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Der wiedergewählte Präsident Fernando Cardoso bleibt die Integrationsfigur der
Rechten und des Zentrums, vom korruptesten Flügel bis zu den ideologischen Überzeugungstätern, von der
Partei der Demokratischen Brasilianischen Bewegung (PMDB) bis hin zur Sozialdemokratie. Die Herrschenden setzen ihre
Hoffnungen auf ihn. Cardoso gehörte zur intellektuellen Opposition gegen das damalige Militärregime. Sein daher
stammendes Charisma verblaßt allerdings mehr und mehr.
Der Präsident stützte sich als Kandidat auf die ihm zu Gebote stehenden öffentlichen Institutionen und
Medien und mißbrauchte sie. So gelang es ihm, alle landesweit wirkenden Medien und auch das Unternehmerlager
für sich zu mobilisieren. Seine Wahlkampagne wurde vom Großkapital finanziert. Sie war zweifellos die bislang
effizienteste Propagandakampagne von Unternehmerschaft und Regierung. Sie versuchte, die massenhafte Erwerbslosigkeit,
für die sie selbst verantwortlich sind, herunterzuspielen.
Geschwächte Regierung
Dennoch ging die Regierung aus den Wahlen mit verminderter Glaubwürdigkeit hervor. Sie erhielt weniger Stimmen als
1994. Die Opposition (unsere PT, die linkssozialdemokratische Brasilianische Sozialistische Partei [PSB] und die
Demokratische Arbeiterpartei [PDT, bekannt durch ihr linkspopulistisches Sprachrohr Brizola]) eroberte sechs Bundesstaaten,
unter anderen den von Rio de Janeiro und Rio Grande do Sul. Im Kongreß (der die Regionen repräsentiert) ist
damit die Opposition Siegerin.
Die PMDB hat eine schwere Niederlage erlitten. Sie steht nun vor der Wahl: Entweder überlebt sie gestützt auf ihre
Identität als ehemalige Demokratische Front (gegen das Militärregime), oder sie geht im neoliberalen Konsens der
konvertierten Sozialdemokratie unter, unter der Vormundschaft bürgerlicher Formationen wie der Partei der Liberalen
Front (PFL), der PPB und der PTB.
Unsere Partei, die PT, geht aus den Wahlen gestärkt hervor. Sie konnte deutlich machen, daß sie im Lager der
demokratischen, sozialen und sozialistischen Opposition gegen das Projekt der Regierung Cardoso und ihrer
Verbündeten eine Schlüsselrolle einnimmt.
Außen- und Binnenverschuldung verursachen eine scharfe Krise, wobei die Gesamtschulden bereits die Hälfte des
Staatsbudgets übersteigen. Die Regierung versteift sich darauf, Lösungen durch Verhandlungen mit dem
Internationalen Währungsfonds (IWF) zu suchen, die Steuerzahler und die Angestellten des öffentlichen Dienstes
zu berauben und die Staatsausgaben zu Lasten der Bundesstaaten und Gemeinden immer weiter einzuschränken. Mit
dem offen ausgesprochenen Ziel, deren Ausgaben zu senken und sie finanziell auszutrocknen.
Mit diesem Kurs wird der Rezession und der Erwerblosigkeit Vorschub geleistet, werden Bankern und nationalen wie
internationalen Aktionären noch größere Profite zugeschustert.
Orientierungsdebatte
Doch die Wahlen von 1998 haben auch Erfahrungen gebracht, die für die Auseinandersetzungen innerhalb der PT
entscheidend sind. Dabei geht es um ihre Aufgabe, der brasilianischen Opposition eine Perspektive zu weisen.
Der Wahlsieg von Rio Grande do Sul ist für uns ein Fanal. Die PT hat fast ein Jahr lang eine breite Diskussion über
die Wahltaktik geführt, über die Bündnispolitik, über die Wege zum Wahlerfolg und zu einem
Aufbau der Partei als Verkörperung einer politischen Alternative. Unsere Selbstdarstellung in Rio Grande do Sul war
kohärent. Wir bestimmten die politische Debatte, indem wir uns als konkrete Alternative zur bestehenden Regierung
präsentierten.
Die PT gaucho [d.h. die PT des Bundesstaats Rio Grande do Sul] steht nunmehr im Mittelpunkt des Aufbaus der PT als einer
Partei mit klaren programmatischen Konturen. Dazu gehört auch der offen vertretene Anspruch, den Bundesstaat zu
regieren. Die PT gaucho betrieb eine links verankerte Bündnispolitik und versuchte dennoch immer die traditionellen
demokratischen und besitzlosen Schichten der Wählerinnen und Wähler der linksbürgerlichen PMDB und
der PDT an sich zu ziehen. Hierbei vertrauten wir in erster Linie auf die eigenen Kräfte und unsere in der Region
erworbene Glaubwürdigkeit und setzten uns an die Spitze von Protest- und Widerstandsbewegungen.
