Sozialistische Zeitung |
Thessaloniki am 8.März: Soldaten mit Schwarz-Rot-Gold an den Achseln dirigieren deutsche
Schützenpanzer aus dem Rumpf von Militärtransporterschiffen. Die Nachrichtensprecherin im Ersten Deutschen Fernsehen (ARD)
verweist bemüht auf den technischen Aspekt der Operation und spricht von "Schwerstarbeit" der Bundeswehrlandser bei
"ihrem Friedensauftrag in Makedonien".
Galt eine solche Sprachregelung nicht des öfteren, wenn Deutschland auf dem Balkan politisch und militärisch expansiv agierte?
Nein, wir wollen nicht polemisch die Ist-Zeit mit der NS-Zeit vergleichen. Wir gestatten uns ausschließlich einen Blick auf die
jüngere Zeit:
Als am 3.Oktober 1990 die Vereinigung zwischen DDR und BRD besiegelt wurde, erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl feierlich:
"Wir sind uns bewußt, daß die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der
Souveränität aller Staaten in Europa eine grundlegende Bedingung für den Frieden ist."
Damals existierte die Bundesrepublik Jugoslawien noch in ihrem vollen Umfang. Ein Jahr später erfolgte die vorzeitige Anerkennung von
Kroatien und Slowenien durch die Bonner Regierung. Es war der ehemalige westdeutsche Botschafter in Belgrad, Horst Grabert, der diesen
Vorgang mit Erpressung und deutscher Großmachtpolitik assoziierte. Er schrieb: "Der Vertrag von Maastricht wird am
10.Dezember 1991 ... unterschrieben. Sechs Tage später werden die EG-Partner von Deutschland erpreßt, die Anerkennung
Sloweniens und Kroatiens vorzunehmen ... Um die deutsche Führungsrolle noch zu unterstreichen, wartet dann Deutschland nicht einmal
den … vereinbarten Termin zum 15.Januar 1992 ab, sondern vollzieht die Anerkennung ... vor Weihnachten."
Seither hat sich das politische und militärische Engagement Deutschlands auf dem Balkan von Monat zu Monat intensiviert. Thessaloniki
fungiert für die deutschen Truppen im Augenblick nur als Durchgangsstation - als klassische militärische "Etappe". Die
deutschen Soldaten befinden sich auf dem Weg nach Makedonien. Und von dort weiter in den Kosovo. Letzteres heißt allerdings: Marsch
in einen Teil von Rumpf-Jugoslawien.
Thessaloniki ist damit für die deutsche Bundeswehr Etappe in einen Krieg, der zwischen Albanern und Serben ausgetragen wird und der
Medium für europäische und US-amerikanische Großmachtinteressen ist. "Etappe" immerhin in einem
verwerflichen Krieg, zu dem es in einem klassischen Text heißt: "Der Hauptstandpunkt der europäischen Demokratie ... in
dieser Frage muß unzweideutig sein: Der Balkan gehört den Balkanvölkern! Man muß für diese Völker die
Möglichkeit verteidigen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln ... Das bedeutet für die europäische Demokratie, daß sie
gegen jegliche Versuche, das Schicksal der Balkanhalbinsel den Ansprüchen der Großmächte unterzuordnen, kämpfen
muß."
Diese Sätze stammen aus dem Jahr 1912 und von dem Balkan-Berichterstatter und späteren führenden Organisator der
Oktoberrevolution, Leo Trotzki. Die von Trotzki beschriebenen Großmachtinteressen vor dem Ersten Weltkrieg, in diesem Krieg und
dann im Zweiten Weltkrieg sind bekannt. In keinem Fall hatten sie etwas zu tun mit den Interessen der Völker auf dem Balkan.
All dies scheint lange her zu sein. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat es nur wenige Zeitabschnitte gegeben, in denen sich (west-
)deutsche Politik in innere griechische Angelegenheiten einmischte. So soll die deutsche Königinmutter Friederike, von der im
Augenblick (Welfen-Prinz & Monaco-Braut!) wieder Fotos in Nazi-Uniform kursieren, im April 1967 ihren Sohnemann - Griechenlands
König Konstantin - mit den (deutschen!) Worten "Halts Maul, und unterschreib!" dazu aufgefordert haben, das Dekret
zur Legitimierung des Putsches zu unterzeichnen. Der König unterschrieb.
