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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 4

Europa-Wahlen:

Revolutionäres Wahlbündnis in Frankreich

von FRANCOIS OLLIVIER

Francois Ollivier ist Redakteur von Rouge, der Zeitung der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR, Sektion der IV.Internationale)

Am 16.und 17.Januar entschied sich die LCR auf ihrer nationalen Konferenz für die Bildung einer gemeinsamen Liste mit Lutte Ouvriere (LO). Wer die "Ligue" kennt, weiß, daß die Zustimmung von fast 80 Prozent der Delegierten zu diesem Vorhaben ungewöhnlich hoch ist. Auch die Beteiligung an den örtlichen Versammlungen zur Vorbereitung der Konferenz war groß. Die Mitglieder drückten damit ihr Bestreben aus, verstärkt auf die politische Willensbildung Einfluß zu nehmen.
  Bislang versuchte die LCR bei Wahlen breite Linksbündnisse aufzubauen und kooperierte dafür mit verschiedenen politischen Kräften z.B. aus dem linksalternativen und linkssozialdemokratischen Bereich oder auch mit kritisch eingestellten Strömungen aus dem Umfeld der KP. Dies führte von Fall zu Fall örtlich und regional zu verschiedenen Konstellationen. Es war schwierig, dies auf eine landesweite Ebene zu übertragen. Die LO lehnte ihrerseits die Teilnahme an solchen Bündnissen ab, konnte aber im Alleingang und mit der Kandidatur ihrer Sprecherin Arlette Laguiller beachtliche Wahlerfolge erzielen. Die LCR gibt ihre Orientierung für den Aufbau einer breiten linken Formierung nicht auf, aber in der gegenwärtigen Situation bietet es sich an, die Kräfte der beiden revolutionären Organisationen - zwischen denen durchaus Meinungsverschiedenheiten und Unterschiede im politischen Stil fortbestehen - für die Europawahlen zu bündeln. Es gelang, eine gemeinsame inhaltliche Plattform auszuarbeiten. Neben dem gemeinsamen Wahlkampf werden beide Organisationen auch ihre eigenständigen Akzente setzen.
  Nachdem LO und die Wahlbündnisse, an denen die LCR teilnahm, bei den letzten Regionalwahlen getrennt die 5%- Hürde überschreiten oder nahe an sie herankommen konnten, ist es nicht ausgeschlossen, daß die gemeinsame Liste LO/LCR bei den Europaparlamentswahlen die 5%-Hürde nimmt. So sehen es die politischen Beobachter, und daher war das mediale Echo auf die Ankündigung der gemeinsamen Wahlkandidatur groß. Die traditionelle Linke an der Regierung - Sozialdemokratie, KP und Grüne - haben dem Maastricht-Europa, dem Europa der Bosse und Banken und der Ausgrenzung der Armen dieser Welt nichts entgegenzusetzen. Sie haben sich zum Teil davon gemacht. Die wachsenden sozialen Bewegungen gegen Erwerbslosigkeit und Ausgrenzung finden kein Gehör im traditionellen politischen Spektrum. Es ist Zeit, daß ihren Forderungen politischer Ausdruck verliehen wird. Das ist nur möglich mit einer klaren antikapitalistischen Perspektive.
  Auf der Pressekonferenz unmittelbar nach unserer Entscheidung erklärte unser Sprecher Alain Krivine: "Wenn wir die 5% überschreiten, ändern wir die Kräfteverhältnisse innerhalb der Linken und kommen so dem Aufbau einer antikapitalistischen, feministischen und ökologischen politischen Kraft ein Stück näher. Ein Erfolg unserer gemeinsamen Liste wäre eine Ermutigung für den Kampf von Millionen von Unterdrückten, Ausgebeuteten und Ausgegrenzten, die sich in einer verzweifelten Lage befinden. Manche werden uns vorwerfen, daß wir träumen. Doch allzu lange hat die Linke keine Träume mehr ausgelöst, weil sie sich damit begnügt, die bestehenden Verhältnisse zu verwalten."
  Unsere gemeinsame Kandidatur steht für den Traum von einer anderen Gesellschaft, einer Gesellschaft der Gleichheit und der Gerechtigkeit, ohne Erwerbslosigkeit, ohne Rassismus, ohne Elend. Es geht uns darum, die Hoffnung neu zu erfinden.