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Mehr als 700 Teilnehmer einer Konferenz der "Europäischen Märsche gegen
Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Rassismus und Ausgrenzung" kamen am 23./24.Januar in
der Universität Köln zusammen. "Das erinnert mich an die Studentenbewegung in den 60er Jahren, als
Universitäten regelmäßig Raum politischer Auseinandersetzungen waren", so ein in die Jahre
gekommener Aktivist. Doch zumindest zwei Unterschiede sind offensichtlich: Diesmal kommt das Protestpotential aus ganz
Europa und umfaßt weit mehr als das studentische Mileu. Zwei Tage lang diskutierten Gewerkschafter, Erwerbslose,
Flüchtlinge, Studierende und MigrantInnen aus ganz Europa und einigten sich neben einer Großdemonstration
am 29.Mai auf die Durchführung eines Gegengipfels und internationaler Märsche Ende Mai und Anfang
Juni.
"Wir wissen, daß allein eine starke und koordinierte internationale soziale Bewegung weitreichende soziale
Veränderungen und eine Umverteilung der Reichtümer erzwingen kann", heißt es in einem
allgemeinen Aufruf zur europaweiten Demonstration, an der nach Angaben der EuroMärsche mindestens 30.000
Menschen teilnehmen werden.
Schon mehrere Tage vorher werden aus Brüssel 1500 Franzosen, Belgier und Spanier nach Köln marschieren.
Von Prag aus ist eine Fahrradtour geplant, aus Athen wird sich ein Balkanzug, an dem sich Aktivisten aus der Türkei,
Griechenland und dem ehemaligen Jugoslawien beteiligen, in Bewegung setzen. In Deutschland werden Erwerbslose
gemeinsam mit der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" mehrere
Märsche durchführen.
Ein zusätzlicher Aufruf von Gewerkschaftern der französischen SUD, der CGT, der FO, der italienischen Sin
Cobas, der spanischen CGT, dem griechischen Gewerkschaftsdachverband, der deutschen ÖTV und NGG sowie
einigen Vertretern der IG Metall und HBV fordert "die gesamte europäische Gewerkschaftsbewegung"
ebenfalls zur gemeinsamen Demonstration mit den "Arbeitslosen und Ausgegrenzten" auf. Daß ein
sozialdemokratisch regiertes Europa ihre Forderungen nach radikaler Arbeitszeitverkürzung oder Ausbau der sozialen
Sicherung einlösen wird, zweifeln die Gewerkschaftsaktivisten an. Sie sprechen sich aus "für einen
Politikwechsel, der die neoliberalen Angriffe beendet".
"Unser Protest richtet sich auch gegen die Maastrichter Verträge, den Stabilitätspakt und die Dikatatur der
Zentralbank", betont Patrice Spadoni vom Pariser Koordinationsbüro der EuroMärsche. Denjenigen, die
sich eine Fahrt von weit her nach Köln nicht leisten können, empfiehlt ein weiterer Redner, "den Transport
mit öffentlichen Verkehrsmitteln kostenlos zu nutzen". Das hatten bei anderen europäischen
Mobilisierungen schon italienische und französische Aktivisten praktiziert.
Im Anschluß an die Großdemonstration wird vom 30.Mai bis zum 2.Juni ein Gegengipfel stattfinden. Neben
Foren zu Frauen, Umwelt, Weltwirtschaft und Bildung wird sich ein "Parlament der Erwerbslosen" treffen, das
aus "lokalen Delegierten von kämpfenden Bewegungen, Verbänden und Gewerkschaften aller
Länder" zusammengesetzt sein soll. Es wird eine europäische Forderungscharta ausarbeiten und
verlangen, von den Regierenden empfangen zu werden. Geplant ist auch eine Fachtagung von
Flüchtlingsorganisationen, Migranten und antirassistischen Initiativen, die ihre Arbeit ebenfalls europaweit koordinieren
wollen. Einen separaten Gegengipfel plant ein "linksradikales Bündnis gegen EU- und
Weltwirtschaftsgipfel" vom 4. bis 6.Juni.
Das französische Erwerbslosennetzwerk APEIS hatte am Wochenende bewußt eine Migrantin algerischer
Abstammung auf das Podium geschickt, weil "Frauen und MigrantInnen" am schwersten von der
Erwerbslosigkeit betroffen sind. Angesichts von 8 Millionen Franzosen, die unterhalb der offiziellen Armutsgrenze leben
müssen, übt auch sie scharfe Kritik an "der ‚linken' Regierung, die mit Unterstützung eines
Teils der Gewerkschaften, vor allem der sozialdemokratisch orientierten CFDT, weiteren Sozialabbau betrieben
hat".
"Den Gegensatz der Interessen von Kapital und Arbeit klärt man nicht im Dialog, sondern im Kampf",
meinte der Landesvorsitzende des Arbeitslosenverbands aus Mecklenburg-Vorpommern, Gerd-Erich Neumann. Deshalb
sollten "Selbsthilfe und Beratungsarbeit nicht als Selbstzweck" begriffen, sondern "zur Mobilisierung
genutzt werden".
Der renommierte Lateinamerikaforscher Leo Gabriel sprach sich zudem dafür aus, "die Festung Europa nicht nur
von innen, sondern auch von außen zu sprengen". Zu diesem Zweck werden die EuroMärsche einen Teil
ihrer Aktionen gemeinsam mit der brasilianischen Landlosenbewegung MST und 500 Bauern und Bäuerinnen aus
Indien durchführen, die sich zur Zeit des EU- und zwei Wochen später stattfindenden G7-Gipfels ebenfalls in
Europa aufhalten werden. Damit wollen sie auch "auf die negativen Auswirkungen des Freihandels und die globalen
Implikationen der EU-Politik aufmerksam machen".
Gerhard Klas