Jahr hatten die Exporte der Volksrepublik stagniert. Die Einfuhren gingen gar
um 3,8% zurück.
Die staatseigenen Betriebe bereiten den Pekinger Führern schon seit Jahren erhebliche
Kopfschmerzen, fahren sie doch zumeist nur rote Zahlen ein. Die Lösung sieht man in
Privatisierung und Massenentlassungen. Für die Angestellten hat das oft katastrophale Folgen,
denn am Arbeitsvertrag hängen in der Regel auch Betriebswohnung, -rente und -
krankenversicherung.
So ist es denn keine Seltenheit, daß die häufigen Streiks und Demonstrationen wegen nicht
gezahlter Löhne gelegentlich aktive Unterstützung der mitbetroffenen Rentner
bekommen.
Nach einem im Oktober von der Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichten Bericht liegt in den
Städten die Arbeitslosenquote bereits bei 8 Prozent - doppelt so hoch wie die offiziellen Zahlen.
Nicht einbezogen sind in diese Rechnung jene ca. 120 Millionen, die auf der Suche nach Arbeit durchs
Land ziehen, als "Illegale" in den Städten wohnen und von keiner Statistik
erfaßt werden. Darüber hinaus gibt es auf dem Land nach verschiedenen Angaben 100 bis
160 Millionen Arbeitslose.
Neue Arbeitsplätze könnten geschaffen werden, so das Credo der Deng-Jünger in
Peking, wenn die marktradikalen Reformen vorangetrieben und so ein hohes Wirtschaftswachstum
erzielt würde. Nötig wären allerdings mindestens 9% pro Jahr, ein Wert, der im
Augenblick kaum erreichbar scheint.
Zumal die offiziellen Wachstumszahlen von einigen Beobachtern als zu hoch angezweifelt werden. Sie
verweisen darauf, daß z.B. die Stromproduktion kaum zugenommen hat, was nur schwer mit dem
behaupteten Anstieg des Bruttosozialprodukts um 7,8% in Einklang zu bringen ist. Auch der
angegebene Umfang der Direktinvestitionen wird angezweifelt, da diese in den Devisenreserven nicht
wiederzufinden sind. Die Frage, die sich in der Region mancher bang stellt, ist also, ob hinter einem
Vorhang geschönter Zahlen auch in China die Krise bereits eingesetzt hat.
Wolfgang Pomrehn