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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 7

Eine "braune Internationale"?

Front National, deutsche Rechte und ihre internationalen Beziehungen

Der französische Neofaschismus, der seit den frühen 80er Jahren seinen parteipolitisch organisierten Ausdruck durch den Front National (FN) gefunden hatte und große nationale und internationale Aufmerksamkeit erregte, ist derzeit in zwei konkurrierende Formationen aufgespalten. Der innerparteiliche Machtkampf beim FN, der im Dezember 1997 zwischen dem Parteigründer und seitherigen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen und seinem bisherigen Chefideologen Bruno Mégret ausbrach, hat damit zu einem vorläufigen organisatorischen Bruch geführt. Nunmehr gibt es den Rumpf-FN hinter dem alternden Chef Le Pen und den am 23./24.Januar 1999 auf einem Kongreß in Marignane bei Marseille ausgerufenen Front National - Mouvement National (Nationale Front - Nationale Bewegung, FN-MN) unter Mégret. Vorläufig ist dieser Bruch deshalb, weil es sich hier nicht um eine politische Spaltung handelt, die auf Dauer zur Existenz zweier getrennter Parteien führen müßte, sondern eher um eine vorübergehende Wachstumskrise der französischen neofaschistischen Bewegung. Für diese ist der alternde Le Pen, "nachdem er jahrelang ihre Lokomotive war, zum Klotz am Bein geworden", wie der FN-Kader Jean-Yves Le Gallou feststellte.
  Auch wenn eine Zeit lang zwei neofaschistische Formationen sich gegenseitig die Legitimität, den "wahren" FN zu bilden, streitig machen können: auf Dauer wird das modernisierte "Modell" des Neofaschismus þ la Bruno Mégret mit hoher Wahrscheinlichkeit den Sieg über das Häuflein von Traditionalisten rund um Le Pen davontragen. Denn zweiteres hält außer der Loyalität zur Person Jean-Marie Le Pens keine nennenswerte inhaltliche Perspektive mehr zusammen. Mégret und seine Anhänger hingegen intervenieren vor wie nach dem Bruch mit der "alten" Parteistruktur aktiv an unterschiedlichen gesellschaftlichen Fronten. Sie haben insbesondere die strategische Bedeutung der "sozialen Frage" erkannt. So war es Mégret, der Mitte der 90er Jahre dem FN eine Strategie diktierte, die 1995/96 zur Gründung neofaschistischer "Gewerkschaften" und Mietervereinigungen im sozialen Wohnungsbau führte.
  Schon aus Altersgründen - Le Pen wird im Juni dieses Jahres 71, Mégret im kommenden April 50 - ist nahezu klar, wem die Zukunft des französischen Neofaschismus gehört. Der einzige Grund, der zu einem anderen Verlauf führen könnte, wäre ein Scheitern des Mégret-Flügels bei den Wahlen zum Europa-Parlament im Juni 1999. Dennoch genießt Le Pen eine höhere Anziehungskraft auf den politisch inaktiven Teil seiner Wählerschaft, während Mégret den Großteil des Apparats und der Kader des Neofaschismus für sich gewinnen konnte.
  In den Wahlen zum Europa-Parlament liegt der Schlüssel für ein wichtiges Projekt des Neofaschismus: dem der Kooperation und Kontaktbildung mit rechtsextremen Parteien anderer Länder. Nach der Europa-Parlamentswahl 1989 gab es bereits eine gemeinsame Fraktion von vier neofaschistischen Parteien aus unterschiedlichen westeuropäischen Staaten.
 
  "Vorbild" für die extreme Rechte in Deutschland?
 
  Der Front National hatte, jedenfalls bis zu seiner jüngsten Spaltung, lange Jahre hindurch eine klare Vorbildfunktion für die extreme Rechte in Deutschland. Die Le Pen-Partei in Frankreich, die bei den Europa-Parlamentswahlen im Juni 1984 den landesweiten Durchbruch erzielte, war den rechtsextremen Wahlerfolgen in Österreich und Deutschland um ein paar Jahre voraus. Dies hat dem FN den Status eines nachahmenswerten Modells verliehen. Darüber hinaus hatte die extreme Rechte in Frankreich ein Ausmaß an Autonomie vom politischen Establishment erlangt, von dem ihre Nachahmer in Deutschland bisher nur träumen konnten.
  Der Hintergrund ist, daß man in Frankreich eine deutliche Polarisierung zwischen sozialen Kräften und zwischen links und rechts beobachten kann, während in Deutschland ein weitgehend entpolitisierter politisch-gesellschaftlicher Konsens vorherrscht. Die politischen Auswirkungen der seit Ende der 70er Jahre in beiden Ländern einsetzenden sozialen Transformationen (teilweiser Abschied vom fordistischen Produktionsmodell, Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, Ende der Vollbeschäftigung und einsetzende Massenarbeitslosigkeit, einseitige Aufkündigung des sozialen Konsensmodells) sind daher denkbar unterschiedlich. Während in Frankreich in den letzten 20 Jahren bei ausnahmslos jeder nationalen Parlamentswahl die politische Mehrheit wechselte, herrschte trotz vergleichbarer sozialer Verwerfungen in Deutschland überwiegend eine politische Hyperstabilität vor.
 
