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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 7

Schriftstellerinnen in Afrika

Das Problem ist die Ehe überhaupt

Fünf, mit Literaturpreisen ausgezeichnete, in Europa kaum wahrgenommene afrikanische Schriftstellerinnen werden im folgenden Beitrag vorgestellt. Auszüge aus den Werken von Ama Ata Aidoo und Amma Darko aus Ghana, Mariama Bâ aus dem Senegal, Bessie Head aus Südafrika und Yvonne Vera aus Zimbabwe, die auch in deutscher Sprache vorliegen, geben Einblicke in das Leben und Wirken dieser engagierten und mutigen Schriftstellerinnen.

"In Afrika Schriftsteller zu sein, ist schwierig - Schriftstellerin zu sein, ist noch schwieriger. Denn Manuskripte von Frauen werden auch bei uns - wie überall - erst als letzte gelesen."  Ama Ata Aidoo aus Ghana, die hier die Benachteiligung der afrikanischen Schrifstellerinnen beklagt, gehört zu den profiliertesten Autorinnen des Kontinents. Bereits mit 18 Jahren erhielt sie 1960 ihren ersten Literaturpreis, und seit den 70er Jahren fand sie auch international Anerkennung. Aber sie weiß, daß sie eine Ausnahme ist. Denn schwarzafrikanische Schriftstellerinnen müssen immer noch wesentlich härter um Aufmerksamkeit kämpfen als ihre männlichen Kollegen. So ging 1986 der Nobelpreis für Literatur zum ersten Mal an einen Afrikaner, den Nigerianer Wole Soyinka.
  Aber danach dauerte es weitere fünf Jahre, bis 1991 erstmals eine Afrikanerin mit diesem Preis ausgezeichnet wurde: die weiße Südafrikanerin Nadine Gordimer. Auch die erste Anthologie mit Texten afrikanischer Frauen in deutscher Sprache erschien erst 1987, zu einer Zeit als die Werke der bekanntesten Schriftstellerinnen in Afrika bereits 20 Jahre alt waren. Darunter auch die der Ghanaerin Ama Ata Aidoo. Doch lagen bis Mitte der 90er Jahre nur einzelne Kurzgeschichten der bedeutenden Dramatikerin, Lyrikerin und Kinderbuchautorin in deutscher Übersetzung vor. Erst 1998 hat der Lamuv Verlag ihren Roman Die Zweitfrau herausgebracht, eine Liebesgeschichte, die mit dem renommierten Commonwealth Prize for Literature in Africa ausgezeichnet wurde.
  In diesem Roman trennt sich die Soziologin Esi von ihrem Ehemann. Wenig später aber geht sie eine leidenschaftliche Beziehung zu einem verheirateten Mann ein. Als Muslim ist es für diesen selbstverständlich, mehrere Frauen heiraten zu können. Folglich bittet er Esi, seine zweite Ehefrau zu werden. Nach anfänglicher Zögerung willigt sie schließlich ein. Doch bald stellt sie fest, daß sie ihren Mann nicht so leicht mit der Erstfrau teilen kann. Am Ende muß Esi sich eingestehen, daß sie auch mit ihrem zweiten Mann keine gleichberechtigte und liebevolle Partnerschaft führen kann.
  Liebesgeschichte ohne Happyend
  Die Zweitfrau ist eine Liebesgeschichte ohne Happyend. Trotzdem mag Ama Ata Aidoo nicht, wenn sich Europäerinnen über die Polygamie in islamischen Ländern erregen und dabei ihre eigenen Rollenzuschreibungen vergessen.
  "Wenn wir das Leben von Frauen hinterfragen, als Ehefrauen, dann müssen wir weiter denken als nur über Polygamie ... Das Problem ist nicht die Polygamie, sondern die Ehe überhaupt!"
  Ama Ata Aidoos Kritik an patriarchalischen Strukturen ist radikal, und sie macht auch vor Europa nicht Halt. In vielen ihrer Kurzgeschichten hat sie den Einfluß der "colonial masters", der kolonialen Mentalität thematisiert.
  Als sie Anfang der 80er Jahre versuchte, als Bildungsministerin die Geschicke ihres von kolonialen Abhängigkeiten geprägten Landes zu verändern, war sie ihrer Zeit weit voraus. Sie stieß auf erhebliche Widerstände. Enttäuscht ging sie schließlich 1985 nach Zimbabwe, wo sie bis zu ihrer Rückkehr 1994 lebte. Die alleinerziehende Mutter einer Tochter und Dozentin für Literatur an verschiedenen Universitäten in den USA, Großbritannien und Afrika wählte wie viele ihrer Romanfiguren den schwierigen Weg der Selbstbestimmung. Ama Ata Aidoo hat sich der Aufklärung verschrieben. Gegen die Zwänge der Gesellschaft, der Tradition und der Moral. Mit dem Ergebnis, daß sie inzwischen zwar gehört und anerkannt wird, aber weiter umstritten geblieben ist.
