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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 11

Arbeitslos im Norden,

schuften im Süden

Entgegen mancher Vorurteile beschränkt sich die politische Positionierung der EuroMärsche nicht auf europazentrierte Forderungen. Das würde diese Bewegung ins politische Abseits stellen und zu Recht könnten ihr Kritiker eine langfristige Perspektive absprechen.
  Im Rahmen der globalen Arbeitsteilung werden mehr und mehr "Freie Produktionszonen", vorzugsweise in Ländern der Dritten Welt, installiert. Dort unterlaufen Konzerne und ihre formal unabhängigen Vertragsfirmen sämtliche Bestimmungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Gewerkschaften sind verboten, es gibt keine ausreichenden Mindestlöhne, geschweige denn eine geregelte Arbeitszeit. Kurzum: Menschenrechte werden in diesen Sonderzonen mit Füßen getreten.
  Die Manager und Großaktionäre vieler transnationaler Konzerne reiben sich die Hände und verlegen schon seit Jahren arbeitsintensive Produktionszweige von den Ländern des Nordens in die "Freien Produktionszonen". Das Lohnverhältnis zu den Ländern des Nordens beträgt 1:10. Der Faktor Arbeit ist also billig, die Profite der Konzerne steigen.
  Für die, die in den Sonderzonen arbeiten müssen, sind die Produktionsbedingungen zum Teil mörderisch: Die Wochen haben sieben Tage und diese zwölf Stunden bei gleichzeitiger Kasernierung in Vielbetträumen, die in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätte angesiedelt sind.
  In den Ländern des Nordens führt diese Konzernpolitik zum Anstieg der Erwerbslosenquote und bei vielen dazu, Billiglohnjobs zu völlig ungesicherten Bedingungen anzunehmen. Diejenigen, die noch über einen Normalarbeitsplatz verfügen, haben in der Vergangenheit oft stillschweigende reale Einkommensverluste hingenommen.
  Die EuroMärsche setzen sich für eine "globale Umverteilung der Reichtümer" ein und wollen mit ihren Forderungen nach radikaler Arbeitszeitverkürzung und garantiertem Mindesteinkommen nicht an den Grenzen der EU stehenbleiben.
  Allerdings gehören diese Einsichten, die sich hoffentlich auch Gewerkschaften in Europa und den USA bald erarbeiten, umgekehrt für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den "Freien Produktionszonen" in Mexiko schon längst zu den politischen Essentials. Sie wissen, daß jeder Streik gegen Lohnkürzungen im Norden auch ihre Position im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen stärkt.
  Gerhard Klas