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Im Tagesspiegel vom 6.7.1997 beklagte Berlins
Ausländerbeauftragte Barbara John einen zunehmenden illegalen Zuzug
serbischer Staatsangehöriger, die aufgrund des mit der Bundesrepublik
Jugoslawien vereinbarten Rückübernahmeabkommens in der Praxis erst
nach einem möglicherweise jahrelangen Verfahren wieder abgeschoben werden
könnten. Solange würden sie in Berlin Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. John beklagt als besonderen Missstand, dass
man aufgrund einer "Gesetzeslücke" diesen Menschen, die nur nach
Deutschland gekommen seien, um hier Sozialhilfe zu kassieren, den Anspruch auf
Leistungen nicht verweigern könne. Dass es sich bei den Flüchtlingen
keineswegs um Serben, sondern um Kosovo-Albaner handelt, verschwieg John dabei
wider besseres Wissen.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im September 1997 in einer
Grundsatzentscheidung Ausländern, die in absehbarer Zeit nicht abgeschoben
werden können, den Anspruch auf Erteilung einer "Duldung"
zuspricht und die Berliner Praxis der Ausstellung von
"Grenzübertrittsbescheinigungen" als rechtswidrig, weil im Gesetz
so nicht vorgesehen, verurteilt, fordert John etwa 14 Tage lang nahezu täglich im
Tagesspiegel, der Taz und anderen Zeitungen die Änderung der geltenden
Gesetze. So will sie verhindern, dass AusländerInnen "Duldungen und
Sozialhilfe erhalten", solange sie wegen der fehlenden Aufnahmebereitschaft
ihrer Herkunftsländer nicht abgeschoben werden können.
Aufgrund der Initiativen Johns legte Berlin im September1997 dem Bundesrat einen
Entwurf zu einer Verschärfung des AsylbLG vor. Bayern, Baden-
Württemberg und insbesondere Niedersachsen bringen weitere
Verschärfungen ein. Nachdem der Bundestag schließlich im März
1998 in erster Lesung einen Gesetzentwurf verabschiedete, der für mindestens
250.000 geduldete Flüchtlinge, darunter praktisch alle geduldeten bosnischen
Kriegsflüchtlinge, die Streichung sämtlicher Hilfen nach dem AsylbLG
bedeuten würde, bricht bei Flüchtlingsorganisationen,
Wohlfahrtsverbänden und Kirchen eine Welle des Protestes gegen das geplante
"Aushungern und obdachlos Aussetzen" los, mit deren Hilfe die schlimmste
Variante verhindert werden kann.
Das Gesetz wird schließlich zu einer in einem neuen "§1a AsylbLG -
Leistungseinschränkung" festgeschrieben Missbrauchsregelung, die zum
1.9.1998 in Kraft getreten ist und in zwei Fällen eine
Leistungseinschränkung vorsieht:
Erstens für Menschen, die, auch vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung,
nur deshalb nach Deutschland eingereist sind, um hier auf Kosten der Sozialhilfe bzw.
des AsylbLG zu leben. Mit anderen Worten. Erwarteter Sozialhilfebezug als
prägendes Einreisemotiv.
Zweitens für Menschen, die durch ihr Handeln - z.B. Verschleierung ihrer
Identität oder fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung - ihre an sich
mögliche und auch rechtlich zulässige Abschiebung verhindern.
Berliner Schikanen
Die Umsetzung der Leistungseinschränkung in den Bundesländern ist
unterschiedlich. Bayern, Sachsen, Brandenburg, Schleswig Holstein, und dem Saarland
sehen vor, bei Vorliegen eines Tatbestandes für die
Leistungseinschränkung das Taschengeld zu kürzen oder allenfalls zu
streichen. Berlin steht hingegen in der Härte seiner Praxis bundesweit einzig da.
Bei neu ankommenden Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo scheint die
Verweigerung sämtlicher Hilfen eher die Regel als die Ausnahme zu sein.
Allenfalls Unterkunft wird - längst nicht in allen Fällen - gewährt,
es gibt in der Regel aber keine Kleidung, keine Hygieneartikel, keinen Pfennig Bargeld
und keine Fahrscheine für die öffentlichen Verkehrsmittel der BVG, oft
auch nichts zu Essen und keine Krankenscheine.
