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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 12

Brasilien:

Wahlerfolge und Hoffnungen

Raul Pont, Bürgermeister der Millionenstadt Porto Alegre, ist Mitglied der Arbeiterpartei (PT - Partido dos Trabalhadores) und der in ihr arbeitenden Gruppe der IV.Internationale (Democracia Socialista). Er berichtet über die brasilianischen Wahlen und über den Erfolg der PT im Bundesstaat Rio Grande do Sul.

Der wiedergewählte Präsident Fernando Cardoso bleibt die Integrationsfigur der Rechten und des Zentrums, vom korruptesten Flügel bis zu den ideologischen Überzeugungstätern, von der Partei der Demokratischen Brasilianischen Bewegung (PMDB) bis hin zur Sozialdemokratie. Die Herrschenden setzen ihre Hoffnungen auf ihn. Cardoso gehörte zur intellektuellen Opposition gegen das damalige Militärregime. Sein daher stammendes Charisma verblaßt allerdings mehr und mehr.
  Der Präsident stützte sich als Kandidat auf die ihm zu Gebote stehenden öffentlichen Institutionen und Medien und mißbrauchte sie. So gelang es ihm, alle landesweit wirkenden Medien und auch das Unternehmerlager für sich zu mobilisieren. Seine Wahlkampagne wurde vom Großkapital finanziert. Sie war zweifellos die bislang effizienteste Propagandakampagne von Unternehmerschaft und Regierung. Sie versuchte, die massenhafte Erwerbslosigkeit, für die sie selbst verantwortlich sind, herunterzuspielen.
 
  Geschwächte Regierung
  Dennoch ging die Regierung aus den Wahlen mit verminderter Glaubwürdigkeit hervor. Sie erhielt weniger Stimmen als 1994. Die Opposition (unsere PT, die linkssozialdemokratische Brasilianische Sozialistische Partei [PSB] und die Demokratische Arbeiterpartei [PDT, bekannt durch ihr linkspopulistisches Sprachrohr Brizola]) eroberte sechs Bundesstaaten, unter anderen den von Rio de Janeiro und Rio Grande do Sul. Im Kongreß (der die Regionen repräsentiert) ist damit die Opposition Siegerin.
  Die PMDB hat eine schwere Niederlage erlitten. Sie steht nun vor der Wahl: Entweder überlebt sie gestützt auf ihre Identität als ehemalige Demokratische Front (gegen das Militärregime), oder sie geht im neoliberalen Konsens der konvertierten Sozialdemokratie unter, unter der Vormundschaft bürgerlicher Formationen wie der Partei der Liberalen Front (PFL), der PPB und der PTB.
  Unsere Partei, die PT, geht aus den Wahlen gestärkt hervor. Sie konnte deutlich machen, daß sie im Lager der demokratischen, sozialen und sozialistischen Opposition gegen das Projekt der Regierung Cardoso und ihrer Verbündeten eine Schlüsselrolle einnimmt.
  Außen- und Binnenverschuldung verursachen eine scharfe Krise, wobei die Gesamtschulden bereits die Hälfte des Staatsbudgets übersteigen. Die Regierung versteift sich darauf, Lösungen durch Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu suchen, die Steuerzahler und die Angestellten des öffentlichen Dienstes zu berauben und die Staatsausgaben zu Lasten der Bundesstaaten und Gemeinden immer weiter einzuschränken. Mit dem offen ausgesprochenen Ziel, deren Ausgaben zu senken und sie finanziell auszutrocknen.
  Mit diesem Kurs wird der Rezession und der Erwerblosigkeit Vorschub geleistet, werden Bankern und nationalen wie internationalen Aktionären noch größere Profite zugeschustert.
 
