Artikel SoZ

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 10

Kaffeeanbau mit tödlichen Nebenwirkungen

Staatsanwalt ermittelt gegen Bayer

In keinem Land der Welt werden soviel Pestizide produziert und exportiert wie in Deutschland - eines der Hauptabnehmerländer ist Brasilien. Jedes Jahr vergiften sich nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit über zwei Millionen Landarbeiter mit Pflanzenschutzmitteln, mindestens 20.000 sterben. Die Hersteller der Gifte waschen ihre Hände in Unschuld und verweisen lapidar auf die Gebrauchsanweisung. Doch die meisten Betroffenen sind Analphabeten, die sich eine teure Schutzkleidung gar nicht leisten können.
  In den Kaffeeplantagen Brasiliens kam es in den letzten Jahren zu einer Welle von Vergiftungen, die durch ein Mittel der Firma Bayer ausgelöst wurde. Die Staatsanwaltschaft in Manhuacu im Bundesstaat Minas Gerais ermittelt jetzt erstmals gegen das deutsche Unternehmen, ein leitender Bayer-Manager soll in einem Strafprozess persönlich angeklagt werden. Anlass der Untersuchungen: Durch das Pestizid Baysiston, Nr. 1 auf dem brasilianischen Markt, wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft mehr als dreißig Kaffebauern vergiftet, zwölf davon tödlich. Landarbeiterorganisationen schätzen die Zahl der gesundheitlich Geschädigten sogar auf mehrere hundert.
  Umweltverbände sprechen außerdem von schweren ökologischen Schäden, die Umweltweltschutzorganisation Associação Mineira de Defesa do Ambiente (AMDA) hat Bayer in seine "Dirty List" der zehn gefährlichsten Unternehmen aufgenommen.
  Der ermittelnde Staatsanwalt Eduardo Nepomuceno beklagt die verharmlosende Werbung, die die möglichen Risiken des Pestizids völlig ausklammert. "In einem Zivilprozess auf Schadenersatz ist die Firma Bayer die Hauptverantwortliche, weil sie das Produkt auf den Markt bringt. In einem Strafprozess ist an Bayer als juristische Person nicht heranzukommen, vielleicht aber an einen Angestellten der Firma als Urheber."
  Ein Bayer-Sprecher weist zwar die Vorwürfe zurück, da sich die Firma "stark in der Anwenderaufklärung engagiere". Trotzdem wurde jetzt bekannt, dass der Konzern 100.000 Real (rund 140.000 DM) in einen von Nepomuceno initiierten Hilfsfonds eingezahlt hat - ein gewisses Unrechtsbewusstsein scheint also durchaus vorhanden zu sein. Dem Staatsanwalt zufolge möchte das Unternehmen eine Verurteilung um jeden Preis vermeiden und strebt daher einen Vergleich an - in diesem Zusammenhang muss wohl auch die freiwillige Zahlung verstanden werden.
  Für den Umgang mit dem extrem giftigen Pestizid, dessen Zusammensetzung in Deutschland seit 20 Jahren nicht mehr zugelassen ist, gelten in Brasilien strenge Sicherheitsbestimmungen, wie etwa das Tragen von Atemgeräten und Schutzkleidung. Eine solche Ausrüstung ist jedoch für die meist armen Landarbeiter nicht erschwinglich und wegen der tropischen Temperaturen sowieso nicht verwendbar. Viele Kaffebauern sind zudem Analphabeten und können daher die Sicherheitshinweise für die hochtoxischen Stoffe nicht lesen.
  Außerdem werden durch die in Brasilien omnipräsente Werbung für Baysiston die Risiken in den Hintergrund gedrängt, viele Kaffebauern glauben sogar, Baysiston sei ein Düngemittel zur Ertragssteigerung. Nach Ansicht des Pflanzenschutzexperten Mathias Frost, tätig für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), verstößt Bayer mit dem Vertrieb von Baysiston gegen den Verhaltenskodex der Welternährungsorganisation (FAO) zum Verkauf von Pestiziden.
  Danach sollen Hersteller vor allem in tropischen Ländern darauf verzichten, Pestizide in den Handel zu bringen, für deren Handhabung teure Schutzausrüstung erforderlich ist. Frost fordert das Unternehmen auf, das Mittel vom Markt zu nehmen, "weil die Anwendung gemäß Gebrauchsanweisung in Brasilien nicht sicher gewährleistet ist".
