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In keinem Land der Welt werden soviel Pestizide
produziert und exportiert wie in Deutschland - eines der Hauptabnehmerländer
ist Brasilien. Jedes Jahr vergiften sich nach Schätzungen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit über zwei Millionen Landarbeiter
mit Pflanzenschutzmitteln, mindestens 20.000 sterben. Die Hersteller der Gifte
waschen ihre Hände in Unschuld und verweisen lapidar auf die
Gebrauchsanweisung. Doch die meisten Betroffenen sind Analphabeten, die sich eine
teure Schutzkleidung gar nicht leisten können.
In den Kaffeeplantagen Brasiliens kam es in den letzten Jahren zu einer Welle von
Vergiftungen, die durch ein Mittel der Firma Bayer ausgelöst wurde. Die
Staatsanwaltschaft in Manhuacu im Bundesstaat Minas Gerais ermittelt jetzt erstmals
gegen das deutsche Unternehmen, ein leitender Bayer-Manager soll in einem
Strafprozess persönlich angeklagt werden. Anlass der Untersuchungen: Durch
das Pestizid Baysiston, Nr. 1 auf dem brasilianischen Markt, wurden nach Angaben der
Staatsanwaltschaft mehr als dreißig Kaffebauern vergiftet, zwölf davon
tödlich. Landarbeiterorganisationen schätzen die Zahl der gesundheitlich
Geschädigten sogar auf mehrere hundert.
Umweltverbände sprechen außerdem von schweren ökologischen
Schäden, die Umweltweltschutzorganisation Associação Mineira de
Defesa do Ambiente (AMDA) hat Bayer in seine "Dirty List" der zehn
gefährlichsten Unternehmen aufgenommen.
Der ermittelnde Staatsanwalt Eduardo Nepomuceno beklagt die verharmlosende
Werbung, die die möglichen Risiken des Pestizids völlig ausklammert.
"In einem Zivilprozess auf Schadenersatz ist die Firma Bayer die
Hauptverantwortliche, weil sie das Produkt auf den Markt bringt. In einem Strafprozess
ist an Bayer als juristische Person nicht heranzukommen, vielleicht aber an einen
Angestellten der Firma als Urheber."
Ein Bayer-Sprecher weist zwar die Vorwürfe zurück, da sich die Firma
"stark in der Anwenderaufklärung engagiere". Trotzdem wurde jetzt
bekannt, dass der Konzern 100.000 Real (rund 140.000 DM) in einen von
Nepomuceno initiierten Hilfsfonds eingezahlt hat - ein gewisses Unrechtsbewusstsein
scheint also durchaus vorhanden zu sein. Dem Staatsanwalt zufolge möchte das
Unternehmen eine Verurteilung um jeden Preis vermeiden und strebt daher einen
Vergleich an - in diesem Zusammenhang muss wohl auch die freiwillige Zahlung
verstanden werden.
Für den Umgang mit dem extrem giftigen Pestizid, dessen Zusammensetzung in
Deutschland seit 20 Jahren nicht mehr zugelassen ist, gelten in Brasilien strenge
Sicherheitsbestimmungen, wie etwa das Tragen von Atemgeräten und
Schutzkleidung. Eine solche Ausrüstung ist jedoch für die meist armen
Landarbeiter nicht erschwinglich und wegen der tropischen Temperaturen sowieso
nicht verwendbar. Viele Kaffebauern sind zudem Analphabeten und können
daher die Sicherheitshinweise für die hochtoxischen Stoffe nicht lesen.
Außerdem werden durch die in Brasilien omnipräsente Werbung für
Baysiston die Risiken in den Hintergrund gedrängt, viele Kaffebauern glauben
sogar, Baysiston sei ein Düngemittel zur Ertragssteigerung. Nach Ansicht des
Pflanzenschutzexperten Mathias Frost, tätig für die Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ), verstößt Bayer mit dem Vertrieb von
Baysiston gegen den Verhaltenskodex der Welternährungsorganisation (FAO)
zum Verkauf von Pestiziden.
Danach sollen Hersteller vor allem in tropischen Ländern darauf verzichten,
Pestizide in den Handel zu bringen, für deren Handhabung teure
Schutzausrüstung erforderlich ist. Frost fordert das Unternehmen auf, das Mittel
vom Markt zu nehmen, "weil die Anwendung gemäß
Gebrauchsanweisung in Brasilien nicht sicher gewährleistet ist".
