Sozialistische Zeitung |
Das Trommelfeuer der Wirtschaft wurde immer rabiater: In einer Kampagne, die wie eine
konzertierte Aktion anmutete, haben Unternehmerverbände, Bundesbank, Versicherungen und die vereinte
mittelständische Mischpoke von Steuerhinterziehern und Immobilienspekulanten dem einzigen Bundesminister den Garaus
gemacht, der es gewagt hat, die Raubzüge der Wirtschaft gegen die unteren und mittleren Einkommensschichten
eindämmen zu wollen. Die Stromkonzerne gaben ihm den Rest, als sie am Dienstag, dem 9.März, ultimativ die
Fortsetzung der "Energiekonsensgespräche" von der Rücknahme der Besteuerung ihrer
Rückstellungen abhängig machten.
Allerdings: Ohne die tatkräftige, wenn auch verdeckt agierende, Mithilfe der sozialdemokratischen Unternehmerfreunde in
Bund und Ländern wäre es nicht zum Rücktritt gekommen. Nicht nur mit Schröder gab es Uneinigkeit in
finanzpolitischen Fragen; Lafontaine war auch im Kreis der europäischen Sozialdemokratie isoliert.
Der französische Amtskollege und Parteifreund Strauss-Kahn wie auch US-Finanzminister Robert Rubin ließen seinen
Vorschlag einer Zielzone für Wechselkurse zwischen Euro, Dollar und Yen, mit dem die Finanzmärkte stärker
reguliert werden sollten, abblitzen; New Labour mokierte sich über seine Pläne einer Steuerharmonisierung in der
EU.
Zu Hause waren es SPD-Landesfürsten wie Wolfgang Clement (NRW), Gerhard Glogowski (Niedersachsen) und Kurt Beck
(Rheinland-Pfalz), die mit als erste gegen die Steuerpläne Sturm liefen.
Clement kann auch unmittelbar für Lafontaines Rücktritt verantwortlich gemacht werden: schließlich unterstehen
Energiekonzerne wie RWE und VEBA, die sich zum Sprachrohr der Stromkonzerne gemacht hatten, der direkten Kontrolle des
Landes NRW und. der dort regierenden SPD. Kanzleramtsminister Bodo Hombach, der neben dem Regierungssprecher und
früheren Bild-Redakteur Bela Anda als einer der Drahtzieher gegen Lafontaine in der Bundesregierung genannt wird, sitzt im
Vorstand der VEBA.
Dabei waren die Zielsetzungen Lafontaines, der für eine "nachfrageorientierte" Politik stand, überaus
gemäßigt: Das einzige Stückchen "Umverteilung" von oben nach unten, das er sich vorgenommen
hatte, um die im Wahlkampf versprochenen Kindergelderhöhungen und Steuersenkungen bei den unteren
Einkommensschichten finanzieren zu können, war eine Kappung der zahlreichen Abschreibungsmöglichkeiten, deren
Ausdehnung in 16 Jahren Kohl-Herrschaft dazu geführt hat, daß deutsche Unternehmer kaum noch Steuern
zahlen.
Beim dritten Stein des Anstoßes, den Lafontaine geliefert hat - sein Vorschlag einer weiteren Zinssenkung, um die
Binnennachfrage zu stärken -, ging es den mauernden Banken nur noch um die Demonstration ihrer Macht: Die
Europäische Zentralbank, an die sich die Aufforderung richtete, lehnte trotzig ab.
Nicht weil sie in der Sache anderer Meinung gewesen wäre. Nach Lafontaines Rücktritt kündigte sie prompt an,
nun doch die Zinsen senken zu wollen. Sie wollte nur demonstrieren, daß sie sich von einem Politiker nichts sagen
läßt. Das gibt einen ersten Vorgeschmack von der Ohnmacht gegenüber den Banken und Konzernen, zu der das
Europa von Maastricht und Amsterdam die Regierungen der Einzelstaaten künftig verdammt.
Lafontaines Rücktritt ist ein Wendepunkt für die Regierung. Selbst wenn am ersten Steuerpaket, das am
19.März im Bundesrat verabschiedet werden soll, nichts mehr geändert wird - die nächsten Schritte der
Steuerreform, und nicht nur diese, werden künftig, wie angekündigt, "im Konsens mit den Unternehmern"
erfolgen.
Jetzt schon sorgen der Druck der Unternehmer zusammen mit dem Karlsruher Urteil über die Familienbeihilfen dafür,
daß ein Haushaltsloch von geschätzten 40 Milliarden DM entsteht, das der Regierung - in Verbindung mit dem Dogma
des ausgeglichenen Haushalts, das Maastricht und der Stabilitätspakt vorschreiben - jede Möglichkeit nehmen soll,
noch irgendeine Erleichterung für die unteren und mittleren Einkommen zu schaffen. Im Gegenteil: Wir müssen uns auf
eine neue Runde "sozialer Grausamkeiten" einrichten.
In der Debatte um die Staatsbürgerschaft hat die Regierung schon früher vor dem Druck von rechts
kapituliert.
Die SPD-Linke hat mit Lafontaine ihren prominentesten Vertreter in Regierung und Parteispitze verloren. Schröders
Ankündigung nach seiner Bestimmung zum neuen Parteivorsitzenden, er wolle die programmatischen Grundlagen der Partei
"weiterentwickeln", sollte man getrost als Kampfansage begreifen.
Schließlich hängt das vielbeklagte "Chaos in der Regierung" auch damit zusammen, daß
Schröder, anders als Tony Blair, die Partei nicht vor seinem Amtsantritt auf die neue neoliberale Linie zurechtgebogen hat.
Das wird er jetzt nachholen wollen.
Wenn es eine handlungsfähige Parteilinke überhaupt noch gibt, dann müßte sie sich jetzt zum Gegenangriff
formieren - auch um den Preis, die Regierungsmehrheit zu verlieren.
Und noch eine weitere Hürde steht vor Schröder: Die deutschen Gewerkschaften haben nicht die Niederlagen der
britischen Gewerkschaften erlebt. Es wird jetzt darauf ankommen, daß sie ihre Stärke nicht im "Bündnis
für Arbeit" preisgeben.
Angela Klein