Der Wahlsieg des Linksbündnisses Frente Brasil Popular (Koalition der wichtigsten Linksparteien PT, PSB und der
beiden KPs - PCdoB und PCB) und seines Kandidaten Olívio Dutra ist von historischer Bedeutung. Erstmals in der Geschichte
des Landes gewinnt die Linke eine Regionalwahl ohne Bündnis mit prokapitalistischen Parteien und ohne die
Unterstützung von Formationen, die in der einen oder anderen Weise mit der Bourgeoisie verbunden sind.
Die Fähigkeit der PT gaucho zu gesellschaftlicher Hegemonie und ihre wichtige Erfahrung in der Stadtverwaltung von
Porto Alegre stellten diesen Erfolg sicher. Sie rief direkte Demokratie ins Leben und beteiligte die Bevölkerung an den
Entscheidungen über die Verwendung der kommunalen Gelder. Unter anderem gewann sie so die Sympathie zahlreicher
Anhänger der PDT.
Britto, gegen den unser Kandidat angetreten war, führte eine Regierung aus PPB, PFL, PSDB, PTB und liberaler Partei -
mit einem PMDB-Mitglied als Gouverneur -, die eine rein neoliberale Politik betrieb. Diese Regierung ordnete sich der
Zentralregierung unter. Sie nahm daher Senkungen des Haushaltsaufkommens hin, beteiligte sich am Steuerkrieg zwischen den
Bundesstaaten und verkaufte öffentliche Unternehmen, um Löcher im Etat zu stopfen.
Der Gipfel ist, daß sie Schulden beim Zentralstaat machte, die nicht zurückgezahlt werden können. Deshalb
sind keinerlei Ressourcen mehr für irgendwelche öffentlichen Investitionen da.
Britto hatte geglaubt, daß sein breites Bündnis (von elf Parteien), die Unterstützung durch die gesamte
Unternehmerschaft und die Gewogenheit der Medien seinen Wahlsieg sichern würden, und zwar schon im ersten
Durchgang. Für horrende Summen beauftragte er Marketingspezialisten, die seine Kandidaten wie Softdrinks
anboten.
Doch die Abgehobenheit seiner Wahlkampagne ging an der Lebenswirklichkeit der Erwerbslosen, der gedemütigten
Angestellten des öffentlichen Dienstes, der landlos gemachten Bauernfamilien, der von den Auswirkungen der Krise
getroffenen Beschäftigten vorbei.
Niemals haben die Vorstände der Großbetriebe die finanzielle Unterstützung einer Wahlkampagne im Radio,
im Fernsehen, in den Zeitungen und den anderen Medien so offen verkündet. Niemals wurde die Einschüchterung
von Wählerinnen und Wählern, das Bespitzeln des Wahlverhaltens in den Betrieben in einem solchen
Ausmaß betrieben.
Die Bosse agitierten in den Werkskantinen. Sie wollten wissen, wo die Wahlurnen ihrer Beschäftigten stehen. Sie
drohten, Investitionen zu streichen, falls Britto nicht gewählt würde. Doch auch die Vereinnahmung der Farben
des Bundesstaats Rio Grande do Sul konnte die neoliberale Kandidatur nicht retten.
Volksfeststimmung
Die Wahlen wurden zu einer historischen Erfahrung für unsere Partei. Dank unserer eindeutig linken
Bündnispolitik, waren wir für den ersten Wahlgang gewappnet. Es gelang uns, mit der PDT, mit den
Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen gemeinsam vorzugehen, und wir hatten die Unterstützung einer Vielzahl
von Intellektuellen. Hunderte von Kunstschaffenden unterschrieben ein Manifest, das sich für die Frente Popular und
ihren Kandidaten Olívio Dutra aussprach.
Diese regionale Bilanz ist ein wichtiger Gesichtspunkt zur Bewertung der Wahlkampagnen in den verschiedenen Bundesstaaten
und zur Vorbereitung kommender politischer Herausforderungen. Die Wahlergebnisse in jedem Einzelstaat, das Wachstum
und die Konsolidierung unseres politischen Projekts in der jeweiligen Region und die Ergebnisse der Wahlen zum
Kongreß sind weitere Elemente für eine Gesamtbilanz.
Sehr viele Menschen feierten das Wahlergebnis von Rio Grande do Sul fröhlich und ausgelassen. Sie ließen sich
weder vom Regen noch von der späten Stunde, zu der das Wahlergebnis verkündet wurde, davon abhalten. Die
durch den Wahlsieg geschaffene Erwartungen und die Hoffnungen, die Millionen in unsere Politik setzen, vermitteln uns eine
Vorstellung vom Ausmaß der Aufgaben, die in Zukunft auf uns zukommen. Wir werden diese Hoffnungen nicht
enttäuschen.
Raul Pont