Auch Rüdiger Hillmann, Toxikologe der Universitätsklinik Mainz
äußert sich kritisch: "Für die Leute, die das Mittel ohne
Schutzkleidung ausbringen, besteht ein hohes gesundheitliches Risiko bis hin zur
Lebensgefahr. Eine Vergiftung mit einem derartigen Stoff führt in der Regel zu
Muskelkrämpfen, zu Muskelzittern, zu tiefen Bewusstseinseintrübungen
und zu Lähmungen der Muskeln bis hin zum Atemstillstand - dem Tod. Mit
einem solchen Stoff umzugehen heißt, man sollte einen chemischen
Vollschutzanzug tragen, also einen Anzug, der diesen Stoff nicht bis zu der Haut
durchlässt. Und man sollte auch ein Atemschutzgerät tragen, damit
Stäube nicht in die Lunge gelangen können."
Die Bayer AG kontert, dass ihr die Vergiftungsfälle bekannt seien, diese
wären aber nicht die Folge von mangelhafter Aufklärung, sondern allein
von "unsachgemäßer Anwendung". Hierzu Hubert Ostendorf
von der Coordination gegen Bayer-Gefahren: "Es ist zynisch, wenn das
Unternehmen den Betroffenen die Schuld für die Vergiftungen mit dem Hinweis
zuschiebt, sie müssten selbst für wirksame Schutzkleidung sorgen. Die
Verantwortung liegt beim Hersteller, denn ein effektiver Schutz gegen diese Gifte
existiert nicht, schon gar nicht in armen Ländern."
Ostendorf fordert, der Konzern müsse seiner Verantwortung endlich gerecht
werden und den Verkauf der hochgiftigen Agrochemikalien einstellen. "Denn von
dem Pestizideinsatz profitieren lediglich Produzenten wie Bayer sowie skrupellose
Plantagenbesitzer; die Gesundheit der Landarbeiter bleibt auf der Strecke. Alle
Pestizide, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als ‚extrem
gefährlich einstuft, müssen sofort vom Markt genommen
werden!"
Einen Tag nach einem kritischen Bericht in der ARD versandte das Unternehmen eine
Pressemitteilung an "Entscheidungsträger" in Politik und
Aufsichtsbehörden. O-Ton Bayer: "Wären diese Aussagen korrekt,
hätte Bayer wegen seiner Selbstverpflichtung zu ‚Verantwortlichem Handeln
(Responsible Care) schon längst drastische Konsequenzen gezogen.
Tatsache ist, dass Baysiston als Standardpräparat im brasilianischen
Kaffeeanbau wegen seiner guten Wirkung sehr bekannt und geschätzt ist. Das
Präparat wurde nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in
die Toxizitätsklasse II und damit als mindergiftig eingestuft … Bayer startete
vor Ort eine intensive Aufklärungs- und Schulungskampagne - u.a. mit Filmen,
Demonstrationen sowie Bilderklärungen für Analphabeten.
Außerdem gingen von Bayer beauftragte Mediziner und Toxikologen den von
Ärzten und Hospitälern gemeldeten Vergiftungsfällen eingehend
nach. Bis auf Einzelfälle mit leichten Symptomen konnten alle anderen
angeblichen Baysiston-Vergiftungen auf andere Krankheitsursachen
zurückgeführt werden."
Hierzu Uwe Friedrich vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN): "Diese selten
schwache Presseerklärung belegt das schlechte Gewissen des Konzerns. Die von
der ARD recherchierten Fakten werden in keiner Weise entkräftet. Stattdessen
wird lediglich auf die bestehenden Selbstverpflichtungen verwiesen, gegen die bereits
seit Jahren Verstöße gemeldet werden. Eine schlichte Lüge ist die
Aussage, eine Einstufung des Pestizids in die Toxizitätsklasse II würde
eine Mindergiftigkeit bedeuten. In Wahrheit entspricht einer Klassifizierung der Stufe
II die Bewertung ‚hazardous (gefährlich), was insbesondere in tropischen
Regionen eine reale Gefahr darstellt. Die hohe Wertschätzung, von der Bayer
spricht, resultiert aus der flächendeckenden Werbung, die die bestehenden
Gefahren schlicht ignoriert, nicht aber aus einer sicheren Handhabbarkeit. Und selbst
wenn Bayer vor Ort Aufklärungskampagnen betrieben hat, so können
diese nicht sehr umfassend gewesen sein, denn weder die interviewten Landarbeiter
noch der Staatsanwalt hatten von ihnen zuvor gewusst."
Von einer Recherche vor Ort in Minas Gerais berichtet André Schösser:
"Bei einem Besuch im Dorf Espera Feliz, weit oben in einer gebirgigen Region
im Staate Minas Gerais, begegnete ich zum ersten mal in Brasilien einer scheinbar
intakten Natur. Da wir seit längerer Zeit die ersten Deutschen im Dorf waren,
wurden wir bald vom Bürgermeister eingeladen. Doch sehr schnell wurde ich
dort aus meinen Träumen herausgerissen. ‚Kennt ihr die Firma Bayer?
fragte man uns. Wir erfuhren, dass Bayer seit einigen Jahren in Minas Gerais das
hochgiftige ‚Pflanzenschutzmittel Baysiston vertreibt. Das Mittel führt
zwar zu Ertragssteigerungen, aber seitdem es eingesetzt wird, treten zahlreiche
Erkrankungen unter den Kaffeebauern auf - und sogar Todesfälle.
