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In der CDU geht es drunter und drüber. Auf der einen Seite
fühlt sie sich versucht - so in Hessen -, ihr Oppositionsprofil durch das Anheizen
ausländerfeindlicher Stimmungen zu schärfen und eine Mehrheit zu
"mobilisieren", die sie bei den Wahlen nicht hinter sich bringen konnte. Auf der
anderen Seite befürchten zahlreiche führende CDU-Mitglieder, durch die
Festlegung auf ein rechtspopulistisches Image "aus der Mitte auf den Rand zuzugleiten.
Das ist der Ort, wo man nicht mehr ernstgenommen wird ... und wo man nicht gewählt
wird" (FAZ, 10.1.).
Ausdruck dieser Sorge sind die Versuche im CDU-Vorstand, Stoibers und Schäubles
Initiative zu verwässern, indem die Unterschriftenaktion als eine "für die
Integration, nicht gegen die Ausländer" formuliert und zu einem Mosaikstein unter
anderen in einer breiter angelegten "Aufklärungskampagne" heruntergestuft
wurde. Einige wie Rüttgers haben sich sogar in Integrationsangeboten
überschlagen, um sich dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit zu entziehen -
z.B. mit dem Vorschlag, den Islamunterricht an Schulen einzuführen.
An der Basis bleiben Stoibers Stammtischparolen hängen; die Leute lesen nicht lang,
sondern unterschreiben - gegen die Ausländer, nicht für ihre Integration.
Kaum ist die CDU weg von der Macht, hat sie keine Linie mehr (das gilt übrigens nicht
nur für die Frage des Staatsbürgerschaftsrechts). Hier kommen zwei Momente
zusammen:
- Zum einen widerstrebende Einflüsse auf die Partei. Einerseits will sie Deutschtum und
Nationalgefühl als positive Identifikationswerte anbieten; andererseits weiß sie
genau, daß der Prozeß der europäischen Einigung, gerade wenn er auf
wirtschaftliche Schwierigkeiten trifft, zu einer politischen Union verlängert werden
muß. Ein wachsender Teil der wirtschaftlichen und politischen Elite ist überdies
über den rein nationalen Bezugspunkt hinausgewachsen.
- Zum andern geht es ganz handfest um die Frage: Wie kann die CDU wieder die Mehrheit
erringen? Darauf werden derzeit zwei konträre Antworten gegeben: Stoiber sagt:
rechtsaußen, denn von dort droht populistische Konkurrenz, der man nur durch
Anpassung das Wasser abgraben kann. Geißler sagt: in der Mitte, denn dort haben wir die
Wahlen verloren.
Es sieht ganz danach aus, als werde dieser Streit die CDU noch sehr lange beschäftigen.
Sie kann ihn derzeit weder programmatisch noch machtpolitisch lösen. Die CDU-
Themen der Nachkriegszeit - Antikommunismus, Ostpolitik, soziale Marktwirtschaft, Familie -
haben ihre Parameter verloren. Was die CDU in den 80er Jahren zusammenhielt, waren
Machtpositionen, Karrieren und Pfründe, die sie zu vergeben hatte (und die eiserne Hand
Kohls, der jede Opposition unterdrückte). Jetzt, wo sie massiv aus diesen Positionen
herausgewählt wurde (nur noch fünf Ministerpräsidenten, keine Mehrheit in
Bundestag und Bundesrat, weder den Bundestagspräsidenten, noch - demnächst -
den Bundespräsidenten), bröckelt der Kitt, zeigt sich, daß der ideologische
Zusammenhalt nicht reicht, um unter den stark veränderten Bedingungen ein neues Profil
zu formulieren.
Die Entwicklung der Union bestätigt die Krise der Volksparteien, die sich europaweit
beobachten läßt. Stoiber hat einen Spaltpilz auf Dauer gelegt, ohne in der Lage zu
sei, organisatorische Antworten zu geben. Und Opposition unterliegt dem Druck der
Regionalisierung stärker als Regierungsmacht.