  Diplomatie des FN: Von den REPs zur DVU
 
  Die französischen Neofaschisten als "großer Bruder" und Vorbild versuchten ihrerseits, aktiven Einfluß auf die chronisch in konkurrierende Parteien gespaltene extreme Rechte in Deutschland zu nehmen, um sie zu einer Bündelung ihrer Kräfte zu bewegen. Dabei verfügte der FN zugleich immer über privilegierte Kontakte zu einer bestimmten Strömung im Lager der deutschen Nazinachfolger. Jahrelang waren dies die Republikaner (REPs). Seit Anfang 1998 ist diese Option dem Anschein nach endgültig passé. Nunmehr wollen der Front National und die DVU zusammen ein Wahlbündnis für die nächsten Europaparlamentswahlen bilden.
  Als die REPs im Januar 1989 ins Westberliner Abgeordnetenhaus einzogen, zögerte der Front National keinen Moment, Kontakte zu den neuen Aufsteigern am rechten Rand zu knüpfen. Und so schien es aus Sicht der damals von Franz Schönhuber geführten REPs selbstverständlich, nach der Wahl ins Europa-Parlament im Juni 1989 eine gemeinsame Fraktion mit den französischen Rechtsextremen sowie den italienischen Kameraden der faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) und den Belgiern vom Vlaams Blok zu bilden. Konflikte sprengten jedoch bald die "Technische Fraktion der Europäischen Rechten", wie der offizielle Titel der Parlamentariergruppe lautete, unter anderem weil die braunen Europa-Parlamentarier aus der BRD hartnäckig auf dem "deutschen Charakter" Südtirols beharrten, während für die MSI-Parlamentarier nicht daran zu rütteln war, daß die Region Alto-Adige zu Italien gehört. Die französischen Teilhaber der Fraktion schlugen sich in diesem Grundsatzstreit zunächst auf die Seite der deutschen REPs.
  Es kam zu einem weiteren Konflikt, als zwei der sechs Europa-Parlamentarier der REPs, Harald Neubauer und Johanna Grund, Ende 1990 ihre Partei verließen. Harald Neubauer war Ende der 80er Jahre - nach einer Karriere bei NPD und DVU - der "Kronprinz" Schönhubers bei den REPs geworden. Dieser warf ihn jedoch 1990 wegen extremistischer Abweichung aus der Partei. 1991 beteiligte sich Neubauer führend an der Gründung der Deutschen Allianz, die wenig später in Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) umgetauft wurde. Schönhuber forderte den FN ultimativ auf, die beiden Abtrünnigen aus der Europa-Parlamentsfraktion auszuschließen, was die Franzosen jedoch verweigerten. In der Folgezeit gehörten Neubauer und Grund der von Jean-Marie Le Pen geführten Parlamentariergruppe in Straßburg an. Franz Schönhuber zögerte in jener Zeit nicht, den Front National öffentlich zu denunzieren. Später wurde Schönhuber in der mittlerweile eingestellten deutschen Zeitschrift Tango mit der Aussage zitiert, der Front National habe "Verbindungen zu Gruppen in Deutschland, die ich als Nazis und Kriminelle bezeichnen würde".
 
