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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 8

Aushungern und illegalisieren

Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin

Im Tagesspiegel vom 6.7.1997 beklagte Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John einen zunehmenden illegalen Zuzug serbischer Staatsangehöriger, die aufgrund des mit der Bundesrepublik Jugoslawien vereinbarten Rückübernahmeabkommens in der Praxis erst nach einem möglicherweise jahrelangen Verfahren wieder abgeschoben werden könnten. Solange würden sie in Berlin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. John beklagt als besonderen Missstand, dass man aufgrund einer "Gesetzeslücke" diesen Menschen, die nur nach Deutschland gekommen seien, um hier Sozialhilfe zu kassieren, den Anspruch auf Leistungen nicht verweigern könne. Dass es sich bei den Flüchtlingen keineswegs um Serben, sondern um Kosovo-Albaner handelt, verschwieg John dabei wider besseres Wissen.
  Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im September 1997 in einer Grundsatzentscheidung Ausländern, die in absehbarer Zeit nicht abgeschoben werden können, den Anspruch auf Erteilung einer "Duldung" zuspricht und die Berliner Praxis der Ausstellung von "Grenzübertrittsbescheinigungen" als rechtswidrig, weil im Gesetz so nicht vorgesehen, verurteilt, fordert John etwa 14 Tage lang nahezu täglich im Tagesspiegel, der Taz und anderen Zeitungen die Änderung der geltenden Gesetze. So will sie verhindern, dass AusländerInnen "Duldungen und Sozialhilfe erhalten", solange sie wegen der fehlenden Aufnahmebereitschaft ihrer Herkunftsländer nicht abgeschoben werden können.
  Aufgrund der Initiativen Johns legte Berlin im September1997 dem Bundesrat einen Entwurf zu einer Verschärfung des AsylbLG vor. Bayern, Baden- Württemberg und insbesondere Niedersachsen bringen weitere Verschärfungen ein. Nachdem der Bundestag schließlich im März 1998 in erster Lesung einen Gesetzentwurf verabschiedete, der für mindestens 250.000 geduldete Flüchtlinge, darunter praktisch alle geduldeten bosnischen Kriegsflüchtlinge, die Streichung sämtlicher Hilfen nach dem AsylbLG bedeuten würde, bricht bei Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen eine Welle des Protestes gegen das geplante "Aushungern und obdachlos Aussetzen" los, mit deren Hilfe die schlimmste Variante verhindert werden kann.
  Das Gesetz wird schließlich zu einer in einem neuen "§1a AsylbLG - Leistungseinschränkung" festgeschrieben Missbrauchsregelung, die zum 1.9.1998 in Kraft getreten ist und in zwei Fällen eine Leistungseinschränkung vorsieht:
  Erstens für Menschen, die, auch vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung, nur deshalb nach Deutschland eingereist sind, um hier auf Kosten der Sozialhilfe bzw. des AsylbLG zu leben. Mit anderen Worten. Erwarteter Sozialhilfebezug als prägendes Einreisemotiv.
  Zweitens für Menschen, die durch ihr Handeln - z.B. Verschleierung ihrer Identität oder fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung - ihre an sich mögliche und auch rechtlich zulässige Abschiebung verhindern.
 
