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Das Friedensabkommen vom Karfreitag 1998
gerät unter Druck. Es gibt vermehrt Stimmen aus den Reihen der nordirischen
Unionisten sowie der konservativen Tory-Opposition in London, die Vereinbarung
auszusetzen. Auf verschiedenen Ebenen wird versucht, den Friedensprozeß zu
sabotieren. Damit wollen sie die Ergebnisse der Volksabstimmungen, die große
Mehrheiten für den Friedensprozeß brachten, revidieren.
Die größte nordirische Partei, die Ulster-Unionisten, mit ihrem
Vorsitzenden, dem nordirischen Chefminister David Trimble, weigert sich einstweilen,
einer Vereinbarung zur Umsetzung des Friedensabkommens zuzustimmen, von der
bereits angenommen wurde, daß sie unterschriftsreif sei.
Die Unionisten haben weiterhin Bauchschmerzen mit der Teilnahme von Sinn
Féin an der zu bildenden Nordirland-Exekutive, und sie widersetzen sich enger
politischer Zusammenarbeit mit Dublin. Hier insbesondere bei der Bildung
grenzüberschreitender gesamtirischer Institutionen.
Ebenso fordern sie nach wie vor die Ausmusterung der Waffenarsenale der IRA sowie
einen Stopp der Freilassung politischer Gefangener. Unionisten und Tories versuchen,
die Freilassung der politischen Gefangenen auf unbegrenzte Zeit auszusetzen, doch ihr
Anliegen scheiterte bislang im Unterhaus.
Die Labour-Regierung weiß nur zu gut, daß eine Aussetzung der
Freilassungen eine schwere Belastung für den Friedensprozeß wäre.
In der Bevölkerung besitzen die politischen Gefangenen hohes Ansehen, und eine
quasi doppelte Geiselnahme der Gefangenen als Faustpfand für politisches
Taktieren würde bei den Menschen auf scharfe Ablehnung
stoßen.
Die Forderung nach Ausmusterung der Waffen der IRA ist ebenso ein künstlich
errichtetes Hindernis. Die republikanische Bewegung hat immer betont, daß eine
Waffenübergabe der IRA nur eingebettet sein kann in einer Phase umfassender
allgemeiner Entmilitarisierung aller zur Zeit bewaffneten Kräfte unter
Einschluß der Arsenale der britischen Armee.
Im internationalen Kontext wäre es auch einmalig, daß nur eine der
Konfliktparteien vor einer endgültigen Umsetzung eines Friedensabkommens
ihre Waffen abgeben müßte. In den bisherigen Vereinbarungen wird
ausdrücklich nicht gefordert, daß vor Umsetzung des Abkommens die IRA
ihre Waffen abgeben muß.
Die Belagerung der von Katholiken bewohnten Garvaghy Road in der LVF-Hochburg
Portadown hält an. Die LVF (Loyalist Volunteer Force) ist zur Zeit die
radikalste loyalistische Organisation. Die Belagerung steht im engen Zusammenhang
mit dem Plan der Loyalisten, den Friedensprozeß zu kippen.
Seit Juli hat es in Portadown mehr als 130 Protestparaden gegeben, das heißt fast
täglich. Das No Camp der Belagerer ist ein Kristallisierungspunkt militanter
Kräfte.
Erst im Dezember lieferten sich wieder 1000 Militante Straßenschlachten mit der
Polizei, die es bisher ablehnte, das Camp zu räumen. Das Erzwingen des
Durchmarschrechts durch die katholische Garvaghy Road ist zum Dreh- und
Angelpunkt der Straßenmobilisierung des Oranier-Ordens geworden. Er hofft,
daß er im Sommer nach einjähriger Belagerung Zehntausende von
Loyalisten nach Portadown mobilisieren kann, um den kurzen Marsch durch die
Straße zu erzwingen.
Klar ist, daß diese Kraftprobe eine tödliche Bedrohung für die
Stabilität in der Region bedeuten könnte. An einen Dialog mit den
Einwohnern, zu dem diese immer wieder auffordern, ist der Orden nicht bereit. Sie
vergleichen ihre Situation mit der von Mississippi in den 60er Jahren, also mit der Lage
der nichtweißen Bevölkerung damals.
Hardliner unter den Loyalisten, wie Billy Hutchinson von der PUP (Progressive
Unionist Party), einer eng mit der paramilitärischen UVF verbundenen Partei,
warnte, daß bei einem Scheitern des Abkommens der Tourismus sowie die
Landwirtschaft in Südirland "leichte Ziele" für
Terroranschläge seien.
Das bedeutet, daß die militärische Struktur der Loyalisten die Planung
für neue Operationen bereits abgeschlossen hat. Diese ernstzunehmenden
Warnungen beziehen sich auf den Zeitraum nach einem möglichen Scheitern der
Gespröäche über eine Regelung der Waffenübergabe der
IRA. Regierungsstellen in Dublin bezeichneten die PUP-Stellungnahme als
"abscheulich" und betonten, die Sicherheitskräfte seien auf
loyalistische Angriffe vorbereitet.
Im Norden wird diese "Strategie der Spannung" bereits umgesetzt.
Zahlreiche "sektiererische" Anschläge gegen Katholiken sind in den
letzten Wochen von Paramilitärs verübt worden, verantwortlich zeichnete
sich öfters eine Organisation namens Orange Volunteers, von der angenommen
wird, daß sie entweder eine Abspaltung oder ein Tarnname der LVF
ist.
Zu Ostern wird Bilanz gezogen, ob ein Jahr nach dem Vertragsschluß
substantielle Fortschritte erreicht worden sind. Gegenwärtig kann aber nicht
gesagt werden, daß zu diesem Zeitpunkt nicht schon wieder die Waffen
sprechen.
Falls die militärische Auseinandersetzung aber wieder die politische Ebene in
den Hintergrund drängt, dann sind diejenigen daran schuld, die konsequent auf
die Beendigung des Friedensprozesses hinarbeiten, nämlich die unbelehrbaren
Unionisten und Loyalisten in den six counties sowie ihre Helfershelfer bei den Tories
und im britischen Geheimdienst. Die Friedenssehnsucht der Menschen ist allerdings,
trotz aller Manöver, ungebrochen.
Paul Stern