  Pack schlägt sich, Pack verträgt sich
 
  Doch, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, und man raufte sich immer wieder zusammen. Dem wurde im Frühjahr 1994 definitiv ein Ende gesetzt, zum einen dadurch, daß die italienischen Rechtsextremen ihre "postfaschistische" Wandlung erklärten und sich nunmehr energisch vom Front National distanzierten. Zum anderen aber auch durch das Scheitern der REPs an der Fünf-Prozent-Hürde, das ihren erneuten Einzug ins Europa-Parlament verhinderte.
  Franz Schönhuber wurde im Frühherbst 1994 vom Bundesvorsitz der REPs abgesägt. Hinter seiner Absetzung verbargen sich grundlegende strategische Differenzen. Während Schönhuber beabsichtigte, die REPs darauf zu orientieren, die Sprengkraft der sozialen Frage auszunutzen und einen scharfen Konfrontationskurs gegenüber dem konservativen Lager einzuschlagen, strebte sein Nachfolger Rolf Schlierer danach, die Republikaner zum potentiellen Regierungs- und Koalitionspartner der Unionsparteien zu mausern.
  Damit stand Schönhubers Konzeption jener des Franzosen Le Pen, der seit Ende der 80er Jahre einen "systemoppositionellen" Kurs eingeschlagen hat, eindeutig näher als die Schlierers. Auf dem letzten Kongreß des Front National am Osterwochenende 1997 in Straßburg war denn auch der geschaßte Ex-REP Franz Schönhuber mit einem Grußwort vertreten, während die aktuelle Führung der Republikaner ebenso abwesend war wie die italienischen "Postfaschisten" der Alleanza Nazionale (AN) oder die österreichischen Freiheitlichen. Deren jeweilige Führer Gianfranco Fini und Jörg Haider bezeichnete der FN-Chef in seiner Kongreßrede kaum verblümt als Verräter.
  Als die Wochenzeitung des Front National National Hebdo am 3.Juli 1997 Franz Schönhubers neues Buch Jean-Marie Le Pen, der Rebell. Der Front National, ein Modell für Deutschland vorstellte, nutzte der "Dissident" der REPs die Gelegenheit zum Anschwärzen seines Nachfolgers. Daneben stellte Schönhuber den FN als nachahmenswertes Modell hin. Nach dem Erscheinen seines Werks stellte Schönhuber dieses schließlich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Jean-Marie Le Pen am 5.Dezember 1997 in München vor.
 
  Die vielfältigen Kontakte des Front National
 
  Parallel zur engen Zusammenarbeit mit Franz Schönhuber verfolgt der Front National eine breitgefächerte Strategie, unterschiedliche und untereinander verfeindete Formationen der extremen Rechten zu konzentrieren. So übt sich Yvan Blot, Mitgründer der "neu-rechten" Denkfabrik Club de l‘Horloge (ein Ableger des "neu- rechten" think-tanks GRECE), Europa-Parlamentarier des Front National und regionaler Parteichef im nördlichen Elsaß, seit längerem in Polittourismus östlich des Rheins. Er nahm am Gründungskongreß der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) teil, der am 3.Oktober 1990 in Villingen-Schwenningen stattfand. Am 19.November 1990 traf Yvan Blot den Münchener Neonazi Bela Ewald Althans auf dem geschichtsrevisionistischen "Leuchter-Kongreß" in München. Blot gibt an, zu dieser Veranstaltung von Harald Neubauer eingeladen worden zu sein.