  Berliner Schikanen
  Die Umsetzung der Leistungseinschränkung in den Bundesländern ist unterschiedlich. Bayern, Sachsen, Brandenburg, Schleswig Holstein, und dem Saarland sehen vor, bei Vorliegen eines Tatbestandes für die Leistungseinschränkung das Taschengeld zu kürzen oder allenfalls zu streichen. Berlin steht hingegen in der Härte seiner Praxis bundesweit einzig da. Bei neu ankommenden Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo scheint die Verweigerung sämtlicher Hilfen eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Allenfalls Unterkunft wird - längst nicht in allen Fällen - gewährt, es gibt in der Regel aber keine Kleidung, keine Hygieneartikel, keinen Pfennig Bargeld und keine Fahrscheine für die öffentlichen Verkehrsmittel der BVG, oft auch nichts zu Essen und keine Krankenscheine.
  Die Flüchtlinge werden ausgehungert, obdachlos ausgesetzt, und ärztliche Versorgung wird verweigert. Sie sind durch den Entzug jeglichen Bargeldes gezwungen, mit der BVG schwarz zu fahren - schon um zur Ausländerbehörde, zum häufig am anderen Ende der Stadt gelegenen zuständigen Sozialamt oder zu einer Beratungsstelle zu gelangen. Zahlungsaufforderungen der BVG sowie Strafbefehle häufen sich. Die Flüchtlingen werden so kriminalisiert - damit schafft man Gründe für eine Abschiebung.
  Viele Sozialämter unterstellen Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo generell, sie seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland gekommen. Zum Beweis wird angeführt, sie hätten ja in einem auf der Reise nach Deutschland durchquerten Land bleiben können, und seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland weitergereist. Diese Argumentation wies nunmehr das Oberverwaltungsgericht Berlin als unzulässig zurück, da sie im Ergebnis eine vom Gesetzgeber nicht gewollten Drittstaatenregelung für geduldete Kriegsflüchtlinge wäre, die z.B. einen Leistungsausschluss auch aller auf dem Landweg eingereisten bosnischen Flüchtlinge bedeuten würde. Die Senatssozialverwaltung erklärte hierzu allerdings, der Beschluss sei eine "Einzelfallentscheidung", eine Änderung der Praxis der Sozialämter sei nicht erforderlich.
  Unterstellungen, die eigene Abschiebung zu verhindern oder die Identität zu verschleiern hat demgegenüber in der Praxis eine geringere Bedeutung. Doch auch dies wird z.B. Kosovo-Kriegsflüchtlingen vielfach unterstellt, obwohl derzeit ohnehin keine Abschiebungen in die BR Jugoslawien stattfinden. Wenn die Flüchtlinge keinen Pass, sondern nur einen Personalausweis besitzen, geht die Ausländerbehörde grundsätzlich davon aus, daß dieses Dokument nicht fälschungssicher sei und deswegen gefälscht sein könne. Sie stempelt deshalb - trotz erkennungsdienstlicher Behandlung und obwohl im konkreten Fall gar keine Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen - " Identität ungeklärt" in die Duldungsbescheinigung.
  Das Sozialamt schickt die Flüchtlinge anschließend zur jugoslawischen Botschaft, um als Identitätsnachweis einen Pass zu beantragen - und streicht solange erstmal alle Leistungen. Die Botschaft stellt Flüchtlingen jedoch keine Pässe, sondern lediglich ein Passersatzpapier zur einmaligen Einreise in die BR Jugoslawien im Rahmen des Rückübernahmeabkommens aus. Und sie nimmt Anträge nur gegen Vorlage des Original-Personalausweises entgegen. Die Ausweise gibt die Ausländerbehörde aber nicht heraus, um zwecks Abschiebung ggf. selbst den Antrag auf den Passersatz bei der Botschaft stellen zu können.
  In einem konkreten Fall verlangte das Berliner Verwaltungsgericht als Voraussetzung der Leistungsgewährung die persönliche Vorsprache eines Flüchtlings in der Botschaft. Und zwar mit einer von der Ausländerbehörde beglaubigten Kopie des Personalausweises. Die Botschaft akzeptiert jedoch keine beglaubigten Kopien. Der betroffene Flüchtling war mittlerweile schon über zwanzigmal in der Botschaft und erhält dennoch seit mehr als vier Monaten vom Sozialamt Wedding für sich, seine Frau und zwei Kinder nichts zu essen, keine Krankenscheine, keine BVG- Fahrscheine und keinen Pfennig Bargeld.
 
