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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 6

Metall-Tarifrunde

Chance vertan

Schlichtung statt Streik. Das Ergebnis der Metalltarifrunde ist vielfach als Erfolg der IG Metall kommentiert worden. An der Basis wird das von vielen anders gesehen, obwohl es keinen allgemeinen Aufschrei gab. Der Vertrauenskörper der IG Metall bei Bosch Junkers in Wernau aber etwa schrieb der IG-Metall-Verhandlungskommission einen bösen Brief: "Der Abschluß ist nicht akzeptabel! Wer gibt Euch das Recht, unsere Forderung streiklos zu halbieren? Wir fordern unverzüglich eine Urabstimmung über die Annahme des Schlichtungsspruchs!" Die SoZ sprach mit TOM ADLER, IG-Metall-Aktiver und Betriebsrat bei DaimlerChrysler in Stuttgart.

 
  Hans Mundorf hat sich im Handelsblatt (vom 23.2.) bitterlich über das Ergebnis der Metalltarifrunde beklagt. Dem Dachverband Gesamtmetall fehle die "Tarifmächtigkeit", die IG Metall habe auf der Ebene der Regionen die Möglichkeit, sich den jeweils schwächsten Punkt des Unternehmerlagers auszusuchen und das dort Ausgehandelte dann für überall durchzusetzen. Diese ganze Misere sei der Grund für zunehmende Verbandsflucht. Was hältst du von dieser Bewertung?
 
  Originell sind diese Überlegungen nicht gerade. Regionale Zuständigkeiten in der Tarifpolitik sind nicht neu. Vorteile und Nachteile hat das für beide Seiten. Mundorf baut den Popanz einer IG Metall auf, die Gesamtmetall deshalb strukturell völlig überlegen sei. In Wirklichkeit gibt es eine Vielzahl von tarifpolitischen Regelungen, die in den anderen Tarifbezirken nie durchgesetzt werden konnten. Zum Beispiel die berühmten "Steinkühler-Pausen" (die übrigens inzwischen betrieblich von den Unternehmern wieder weitgehend kassiert worden sind).
  Mundorf empfiehlt Gesamtmetall die "Differenzierung der Metallindustrie in ihre einzelnen Branchen". Damit wiederholt er im Grunde nur, was seit längerem sichtbar ist: Der Tarifvertrag, der einheitliche Mindeststandards für den Verkauf der Ware Arbeitskraft setzt, soll ausgehöhlt, letztlich beseitigt werden - nicht bloß zugunsten von Branchenregelungen, sondern sogar zugunsten von betrieblichen Regelungen. Als "Alternative" nennt Mundorf die Ausstattung von Gesamtmetall "mit einem echten zentralen Verhandlungsmandat". Aber das ist dazu kein Gegensatz, sondern bloß die politische Seite derselben Medaille. Zentrale Verhandlungen würden noch weniger von "unten" beeinflußt werden können.
 
  Wie bewertest du selbst das Ergebnis der Metalltarifrunde, insbesondere die vereinbarte Lohnerhöhung?
 
  Materiell bleibt der Abschluß hinter dem zurück, was die IG Metall selbst als möglich und vernünftig bezeichnet hat. Die Forderung von 6,5 Prozent war ja bereits ein Kompromiß. Sie berücksichtigte den Querschnitt der Metallindustrie und war keineswegs an den Unternehmen orientiert, die wie DaimlerChrysler unverschämt hohe Profite scheffeln. Viele Kollegen sehen das errechnete Volumen von 4,2 Prozent als Schönfärberei. Von der Tariferhöhung von 3,2 Prozent bleiben bei der Laufzeit von 14 Monaten aufs Jahr gerechnet eben keine 3,2 Prozent. Und die Einmalzahlung von 1 Prozent geht nicht in die Struktur ein, das heißt, alle künftigen Lohnerhöhungen werden nur auf den 3,2 Prozent aufbauen. Besonders in den Zeitlohnbereichen wird kritisiert, daß die geforderte Vorweganhebung der Zeitlöhner fallen gelassen wurde. Die Struktur der Lohngruppen wurde nicht geändert. Trotz Willenserklärung in einer Protokollnotiz hat die materielle Weichenstellung für einen neuen Entgeltrahmen nicht stattgefunden.
  Das Ergebnis löst den Anspruch nicht ein, mit dem die IG-Metall-Spitze angetreten war: "Ende der Bescheidenheit". Auf unserer Funktionärskonferenz vergangene Woche hat ein Ortsverwaltungsmitglied, Betriebsratsvorsitzender eines Betriebs, der seit einem Jahr in Konkurs ist, berichtet, daß die Mitglieder sie nach Bekanntwerden des Abschlusses ausgelacht hätten: "Wenn das das Ende der Bescheidenheit ist, was kommt dann in einer - normalen - Tarifrunde und bei schlechteren Bedingungen heraus?"
 
  Neben der Auseinandersetzung um die Entgelterhöhung spielte bei der Tarifrunde auch die von der Kapitalseite hereingetragene Grundsatzfrage der betriebsergebnisabhängigen Einmalzahlungen eine wichtige Rolle. Ist das Thema jetzt gegessen oder ist durch die Komponente der Einmalzahlung eine Art Einfallstor geöffnet worden?
 
