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Bundeskanzler Gerhard Schröder will die
Nettozahlungen Deutschlands an die EU verringern. Frankreich lehnt einen
möglichen Ausgleich durch eine Kofinanzierung des EU-Agrarhaushalts aus den
nationalen Etats kategorisch ab. Doch in einem Punkt sind sich die französische
und deutsche Regierung in bezug auf die Agenda 2000 längst einig: im Interesse
der "internationalen Wettbewerbsfähigkeit" wollen sie die
garantierten Preise für Agrarprodukte bis zu 30 Prozent runterfahren.
Obwohl die Agenda 2000 im Gegenzug direkte Einkommensbeihilfen für
insgesamt 8 Millionen Landwirte in Europa verspricht, haben bereits am 10.Februar
2000 französische und deutsche Bauern in Straßburg protestiert. Zum
Agrarministertreffen am 22.Februar in Brüssel rechnet der Deutsche
Bauernverband mit 40.000 Teilnehmern einer Protestveranstaltung gegen die
Preissenkungen der EU. Sollte es zu Subventionskürzungen kommen, so ein
französischer Sprecher der Bauernorganisation FDSEA, würde das
"eine Welle von Zorn auf dem Lande" hervorrufen.
In Europa wird die Agenda 2000 langfristig vor allem für die kleinen Landwirte
unangenehme Konsequenzen haben. Trotz der Subventionspolitik sind in der EU in den
letzten 20 Jahren 6,1 Millionen Arbeitsplätze im Agrarbereich abgebaut worden.
Von den produktionsgebundenen Exportzuschüssen der EU, z.B. für
Butter und Trockenmilchpulver, haben vor allem Molkereien, verarbeitende Industrie,
Händler und indirekt die stark durchrationalisierten Betriebe der intensiven
Massentierhaltung profitiert.
Die Neuordnung der Milchpolitik wird als einer der wichtigsten Bestandteile der
Agrarreform angesehen und schon seit zwei Jahren von den Bauernverbänden
kritisch beobachtet und diskutiert. Im Gegenzug zur Absenkung der Mindestpreise um
15 Prozent bis ins Jahr 2006 will Franz Fischler, EU-Agrarkommissar, die EU-weit
festgelegte Milchquote erhöhen, in deren Rahmen die Bauern schon jetzt 20
Prozent über dem Milchbedarf des Binnenmarkts produzieren. Die Quote, die
langfristig ganz fallen soll, gibt es seit 1984. Die Bauern dürfen nur soviel Milch
melken, wie ihnen zugeteilt wurde und erhalten die künftig abgesenkten
Garantiepreise von den Molkereien, die wiederum die Ausgleichszahlungen der EU
kassieren. Als Ausgleich für die Verluste sollen die Bauern nun in Form von
Kuhprämien produktionsunabhängige Zuschüsse
erhalten.
Nach einem kurzfristigen Rückgang hofft Fischler auf einen Wiederanstieg der
Preise für Butter und Milchpulver auf den Drittlandsmärkten. Sollten die
Preise ansteigen, will der Kommissar die Zuschüsse absenken und so den EU-
Haushalt sanieren. Der Weltmilchmarkt hat ein Volumen von 30 Millionen Tonnen,
das sind lediglich 5 Prozent der Weltmilchproduktion. Mit 12 Millionen Tonnen ist die
EU der größte Exporteur. Allerdings mit einem Produktionspreis von 50
Pfennig je Liter. Australien und Neuseeland müssen hingegen nur 30 Pfennig je
Liter aufwenden, haben aber ein geringes Produktionsaufkommen: Das Milchvolumen
Neuseelands ist etwa mit dem Bayerns vergleichbar.
Keine Perspektive
Die Bauern sehen in den angekündigten Kuhprämien keine Perspektive.
"Das gilt generell für die Einkommensübertragungen, denen
angesichts früherer Erfahrungen und leerer Haushaltskassen niemand
traut", erläutert Wolfgang Reimer, stellvertretender Vorsitzender der
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), einem
Zusammenschluß von klein- und mittelständischen Bauern. Bei soviel
Uneinsichtigkeit drohte der EU-Agrarkommissar im Januar des vergangenen Jahres
700 Allgäuer Bauern, denen er die Agenda 2000 vorstellte: entweder sie
akzeptieren die Weltmarktorientierung und die damit einhergehende Preissenkung,
oder die Milchquote müßte um 20-25 Prozent zurückgeschraubt
werden.
Die Proteste der Landwirte gegen die Agenda 2000 sind unterschiedlich motiviert. Der
konservative Deutsche Bauernverband, der traditionell die Großbetriebe vertritt,
begrüßt zwar die Weltmarktorientierung, stemmt sich aber mit aller Kraft
gegen die Absenkung der Garantiepreise für Rindfleisch, Milch und Getreide.
Die AbL schwört auf Binnenmarktorientierung der Agrarproduktion und will
sich für ökologische und soziale Kriterien einsetzen.
Allen sitzt die Angst im Nacken, die Verlierer der Agrarreform sein zu können,
denn die Direkthilfen werden nach ihrer Einschätzung nicht ausreichen. Doch
weil die Produktivität der Massentierhalter größer ist, werden sie
länger durchhalten können, vermutet Wolfgang Reimer. Das
Höfesterben der vergangenen Jahre und die weitere Konzentration der
landwirtschaftlichen Produktion auf wenige Großbetriebe wären die Folge.
Ein allmählicher Abbau der Quoten würde ebenfalls zu dieser
Entwicklung beitragen.