  Verweigerung ärztlicher Versorgung
  Die Verweigerung von Krankenscheinen ist die Regel, spätestens dann, wenn die übrigen Hilfen nach §1a AsylbLG eingestellt sind. "Das inteeressiert uns nicht", erklären viele SachbearbeiterInnen den Flüchtlingen, die unter Verweis auf akute Krankheitssymptome und Schmerzen um Krankenscheine bitten. Manche verwenden zur Ablehnung die Mittel der Körpersprache und halten sich Augen und Ohren zu.
  "Zwecks Gewährung von Krankenhilfe ist die Vorlage eines Attestes eines niedergelassenen Arztes unter Angabe der akuten Erkrankung erforderlich", führt gegenüber dem Verwaltungsgericht die Rechtsstelle des Sozialamtes Wedding als Begründung aus. Wie die Flüchtlinge sich ohne einen Pfennig Bargeld und ohne Krankenschein solche Atteste beschaffen sollen, bleibt offen. Inzwischen musste die betroffene Mutter blutspuckend ins Krankenhaus eingewiesen werden, eine schwere bakterielle Infektion wurde diagnostiziert, auch ihr Kind wird inzwischen wegen einer Lungeninfektion stationär behandelt.
  Die "behaupteten Schmerzzustände" seien "unglaubwürdig", da "jedes Krankenhaus akute Erkrankungen behandeln würde", erklärte die Rechtsstelle des Sozialamtes Prenzlauer Berg dem Verwaltungsgericht. Dieses hat die Entscheidung in zwei Instanzen als von §1a AsylbLG gedeckt bestätigt: "Die behaupteten Zahn- und Augenschmerzen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Es ist auch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass insoweit ein unaufschiebbarer Behandlungsbedarf besteht." Auf welche Weise der Flüchtling seine Schmerzen, deren Diagnose er nicht kennt, und deren akuten Behandlungsbedarf er näher glaubhaft machen bzw. darlegen soll - ohne Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen - bleibt allein das Geheimnis der VerwaltungsrichterInnen.
  Regelmäßig verweigern VerwaltungssachbearbeiterInnen der Sozialämter, JuristInnen der Rechtsstellen der Bezirksämter sowie VerwaltungsrichterInnen die Behandlung von Krankheiten, ohne dass jemals eine ÄrztIn oder AmtsärztIn die PatientIn gesehen und eine Diagnose gestellt hat.
 
  Rot-Grün ist auch nicht besser
  Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht nichts zur endlich fälligen Umsetzung des Kriegsflüchtlingsstatus aus dem Asylkompromiss, nichts zur Aufhebung des Arbeitsverbotes für Kriegs- und andere Flüchtlinge, nichts zur Umsetzung von Abschiebestoppregelungen und auch nichts zum Asylbewerberleistungsgesetz.
  Hört man Rot oder Grün über AusländerInnen reden, geht es um Staatsbürgerschaftssrecht und Klagen darüber, wie sehr man unter Druck gesetzt werde, weil die CDU Unterschriften sammelt. Jedenfalls dürfe man derzeit keine zusätzlichen Dinge fordern, wie die Rücknahme des AsylbLG. Diskutiert man mit grünen SpezialistInnen auf fachlicher Ebene, geht es bisweilen auch noch um einige Mängel im Ausländergesetz, allenfalls jedoch um Mängel bei den sozialen Rechten anerkannter Flüchtlinge.
  Von Asylsuchenden, von Kriegsflüchtlingen ohne gesicherten Status, von "illegalen" bzw. illegalisierten AusländerInnen spricht bei Rot- Grün niemand mehr. Dass Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge nicht arbeiten dürfen, in Lager eingewiesen werden, mit Sachleistungen versorgt werden, mancherorts vielleicht auch gar nichts mehr erhalten, scheint gesellschaftlicher Konsens geworden zu sein - auch bei Rot und Grün.
 
  Georg Classen
 
  Der Autor ist Flüchtlingsberater bei der Passionskirche, E-Mail <georg.classen@berlin.de>l;. Er arbeitet derzeit für PRO ASYL an einem Leitfaden zum AsylbLG. Ausführliche weitere Materialien zum Thema im Internet unter <http://www.proasyl.de>l; im Verzeichnis "aktuell".
 


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