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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 4

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Flüchtlinge und Erwerbslose

Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen wird zu den Protesten rund um den EU-Gipfel und das Treffen der G8 im Mai und Juni 1999 kräftig mobilisieren. Die Unterstützung der Euromärsche ist für uns wichtig, weil dies ein zentraler Teil unseres Kampfes ist. Wir wollen Solidarität mit Erwerbsarbeits- und Wohnungslosen und deren UnterstützerInnen aufbauen. Unsere Karawane, die 1998 durch 44 deutsche Städte zog, hat besonders die entschlossene Unterstützung von Organisationen der Obdachlosen in Deutschland imponiert.
  Wohnungslose bekommen neben Flüchtlingen die soziale Unterdrückung in Deutschland am härtesten zu spüren. Die Polizei vertreibt sie aus den für reiche Bürger reservierten Gebieten, sie werden stigmatisiert und mißhandelt. Die Allgemeinheit der Gesellschaft übernimmt die herrschende Definition, daß Arbeits- und insbesondere Obdachlose Menschen minderen Wertes sind, da sie beim Wettbewerb der freien Marktwirtschaft nicht mithalten können.
  Aber wir Flüchtlinge, die wir die volle Brutalität der freien Marktwirtschaft kennen, die wir aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der vom Westen kontrollierten "freien Marktwirtschaft" aus unseren Ländern fliehen mußten, haben eine andere Sichtweise auf die Wohnungslosen in Deutschland. Für uns sind die, die nicht an dieser Wirtschaft teilhaben, nicht minderwertig.
  Menschen in Europa, die nicht mit Aktien in dieses System investieren und nicht mit ihm kollaborieren, sind für uns wertvoller als diejenigen, die so etwas tun. Daher fühlten wir eine tiefe Solidarität mit den Wohnungslosen, als sie sich unserer Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen anschlossen. Durch die Unterstützung des Euromarsch-Projekts werden wir diese Solidarität zurückgeben.
  Die Proteste gegen das Treffen der G8 im Juni sind ebenso wichtig für uns. Wenn wir beschuldigt werden, "Wirtschaftsflüchtlinge" zu sein, erklären wir, daß die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und anderer reicher Länder die faschistoiden Regime und Diktaturen in unseren Ländern am Leben erhalten und so "politische Flüchtlinge" erzeugen! "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört", wird die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen laut und deutlich vor der Zusammenkunft der G8 im Juni zum Ausdruck bringen. Daher werden wir auch mit der Karawane der 500 indischen FarmerInnen eng zusammenarbeiten, die im Juni nach Köln kommt.
  Ob in Asien, Afrika, Lateinamerika, im Mittleren Osten oder den Gebieten des ehemaligen Sowjetblocks, überall erzeugt der Triumph und Vormarsch der neoliberalen Wirtschaft politische und ökonomische Bedingungen, die mit der Kolonialzeit zu vergleichen sind. Schon die britische Ostindien-Kompanie wütete mit den gleichen Slogans vom freien Markt durch Indien - und verhalf dem kapitalistischen System zur Geburt. Doch dieses Mal befindet sich eine größere Zahl von Flüchtlingen und MigrantInnen im Herzen der imperialistischen Bestie! Wir sehen uns selbst als untrennbar verbunden mit unseren Schwestern und Brüdern, die wir zurücklassen mußten - wir werden ihren Interessen als InternationalistInnen treu bleiben.
  Die Euromärsche und die Aktivitäten gegen die G8 stellen für uns eine Herausforderung dar. Wenn die Mobilisierung ein Erfolg wird, befinden wir uns auf dem Weg, eine neue, starke internationalistische Bewegung aufzubauen. Wenn wir uns mit den Wohnungs- und Erwerbslosen in Deutschland und Europa verbünden, haben wir die perfekte Antwort auf die rassistische Welle in Deutschland, die Flüchtlinge und MigrantInnen für soziale Übel wie Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot verantwortlich macht. Welch bessere Antwort können wir den Rassisten geben, als ihnen zu zeigen, daß die Wohnungs- und Erwerbsarbeitslosen praktisch auf der Seite der Flüchtlinge und MigrantInnen stehen!
  Viraj Mendis
  Der Autor ist Mitarbeiter des Bremer Menschenrechtsvereins und der Karawanegruppe Bremen.
 


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