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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 15

"My name is Joe"*

Der Film beginnt mit einer Großaufnahme von Joe (Peter Mullan). Er ist Alkoholiker, wozu er sich in dieser Szene bekennt. Dafür bekommt er von seinen ZuhörerInnen Beifall. Der Film beginnt optimistisch. Joe bekennt sich zu seiner Sucht und scheint Erfolg bei ihrer Bekämpfung zu haben. Hinzu kommen Arbeitslosigkeit und notorischer Geldmangel, aber Joes Leben ist nicht trostlos. Er hat einen guten Freund (Shanks), den er früher als Alkoholiker und "Penner" verachtet hat, als er sich selbst noch nicht zu seiner Sucht bekennen konnte. Joe betreut eine Fußballmannschaft, die in alten und abgetragenen Trikots der BRD aus den 70er Jahren spielt. Sie verliert zwar ständig - vielleicht eine Anspielung auf das Abschneiden der BRD bei der letzten WM -, was aber den Spaß am Spiel nicht beeinträchtigt. Es spricht für Ken Loachs Sinn für Humor, wenn er hier eine zehntklassige Mannschaft auflaufen läßt, auf deren Trikots so wohlklingende Namen wie Netzer und Beckenbauer stehen. Später setzt Loach noch eins drauf, indem er eben diese Mannschaft in brasilianischen (!) Trikots auflaufen läßt, auf denen Namen wie Pele und Rivelino prangen. Jeder Fußballfan, der seine Leidenschaft mit einer gewissen Selbstironie betrachtet, wird seine helle Freude an diesen Szenen haben.
  Joe kümmert sich um eine junge Familie. Liam (David McKay) und Sabine (Annemarie Kennedy), die einen Sohn namens Scott haben, sind zwar zwei Ex-Junkies, aber auch sie scheinen ihr Leben mit Joes Hilfe in den Griff zu bekommen. Liam spielt in Joes "deutsch-brasilianischer" Fußballmannschaft, was ihm auch menschlichen Halt gibt.
  Und da ist dann noch die Sozialarbeiterin Sarah (Louise Goodall), Joes große Liebe. Zuerst streiten sie sich, weil Sarah nach Joes Meinung falsch mit Liam und Sabine umgeht, doch dann kommen sie sich doch näher. Die Darstellung, wie zwei im Grunde genommen sehr verletzliche Menschen zusammenkommen, gehört zu den gelungensten und anrührendsten Szenen des Films. Loachs Sinn für Ironie und sein Humor vermeiden weitgehend Pathos und Kitsch. Er macht sich aber auch nie über seine Figuren lustig und vermeidet so ein Abgleiten in Zynismus.
  So scheint alles zum besten zu stehen. Auch ohne Geld kommen alle durch gegenseitige Hilfe zurecht und stellen so ein kleines alltägliches Gegenmodell zu den herrschenden Verhältnissen dar. Es wird hier aber keine Idylle geschildert. Es werden einfache Leute gezeigt, die mit Humor und Phantasie ihre beschissene Situation einigermaßen zu meistern scheinen.
  Aber es gibt auch Schattenseiten, für die die äußeren Umstände nicht verantwortlich sind. Joe ist nicht nur der eckige aber sympathische "nice guy" mit dem "typisch britischen" Sinn für Galgenhumor. Er kann auch richtig ausrasten. Gegenüber dem Detektiv vom Sozialamt, der ihn bei "Schwarzarbeit" für seine künftige Geliebte erwischt, was ihm eine einwöchige Sperre der Unterstützung einbringt, kann man es noch verstehen. Joe hat die Sympathie der ZuschauerInnen auf seiner Seite.
  Doch es gibt auch ein wirklich dunkles Kapitel in seinem Leben. Er hat im Suff seine frühere Freundin zusammengeschlagen, was unentschuldbar ist und was er auch bereut. Es liegt also nicht nur an den widrigen Umständen, wenn zum Schluß alles schief geht, sondern auch an Joe selbst. Sabine wird rückfällig. Joe läßt sich mit dem Gangster McGowan ein, um Liam und Sabine zu helfen. Dabei belügt er Sarah, gegenüber der er nicht zugeben will und kann, daß er einen Auftrag für einen Drogendealer ausführt. Liam sagt einen falschen Satz zur falschen Zeit und verrät so Joes Vorhaben an Sarah.
  Jetzt beginnt eine wirklich tragische Verstrickung, die aber ebenfalls zu keinem Zeitpunkt pathetisch oder gar kitschig wirkt. Sarah will Joe verlassen. Um das zu verhindern, läßt Joe seinen Freund Liam im Stich, indem er den Auftrag von McGowan dann doch ablehnt. Das hat zur Folge, daß sich Liam das Leben nimmt. Die Liebe von Joe und Sarah zerbricht trotzdem. Joe hängt wieder an der Flasche und Sabine an der Nadel.
  Am Ende des Films, der so optimistisch begonnen hat, steht das Scheitern. Das scheint das Thema des Films zu sein. Dabei verbreitet Ken Loach aber keinen falschen Weltschmerz. Er erweckt vielmehr den Eindruck, daß alles, was Joe unternommen hat, den Versuch wert war. Er setzt den herrschenden Verhältnissen und den charakterlichen Schwächen der Menschen ein mutiges "Trotzdem" entgegen. Denn nur, wenn man etwas unternimmt, wird sich etwas ändern, zum Guten oder zum Schlechten. Wenn man nichts macht, wird es auf jeden Fall schlimmer.
  Die letzte Szene macht dann auch wieder ein wenig Mut. Bei Liams Beerdigung sind alle versammelt und am Schluß läuft Joe zu Sarah. Das Ende des Films ist offen. Trotz des tragischen Endes ist die Wendung zum besseren nicht ausgeschlossen. Die ZuschauerInnen werden nicht entmutigt zurückgelassen.
  Nach seinem gelungenen Film über den spanischen Bürgerkrieg und seinem mißlungenen Werk über die Revolution in Nicaragua ist Loach vom großen historischen Ereignis wieder zum Leben der "kleinen Leute" zurückgekehrt. My name is Joe ist zwar sicher nicht Loachs bester Film, aber er gehört zu jenen Filmen, die Mut für den Alltag machen, so wie Land and Freedom trotz des negativen Endes Mut für die Revolution macht.
  Andreas Bodden
 
  *My Name is Joe, Großbritannien 1998, Buch: Paul Laverty, Regie: Ken Loach; mit Peter Mullan, Louise Goodall u.a.
 


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