  Auch Rüdiger Hillmann, Toxikologe der Universitätsklinik Mainz äußert sich kritisch: "Für die Leute, die das Mittel ohne Schutzkleidung ausbringen, besteht ein hohes gesundheitliches Risiko bis hin zur Lebensgefahr. Eine Vergiftung mit einem derartigen Stoff führt in der Regel zu Muskelkrämpfen, zu Muskelzittern, zu tiefen Bewusstseinseintrübungen und zu Lähmungen der Muskeln bis hin zum Atemstillstand - dem Tod. Mit einem solchen Stoff umzugehen heißt, man sollte einen chemischen Vollschutzanzug tragen, also einen Anzug, der diesen Stoff nicht bis zu der Haut durchlässt. Und man sollte auch ein Atemschutzgerät tragen, damit Stäube nicht in die Lunge gelangen können."
  Die Bayer AG kontert, dass ihr die Vergiftungsfälle bekannt seien, diese wären aber nicht die Folge von mangelhafter Aufklärung, sondern allein von "unsachgemäßer Anwendung". Hierzu Hubert Ostendorf von der Coordination gegen Bayer-Gefahren: "Es ist zynisch, wenn das Unternehmen den Betroffenen die Schuld für die Vergiftungen mit dem Hinweis zuschiebt, sie müssten selbst für wirksame Schutzkleidung sorgen. Die Verantwortung liegt beim Hersteller, denn ein effektiver Schutz gegen diese Gifte existiert nicht, schon gar nicht in armen Ländern."
  Ostendorf fordert, der Konzern müsse seiner Verantwortung endlich gerecht werden und den Verkauf der hochgiftigen Agrochemikalien einstellen. "Denn von dem Pestizideinsatz profitieren lediglich Produzenten wie Bayer sowie skrupellose Plantagenbesitzer; die Gesundheit der Landarbeiter bleibt auf der Strecke. Alle Pestizide, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als ‚extrem gefährlich‘ einstuft, müssen sofort vom Markt genommen werden!"
  Einen Tag nach einem kritischen Bericht in der ARD versandte das Unternehmen eine Pressemitteilung an "Entscheidungsträger" in Politik und Aufsichtsbehörden. O-Ton Bayer: "Wären diese Aussagen korrekt, hätte Bayer wegen seiner Selbstverpflichtung zu ‚Verantwortlichem Handeln (Responsible Care)‘ schon längst drastische Konsequenzen gezogen. Tatsache ist, dass Baysiston als Standardpräparat im brasilianischen Kaffeeanbau wegen seiner guten Wirkung sehr bekannt und geschätzt ist. Das Präparat wurde nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Toxizitätsklasse II und damit als mindergiftig eingestuft … Bayer startete vor Ort eine intensive Aufklärungs- und Schulungskampagne - u.a. mit Filmen, Demonstrationen sowie Bilderklärungen für Analphabeten. Außerdem gingen von Bayer beauftragte Mediziner und Toxikologen den von Ärzten und Hospitälern gemeldeten Vergiftungsfällen eingehend nach. Bis auf Einzelfälle mit leichten Symptomen konnten alle anderen angeblichen Baysiston-Vergiftungen auf andere Krankheitsursachen zurückgeführt werden."
  Hierzu Uwe Friedrich vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN): "Diese selten schwache Presseerklärung belegt das schlechte Gewissen des Konzerns. Die von der ARD recherchierten Fakten werden in keiner Weise entkräftet. Stattdessen wird lediglich auf die bestehenden Selbstverpflichtungen verwiesen, gegen die bereits seit Jahren Verstöße gemeldet werden. Eine schlichte Lüge ist die Aussage, eine Einstufung des Pestizids in die Toxizitätsklasse II würde eine Mindergiftigkeit bedeuten. In Wahrheit entspricht einer Klassifizierung der Stufe II die Bewertung ‚hazardous‘ (gefährlich), was insbesondere in tropischen Regionen eine reale Gefahr darstellt. Die hohe Wertschätzung, von der Bayer spricht, resultiert aus der flächendeckenden Werbung, die die bestehenden Gefahren schlicht ignoriert, nicht aber aus einer sicheren Handhabbarkeit. Und selbst wenn Bayer vor Ort Aufklärungskampagnen betrieben hat, so können diese nicht sehr umfassend gewesen sein, denn weder die interviewten Landarbeiter noch der Staatsanwalt hatten von ihnen zuvor gewusst."
  Von einer Recherche vor Ort in Minas Gerais berichtet André Schösser: "Bei einem Besuch im Dorf Espera Feliz, weit oben in einer gebirgigen Region im Staate Minas Gerais, begegnete ich zum ersten mal in Brasilien einer scheinbar intakten Natur. Da wir seit längerer Zeit die ersten Deutschen im Dorf waren, wurden wir bald vom Bürgermeister eingeladen. Doch sehr schnell wurde ich dort aus meinen Träumen herausgerissen. ‚Kennt ihr die Firma Bayer?‘ fragte man uns. Wir erfuhren, dass Bayer seit einigen Jahren in Minas Gerais das hochgiftige ‚Pflanzenschutzmittel‘ Baysiston vertreibt. Das Mittel führt zwar zu Ertragssteigerungen, aber seitdem es eingesetzt wird, treten zahlreiche Erkrankungen unter den Kaffeebauern auf - und sogar Todesfälle.
