Artikel SoZ

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 3

CDU hetzt und kriegt Kontra

"42 Jahre lang hatte Goethe zwei Pässe - dann gab er einen ab, den von Frankfurt."

Die Frankfurter Rundschau sucht sich für ihre Mobilisierung gegen die Unterschriftenkampagne der CDU Rückendeckung bei illustren Repräsentanten des deutschen Bürgertums. Von seinem 26.Lebensjahr an sei Goethe Doppelstaatler gewesen: gebürtig in Frankfurt am Main, Geheimrat in Weimar. Ein Identitätsproblem hatte er damit nicht: "Es gibt eine Stufe ... wo man gewissermaßen über den Nationen steht ... Diese Kulturstufe war meiner Natur gemäß" (Goethe in seinen Briefen an Eckermann). Seinen Frankfurter Paß gab er später aus ganz trivialen Gründen ab: er wollte keine doppelten Steuern zahlen.
  Was der Dichterfürst durfte, soll der Kurdenknecht nicht dürfen. Er soll sich anpassen "an die untersten Stufen der Kultur", wo, laut Goethe, der Nationalhaß zu Hause ist. Diesen stachelt derzeit jedoch ein Teil der konservativen politischen Elite an, die versucht, die gesellschaftliche Identitätskrise mit ausländerfeindlichen Hetzparolen und antieuropäischen Ressentiments zu meistern. "Viele Menschen wittern die Chance, einmal ‚Türken raus' mit Absegnung des Ministerpräsidenten unterschreiben zu dürfen", zitiert die junge Welt den SPD-Oberbürgermeister von München.
  Ein Teil der CDU schließt damit zur Normalität der europäischen Rechten auf: weg von der Partei der Staatsführung, hin zur Partei der reaktionären, kleinbürgerlichen Mobilisierung. Vorbilder sind Le Pen, Berlusconi und Umberto Bossi. Mitte Januar hatten in Mailand die beiden Pole der italienischen Rechten getrennt zu Demonstrationen gegen "Kriminalität und Immigranten" aufgerufen. Das Wettrennen, wessen Demonstration größer würde, konnte vorläufig Bossi für sich entscheiden, der auch den Vorschlag Stoibers aufgriff, einen Volksentscheid gegen das Einwanderungsgesetz durchzuführen.
  Wahlpolitisch ist der Erfolg der CDU-Kampagne zweifelhaft: 210.000 Unterschriften reklamiert der hessische Spitzenkandidat Roland Koch wenige Tage vor der Landtagswahl - kein Ergebnis, das darauf schließen ließe, damit sei bislang mehr erreicht worden als der feste reaktionäre Bodensatz der Partei, aber auch ein Ergebnis, das zeigt, wie tragend dieser Bodensatz ist. Ob die Unterschriftenaktion die CDU aus ihrem Stimmentief herausreißen kann, bleibt nach bisherigen Wählerumfragen fraglich.
  Dafür ist es der CDU in kürzester Zeit gelungen, eine breite Mobilisierung von der Regierung bis links außen gegen sich aufzubringen: die FR hat tagelang Unterschriften unter einen Frankfurter Aufruf für die Rückkehr zur Toleranz veröffentlicht; bis dato wurden 25.000 (Stand vom 31.1.) gesammelt. Eine Woche vor der Hessen-Wahl wollte sie die Veröffentlichung allerdings aussetzen - die CDU machte wahlpolitische Einmischung geltend. Vorgehen wollen die bürgerlichen Oppositionsparteien auch gegen eine Anzeigenserie der Bundesregierung, die mit Prominenten wie Boris Becker und Thomas Gottschalk für den Doppelpaß wirbt.
  Die Kinderhilfsorganisation Terre des hommes hat unter der Losung "Willkommen zu Hause" eine eigene Unterschriftenaktion für die Erleichterung der Einbürgerung und der doppelten Staatsbürgerschaft gestartet, der sich auch Prominente aus Gewerkschaften und Kultur angeschlossen haben.
  Auf der Straße wird den CDU-Ständen zugesetzt: Gegenmobilisierungen gibt es mittlerweile in fast jeder größeren Stadt; sie reichen von Störmanövern, Demonstrationen bis zu phantasievollen Kontern. In Köln sammelte eine Gruppe unter dem CDU-Logo Unterschriften für "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus! - Wir fordern: Zwangsintegration sofort, sonst Maul halten und weiter Steuern zahlen"; in Darmstadt unter dem Motto "Einbürgerung statt Ausgrenzung - gegen fremdenfeindliche Hetze"; in Regensburg für ein "Nein zur doppelten Staatshörigkeit - Ja zur Integration der CSU". Von letzterem Text, der leicht abgewandelt auch in Tübingen auftauchte, geben wir nebenstehend eine Kostprobe.
 
  Angela Klein