  Orientierungsdebatte
  Doch die Wahlen von 1998 haben auch Erfahrungen gebracht, die für die Auseinandersetzungen innerhalb der PT entscheidend sind. Dabei geht es um ihre Aufgabe, der brasilianischen Opposition eine Perspektive zu weisen.
  Der Wahlsieg von Rio Grande do Sul ist für uns ein Fanal. Die PT hat fast ein Jahr lang eine breite Diskussion über die Wahltaktik geführt, über die Bündnispolitik, über die Wege zum Wahlerfolg und zu einem Aufbau der Partei als Verkörperung einer politischen Alternative. Unsere Selbstdarstellung in Rio Grande do Sul war kohärent. Wir bestimmten die politische Debatte, indem wir uns als konkrete Alternative zur bestehenden Regierung präsentierten.
  Die PT gaucho [d.h. die PT des Bundesstaats Rio Grande do Sul] steht nunmehr im Mittelpunkt des Aufbaus der PT als einer Partei mit klaren programmatischen Konturen. Dazu gehört auch der offen vertretene Anspruch, den Bundesstaat zu regieren. Die PT gaucho betrieb eine links verankerte Bündnispolitik und versuchte dennoch immer die traditionellen demokratischen und besitzlosen Schichten der Wählerinnen und Wähler der linksbürgerlichen PMDB und der PDT an sich zu ziehen. Hierbei vertrauten wir in erster Linie auf die eigenen Kräfte und unsere in der Region erworbene Glaubwürdigkeit und setzten uns an die Spitze von Protest- und Widerstandsbewegungen.
  Der Wahlsieg des Linksbündnisses Frente Brasil Popular (Koalition der wichtigsten Linksparteien PT, PSB und der beiden KPs - PCdoB und PCB) und seines Kandidaten Olívio Dutra ist von historischer Bedeutung. Erstmals in der Geschichte des Landes gewinnt die Linke eine Regionalwahl ohne Bündnis mit prokapitalistischen Parteien und ohne die Unterstützung von Formationen, die in der einen oder anderen Weise mit der Bourgeoisie verbunden sind.
  Die Fähigkeit der PT gaucho zu gesellschaftlicher Hegemonie und ihre wichtige Erfahrung in der Stadtverwaltung von Porto Alegre stellten diesen Erfolg sicher. Sie rief direkte Demokratie ins Leben und beteiligte die Bevölkerung an den Entscheidungen über die Verwendung der kommunalen Gelder. Unter anderem gewann sie so die Sympathie zahlreicher Anhänger der PDT.
  Britto, gegen den unser Kandidat angetreten war, führte eine Regierung aus PPB, PFL, PSDB, PTB und liberaler Partei - mit einem PMDB-Mitglied als Gouverneur -, die eine rein neoliberale Politik betrieb. Diese Regierung ordnete sich der Zentralregierung unter. Sie nahm daher Senkungen des Haushaltsaufkommens hin, beteiligte sich am Steuerkrieg zwischen den Bundesstaaten und verkaufte öffentliche Unternehmen, um Löcher im Etat zu stopfen.
  Der Gipfel ist, daß sie Schulden beim Zentralstaat machte, die nicht zurückgezahlt werden können. Deshalb sind keinerlei Ressourcen mehr für irgendwelche öffentlichen Investitionen da.
  Britto hatte geglaubt, daß sein breites Bündnis (von elf Parteien), die Unterstützung durch die gesamte Unternehmerschaft und die Gewogenheit der Medien seinen Wahlsieg sichern würden, und zwar schon im ersten Durchgang. Für horrende Summen beauftragte er Marketingspezialisten, die seine Kandidaten wie Softdrinks anboten.
  Doch die Abgehobenheit seiner Wahlkampagne ging an der Lebenswirklichkeit der Erwerbslosen, der gedemütigten Angestellten des öffentlichen Dienstes, der landlos gemachten Bauernfamilien, der von den Auswirkungen der Krise getroffenen Beschäftigten vorbei.
  Niemals haben die Vorstände der Großbetriebe die finanzielle Unterstützung einer Wahlkampagne im Radio, im Fernsehen, in den Zeitungen und den anderen Medien so offen verkündet. Niemals wurde die Einschüchterung von Wählerinnen und Wählern, das Bespitzeln des Wahlverhaltens in den Betrieben in einem solchen Ausmaß betrieben.
  Die Bosse agitierten in den Werkskantinen. Sie wollten wissen, wo die Wahlurnen ihrer Beschäftigten stehen. Sie drohten, Investitionen zu streichen, falls Britto nicht gewählt würde. Doch auch die Vereinnahmung der Farben des Bundesstaats Rio Grande do Sul konnte die neoliberale Kandidatur nicht retten.
 
  Volksfeststimmung
  Die Wahlen wurden zu einer historischen Erfahrung für unsere Partei. Dank unserer eindeutig linken Bündnispolitik, waren wir für den ersten Wahlgang gewappnet. Es gelang uns, mit der PDT, mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen gemeinsam vorzugehen, und wir hatten die Unterstützung einer Vielzahl von Intellektuellen. Hunderte von Kunstschaffenden unterschrieben ein Manifest, das sich für die Frente Popular und ihren Kandidaten Olívio Dutra aussprach.
  Diese regionale Bilanz ist ein wichtiger Gesichtspunkt zur Bewertung der Wahlkampagnen in den verschiedenen Bundesstaaten und zur Vorbereitung kommender politischer Herausforderungen. Die Wahlergebnisse in jedem Einzelstaat, das Wachstum und die Konsolidierung unseres politischen Projekts in der jeweiligen Region und die Ergebnisse der Wahlen zum Kongreß sind weitere Elemente für eine Gesamtbilanz.
  Sehr viele Menschen feierten das Wahlergebnis von Rio Grande do Sul fröhlich und ausgelassen. Sie ließen sich weder vom Regen noch von der späten Stunde, zu der das Wahlergebnis verkündet wurde, davon abhalten. Die durch den Wahlsieg geschaffene Erwartungen und die Hoffnungen, die Millionen in unsere Politik setzen, vermitteln uns eine Vorstellung vom Ausmaß der Aufgaben, die in Zukunft auf uns zukommen. Wir werden diese Hoffnungen nicht enttäuschen.
  Raul Pont