  Im Oktober 1997 nahm Yvan Blot am "Wartburgfest" der von Alfred Mechtersheimer geleiteten Deutschland-Bewegung teil. Am 18.Oktober 1997 trat er auf dem Bundesparteitag der REPs im bayerischen Dietmannsried auf, wo er eine Grußbotschaft von Jean-Marie Le Pen vortrug. Der Chef der französischen Neofaschisten fordert darin die Republikaner auf, mit allen "demokratischen und nationalen Kräften in Deutschland zusammen(zu)arbeiten". In der Folgezeit erklärte die Führung der REPs, die Partei sei zur Bildung einer gemeinsamen Europa-Parlamentsfraktion der rechtsextremen Formationen bereit. Jean-Marie Le Pen sei dabei ohne Zweifel der Kopf der Eurorechten.
  Am 2.November 1997 trat Yvan Blot im oberbayerischen Kösching auf einem Treffen der Nation & Europa Freunde e.V. auf, das nach Eigenangaben rund 800 "Patrioten" aus Deutschland, Belgien und Frankreich anzog. Für den 22.Mai 1998 war ein Auftritt Yvan Blots in der Region des baden-württembergischen Villingen- Schwenningen angekündigt.
  Nach dem "Erdrutsch" zugunsten der DVU bei der Landtagswahl vom 26.April 1998 in Sachsen-Anhalt beeilte sich Jean-Marie Le Pen sogleich, dem DVU-Chef und Münchener Großverleger Gerhard Frey zu seinem Erfolg zu gratulieren. Ein baldiges Zusammentreffen der beiden Männer wurde angekündigt, das dann tatsächlich am 15.Juni 1998 in Strasbourg stattfand. Zeitgleich wurde ruchbar, daß Franz Schönhuber im selben Jahr in Bayern auf einer DVU-Liste kandidieren wolle, was in der Folgezeit bestätigt wurde. Tatsächlich kandidierte Schönhuber sowohl zur Wahl des Bundestags 1998 als auch zu der des Europa-Parlaments 1999 jeweils als Spitzenkandidat der DVU-Liste in Bayern. Es mag Zufall sein, daß der sich ohnehin für frankophil haltende Schönhuber seine politische "Vernunftehe" mit Frey, anläßlich ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in München, mit der deutsch-französischen Aussöhnung nach Kriegsende verglich. Mit Gewißheit aber dürfte der Franzose Jean-Marie Le Pen nicht unschuldig daran gewesen sein, daß sich die beiden Deutschen, früher Erzrivalen, "ausgesöhnt" haben.
  Zum Abschluß des Bundestagswahlkampfs 1998 der DVU war schließlich ein gemeinsamer Auftritt von Franz Schönhuber und Gerhard Frey zusammen mit Jean-Marie Le Pen auf der großen Abschlußkundgebung der Rechtsextremen am 26.September 1998 - dem Vortag der Wahl - in Passau vorgesehen. Le Pen sagte kurz vorher ab, möglicherweise deshalb, weil er am darauffolgenden Tag einen Strafprozeß wegen Gewalttätigkeiten an der sozialistischen Parlamentskandidatin Annette Peulvast-Bergeal anstehen hatte. An Stelle von Le Pen trat in Passau einmal mehr der FN-Politiker Yvan Blot auf.
  Die künftige Entwicklung der Kontakte zwischen den französischen Rechtsextremen und ihren deutschen Gesinnungsfreunden wird davon abhängen, wie lange die Spaltungssituation innerhalb des französischen Neofaschismus andauert und wie sich die braunen "Kameraden" östlich des Rheins solange positionieren. Franz Schönhuber, der treue Freund Jean-Marie Le Pens, hat über seine Haltung keinen Zweifel gelassen. Er unterstützt offen und eindeutig den Führungsanspruch des alternden FN-Gründers. Hingegen steht der langjährige Deutschlandbeauftragte Le Pens, Yvan Blot, eindeutig auf Seiten Bruno Mégrets.
 