Viele Bewohner des Dorfes haben Angst. Immer mehr Plantagenbesitzer setzen das
‚Wundermittel aus Europa mit großem Erfolg ein. Doch immer wieder
hören sie erschreckende Nachrichten von schweren Erkrankungen, die nicht
selten zum Tode führen. Die Menschen der Region vertrauen blindlings den
weiterentwickelten Technologien aus Europa, erkennen aber nicht, dass man sie auf
Kosten ihrer Gesundheit restlos ausbeutet. Ungenügende Aufklärung
durch die Firma Bayer führte mittlerweile dazu, dass die Bauern das Mittel zum
Düngen ihrer Mais- und Bohnenpflanzen verwenden. Es gelangt somit direkt in
die Nahrungskette, mit fatalen Folgen für die Bevölkerung.
Die Menschen in Minas Gerais baten uns um Hilfe und gaben uns das Gefühl,
als seien wir für sie die letzte Hoffnung in ihrem aussichtslosen Kampf gegen die
Firma Bayer. Durch ein Telefonat, dass ich in Deutschland mit Bayer führte,
erfuhr ich, dass dem Unternehmen bewusst ist, was in der Region geschieht. Ein
leitender Mitarbeiter sagte: Baysiston darf nur mit einer speziellen Maschine, nicht aber
mit der Hand ausgebracht werden. Wenn dies nicht beachtet wird, trifft die Schuld
allein die Bauern. Außerdem wurde uns in dem Telefonat versprochen, einen
Beauftragen nach Espera Feliz zu schicken. Vier Monate später war noch
niemand da.
Eine zweiten Reise nach Brasilien erfolgte für das ARD-Magazin Report. Im
Dorf Matipo befragten wir einen Bauern, der Baysiston ausstreut - ohne
Schutzkleidung und nur mit einem kleinen Löffel. Dieser Kaffeebauer
bestätigte uns, dass viele seiner Freunde auf diese Weise mit Baysiston arbeiten
und dass es überhaupt kein Problem sei, in den Geschäften Baysiston zu
kaufen. Weiter erfuhren wir, dass nahe der Stadt Simonese Bodenproben entnommen
wurden, um die Stärke der Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel zu
untersuchen.
Wir trafen auf eine Doktorin der Bodenkunde aus Belo Horizonte. Sie zeigte uns, wie
stark erosionsgefährdet die Anbauflächen für Kaffee sind und dass
selbst beim Vergraben von Baysiston in einer Tiefe von 7-8 cm der starke Regen das
Granulat aus dem Boden schwemmt. Selbst bei einer Anwendung mit Maschinen
sickert Baysiston ins Grundwasser und verseucht die naheliegenden
Bäche.
In Simonese interviewten wir weitere Opfer von Baysiston: Zunächst die Witwe
eines Mannes, der aufgrund einer Vergiftung durch Baysiston starb. Er ließ sie
mit vier Kindern zurück, die sie nun selbst verpflegen muss. Ein anderes Opfer
war ein guter Freund des verstorbenen Mannes. Sie brachten zusammen das Gift auf
den Feldern aus, und er vergiftete sich ebenfalls. Er lag sechs Tage im Koma und
entging dem Tod nur, weil er jünger und kräftiger war. Noch heute leidet
er stark unter den Folgen der Vergiftung. […]
Jedes der Opfer konnte bezeugen, dass die Verpackungen kaum erkennbare
Warnhinweise hatten und dass die Lieferanten kein Wort über die
Gefährlichkeit des Produktes verloren, ja sogar damit warben, man könne
Baysiston sogar als Düngemittel verwenden. […]
Am letzten Tag versuchten wir, auf eigene Faust Baysiston zu kaufen, denn nach den
Angaben von Bayer sollte gerade dies unmöglich sein. Nur mit Vorlage eines
Rezepts und der Zusicherung, dass man einen Großbetrieb unterhält, sollte
es möglich sein, Baysiston zu erhalten. Ein befreundeter Radiomoderator war
uns hierbei sehr behilflich und schon nach kurzer Zeit bekam er ohne das geringste
Problem eine Kiste Baysiston verkauft, ohne auch nur den geringsten Hinweis auf
eventuelle Gefahren."
Philipp Mimkes (CBG)
Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), Postfach 150418, 40081
Düsseldorf, Fon (0211) 333911, Fax (0211) 333940.