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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 6

Interview mit Jürgen Hinzer (NGG)

Unterstützung der EuroMärsche

Du warst am 23. und 24.Januar in Köln auf der Konferenz der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und Ausgrenzung der einzige offizielle Vertreter einer DGB-Gewerkschaft. Was hat euch von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) bewogen, die EuroMärsche zu unterstützen?
  Unser Gewerkschaftstag hat diesen Beschluß gefaßt. Dahinter stehen unsere positiven Erfahrungen mit den EuroMarsch-Aktivitäten seit zwei Jahren, als wir an der großen Demonstration in Amsterdam teilnahmen. Der DGB Hessen hatte damals offiziell dazu aufgerufen. Kollegen aus Nordrhein-Westfalen meinten, als sie dies erfuhren, wir kämen aus einer "anderen Welt". Bei ihnen gab es keinen offiziellen Aufruf.
  Ich halte solche Aktionen angesichts von über 20 Millionen Erwerbsarbeitslosen in der EU und fünf Millionen in Deutschland für notwendig. Wir haben in Rüdesheim zusammen mit französischen Arbeitslosengruppen der CGT aus Paris vor McDonalds protestiert. Das erregte Aufsehen, es gab sogar einen Empfang beim Bürgermeister. Internationale Zusammenarbeit gegen übernational operierende Konzerne ist besonders wichtig. Zum Luxemburger Gipfel 1997 hat der DGB dann ja aufgerufen - das ist der richtige Weg.
 
  Warum gibt es in großen Teilen der Gewerkschaftsbewegung bislang Vorbehalte gegen eine Unterstützung der EuroMärsche und der Demonstration zum EU-Gipfel am 29.Mai in Köln?
  Bei vielen Vorständen, vermute ich, löst heute noch die Teilnahme der französischen CGT Berührungsängste bzw. antikommunistische Reflexe aus. Man denkt auch an Generalstreik usw. Dabei konnte ich unter deutschen Kollegen Sympathie für eine kämpferische Orientierung feststellen. Im Rahmen der Warnstreikbewegungen bis heute erntete ich immer dann am meisten Applaus, wenn ich dazu aufforderte, "französisch zu lernen". Viele wollen auch die SPD-geführte Regierung nicht in Verlegenheit bringen. Aber die neue Regierung bedeutet noch keine neue Politik. Bislang haben weder die Deutsche Bank noch Coca Cola wegen des Bonner Wechsels Unbehagen gezeigt. Die Katastrophe in Hessen, wo der deutsche Stammtisch Oberwasser gekriegt hat, zeigt im Negativen, daß Mobilisierung wirkt. Nur offensive fortschrittliche Mobilisierung kann Druck machen für fortschrittliche Politik.
 
  Die EuroMarsch-Konferenz in Köln hat einen Gewerkschafteraufruf verabschiedet. Welche Chancen siehst du, daß er Unterstützung findet?
  Der Aufruf ist in Ordnung, und es kommt darauf an, ihn in die gewerkschaftlichen Gremien und in die Betriebe einzubringen. Auf der Konferenz waren ja eine ganze Reihe von Aktiven verschiedener DGB-Gewerkschaften. Falsch finde ich, daß auch andere Aufrufe kursieren, in denen Inhalte vorkommen - wie Kritik am "Bündnis für Arbeit" oder an der Bundesregierung - die im DGB als Vorwand dafür genommen werden könnten, sich vor einer Beteiligung an den Aktionen zu drücken.
 
  Ist die große Zahl schlecht bezahlter und ungeschützter Arbeitsverhältnisse im Organisationsbereich der NGG ein zusätzlicher Grund für eure Unterstützung der EuroMärsche?
  Bei McDonalds mit 40000 Beschäftigten in Deutschland und einem Umsatz von 3,2 Milliarden DM gibt es Löhne von 1000 und 1200 Mark netto und bislang nur 50 Betriebsräte in 800 Betrieben. Migranten aus Osteuropa arbeiten für Hungerlöhne, wobei ihnen noch 450 DM für die Unterkunft abgeknöpft werden. Aber wir sind guten Mutes - seit zwei Jahren beteiligen wir uns an der von englischen KollegInnen initiierten Kampagne gegen die Arbeitsbedingungen und die Behinderung von Betriebsratsaktivitäten bei McDonalds.
  Doch die anderen DGB-Gewerkschaften, auch die großen, sind von der Problematik ebenso betroffen. Zum Beispiel die Verkäuferinnen im Bereich der HBV, die Lkw-Fahrer im Bereich der ÖTV. Auch im Bereich der IG Metall gibt es nicht nur Großbetriebe, sondern viele Handwerksbetriebe, ungeschützt Beschäftigte, Scheinselbständige.
 
  Gibt es für dich eine Krise der Gewerkschaften?
  Wenn das "Bündnis für Arbeit" Friedhofsruhe, Lohnsenkung und eine Art Konzertierte Aktion bringt, dann droht allerdings eine scharfe Krise. Dann werden viele sich fragen: Wozu brauchen wir überhaupt eine Gewerkschaft? Wir haben 1996 im Kampf um die Lohnfortzahlung in Hessen, im Odenwald die Erfahrung gemacht, daß auch Menschen, die nicht aus den klassischen gewerkschaftlichen Bereichen kommen, auf die Straße gebracht werden können. Gewerkschaft muß erfahrbar sein. Auch gewerkschaftlicher Internationalismus muß erfahrbar sein. Deshalb hoffe ich doch, daß am 29.Mai in Köln der gesamte DGB-Bundesvorstand mit Dieter Schulte an der Spitze mitdemonstriert. Die NGG wird auf jeden Fall dabei sein.
 
  Jürgen Hinzer ist Sekretär der Verwaltungsstelle Frankfurt am Main/Wiesbaden der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG).
 


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