  Spinne im internationalen Netz
 
  Der Front National ist nicht nur in deutschen Landen als Einigungshelfer der extremen Rechten aktiv. Vielmehr muß man die französische Partei als eine Art Spinne in einem Netz internationaler Kontakte verstehen. Dennoch ist nicht davon auszugehen, daß eine mächtige "braune Internationale" ihre Fäden quer durch Europa zieht: Neofaschismus ist heute zuvörderst eine an nationale Grenzen gebundene Realität. Zwar sind einige rechtsextreme Parteien um eine internationale Verflechtung und Verknüpfung bemüht, aber bisher ist das vom FN aufgebaute internationale Kontaktnetz noch (?) nicht als eigenständige Struktur handlungsfähig. Real muß man eher von jeweils bilateralen Beziehungen zwischen dem Front National als der ältesten und stärksten der beteiligten Formationen und mehreren neofaschistischen "Bewegungen" in anderen Ländern ausgehen.
  Die rechtsextremen Parteien in Europa sind derzeit an der Frage ihres Verhältnisses zum Front National in zwei große Lager gespalten. Auf der einen Seite steht die Mehrzahl der großen rechtsextremen Wahlparteien in Westeuropa, die mit dem FN nichts zu tun haben wollen, um ihre "Hoffähigkeit" im konservativen Lager nicht aufs Spiel zu setzen; auf der anderen die osteuropäischen nationalistischen Parteien, bei denen die FN-Ideologie auf fruchtbaren Boden stößt. Zur ersten Gruppe gehören die österreichischen Freiheitlichen, auch wenn deren Führer Jörg Haider sich noch im Juli 1989 in einem Hotel an Genfer See mit Le Pen, Schönhuber und dem Italiener Almirante getroffen haben soll. Am Wochenende vor den Nachwahlen zum Europa-Parlament im Oktober 1996, die den Freiheitlichen ihren bisher größten Triumph vom 28,1 Prozent einbrachten, hat Haider gegenüber der französischen Öffentlichkeit erklärt, es bestünden keine Kontakte zwischen ihm und Le Pen, weil letzterer "rassistische Ideen" vertrete. Wenn Rassisten Rassisten Rassisten schimpfen...
  In dieses Lager gehört vor allem auch die italienische Alleanza Nazionale (AN), die aus dem neofaschistischen MSI hervorgegangen ist. Erst auf der jüngsten "Sommeruniversität" der Front National-Kader, die vom 24. bis 28.August 1998 im südfranzösischen (FN-regierten) Toulon stattfand, stellte der Veranstaltungsleiter klar: "Fini, c‘est fini." Das Wortspiel bedeutet: Fini, das ist vorbei. Auch der Front National-Chefideologe Bruno Mégret erklärt in der FN- nahen Tageszeitung Présent: "Die Strategie, der ich das Wort rede, hat nichts zu tun mit jener von Gianfranco Fini, der in Italien auf sein Programm verzichtet hat und seine Bewegung vollkommen farblos hat werden lassen, um sie unter dem Joch des Establishments durchgehen zu lassen." AN-Chef Gianfranco Fini hatte zuvor dem französischen Publikum in Le Monde den Grund für den Bruch mit dem FN erklärt: "Für uns, AN, hat die Unmöglichkeit, gemeinsame Werte mit dem FN zu definieren, den Abbruch aller Kontakte seit Ende 1989 herbeigeführt, das heißt ab dem Moment, an dem Herr Le Pen ein Bündnis mit den deutschen Republikanern des Herrn Schönhuber eingegangen ist."
  Von Le Pen und vom Front National zumindest verbal distanziert haben sich 1997 ferner zwei rechtsextreme Formationen, die im zurückliegenden Jahr beträchtliche Wahlerfolge feierten: Norwegens Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei) und die dänische "Volkspartei" PPD. Die Motivation der Ablehnung von Kontakten zum FN liegt hier eindeutig nicht in einer moralischen Abneigung gegen dessen rassistische Konzeptionen, sondern in strategischen Weichenstellungen.
  Aus dem Dargestellten sollte nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß der Front National gar keine Bündnispartner im westlichen Europa finde. So dokumentierte das FN-Organ National Hebdo am 24.November 1997 einen Beitrag, den Derek Turner, Rechtsaußen in der britischen Konservativen Partei, in der Zeitschrift Right Now publiziert hatte. Darin gibt dieser zu erkennen, daß er im September 1997 am jährlichen "Blau-Weiß-Rot"-Fest des Front National teilgenommen habe. Er schätze die lepenistischen Ideen, sehe jedoch wegen des Mehrheitswahlrechts aktuell in Großbritannien keine Chance, außerhalb der Konservativen Partei aktiv zu werden. Ferner wurde im Sommer 1998 bekannt, daß der Front National das Wahlkampfmaterial der rechtsextremen schwedischen Partei Sverigedemokraterna (SD) für die am 20.September 1998 stattfindende Parlamentswahl bezahlt hatte. Neben acht Tonnen Broschüren, die der Front National für die schwedische Partei kostenlos in seinen Druckereien herstellen ließ, lieferte der FN einen weiteren Beitrag zu ihrem Wahlkampf: Yvan Blot. Dieser trat am 12.September 1998 in Stockholm im Wahlkampf der SD auf, die sich für eine "ethnisch homogene Nation" einsetzt, aber derzeit nicht über das Stadium einer Splitterpartei hinaus gekommen ist.
 
