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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 6

DGB und 1.Mai

Nationaler Konsensfeiertag

Die Gewerkschaften sind am Ziel angelangt. Sie brauchen nicht mehr zu kämpfen. Das haben die DGB-Kreise dieser Tage von ihrem Bundesvorstand erfahren. Per Postschreiben teilte er ihnen mit, "daß sich die politische Situation markant verändert hat. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung steht heute politisch nicht mehr in der Defensive und nicht in der Konfrontation." Dies müsse am 1.Mai 1999 "deutlich werden".
  Da könnte sich doch der DGB, wenn das Kämpfen nun vorüber ist, an seinem früheren Kampftag einfach demonstrativ auflösen... Aber so weit geht der Bundesvorstand noch nicht.
  Als Maiparole 1999 hat er beschlossen: "Neues Handeln: Für unser Land. Mitgestalten, Mitbestimmen, Mitverantworten." Immer mit‘n mit, mit‘n Schmidt, hieß es bei Tucholsky, obwohl Schmidt damals noch gar nicht Kanzler war. Und Schröder nicht mal geboren.
  In den fünf Jahrzehnten seit Bestehen der Bundesrrepublik haben die Gewerkschaften für die Interessen der Lohnabhängigen gekämpft. Ist das etwa seit Amtsantritt der SPD-geführten, von den Grünen unterstützten Bundesregierung nicht mehr notwendig?
  Vom "Ende der Bescheidenheit" sprach die IG Metall nach jahrelanger lohnpolitischer Zurückhaltung. Werden unbescheidene Forderungen nun im Konsens durchgesetzt?
  Wie sollen die Gewerkschaften, derartig desorientiert, Bündnisse mit Arbeitslosen, mit sozialen Bewegungen schließen können?
  "Unser Land" - wem gehört es denn? Befindet es sich neuerdings in Gemeineigentum? Im Gegenteil: Das meiste, was sich seit Generationen in Gemeineigentum befunden hatte (Post und Bahn beispielsweise) ist in den vergangenen Jahren privatisiert, also entnationalisiert oder durch die "Treuhandanstalt" verschleudert worden.
  Wer das "neue Handeln" der Gewerkschaften auf "unser Land" orientiert, begeht einen verhängnisvollen Fehler. Sicher haben sich die Organisationen der Lohnabhängigen auch in die nationale Politik einzumischen. Mit der Kampagne "Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" haben sie das 1998 richtig angefangen. Aber ist ihre Aufgabe mit dem Regierungswechsel erfüllt? Wurden sie nur als Wahlhelfer gebraucht? Kann es ihnen gleichgültig sein, ob dem Regierungswechsel ein Politikwechsel folgt oder nicht? Haben sie sich nicht - unabhängig von jeder Regierungspolitik - vor allem als Gegenpart des Kapitals zu verstehen, an dessen Macht sich durch die Bundestagswahl nichts geändert hat? Das Kapital internationalisiert sich. Aber der DGB beschränkt den Blick auf "unser Land".
  Auch ein Plakat- und Postkartenmotiv wurde beschlossen: drei Mädchen, alle blond - passend zur entpolitisierenden und nationalistischen Tendenz des Mottos.
  Von Interessen, die sich gegen das Kapital richten und aller Erfahrung nach auch mit dem neuen Kabinett in Konflikt geraten können, wird, wenn es nach dem DGB- Bundesvorstand geht, am 1.Mai 1999 nicht die Rede sein. Es sei denn, wir ignorieren die zentrale Aussage und organisieren gemeinsam mit Arbeitslosen und sozialen Bewegungen, namentlich denen der Migrantinnen und Migranten, einen 1.Mai, an dem wir unsere Forderungen an die Politiker und die Unternehmer auf die Straße tragen.
 
  Manfred Klöpper
 
  Aus: "Ossietzky", Nr.25, 1998. Der Autor ist Vorsitzender des DGB- Kreises Oldenburg/Wilhelmshaven.
 


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