  Viele Bewohner des Dorfes haben Angst. Immer mehr Plantagenbesitzer setzen das ‚Wundermittel‘ aus Europa mit großem Erfolg ein. Doch immer wieder hören sie erschreckende Nachrichten von schweren Erkrankungen, die nicht selten zum Tode führen. Die Menschen der Region vertrauen blindlings den weiterentwickelten Technologien aus Europa, erkennen aber nicht, dass man sie auf Kosten ihrer Gesundheit restlos ausbeutet. Ungenügende Aufklärung durch die Firma Bayer führte mittlerweile dazu, dass die Bauern das Mittel zum Düngen ihrer Mais- und Bohnenpflanzen verwenden. Es gelangt somit direkt in die Nahrungskette, mit fatalen Folgen für die Bevölkerung.
  Die Menschen in Minas Gerais baten uns um Hilfe und gaben uns das Gefühl, als seien wir für sie die letzte Hoffnung in ihrem aussichtslosen Kampf gegen die Firma Bayer. Durch ein Telefonat, dass ich in Deutschland mit Bayer führte, erfuhr ich, dass dem Unternehmen bewusst ist, was in der Region geschieht. Ein leitender Mitarbeiter sagte: Baysiston darf nur mit einer speziellen Maschine, nicht aber mit der Hand ausgebracht werden. Wenn dies nicht beachtet wird, trifft die Schuld allein die Bauern. Außerdem wurde uns in dem Telefonat versprochen, einen Beauftragen nach Espera Feliz zu schicken. Vier Monate später war noch niemand da.
  Eine zweiten Reise nach Brasilien erfolgte für das ARD-Magazin Report. Im Dorf Matipo befragten wir einen Bauern, der Baysiston ausstreut - ohne Schutzkleidung und nur mit einem kleinen Löffel. Dieser Kaffeebauer bestätigte uns, dass viele seiner Freunde auf diese Weise mit Baysiston arbeiten und dass es überhaupt kein Problem sei, in den Geschäften Baysiston zu kaufen. Weiter erfuhren wir, dass nahe der Stadt Simonese Bodenproben entnommen wurden, um die Stärke der Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel zu untersuchen.
  Wir trafen auf eine Doktorin der Bodenkunde aus Belo Horizonte. Sie zeigte uns, wie stark erosionsgefährdet die Anbauflächen für Kaffee sind und dass selbst beim Vergraben von Baysiston in einer Tiefe von 7-8 cm der starke Regen das Granulat aus dem Boden schwemmt. Selbst bei einer Anwendung mit Maschinen sickert Baysiston ins Grundwasser und verseucht die naheliegenden Bäche.
  In Simonese interviewten wir weitere Opfer von Baysiston: Zunächst die Witwe eines Mannes, der aufgrund einer Vergiftung durch Baysiston starb. Er ließ sie mit vier Kindern zurück, die sie nun selbst verpflegen muss. Ein anderes Opfer war ein guter Freund des verstorbenen Mannes. Sie brachten zusammen das Gift auf den Feldern aus, und er vergiftete sich ebenfalls. Er lag sechs Tage im Koma und entging dem Tod nur, weil er jünger und kräftiger war. Noch heute leidet er stark unter den Folgen der Vergiftung. […]
  Jedes der Opfer konnte bezeugen, dass die Verpackungen kaum erkennbare Warnhinweise hatten und dass die Lieferanten kein Wort über die Gefährlichkeit des Produktes verloren, ja sogar damit warben, man könne Baysiston sogar als Düngemittel verwenden. […]
  Am letzten Tag versuchten wir, auf eigene Faust Baysiston zu kaufen, denn nach den Angaben von Bayer sollte gerade dies unmöglich sein. Nur mit Vorlage eines Rezepts und der Zusicherung, dass man einen Großbetrieb unterhält, sollte es möglich sein, Baysiston zu erhalten. Ein befreundeter Radiomoderator war uns hierbei sehr behilflich und schon nach kurzer Zeit bekam er ohne das geringste Problem eine Kiste Baysiston verkauft, ohne auch nur den geringsten Hinweis auf eventuelle Gefahren."
  Philipp Mimkes (CBG)
 
  Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), Postfach 150418, 40081 Düsseldorf, Fon (0211) 333911, Fax (0211) 333940.
 


zum Anfang