  Osteuropa, ein fruchtbarer Boden für den FN
 
  Die einzige größere westeuropäische Wahlpartei, die keine Berührungsängste gegenüber dem FN an den Tag legt, ist der Vlaams Blok aus dem flämischen Teil Belgiens. Im östlichen Europa aber, wo der ethnische Nationalismus gegenüber einem oftmals nicht vorhandenen republikanischen Nationenverständnis dominiert und wo die neoliberalen Umbrüche seit dem Ende des realsozialistischen Systems bedeutende Teile der Gesellschaften traumatisiert haben, fällt der FN-Diskurs auf ganz besonders fruchtbaren Boden. Dies gilt gerade auch deshalb, weil der FN seit Ende der 80er Jahre an einen "antikapitalistischen" Diskurs in klassischer faschistischer Manier, genährt mit antisemitischen und antifreimaurerischen Verschwörungsthesen sowie einer starker Sozialdemagogie anknüpft und im Laufe der 90er Jahre einen Kurs der "nationalen Fundamentalopposition" gegen das "liberale System" verfolgt hat. Die kapitalistische "Globalisierung" wird auf diese Weise zum "mondialistischen Komplott" erklärt, wobei die FN-Chiffre mondialisme eine von le monde, die Welt, abgeleitete Ideologie darstellt, die zugleich ähnlich klingt wie mondialisation, die französische Bezeichnung für "Globalisierung". In Ost- und Südosteuropa, wo die neoliberalen Transformations-und Kahlschlagsprozesse ihre sozialen Opfer hinterlassen, stößt dieser Diskurs auf besonders günstige Bedingungen.
  Im Februar 1996 nahm FN-Chef Jean-Marie Le Pen demonstrativ an der Hochzeit des russischen Ultranationalisten Wladimir Shirinowski teil, was allerdings auf deutliche Kritik innerhalb des Front National stieß. Eine längerfristige Kooperation scheint sich daraus bisher nicht ergeben zu haben. Parteipolitische Zusammenarbeit hingegen besteht mit der ungarischen Partei der Wahrheit und des Lebens, MIEP, der Organisation des berüchtigten antisemitischen Schriftstellers Istvan Csurka, bei der Jean-Marie Le Pen als nächstes Station machte: Im Oktober 1996 sprach der FN-Vorsitzende vor mehreren zehntausend Menschen auf einer MIEP-Großkundgebung zum 40.Jahrestag des ungarischen Aufstands von 1956. Die MIEP gehörte in der Folge zu den geistesverwandten Parteien, die beim FN-Kongreß in Straßburg 1997 vertreten waren.
  Im Januar 1997 besuchte Jean-Marie Le Pen in Serbien den Ultranationalisten Vojslav Seselj, seines Zeichens Chef der Serbischen Radikalen Partei (SRS). Seselj und seine Partei sind seit Anfang 1998 Vizepremierminister und Koalitionspartner der serbischen "Sozialisten" unter Präsident Slobodan Milosevic, nachdem die SRS zuvor über 27 Prozent bei den Parlamentswahlen erhalten hatte. Die Serbienvisite Le Pens war innerparteilich heikel, da der katholisch-fundamentalistische Flügel innerhalb des FN seinerseits langjährige Kontakte zur kroatischen extremen Rechten hält.
  Ein Zusammentreffen der Kroaten von der faschistischen HSP (Kroatische Partei des Rechts) unter Dobroloav Paraga - eine Partei, die mit der HOS eine eigene Miliz unter Waffe hält und es schafft, in Rechtsopposition zum national-autoritären Präsidenten Franjo Tudjman zu stehen - mit den Serben der SRS blieb in Straßburg aus. Jedoch nur deswegen, weil der Serbe Seselj kein französisches Visum erhalten hatte, da er zeitgleich in Den Haag wegen Kriegsverbrechen, begangen an der Spitze seiner "Miliz der weißen Adler", angeklagt war.
 
  Europa der Nationalisten
 
  Außer der ungarischen MIEP waren auf dem Straßburger Parteitag des FN die tschechischen Republikaner mit ihrem Generalsekretär Jan Vik vertreten, ferner die damals in Bratislava als Koalitionspartner des Quasidiktators Vladimir Meciar mitregierende Slowakische Nationalistische Partei (SNR) sowie der frühere Offizier der rumänischen Geheimpolizei Securitate zur Zeit des national-stalinistischen Diktators Nicolae Ceausescu, Corneliu Vadem Tudor, als Vorsitzender der Großrumänienpartei (PRM).
  Der PRM stattete Le Pen am 9.November 1997 einen Besuch auf ihrem Kongreß in Bukarest ab, wobei er für Ende 1998 oder Anfang 1999 die offizielle Gründung der Struktur "Euro-Nat" (Europa der Nationalisten) ankündigte. Die Verbindung mit der PRM zeigt die Entwicklungsmöglichkeiten des Neofaschismus auf, wenn er sich auf Verbündete in der sozialen Krisenzone des östlichen und südöstlichen Europa stützt. Dort erscheinen, in Zeiten der post"kommunistischen" Verwirrung, in der Links und Rechts unklare und verzerrte Begriffe darstellen, die braunen Kräfte oftmals als die beste, weil radikalste Alternative zum Elend unter dem Neoliberalismus.
 