Die Flüchtlinge werden ausgehungert, obdachlos ausgesetzt, und ärztliche
Versorgung wird verweigert. Sie sind durch den Entzug jeglichen Bargeldes
gezwungen, mit der BVG schwarz zu fahren - schon um zur
Ausländerbehörde, zum häufig am anderen Ende der Stadt
gelegenen zuständigen Sozialamt oder zu einer Beratungsstelle zu gelangen.
Zahlungsaufforderungen der BVG sowie Strafbefehle häufen sich. Die
Flüchtlingen werden so kriminalisiert - damit schafft man Gründe
für eine Abschiebung.
Viele Sozialämter unterstellen Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo
generell, sie seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland gekommen. Zum
Beweis wird angeführt, sie hätten ja in einem auf der Reise nach
Deutschland durchquerten Land bleiben können, und seien nur wegen der
Sozialhilfe nach Deutschland weitergereist. Diese Argumentation wies nunmehr das
Oberverwaltungsgericht Berlin als unzulässig zurück, da sie im Ergebnis
eine vom Gesetzgeber nicht gewollten Drittstaatenregelung für geduldete
Kriegsflüchtlinge wäre, die z.B. einen Leistungsausschluss auch aller auf
dem Landweg eingereisten bosnischen Flüchtlinge bedeuten würde. Die
Senatssozialverwaltung erklärte hierzu allerdings, der Beschluss sei eine
"Einzelfallentscheidung", eine Änderung der Praxis der
Sozialämter sei nicht erforderlich.
Unterstellungen, die eigene Abschiebung zu verhindern oder die Identität zu
verschleiern hat demgegenüber in der Praxis eine geringere Bedeutung. Doch
auch dies wird z.B. Kosovo-Kriegsflüchtlingen vielfach unterstellt, obwohl
derzeit ohnehin keine Abschiebungen in die BR Jugoslawien stattfinden. Wenn die
Flüchtlinge keinen Pass, sondern nur einen Personalausweis besitzen, geht die
Ausländerbehörde grundsätzlich davon aus, daß dieses
Dokument nicht fälschungssicher sei und deswegen gefälscht sein
könne. Sie stempelt deshalb - trotz erkennungsdienstlicher Behandlung und
obwohl im konkreten Fall gar keine Anhaltspunkte für eine Fälschung
vorliegen - " Identität ungeklärt" in die
Duldungsbescheinigung.
Das Sozialamt schickt die Flüchtlinge anschließend zur jugoslawischen
Botschaft, um als Identitätsnachweis einen Pass zu beantragen - und streicht
solange erstmal alle Leistungen. Die Botschaft stellt Flüchtlingen jedoch keine
Pässe, sondern lediglich ein Passersatzpapier zur einmaligen Einreise in die BR
Jugoslawien im Rahmen des Rückübernahmeabkommens aus. Und sie
nimmt Anträge nur gegen Vorlage des Original-Personalausweises entgegen. Die
Ausweise gibt die Ausländerbehörde aber nicht heraus, um zwecks
Abschiebung ggf. selbst den Antrag auf den Passersatz bei der Botschaft stellen zu
können.
In einem konkreten Fall verlangte das Berliner Verwaltungsgericht als Voraussetzung
der Leistungsgewährung die persönliche Vorsprache eines
Flüchtlings in der Botschaft. Und zwar mit einer von der
Ausländerbehörde beglaubigten Kopie des Personalausweises. Die
Botschaft akzeptiert jedoch keine beglaubigten Kopien. Der betroffene
Flüchtling war mittlerweile schon über zwanzigmal in der Botschaft und
erhält dennoch seit mehr als vier Monaten vom Sozialamt Wedding für
sich, seine Frau und zwei Kinder nichts zu essen, keine Krankenscheine, keine BVG-
Fahrscheine und keinen Pfennig Bargeld.