  Die erste Autorin Schwarzafrikas, deren Bücher in deutscher Sprache publiziert wurden, war die Senegalesin Mariama Bâ. Ihr Erstlingswerk Ein so langer Brief erhielt 1980 den japanischen Noma-Preis für afrikanische Literatur und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Mariama Bâ starb ein Jahr später im Alter von 52 Jahren. Als Lehrerin und alleinerziehende Mutter von neun Kindern hatte sie in dem Briefroman das Leid beschrieben, das sie zum Teil selbst erlebt hatte.
  Mariama Bâ erzählt aus der Perspektive von Ramatoulaye, einer Frau mittleren Alters, die nach 30 Ehejahren von ihrem Mann wegen einer weit jüngeren Zweitfrau verlassen wird. Die Schriftstellerin Mariama Bâ, 12 Jahre älter als ihre ghanaische Kollegin Ama Ata Aidoo, deren Roman die Probleme der Zweitfrau darstellt, schildert einfühlsam den Erkenntnisprozeß der Erstfrau, die nicht weniger Opfer der Polygamie ist als die weiteren Ehefrauen. Dabei beschwört die gläubige Muslimin Mariama Bâ durchaus konservative Normen und Werte: die islamischen Sitten, das Ideal der Mutterschaft und die Einheit der Familie als Grundlage der Nation. Aber dieser Wertkonservativismus, auch des Islam, wird aufgebrochen, wo es um die Unterdrückung der Frau geht.
  Rassismus unter Afrikanern
  Um eine gleichberechtigte, sich ergänzende Liebe zwischen Mann und Frau, um Selbsterkenntnis, Befreiung und die Vision einer besseren Gesellschaft geht es auch der großen Erzählerin Bessie Head. Unbestritten ist sie die literarischste. Die Südafrikanerin, die nur 49 Jahre alt wurde, hat vier Romane und zahlreiche Kurzgeschichten hinterlassen, in denen sie persönliche Erfahrungen eines schweren Lebens verarbeitet hat.
  Bessie Head kam 1937 in einer psychiatrischen Anstalt in Südafrika zur Welt. Ihre weiße Mutter wurde für psychisch krank gehalten, weil sie sich mit einem schwarzen Mann eingelassen hatte. Das kleine Mädchen wurde zur Adoption freigegeben und wuchs, nachdem sie aus einer weißen Familie verstoßen worden war, bei Pflegeeltern auf, die das Apartheidregime als "Farbige" eingestuft hatte. Menschen brauner Hautfarbe, sog. "Mischlinge" wurden wie Weiße oder Schwarze gesondert erfaßt. Bessie Head erhielt eine gute Schulbildung. Aber nach einigen unruhigen Berufsjahren als Journalistin, setzen ihr die rassistische Unterdrückung und die brutale Gewalt in Südafrika so zu, daß sie mit ihrem kleinen Sohn nach Botswana floh. Dort schrieb sie 1971 auch ihren Roman Maru, ihr zweites Werk, das 1998 endlich auch auf Deutsch erschienen ist.
  In der Rahmenhandlung geht es um die Lehrerin Margaret Cadmore, die der Minderheit der San angehört, der Ethnie der "Buschmänner". Diese Bevölkerungsgruppe leidet bis heute im südlichen Afrika unter den schlimmsten Formen der Unterdrückung, nicht nur der weißen Kolonialisten, sondern auch der schwarzen Bantu, die die San vertrieben, ausgebeutet und versklavt haben. Die Romanfigur Margaret Cadmore geht wie Bessie Head auf eine Missionsschule. Bewegend beschreibt Bessie Head die gedemütigte Seele der ausgestoßenen San-Frau.
  Maru ist stark autobiografisch geprägt. Deshalb scheut sich Bessie Head, in ihrem Heimatland abgestempelt als "Farbige", auch nicht, den Rassismus unter Afrikanern selbst anzuprangern. Sie tat das mit diesem Buch 1971, in einer Zeit, als der Kampf der Schwarzen gegen die Apartheid der Weißen im Vordergrund stand. Bessie Heads Figuren sind nie schablonenhaft, stets läßt die Autorin Fragen offen, irritiert sie auch ihre Leserinnen und Leser. Vieles schrieb sie während ihrer immer wiederkehrenden Depressionen.
  Unausgesprochenes thematisieren
  Die Autorinnen der jüngeren Generation setzen die engagierte Tradition ihrer Vorgängerinnen fort. Auch sie wagen sich häufig an Tabus heran und schreiben nicht einfach, um ihr Publikum zu unterhalten. Im Gegenteil: oft thematisieren sie bisher Unausgesprochenes, kritisieren öffentlich, was bislang verdrängt und verleugnet wurde. So zwingen z.B. zimbabwische Künstlerinnen ihre Gesellschaft, sich mit den negativen Seiten des Befreiungskampfs im Rhodesien der 70er Jahre auseinanderzusetzen.
