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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 12

Nordirland

Friedensprozeß wird torpediert

Das Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 gerät unter Druck. Es gibt vermehrt Stimmen aus den Reihen der nordirischen Unionisten sowie der konservativen Tory-Opposition in London, die Vereinbarung auszusetzen. Auf verschiedenen Ebenen wird versucht, den Friedensprozeß zu sabotieren. Damit wollen sie die Ergebnisse der Volksabstimmungen, die große Mehrheiten für den Friedensprozeß brachten, revidieren.
  Die größte nordirische Partei, die Ulster-Unionisten, mit ihrem Vorsitzenden, dem nordirischen Chefminister David Trimble, weigert sich einstweilen, einer Vereinbarung zur Umsetzung des Friedensabkommens zuzustimmen, von der bereits angenommen wurde, daß sie unterschriftsreif sei.
  Die Unionisten haben weiterhin Bauchschmerzen mit der Teilnahme von Sinn Féin an der zu bildenden Nordirland-Exekutive, und sie widersetzen sich enger politischer Zusammenarbeit mit Dublin. Hier insbesondere bei der Bildung grenzüberschreitender gesamtirischer Institutionen.
  Ebenso fordern sie nach wie vor die Ausmusterung der Waffenarsenale der IRA sowie einen Stopp der Freilassung politischer Gefangener. Unionisten und Tories versuchen, die Freilassung der politischen Gefangenen auf unbegrenzte Zeit auszusetzen, doch ihr Anliegen scheiterte bislang im Unterhaus.
  Die Labour-Regierung weiß nur zu gut, daß eine Aussetzung der Freilassungen eine schwere Belastung für den Friedensprozeß wäre. In der Bevölkerung besitzen die politischen Gefangenen hohes Ansehen, und eine quasi doppelte Geiselnahme der Gefangenen als Faustpfand für politisches Taktieren würde bei den Menschen auf scharfe Ablehnung stoßen.
  Die Forderung nach Ausmusterung der Waffen der IRA ist ebenso ein künstlich errichtetes Hindernis. Die republikanische Bewegung hat immer betont, daß eine Waffenübergabe der IRA nur eingebettet sein kann in einer Phase umfassender allgemeiner Entmilitarisierung aller zur Zeit bewaffneten Kräfte unter Einschluß der Arsenale der britischen Armee.
  Im internationalen Kontext wäre es auch einmalig, daß nur eine der Konfliktparteien vor einer endgültigen Umsetzung eines Friedensabkommens ihre Waffen abgeben müßte. In den bisherigen Vereinbarungen wird ausdrücklich nicht gefordert, daß vor Umsetzung des Abkommens die IRA ihre Waffen abgeben muß.
  Die Belagerung der von Katholiken bewohnten Garvaghy Road in der LVF-Hochburg Portadown hält an. Die LVF (Loyalist Volunteer Force) ist zur Zeit die radikalste loyalistische Organisation. Die Belagerung steht im engen Zusammenhang mit dem Plan der Loyalisten, den Friedensprozeß zu kippen.
  Seit Juli hat es in Portadown mehr als 130 Protestparaden gegeben, das heißt fast täglich. Das No Camp der Belagerer ist ein Kristallisierungspunkt militanter Kräfte.
  Erst im Dezember lieferten sich wieder 1000 Militante Straßenschlachten mit der Polizei, die es bisher ablehnte, das Camp zu räumen. Das Erzwingen des Durchmarschrechts durch die katholische Garvaghy Road ist zum Dreh- und Angelpunkt der Straßenmobilisierung des Oranier-Ordens geworden. Er hofft, daß er im Sommer nach einjähriger Belagerung Zehntausende von Loyalisten nach Portadown mobilisieren kann, um den kurzen Marsch durch die Straße zu erzwingen.
  Klar ist, daß diese Kraftprobe eine tödliche Bedrohung für die Stabilität in der Region bedeuten könnte. An einen Dialog mit den Einwohnern, zu dem diese immer wieder auffordern, ist der Orden nicht bereit. Sie vergleichen ihre Situation mit der von Mississippi in den 60er Jahren, also mit der Lage der nichtweißen Bevölkerung damals.
  Hardliner unter den Loyalisten, wie Billy Hutchinson von der PUP (Progressive Unionist Party), einer eng mit der paramilitärischen UVF verbundenen Partei, warnte, daß bei einem Scheitern des Abkommens der Tourismus sowie die Landwirtschaft in Südirland "leichte Ziele" für Terroranschläge seien.
  Das bedeutet, daß die militärische Struktur der Loyalisten die Planung für neue Operationen bereits abgeschlossen hat. Diese ernstzunehmenden Warnungen beziehen sich auf den Zeitraum nach einem möglichen Scheitern der Gespröäche über eine Regelung der Waffenübergabe der IRA. Regierungsstellen in Dublin bezeichneten die PUP-Stellungnahme als "abscheulich" und betonten, die Sicherheitskräfte seien auf loyalistische Angriffe vorbereitet.
  Im Norden wird diese "Strategie der Spannung" bereits umgesetzt. Zahlreiche "sektiererische" Anschläge gegen Katholiken sind in den letzten Wochen von Paramilitärs verübt worden, verantwortlich zeichnete sich öfters eine Organisation namens Orange Volunteers, von der angenommen wird, daß sie entweder eine Abspaltung oder ein Tarnname der LVF ist.
  Zu Ostern wird Bilanz gezogen, ob ein Jahr nach dem Vertragsschluß substantielle Fortschritte erreicht worden sind. Gegenwärtig kann aber nicht gesagt werden, daß zu diesem Zeitpunkt nicht schon wieder die Waffen sprechen.
  Falls die militärische Auseinandersetzung aber wieder die politische Ebene in den Hintergrund drängt, dann sind diejenigen daran schuld, die konsequent auf die Beendigung des Friedensprozesses hinarbeiten, nämlich die unbelehrbaren Unionisten und Loyalisten in den six counties sowie ihre Helfershelfer bei den Tories und im britischen Geheimdienst. Die Friedenssehnsucht der Menschen ist allerdings, trotz aller Manöver, ungebrochen.
  Paul Stern
 


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