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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 02 vom 21.01.1999, Seite 3

Die Unterschriftenkampagne und ihre Tücken

CDU im Zick-zack-Kurs

von ANGELA KLEIN

In der CDU geht es drunter und drüber. Auf der einen Seite fühlt sie sich versucht - so in Hessen -, ihr Oppositionsprofil durch das Anheizen ausländerfeindlicher Stimmungen zu schärfen und eine Mehrheit zu "mobilisieren", die sie bei den Wahlen nicht hinter sich bringen konnte. Auf der anderen Seite befürchten zahlreiche führende CDU-Mitglieder, durch die Festlegung auf ein rechtspopulistisches Image "aus der Mitte auf den Rand zuzugleiten. Das ist der Ort, wo man nicht mehr ernstgenommen wird ... und wo man nicht gewählt wird" (FAZ, 10.1.).
  Ausdruck dieser Sorge sind die Versuche im CDU-Vorstand, Stoibers und Schäubles Initiative zu verwässern, indem die Unterschriftenaktion als eine "für die Integration, nicht gegen die Ausländer" formuliert und zu einem Mosaikstein unter anderen in einer breiter angelegten "Aufklärungskampagne" heruntergestuft wurde. Einige wie Rüttgers haben sich sogar in Integrationsangeboten überschlagen, um sich dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit zu entziehen - z.B. mit dem Vorschlag, den Islamunterricht an Schulen einzuführen.
  An der Basis bleiben Stoibers Stammtischparolen hängen; die Leute lesen nicht lang, sondern unterschreiben - gegen die Ausländer, nicht für ihre Integration.
  Kaum ist die CDU weg von der Macht, hat sie keine Linie mehr (das gilt übrigens nicht nur für die Frage des Staatsbürgerschaftsrechts). Hier kommen zwei Momente zusammen:
  - Zum einen widerstrebende Einflüsse auf die Partei. Einerseits will sie Deutschtum und Nationalgefühl als positive Identifikationswerte anbieten; andererseits weiß sie genau, daß der Prozeß der europäischen Einigung, gerade wenn er auf wirtschaftliche Schwierigkeiten trifft, zu einer politischen Union verlängert werden muß. Ein wachsender Teil der wirtschaftlichen und politischen Elite ist überdies über den rein nationalen Bezugspunkt hinausgewachsen.
  - Zum andern geht es ganz handfest um die Frage: Wie kann die CDU wieder die Mehrheit erringen? Darauf werden derzeit zwei konträre Antworten gegeben: Stoiber sagt: rechtsaußen, denn von dort droht populistische Konkurrenz, der man nur durch Anpassung das Wasser abgraben kann. Geißler sagt: in der Mitte, denn dort haben wir die Wahlen verloren.
  Es sieht ganz danach aus, als werde dieser Streit die CDU noch sehr lange beschäftigen. Sie kann ihn derzeit weder programmatisch noch machtpolitisch lösen. Die CDU- Themen der Nachkriegszeit - Antikommunismus, Ostpolitik, soziale Marktwirtschaft, Familie - haben ihre Parameter verloren. Was die CDU in den 80er Jahren zusammenhielt, waren Machtpositionen, Karrieren und Pfründe, die sie zu vergeben hatte (und die eiserne Hand Kohls, der jede Opposition unterdrückte). Jetzt, wo sie massiv aus diesen Positionen herausgewählt wurde (nur noch fünf Ministerpräsidenten, keine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, weder den Bundestagspräsidenten, noch - demnächst - den Bundespräsidenten), bröckelt der Kitt, zeigt sich, daß der ideologische Zusammenhalt nicht reicht, um unter den stark veränderten Bedingungen ein neues Profil zu formulieren.
  Die Entwicklung der Union bestätigt die Krise der Volksparteien, die sich europaweit beobachten läßt. Stoiber hat einen Spaltpilz auf Dauer gelegt, ohne in der Lage zu sei, organisatorische Antworten zu geben. Und Opposition unterliegt dem Druck der Regionalisierung stärker als Regierungsmacht.