Artikel SoZ

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 5

Harte Fronten

Tarifrunde in der Metallindustrie

Der Tarifkonflikt in der Metall- und Elektroindustrie hat sich verschärft. Die IG Metall hat Warnstreiks auf die Tagesordnung gesetzt. Die Tarifrunde 1999 geht somit in die heiße Phase. In fünf Bezirken brach die IG Metall die Verhandlungen ab. Sie reagierte damit auf ein Angebot der Kapitalseite von 2 Prozent mehr Lohn plus 0,5 Prozent eines Jahreseinkommens als Einmalzahlung. Wobei letzteres bei schlechter Gewinnsituation per Betriebsvereinbarung entfallen können soll.
  Harald Schartau, Verhandlungsführer der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, hat für Anfang Februar Warnstreiks angekündigt. Im Südwesten der Bundesrepublik legten Beschäftigte der Automobilindustrie und der Zulieferer bereits die Arbeit für einige Stunden nieder.
  Die Tarifparteien der Metallindustrie hatten im Vorfeld der Tarifrunde von einer neuen Kultur der Zusammenarbeit gesprochen. Nach Jahrzehnten der Konfrontation sollte diese Tarifrunde kooperativ gestaltet werden. Beide Seiten hatten angekündigt, ihre Interessen ohne die "üblichen Tarifrituale" auszugleichen. Anfang November des vergangenen Jahres hatte Harald Schartau auf ein schnelles Angebot der Arbeitgeber gedrängt. In der Presse vermittelte er den Eindruck, es könne noch vor Weihnachten zu einem Tarifabschluß kommen.
  Zum Jahreswechsel war der Streit um die Tarif- und Arbeitsmarktpolitik eskaliert. Der IG-Metall-Chef Zwickel drohte mit einem Scheitern der Gespräche über ein "Bündnis für Arbeit", falls sich die Bundesregierung nicht an die Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgebern halte. Der ÖTV-Vorsitzende Mai warf den öffentlichen Arbeitgebern vor, sich nicht um die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen zu kümmern.
  Der Präsident des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft Ohoven hielt den Gewerkschaften vor, mit "unerträglicher Klassenkampfrhetorik" das Klima zu vergiften. Angesichts der gegebenen Konjunkturdaten seien Forderungen von 6,5 Prozent Lohnzuwachs ein Zeichen "völliger wirtschaftlicher Unvernunft". Statt dessen müsse ein weitgehender Umbau des Tarifvertragssystems im Mittelpunkt der neuen Tarifrunde stehen. "Betriebsautonomie vor Tarifautonomie" sei der Leitgedanke.
  Die Unternehmerverbände stützen sich bei ihrer Kritik an den angeblich unrealistischen Tarifforderungen der Gewerkschaften bis zu 6,5 Prozent unter anderem auf die Mahnung des Bundeswirtschaftsministers Müller (parteilos) zu "maßvollen Tarifabschlüssen".
  Mit seinem Plädoyer für Lohnzurückhaltung hat Müller die Gewerkschaften gegen sich aufgebracht. Roland Issen, Chef der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), wies am Wochenende die Belehrungen Müllers als ungebührlichen Eingriff in die Tarifautonomie zurück.
  Müller bezeichnete die Lohnforderungen der Gewerkschaften als zu hoch, weil es zwar richtig sei, die Kaufkraft zu stärken, die Einkommen der Beschäftigten aber nicht durch Lohnzuwächse steigen dürften, sondern vor allem durch die Senkung von Steuern und Abgaben. Die Regierungskoalition senke mit der Ökosteuer mühevoll die Lohnkosten um 0,8 Prozent, und bei Lohnforderungen von 6 Prozent entstehe da "irgendwo ein Kurzschluß".
  Arbeitgeberverbände und Deutsche Bundesbank unterstützen die Haltung des parteilosen Ministers. Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften sei Voraussetzung für die wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Bei richtiger politischer Weichenstellung könnten dann bis zum Ende des Jahres 2002 eine Million neue Stellen geschaffen werden.
  Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte machen also jetzt anhand des Tarifstreits die Erfahrung, daß der Regierungswechsel nicht unbedingt ein anderes Politikverständnis bedeutet. Unternehmerverbände, Wirtschaftsminister, die meisten Wirtschaftsinstitute und Wirtschaftssachverständigen treten geschlossen gegen die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften auf.
