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Der Film beginnt mit einer Großaufnahme von
Joe (Peter Mullan). Er ist Alkoholiker, wozu er sich in dieser Szene bekennt.
Dafür bekommt er von seinen ZuhörerInnen Beifall. Der Film beginnt
optimistisch. Joe bekennt sich zu seiner Sucht und scheint Erfolg bei ihrer
Bekämpfung zu haben. Hinzu kommen Arbeitslosigkeit und notorischer
Geldmangel, aber Joes Leben ist nicht trostlos. Er hat einen guten Freund (Shanks), den
er früher als Alkoholiker und "Penner" verachtet hat, als er sich
selbst noch nicht zu seiner Sucht bekennen konnte.
Joe betreut eine Fußballmannschaft, die in alten und abgetragenen Trikots der
BRD aus den 70er Jahren spielt. Sie verliert zwar ständig - vielleicht eine
Anspielung auf das Abschneiden der BRD bei der letzten WM -, was aber den
Spaß am Spiel nicht beeinträchtigt. Es spricht für Ken Loachs Sinn
für Humor, wenn er hier eine zehntklassige Mannschaft auflaufen
läßt, auf deren Trikots so wohlklingende Namen wie Netzer und
Beckenbauer stehen. Später setzt Loach noch eins drauf, indem er eben diese
Mannschaft in brasilianischen (!) Trikots auflaufen läßt, auf denen Namen
wie Pele und Rivelino prangen. Jeder Fußballfan, der seine Leidenschaft mit einer
gewissen Selbstironie betrachtet, wird seine helle Freude an diesen Szenen
haben.
Joe kümmert sich um eine junge Familie. Liam (David McKay) und Sabine
(Annemarie Kennedy), die einen Sohn namens Scott haben, sind zwar zwei Ex-Junkies,
aber auch sie scheinen ihr Leben mit Joes Hilfe in den Griff zu bekommen. Liam spielt
in Joes "deutsch-brasilianischer" Fußballmannschaft, was ihm auch
menschlichen Halt gibt.
Und da ist dann noch die Sozialarbeiterin Sarah (Louise Goodall), Joes große
Liebe. Zuerst streiten sie sich, weil Sarah nach Joes Meinung falsch mit Liam und
Sabine umgeht, doch dann kommen sie sich doch näher. Die Darstellung, wie
zwei im Grunde genommen sehr verletzliche Menschen zusammenkommen,
gehört zu den gelungensten und anrührendsten Szenen des Films. Loachs
Sinn für Ironie und sein Humor vermeiden weitgehend Pathos und Kitsch. Er
macht sich aber auch nie über seine Figuren lustig und vermeidet so ein
Abgleiten in Zynismus.
So scheint alles zum besten zu stehen. Auch ohne Geld kommen alle durch gegenseitige
Hilfe zurecht und stellen so ein kleines alltägliches Gegenmodell zu den
herrschenden Verhältnissen dar. Es wird hier aber keine Idylle geschildert. Es
werden einfache Leute gezeigt, die mit Humor und Phantasie ihre beschissene Situation
einigermaßen zu meistern scheinen.
Aber es gibt auch Schattenseiten, für die die äußeren
Umstände nicht verantwortlich sind. Joe ist nicht nur der eckige aber
sympathische "nice guy" mit dem "typisch britischen" Sinn
für Galgenhumor. Er kann auch richtig ausrasten. Gegenüber dem
Detektiv vom Sozialamt, der ihn bei "Schwarzarbeit" für seine
künftige Geliebte erwischt, was ihm eine einwöchige Sperre der
Unterstützung einbringt, kann man es noch verstehen. Joe hat die Sympathie der
ZuschauerInnen auf seiner Seite.
Doch es gibt auch ein wirklich dunkles Kapitel in seinem Leben. Er hat im Suff seine
frühere Freundin zusammengeschlagen, was unentschuldbar ist und was er auch
bereut. Es liegt also nicht nur an den widrigen Umständen, wenn zum
Schluß alles schief geht, sondern auch an Joe selbst. Sabine wird
rückfällig. Joe läßt sich mit dem Gangster McGowan ein, um
Liam und Sabine zu helfen. Dabei belügt er Sarah, gegenüber der er nicht
zugeben will und kann, daß er einen Auftrag für einen Drogendealer
ausführt. Liam sagt einen falschen Satz zur falschen Zeit und verrät so
Joes Vorhaben an Sarah.
Jetzt beginnt eine wirklich tragische Verstrickung, die aber ebenfalls zu keinem
Zeitpunkt pathetisch oder gar kitschig wirkt. Sarah will Joe verlassen. Um das zu
verhindern, läßt Joe seinen Freund Liam im Stich, indem er den Auftrag
von McGowan dann doch ablehnt. Das hat zur Folge, daß sich Liam das Leben
nimmt. Die Liebe von Joe und Sarah zerbricht trotzdem. Joe hängt wieder an der
Flasche und Sabine an der Nadel.
Am Ende des Films, der so optimistisch begonnen hat, steht das Scheitern. Das scheint
das Thema des Films zu sein. Dabei verbreitet Ken Loach aber keinen falschen
Weltschmerz. Er erweckt vielmehr den Eindruck, daß alles, was Joe
unternommen hat, den Versuch wert war. Er setzt den herrschenden
Verhältnissen und den charakterlichen Schwächen der Menschen ein
mutiges "Trotzdem" entgegen. Denn nur, wenn man etwas unternimmt,
wird sich etwas ändern, zum Guten oder zum Schlechten. Wenn man nichts
macht, wird es auf jeden Fall schlimmer.
Die letzte Szene macht dann auch wieder ein wenig Mut. Bei Liams Beerdigung sind
alle versammelt und am Schluß läuft Joe zu Sarah. Das Ende des Films ist
offen. Trotz des tragischen Endes ist die Wendung zum besseren nicht ausgeschlossen.
Die ZuschauerInnen werden nicht entmutigt zurückgelassen.
Nach seinem gelungenen Film über den spanischen Bürgerkrieg und
seinem mißlungenen Werk über die Revolution in Nicaragua ist Loach
vom großen historischen Ereignis wieder zum Leben der "kleinen
Leute" zurückgekehrt. My name is Joe ist zwar sicher nicht Loachs bester
Film, aber er gehört zu jenen Filmen, die Mut für den Alltag machen, so
wie Land and Freedom trotz des negativen Endes Mut für die Revolution
macht.
Andreas Bodden
*My Name is Joe, Großbritannien 1998, Buch: Paul Laverty, Regie: Ken Loach;
mit Peter Mullan, Louise Goodall u.a.