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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 5

Nigeria

Zivile Regierung nach 15 Jahren Diktatur?

Olusegun Obasanjo ist Sieger der Präsidentschaftswahlen vom 27.Februar in Nigeria. Knapp 70 Prozent der Wahlberechtigten des 110 Millionen Einwohner zählenden westafrikanischen Staates gaben ihre Stimme ab. 62 Prozent stimmten für Obasanjo, 38 Prozent für den Gegenkandidaten Olu Falae, der für die beiden anderen Parteien, die Allianz für Demokratie (ADP) und die Allgemeine Volkspartei (APP), als Präsidentschaftskandidat antrat.
  Falae bezeichnete die Wahlen als "vollständig manipuliert" und will sie gerichtlich anfechten. Die rund 300 internationalen Wahlbeobachter sprachen auch von "Unregelmäßigkeiten im Wahlablauf", wollten jedoch nicht von "systematischen Betrügereien" sprechen. Die Beobachter der Europäischen Union erklärten, daß es keine Beweise für Versuche gebe, das "Ergebnis grundlegend zu verfälschen".
  Die Demokratische Volkspartei (PDP) des früheren Militärmachthabers Obasanjo war schon Siegerin der nigerianischen Parlamentsschaftswahlen am vorhergehenden Wochenende. Die Partei hat sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus die absolute Mehrheit gewonnen. Der amtierende General Abdulsalam Abubakar, Nachfolger des 1998 verstorbenen Militärherrschers Sani Abacha, hat die Ablösung des Militärrats als gesetzgebendes Organ durch das neu gewählte Parlament für den 29.Mai angekündigt.
  Beide Kandidaten, Obasanjo und Falae, saßen während des Abacha-Regimes mehrere Jahre im Gefängnis. Erst nach dem Tod des Diktators hatte sie Abubakar kurz nach seiner Amtsübernahme mit zahlreichen anderen Häftlingen freigelassen. Nicht überlebt hatte damals der als Sieger aus den später annulierten 93er Präsidentschaftswahlen hervorgegangene Moshood Abiola. Er starb kurz vor seiner Freilassung, nachdem Abubakar gegenüber UN-Generalsekretär Kofi Annan die Entlassung Abiolas aus der Haft nur dann in Aussicht gestellt hatte, wenn er darauf verzichte, sich "öffentlich zum rechtmäßigen Präsidenten zu erklären".
  Parlaments- und Präsidentschaftswahlen werden in dem seit 15 Jahren von einer Militärdiktur, die in enger Kooperation mit den Ölkonzernen Shell, Chevron und British Petroleum das Land ausgeblutet hat, eine hohe Bedeutung auf dem Weg zur Demokratie beigemessen. Die Beteiligung an den Parlamentswahlen war im Gegensatz zu den Präsidentschaftswahlen gering: nur 20 Prozent der 40 Millionen Wahlberechtigten fanden den Weg zur Urne.
  Die meisten Stimmen wurden im konservativ-moslemischen Norden abgegeben. Obasanjo wie auch sein Konkurrent Falae stammen aus dem hauptsächlich von christlichen Yoruba bewohnten Südwesten des Landes. Trotzdem konnte Obasanjo viele der ausschlaggebenden Stimmen aus dem Norden auf sich vereinen. Er hatte 1979 seinen Stuhl zugunsten des gewählten "Nordlichts" Shehu Shagari geräumt.
  In der PDP, einer breiten Koalition aus Reformpolitikern - unter ihnen viele ehemalige Generäle, die in Gegnerschaft zu Sani Abacha stanen, herrschte Zerstrittenheit wegen der Kandidatur des ehemaligen Generals. Vor allem die Anhänger des unterlegenen Bewerbers Alex Ekwueme hatten für einen klaren Bruch mit der Epoche der Militärherrschaft plädiert.
  Die zweitgrößte Partei APP ist ein Zusammenschluß von reichen Politikern aus dem Norden und Gefolgsleuten Abachas. Vor allem die AD hat ihre Anhänger hingegen im Südwesten Nigerias. Für die AD hat unter anderem Lola Abiola-Edewor, die Tochter Moshood Abiolas, in einem Slum von Lagos kandidiert und zieht nun ins Repräsentantenhaus ein.
  Auch wenn die meisten Nigerianer den Militärs die Verantwortung für das wirtschaftliche Disaster und die weitverbreitete Armut im Land geben - die Spielregeln des Übergangs werden noch weitgehend von ihnen bestimmt. Schon im Vorfeld der Wahlen erließ der noch herrschende Militärrat nicht nur ein Dekret über die Bildung von Parteien, er setzte auch die Wahlkommission ein. Die stattete der Militärrat mit weitaus mehr Kompetenzen als nur der technischen Durchführung und Überwachung der Urnengänge aus.
  An den Governeurswahlen im Januar durften sich auf Geheiß der Wahlkommission nur 35 der 36 Bundesstaaten beteiligen. Den Bewohner Bayelsas, im ölreichen Nigerdelta gelegen und mehrheitlich von den Ijaw bevölkert, untersagte die Wahlkommission die Teilnahme an den Wahlen aus "Sicherheitsgründen".
  Jugendliche hatten in den vergangenen Monaten aus Protest gegen Umweltverschmutzungen erfolgreich die Ausfuhr von Öl blockiert. Abubakar veranlaßte daraufhin den Einmarsch zahlreicher Truppenverbände, die unter der Zivilbevölkerung Massaker anrichteten.
  Auch die Parlamentswahlen wurden wieder in einigen Bezirken des Niger-Deltas, wo sich Mitte der 90er auch der Widerstand des Ogoni-Volkes konzentrierte, ausgesetzt. Wahlbeobachter aus den Staaten der Europäischen Union sowie des Commonwealth sprachen außerdem von Wahlbetrug. Wähler seien nicht in die Wählerverzeichnisse aufgenommen worden und auch die Auszählung sei in vielen Fällen unkorrekt verlaufen.
  Alle drei Parteien sind nicht einmal ein Jahr alt. Sie sind nahezu ohne politisches Profil und unterscheiden sich kaum in der Programmatik, die vor allem den "wirtschaftlichen Aufschwung" Nigerias propagiert. Kritiker bezeichnen sie deshalb als reine "Wahlvereine".
  Gerhard Klas
 


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