  Als strategische Forderung der Kapitalseite wird uns das sicher weiter begleiten. Die Ausprägung, die sich Gesamtmetall vorgestellt hat, konnte verhindert werden. Analog zur "Freiheit, die zentimeterweise stirbt", wird aber auch der Flächentarif und seine Bindungskraft nicht erdrutschartig beseitigt, sondern Zug um Zug ausgehöhlt. Insofern ist auch die betriebliche Festlegung von Auszahlungszeitpunkt und -modus zwar keinesfalls ein Dammbruch, aber doch eines dieser vielen kleinen Schrittchen in Richtung Verbetrieblichung. Irgendwann folgt dann ein Umschlag von Quantität in Qualität.
  Gefährlicher als diese Regelung ist, daß auf betrieblicher Ebene vielfach und zunehmend Entlohnungsmodelle mit wachsenden ertragsabhängigen Bestandteilen vereinbart werden. Auch von der betrieblichen Seite her werden da tarif- und lohnpolitische Fakten geschaffen.
 
  Außer der materiellen gibt es auch eine sozusagen moralische Seite der Angelegenheit. Eigentlich standen die Zeichen auf Streik. Hat das Ergebnis und der Verzicht auf Kampf neue Enttäuschung ausgelöst?
 
  Die Voraussetzungen für eine kampfweise Durchsetzung der Forderung waren ausgesprochen gut. Sowohl die Rahmenbedingungen (z.B. Ertragslage der Unternehmen) als auch die Stimmung in den Belegschaften. Wie immer, wenn Erwartungen und Hoffnungen da sind und Bewegung entsteht, ist auch die Bereitschaft entstanden Druck zu machen. Das Bewußtsein entwickelte sich schneller als in den "Drehbüchern" vorgesehen.
  Die Entwicklung der Kampfbereitschaft holte hier sogar die gut gemeinte Warnstreikplanung der Streikleitung ein. Die ging von Erfahrungen vergangener Jahre aus und wollte mit straffem Zeitplan und relativ wenigen Warnstreiks die "Opferbereitschaft" der Kollegen nicht strapazieren. Der Druck von unten ging aber in die Richtung, die Bewegung auszuweiten. Auch die subjektiven Voraussetzungen dafür, über einen konsequent geführten Kampf wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen, waren also gegeben.
  Daß der Tarifabschluß bei der Masse der Kolleginnen und Kollegen nicht abgelehnt wird, würde ich als "resignative Zufriedenheit" bezeichnen: Man hatte der IG Metall ohnehin nicht mehr zugetraut, hatte erwartet, daß das Ritual so abläuft wie all die Jahre vorher auch.
  Dieses "Vor-Urteil" sehen sie jetzt bestätigt, und darin liegt das eigentliche Problem: Die Chance, einen deutlichen Glaubwürdigkeitsgewinn zu erreichen, wurde verspielt. Eine Reihe von Aktiven, die auch in der Mobilisierung eine vorantreibende Rolle gespielt haben, sind natürlich besonders enttäuscht.
  Ich denke, der Abschluß ist weder ein Sieg, wie der Apparat es bewertet, noch eine Niederlage. Für das Kräfteverhältnis ist es der Erhalt des Status quo.
 
  Wie ordnest du diese Tarifrunde in den gesamtpolitischen Kontext ein?
 
  Die politische Einflußnahme einerseits, die politische Rücksichtnahme andererseits waren ja nicht zu übersehen. Kanzler Schröder und Schlichter Vogel verkündeten unisono: "Die Republik verträgt keinen Arbeitskampf, das wäre Gift fürs politische Klima." Wann soll die Republik denn dann überhaupt noch Arbeitskämpfe vertragen, wenn das angesichts all der Superprofitjahre heute das sozialdemokratische Credo ist? Insofern ist die Politik der Streikvermeidung ein Stückweit vorauseilender Gehorsam gegenüber den Unternehmerforderungen, Tarifpolitik müsse im "Bündnis für Arbeit" auf die Tagesordnung.
  Gewerkschaftliche Unabhängigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu demonstrieren gerade auch gegenüber der neuen Regierung wäre sehr wichtig gewesen - das steht also noch aus.
  Die neue Regierung allein beschert uns jedenfalls nicht das Ende der neoliberalen Politik und der Umverteilung von unten nach oben, allenfalls eine etwas vorsichtiger moderierte. Für eine wirklich andere Politik müssen andere gesellschaftliche Grundströmungen entstehen, erzeugt werden, dafür müssen Massen in Bewegung. Wieso wurde die zeitliche Nähe der Tarifrunden von Metall, ÖTV, HBV nicht genutzt, um gemeinsam ein größeres Bewegungspotential zu erreichen? Das wird nicht von tariftechnischen Sachzwängen verhindert, sondern von verkehrter politischer Scheu vor dem gesellschaftlichen Großkonflikt - und von falscher Rücksichtnahme auf die Regierungskoalition.
 


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