Verweigerung ärztlicher Versorgung
Die Verweigerung von Krankenscheinen ist die Regel, spätestens dann, wenn die
übrigen Hilfen nach §1a AsylbLG eingestellt sind. "Das inteeressiert
uns nicht", erklären viele SachbearbeiterInnen den Flüchtlingen, die
unter Verweis auf akute Krankheitssymptome und Schmerzen um Krankenscheine
bitten. Manche verwenden zur Ablehnung die Mittel der Körpersprache und
halten sich Augen und Ohren zu.
"Zwecks Gewährung von Krankenhilfe ist die Vorlage eines Attestes eines
niedergelassenen Arztes unter Angabe der akuten Erkrankung erforderlich",
führt gegenüber dem Verwaltungsgericht die Rechtsstelle des Sozialamtes
Wedding als Begründung aus. Wie die Flüchtlinge sich ohne einen
Pfennig Bargeld und ohne Krankenschein solche Atteste beschaffen sollen, bleibt offen.
Inzwischen musste die betroffene Mutter blutspuckend ins Krankenhaus eingewiesen
werden, eine schwere bakterielle Infektion wurde diagnostiziert, auch ihr Kind wird
inzwischen wegen einer Lungeninfektion stationär behandelt.
Die "behaupteten Schmerzzustände" seien
"unglaubwürdig", da "jedes Krankenhaus akute Erkrankungen
behandeln würde", erklärte die Rechtsstelle des Sozialamtes
Prenzlauer Berg dem Verwaltungsgericht. Dieses hat die Entscheidung in zwei
Instanzen als von §1a AsylbLG gedeckt bestätigt: "Die behaupteten
Zahn- und Augenschmerzen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Es ist auch
weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass insoweit ein unaufschiebbarer
Behandlungsbedarf besteht." Auf welche Weise der Flüchtling seine
Schmerzen, deren Diagnose er nicht kennt, und deren akuten Behandlungsbedarf er
näher glaubhaft machen bzw. darlegen soll - ohne Möglichkeit, einen Arzt
aufzusuchen - bleibt allein das Geheimnis der VerwaltungsrichterInnen.
Regelmäßig verweigern VerwaltungssachbearbeiterInnen der
Sozialämter, JuristInnen der Rechtsstellen der Bezirksämter sowie
VerwaltungsrichterInnen die Behandlung von Krankheiten, ohne dass jemals eine
ÄrztIn oder AmtsärztIn die PatientIn gesehen und eine Diagnose gestellt
hat.
Rot-Grün ist auch nicht besser
Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht nichts zur endlich fälligen
Umsetzung des Kriegsflüchtlingsstatus aus dem Asylkompromiss, nichts zur
Aufhebung des Arbeitsverbotes für Kriegs- und andere Flüchtlinge, nichts
zur Umsetzung von Abschiebestoppregelungen und auch nichts zum
Asylbewerberleistungsgesetz.
Hört man Rot oder Grün über AusländerInnen reden, geht es
um Staatsbürgerschaftssrecht und Klagen darüber, wie sehr man unter
Druck gesetzt werde, weil die CDU Unterschriften sammelt. Jedenfalls dürfe
man derzeit keine zusätzlichen Dinge fordern, wie die Rücknahme des
AsylbLG. Diskutiert man mit grünen SpezialistInnen auf fachlicher Ebene, geht
es bisweilen auch noch um einige Mängel im Ausländergesetz, allenfalls
jedoch um Mängel bei den sozialen Rechten anerkannter
Flüchtlinge.
Von Asylsuchenden, von Kriegsflüchtlingen ohne gesicherten Status, von
"illegalen" bzw. illegalisierten AusländerInnen spricht bei Rot-
Grün niemand mehr. Dass Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge nicht
arbeiten dürfen, in Lager eingewiesen werden, mit Sachleistungen versorgt
werden, mancherorts vielleicht auch gar nichts mehr erhalten, scheint gesellschaftlicher
Konsens geworden zu sein - auch bei Rot und Grün.
Georg Classen
Der Autor ist Flüchtlingsberater bei der Passionskirche, E-Mail
<georg.classen@berlin.de>l;. Er arbeitet derzeit für PRO ASYL an einem
Leitfaden zum AsylbLG. Ausführliche weitere Materialien zum Thema im
Internet unter <http://www.proasyl.de>l; im Verzeichnis
"aktuell".