  Die Regisseurin Ingrid Sinclair löste mit ihrem Film Flame eine heftige Diskussion in ihrem Land aus, als sie die patriarchalische Gewalt gegen die Kämpferinnen innerhalb der Befreiungsbewegung zeigte. Flame, die mutige Kämpferin, wird von einem Guerillaführer vergewaltigt. Selbst zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit will die männlich dominierte herrschende Elite in Zimbabwe an der Geschichtsklitterung eines ausschließlich heldenhaften Befreiungskampfs festhalten.
  Zu den Frauen in Zimbabwe, die den Schleier falscher Heroisierung lüften wollen, gehört auch Yvonne Vera. Sie studierte in Kanada, wie viele Afrikanerinnen der jüngeren Generation, die eine Zeit im Ausland verbracht und dort ihre Ausbildung abgeschlossen haben. 1997 sind zwei Bücher der 35jährigen Autorin in deutscher Sprache erschienen. Der Roman Frau ohne Namen und die Erzählungen Seelen im Exil. Beide Werke beschäftigen sich mit dem Befreiungskrieg, bei dessen Beginn 1970 die Autorin erst sieben Jahre alt war.
  In der Erzählung Grenzüberschreitungen beschreibt Yvonne Vera die Psyche der kolonialen Eroberer Zimbabwes in Gestalt des weißen Farmerehepaares Nora und Charles ebenso eindringlich wie die seelischen Qualen der von ihrem Land vertriebenen schwarzen Familie und deren Hoffnung auf Befreiung. Bemerkenswert ist, daß beide Frauen, die schwarze Ma Moyo und die weiße Nora jede auf ihre Weise den Männern voraus sind.
  Aus Verzweiflung zur Kindsmörderin
  Yvonne Veras Roman Eine Frau ohne Namen nimmt sich desselben Tabus an, das den Film Flame so umstritten machte: Das Leben der jungen Mazvita ist zerstört, weil sie von einem Soldaten während des Befreiungskriegs vergewaltigt wurde. Sie verläßt ihr Dorf und ihren Freund, von dem sie ein Kind erwartet, und geht in die Stadt, immer verfolgt vom Trauma der Gewalt. Aus Verzweiflung wird Mazvita zur Kindsmörderin. Ihrer schrecklichen Irrfahrt kann man sich als Leserin kaum entziehen. Nicht laut und drastisch, sondern leise und umso aufrüttelnder schildert Yvonne Vera das Schicksal dieser vergewaltigten Frau, die mannigfachen Verletzungen, die Amnesie, die Verzweiflung und die Aussichtslosigkeit. Eine zutiefst traurige Erzählung und zugleich ein großes Kunstwerk.
  Erfahrungen aus dem Exil
  Die Ghanaerin Amma Darko lebte in den 80er Jahren in Deutschland und hat ihre Erfahrungen im freiwilligen Exil literarisch verarbeitet. In Amma Darkos Roman Der verkaufte Traum rechnet die 42jährige ab mit der Konsumgier ihrer Landsleute in Ghana, mit dem Rassismus in Deutschland und mit dem Männlichkeitswahn, den sie hier wie dort antrifft. Mara, die Protagonistin des Romans, wird schon als Mädchen mit Akobi verheiratet. Für ihren Mann ist sie nicht mehr als ein Arbeitstier. Als sie ihm Jahre später nach Europa folgt, muß Mara für ihren eigenen Mann als Prostituierte anschaffen. Zwar kann sich Mara in einem schmerzhaften Prozeß von ihrem Mann befreien, und doch arbeitet sie weiter als Prostituierte. Und daran sind auch die Erwartungen und Träume der Verwandten daheim schuld, die von ihrem Geld leben.
  Amma Darkos Roman will ihre Geschichte nicht nur als Frauenroman verstanden wissen. Auch die Männer, so sagte sie in einem Interview, seien Opfer gesellschaftlicher Mißstände in Afrika. "Wenn du im Lande A lebst, und ein ungleich reicheres Land B läßt dich nicht in Ruhe, sondern breitet Tag für Tag seinen Reichtum vor deinen Augen aus, dann ist es ja völlig normal, daß dich die Neugierde packt und du dich aufmachst, dir ein Stück des Kuchens zu sichern. Für die Ghanaer in Deutschland enthält mein Buch die Botschaft, nicht zu glauben, um jeden Preis die Erwartungen, die daheim an ihre Reise geknüpft werden, erfüllen zu müssen."
  Diese aus der ökonomischen hervorgegangene, kulturelle Abhängigkeit afrikanischer Länder von den reichen Ländern des Nordens spielt auf die eine oder andere Weise in fast allen Werken afrikanischer Schriftstellerinnen eine Rolle. Die Botschaften der Dichterinnen richten sich deshalb gleichermaßen an die Leser im Norden wie im Süden.
  Birgit Morgenrath (Rheinisches JournalistInnenbüro)
 


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