  FN und islamischer Fundamentalismus
 
  Nur kurz angerissen werden soll in diesem Zusammenhang die teils nur propagandistisch wirksame, teils echte Suche des FN nach Kontakten außerhalb des sogenannten europäisch- abendländischen Kulturkreises, und vor allem in muslimischen Ländern. Diese auf den ersten Blick für eine Partei wie den Front National erstaunliche Kontaktsuche erklärt sich unschwer, wirft man einen Blick auf die ideologischen Hintergründe. In den 80er Jahren hatte die rechtsextreme Partei eine glasklare antimuslimische Ausrichtung, die sowohl ihrem historischen Erbe aus den Kolonialkriegen als auch ihrer prowestlichen, proatlantischen Orientierung entsprach. "Der Islamismus" galt dem FN damals, neben dem sowjetischen "Kommunismus", als eine der schlimmsten Bedrohungen des weißen und abendländischen Europas. Diese Orientierung hat sich seither radikal gewandelt.
  Zum einen hat der FN mit dem Ende des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation seine prowestliche Orientierung aufgegeben und sich einem radikalen Antiamerikanismus und Antiliberalismus verschrieben. Nach dem Wegfall des "Hauptfeinds Kommunismus", so die neue Analyse des FN, herrscht eine neue Konfrontationslinie in der gesamten Welt vor: die zwischen der liberalen und US-dominierten "One World" einerseits und den "in ihrer Erde verwurzelten", ihre "natürliche Identität bewahrenden" Ethnien und Kulturen andererseits. Damit versucht der FN an die weltweit als Reflex gegen die - als Bedrohung empfundene - kapitalistische Globalisierung erwachenden "Identitätsbewegungen" und insbesondere auch an die nach dem Zerfall des sowjetischen Blocks aufbrechenden ethnischen Nationalismen in Ost- und Südosteuropa anzuknüpfen.
  Erster sichtbarer Ausdruck der neuen weltpolitischen Orientierung war die Stellungnahme des FN während der Golfkrise 1990. Noch im August 1990 ergriff Le Pen klar Position für den Irak, was für einen französischen Politiker zunächst einmal nicht so erstaunlich war, da vor der "Kuwait-Krise" Frankreich der wichtigste ökonomische und politische Partner des Irak gewesen war, und auch Teile des französischen Establishments die Anpassung der Pariser Politik an die US-Linie gegen den Irak heftig kritisiert hatten. Während aber alle großen Parteien im Laufe des Herbst 1990 auf die Linie der US-Kriegspolitik umschwenkten und Frankreich mit eigenen Truppen am Aufmarsch der US- geführten Allianz am Golf beteiligt war, reiste Le Pen im November 1990 nach Bagdad, schüttelte Präsident Saddam Hussein die Hand und durfte zum Dank die letzten französischen Geiseln mit nach Hause geleiten. Damit hatte er den Status eines "Herausforderers des Systems" gewonnen, der eine eigene "Nebenaußenpolitik" verfolgen konnte, welche in diametralem Widerspruch zu jener der Pariser Regierung stand. Während des Zweiten Golfkriegs im Januar/Februar 1991 versuchte Le Pen vor diesem Hintergrund, Verwirrung zu stiften, indem er massenhaft Plakate mit der Aufschrift kleben ließ: "Mitterrand - der Krieg, Le Pen - der Frieden". Pazifismus oder Antimilitarismus war natürlich keineswegs der Beweggrund für die Positionierung der Neofaschisten in diesem Konflikt, sondern allein eine radikal andere Definition der französischen "nationalen Interessen".
  Zudem änderte sich innerhalb des französischen Neofaschismus auch die ideologische Herangehensweise an den Umgang mit den "Fremden". Bislang war dieser im wesentlichen von Ressentiments und "Abwehrinstinkten" gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, vor allem gegen Araber und Muslime, geprägt gewesen. Nunmehr brachten die Intellektuellen aus der "Neuen Rechten" dem FN eine neue Form des Herangehens bei. Nicht "negativ" durch Ressentiments gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, die niemals über die Gefühlsebene hinaus kommen würden, sondern "positiv" und mit einer scheinbar einleuchtenden intellektuellen und "wissenschaftlichen" Begründung untermauert, sollte die "Verteidigung der nationalen Identität" begründet und formuliert werden. Das bedeutete: Es sollte nicht mehr auf den Instinkt abgestellt werden, wonach bestimmte Bevölkerungsgruppen "schlecht" und "unerwünscht" sind, sondern es sollte in einem "positiven" Vorgehen ein allgemeingültiges und angeblich wissenschaftliches Gesetz der menschlichen Gesellschaft formuliert werden. Dieses "Gesetz" lautete: Jeder Mensch ist Bestandteil einer durch Abstammung erworbenen ethnischen und kulturellen "Identität". Jede dieser "Identitäten" ist zu respektieren, gleich viel wert und verlangt lediglich danach, vor der Vermischung mit anderen