Kleinbauern in Österreich, von denen viele nur über ein halbes Dutzend
Milchkühe verfügen, klagen schon heute, wenige Jahre nach dem Beitritt
zur EU, über die Auswirkungen der EU-Agrarpolitik. Allein im Jahr 1998
mußten sie im Vergleich zum Vorjahr Einkommenseinbußen von 10
Prozent hinnehmen. Und die EU-Kommission zeigt sich gegenüber den
Kleinbauern von der harten Seite: Wegen angeblicher
"Wettbewerbsverzerrungen" untersagte sie dem Land Tirol
Kompensationszahlungen von 1,4 Pfennig je Milchliter für den
umständlichen Milchtransport in den Alpentälern. "Wenn das Spiel
mit den Märkten so weitergeht, bedeutet das in der alpinen Landwirtschaft,
daß wir die Höfe zusperren müssen", so die
österreichische Landwirtschaftskammer.
Obwohl zahlreiche Kritiker, vor allem aus dem entwicklungspoltitischen Spektrum, die
in der Agenda 2000 angedeuteten Umweltkriterien für ein politisches
Abklenkungsmanöver halten, setzt die AbL auf diesen Ansatz der Kommission.
In vergangenen Jahren hatte sie die europäischen Agrarreformen noch wegen
ihrer Ausrichtung auf den Weltmarkt grundsätzlich abgelehnt.
Die Strategie der AbL, einige positive Instrumente des EU-Vorschlags in den
Vordergrund der Debatte zu rücken, stieß bei ihrem Dachverband, der
europäischen Bauernkoordination CPE, zunächst auf
Unverständnis. Doch mittlerweile sieht auch die CPE, deren Vorstand des
öfteren mit Fischler berät, wenig Chancen "für eine
Existenzerhaltung über Preise."
Die Alternativen der AbL und CPE sehen eine soziale und ökologische
Qualitätsproduktion auf hohem Preisniveau für den EU-Binnenmarkt vor.
So könnten auch kleiner dimensionierte Landwirtschaftsbetriebe mehr von ihren
Erträgen und weniger von EU-Prämien leben. Gleichzeitig sollen
Obergrenzen der EU-Förderung für durchrationalisierte
Großbetriebe festgelegt werden. Auch mit sozialen und ökologischen
Kriterien für EU-Fördergelder wollen sie der exportsubventionierten
Dumpingproduktion der Agroindustrie einen Riegel vorschieben.
Die Grenzen der EU wollen die Bauernorganisationen ebenfalls gegen
Dumpingprodukte von außerhalb abgeschottet wissen. In vielen Fällen
beruht die Rationalisierung im Landwirtschaftsbereich auf der Anwendung von
Antibiotika in Futtermitteln, der chemieintensiven Düngung und
Unkrautvernichtung sowie zunehmend in der Gentechnik.
Almosen für Kleinbauern
Den oben skizzierten Ansatz zur Geltung zu bringen, haben beide Organisationen
abgeschrieben. "Man darf und kann nach unseren politischen Erfahrungen von
der Kommission nicht erwarten, daß sie eine Politik macht, die den
grundsätzlichen AbL-Positionen nahekommt", meint der Vorsitzende der
AbL, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Auch der CPE-
Geschäftsführer Gérard Choplin will "retten, was zu retten
ist: Obergrenzen und sozial-ökologische Standards".
Ein paar Brosamen hat die Kommission zu bieten. Neben den Prämien und
reduzierten Interventionsfonds will sie einen EU-Fonds "ländliche
Entwicklung" einrichten, mit dem neben Verarbeitungs- und
Vermarktungsstrukturen auch der ökologische Landbau gefördert werden
soll. Der Haken: maximal 10 Prozent des Agrarbudgets sind für die ganze
Palette von Maßnahmen zur "ländlichen Entwicklung"
vorgesehen.
Die Vorgaben zum Umweltschutz sind im Gegensatz zu den Preissenkungen in der
Agenda 2000 nur sehr vage formuliert. Fischler bezeichnet das als
"Basisregelung". Tatsächlich sieht der Agendatext vor, jedem EU-
Mitgliedstaat freizustellen, "das von ihm gewünschte Gleichgewicht
zwischen intensiver und extensiver Erzeugung festzulegen".
Grüne EU-Parlamentarier befürchten nun, daß die bescheidenen
ökologischen Ansätze der Agenda 2000 bei den kommenden
Verhandlungen zerrieben werden: zwischen dem machtvollen Beharren der
Agroindustrie, die bisherige Förderpolitik fortzusetzen, und dem Druck der
Sparforderungen aus den Finanzministerien der Mitgliedstaaten könnte die
Ökologie aus der Agenda gestrichen werden.
Die Lobby des Agrobusiness wird von der Kommission jedoch nicht mit Almosen
abgespeist. Bereits Anfang 1998 konnte der Deutsche Bauernverband im Streit um die
Agenda 2000 erste Erfolge verbuchen: die Silomaisprämie, die zunächst
abgeschafft werden sollte, bleibt nun erhalten. Aus diesem Budget gehen allein 50
Prozent der Zahlungen an Höfe mit intensiver Massentierhaltung in Deutschland.
Ein Affront gegen die Umweltschützer, die sich für eine Tierhaltung auf
der Wiese einsetzen, die ökologischer und arbeitsintensiver ist: Der Silomais ist
hingegen eine dünger- und pestizidintensive Ackerfrucht, die von
Massentierhaltern an die im Stall lebenden Tiere verfüttert wird.
Gerhard Klas