  Für den Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Horst Siebert wären die Konmsequenzen zu hoher Tarifabschlüsse absehbar. Sollten die Arbeitnehmervertreter mehr als 2 Prozent fordern, seien die positiven Einschätzungen der Arbeitsmarktentwicklung nicht zu halten. Die derzeit positive Lage am Arbeitsmarkt gehe in erster Linie auf die moderaten Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre zurück.
  Der Konjunkturexperte des Instituts für Wirtschaftsförderung Halle, Udo Ludwig, fordert IG Metall, ÖTV und DAG dazu auf, sich mit Lohnzuwächsen "unter dem Produktivitätsfortschritt" zu begnügen. Diese würden 1999 unter 2 Prozent liegen.
  Professor Peffekoven vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sagte im Saarländischen Rundfunk, er halte Lohnerhöhungen nur in Höhe von bis zu 2 Prozent für gesamtwirtschaftlich vertretbar. Höhere Tarifabschlüsse würden "keinen Beitrag" zur Lösung des Arbeitslosenproblems leisten.
  Bereits in SoZ 22/98 zitierten wir Harald Schartau mit den Worten, er teile die Hoffnung des Präsidenten von Gesamtmetall, Werner Stumpfe, daß bis zum Jahr 2000 Arbeitskämpfe in der Metallindustrie vermieden werden können. Stumpfe hatte in diesem Zusammenhang den Gewerkschaften eine "neue Partnerschaft" angeboten. Diese "Partnerschaft" wird nun mit einem "Angebot" von 2 Prozent konkretisiert. Dies in einer Situation - wie die IG Metall klargestellt hat -, in der sich viele Beschäftigte nur noch mit Nebenjobs über Wasser halten können.
  Besonders Beschäftigte mit Familie und diejenigen in den unteren Lohngruppen sind stark unter Druck; eine zusätzliche Stelle ist oft der einzige Ausweg. Hinzu kommt, daß von einem niedrigen Lohnabschluß für die Frühverrentung ("Volle Rente mit 60") sogar noch Abzüge drohen, so daß die Beschäftigten weitere Einbußen hinnehmen müßten.
  Stumpfe meinte am 7.12. im Handelsblatt, die Tarifparteien müßten sich endlich von "Reichseinheitsabschlüssen" verabschieden. So soll das flexible Weihnachtsgeld je nach Ertragslage der Betriebe nach oben oder nach unten schwanken. Wenn es dem Betrieb schlecht geht, soll es gar kein Weihnachtsgeld geben. Mit einem solchen Instrument könnten dann Belegschaften auch in schlechten Zeiten gehalten werden. Genau so, wie nach dem Arbeitgeberangebot die Einmalzahlung für das Jahr 1999 mit Zustimmung der Betriebsräte gekürzt werden soll, falls die Lage des Betriebs es erfordert.
  Die "rot"-grüne Bundesregierung hat - ganz wie vorher die Kohl-Regierung - die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zur Lohnzurückhaltung aufgerufen. "Der öffentliche Dienst muß bescheiden sein", sagte Finanzminister Lafontaine. Und der grüne Finanzexperte Metzger meinte, hier das Ende der Bescheidenheit zu praktizieren wäre "ein Hammer".
  Jetzt, wo die Gewerkschaften weitere Warnstreiks ankündigen und die Urabstimmung vorbereiten, drohen die Unternehmerverbände damit, das "Bündnis für Arbeit" platzen zu lassen. Aber auch der IG- Metall-Vorsitzende Zwickel sagte in einem Interview in der Welt, wenn die Tarifpolitik zum Gegenstand der Gespräche für ein "Bündnis für Arbeit" gemacht werde, "würde ich jedenfalls aufstehen und gehen". Im übrigen halte die IG Metall an ihrer Forderung von 6,5 Prozent mehr Lohn fest.
  Bei der Sitzung der großen Tarifkommission der IG Metall NRW, die am 29.November tagte, hatten sich 125 Mitglieder aus 47 Verwaltungsstellen für die Lohnforderung von 6,5 Prozent entschieden. Für Auszubildende wurde eine monatliche Zulage von 90 DM gefordert.
  In der dreistündigen Diskussion mit 21 Wortmeldungen spielte die Forderung nach einem Festgeld für alle Beschäftigten, Männer und Frauen, eine große Rolle. Die Forderung aus der Verwaltungsstelle Herne, die auch von den Delegierten aus Gelsenkirchen unterstützt wurde, lautet: Einheitliche Festbeträge für alle um der Gerechtigkeit willen. Mit Festgeldbeträgen könnte das weitere Auseinandergehen der Schere unterschiedlicher Lohnhöhen verhindert werden. Doch die Delegierten von 37 Düsseldorfer Betrieben stimmten dagegen; sie verlangten die 6,5 Prozent.
  Willi Scherer