Kulturen und Ethnien bewahrt zu werden. Man nannte das "Ethnopluralismus". Auf dieser Ebene war es gar nicht mehr nötig, den "Anderen", insbesondere Immigranten aus muslimischen Ländern, ihren Wert als menschliche Wesen abzusprechen. Vielmehr konnte man den Wert auch ihrer "Identität" hochhalten, um fortzufahren, diese Identität könne man ja am besten bewahren, indem man sie vor der Vermischung mit der weißen und abendländischen Identität schützte. Der theoretische Hintergrund der "neurechten" Forderung nach getrennter Entwicklung der "Ethnien und Kulturen" ist natürlich, daß ihre Vertreter den Gedanken immer im Hinterkopf behalten, die "weiße Rasse" sei von Natur aus überlegen und komme daher bei getrennter Entwicklung besser und schneller voran.
  Der islamische Fundamentalismus, der in den 70er und 80er Jahren als reaktionäre Identitätsbewegung in einer Reihe von Ländern erwachte, wurde von diesen rechtsextremen Intellektuellen daher propagandistisch begrüßt. Denn diese Identitätssuche belegte ja in ihren Augen anschaulich das angeblich allgemeingültige Gesetz, wonach alle menschlichen Gesellschaften danach streben, ihre aus der Abstammung heraus resultierende "Identität" zu bewahren. Was wiederum beweise, daß man selbst mit der Forderung nach "Rückkehr der Immigranten", die ja nicht assimilierbar seien und vielmehr nach Rückkehr zu ihrer "ethnischen und kulturellen Wurzel" strebten, recht gehabt habe. Propagandistisch änderte sich der Stellenwert des Islamismus im Diskurs des Front National: Von der finsteren "Bedrohung des Abendlands", die er in den 80er Jahren noch darstellte, wurde er in den 90er Jahren zum "Ausdruck des überall anzutreffenden, natürlichen Identitätsstrebens aller Völker" - um unmittelbar daran die alte Forderung nach Ausweisung aller Immigranten anzuknüpfen.
  Der Schulterschluß zu den islamistischen Bewegungen war freilich zunächst eher auf der propagandistischen Ebene denn auf der Ebene der materiellen Handlungen vorhanden. So begrüßte man zwar indirekt den islamischen Fundamentalismus in Algerien, doch war an eine Kooperation mit algerischen politischen Kräften natürlich nicht zu denken, da jede Annäherung an Menschen oder soziale Kräfte dieses Landes wegen der aus dem Algerienkrieg 1954-62 fortlebenden heftigen Ressentiments völlig undenkbar war. Das schloß nicht aus, Frankreichs Unterstützung für das amtierende Regime in Algier und seine Intervention gegen die Islamisten zu geißeln, da Frankreich im "algerischen Sumpf" nichts verloren habe.
  Mittlerweile aber hat es tatsächlich reale Kontakte zu islamistischen Bewegungen und Regierungen gegeben, die ihrerseits zum Teil den Front National als eine zu ihnen "entfernt verwandte" Identitätsbewegung anerkennen; schließlich fordern auch Teile der Islamisten die Rückkehr der Immigranten aus Europa, um sie vor der westlichen "Dekadenz" und dem Verlust ihrer angeborenen "religiösen Identität" zu bewahren.
  So hat die Pariser Botschaft der Islamischen Republik Iran im Februar 1998 Jean-Marie Le Pen zu einem feierlichen Empfang aus Anlaß des 20.Jahrestags der sogenannten "islamischen Revolution" eingeladen. Im Juli 1999 war es wiederum Jean-Marie Le Pen, der anläßlich der Fußball-WM als Ehrengast der iranischen Botschaft am WM-Spiel Iran gegen USA, das in Lyon stattfand, teilnahm. Im August 1997 hat Le Pen ferner, auf eigenen Wunsch hin, in Istanbul den damals gerade frisch abgesetzten islamistischen Ex- Premierminister Necmettin Erbakan, Chef der inzwischen verbotenen Refah Partisi (Wohlfahrtspartei), getroffen. Wichtig war vor allem der propragandistische Effekt. Von der angestrebten "Kooperation" beider politischen Kräfte, die Le Pen aus diesem Anlaß ankündigte, hat man später nicht mehr viel gehört. Die türkischen Islamisten, die mittlerweile in der RP-Nachfolgepartei, der Tugendpartei, zusammengeschlossen sind, dürften derzeit auch vordringlichere innenpolitische Probleme haben.
  Politische Kohärenz ist dabei nicht unbedingt gefragt, da die guten Kontakte des FN zum mit den Islamisten verfeindeten und laizistisch-nationalistisch orientierten irakischen Regime unter Saddam Hussein seit 1990 niemals abgerissen sind. So reisen Emissäre der französischen Neofaschisten dank der FN-Satellitenorganisation SOS Enfants d‘Irak (SOS Kinder des Irak) regelmäßig in den Irak. SOS Enfants d‘Irak dient vordergründig der humanitären Hilfe für die irakischen Opfer des Embargos. Hauptzweck der Vereinigung ist aber real das Knüpfen von Wirtschaftskontakten für kleine und mittelständische französische Unternehmen.
 


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