In der Ära der Faschisten (1967-1974) unterstützten dann Teile des westdeutschen Establishments die Obristen um Pattakos und
Papadopoulos. Die Bundeswehr veranstaltete deutsch-griechische Manöver; die bayerische Regierungspartei CSU mit F.J. Strauß
an der Spitze hofierte das Regime, das auf der KZ-Insel Jaros bis zu 4000 Häftlinge, darunter den griechischen Kommunisten und
Komponisten Mikis Theodorakis, zusammengepfercht hatte.
Nicht zu vergessen: Der griechische Putsch war kein griechischer. Er erfolgte exakt nach dem von der Nato ausgearbeiteten Plan
"Prometheus", der für den Fall ausgelegt war, daß linke Kräfte die Kontrolle über das Land - z.B. bei
Wahlen - gewinnen könnten. Inzwischen ist bekannt: Vergleichbare Pläne existierten für alle Nato-Länder. In Italien
trug der entsprechende Nato-Plan die Bezeichnung "Gladio".
Doch auch 1967 scheint lange her zu sein. Die Entdeckung des Plans "Gladio" und vergleichbarer Pläne in anderen Nato-
Länder erfolgte erst Ende der 80er Jahre. Und seit Anfang der 90er Jahre existiert ein neues und zum Teil altes Kontinuum deutscher
Politik für diese Region: die Aufrüstung der Türkei, gepaart mit einer dahinter zurückbleibenden
"Nachrüstung" Griechenlands und damit die Hochrüstung der beiden traditionell verfeindeten Staaten.
Nach offiziellen Angaben der Bonner Regierung hat Deutschland im Zeitraum 1990-1998 in die Türkei Kriegswaffen im Wert von 4,2
Milliarden Mark geliefert. Im selben Zeitraum erhielt Griechenland deutsche Kriegswaffen im Wert von 2,03 Milliarden Mark.
Anfang 1999 wurde deutlich, daß die nunmehr von SPD und Grünen gestellte Bundesregierung auch auf diesem Gebiet
Kontinuität wahren will. So ist im Augenblick eine größere Lieferung von deutschen Panzern in die Türkei im
Gespräch. Die neue Bundesregierung machte in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der PDS deutlich, daß sie den
türkischen Waffenwünschen wohlwollend gegenübersteht, wobei sie gleichzeitig zynisch erklärt, "die
Entwicklung der Menschenrechtslage in der Türkei genauestens zu beobachten".
Anzumerken ist, daß die griechische Regierung nicht allein auf deutsche Waffenimporte angewiesen ist. Während die Türkei
Anfang 1999 aus den USA Patriot-Raketen bezog, unterzeichnete Griechenland einen Vertrag über die Lieferung von vier Patriot-
Raketenbatterien im Wert von 1,8 Milliarden Mark.
Nach einer Analyse des angesehenen SIPRI-Instituts in Stockholm waren in den 90er Jahren in der Gesamtbilanz Griechenland und die
Türkei die Länder mit den im Weltmaßstab umfangreichsten Rüstungslieferungen. Ein Sprichtwort der deutschen
Friedensbewegung lautet: "Nach Rüstung kommt Krieg".
Diese Hochrüstung der Türkei und Griechenlands erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo die Türkei u.a. mit deutschen Waffen und
Panzern im Nordirak gegen die kurdische Bevölkerung vorgeht und die Regierung in Ankara Griechenland als "Ganovenstaat"
bezeichnet - das ist exakt die Bezeichnung, die die USA für Staaten bereit haben, die wie Libyen oder der Irak wahllos bombardiert
werden dürfen.
Diese Hochrüstung erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo sich der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei in der
Ägäis und um Zypern zuspitzt. Er erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo von unterschiedlicher Seite Meldungen über Planspiele
sowohl des türkischen wie des griechischen Generalstabs über einen "begrenzten" griechisch-türkischen Krieg an
die Öffentlichkeit gelangen.
Sicher: noch sind die türkischen Militärs im kurdischen Teil des Landes gebunden. Die militärische Niederlage der PKK
allerdings scheint eine Tatsache zu sein. Und das erfolgreiche Kidnapping Öcalans mit dem anstehenden Schauprozeß gegen den
PKK-Führer - in dem es nicht zuletzt heißen wird, Griechenland habe die PKK finanziert und deren Kämpfer ausgebildet -
könnte in der Türkei neue nationalistische Wellen auslösen.
Sicher: noch erscheint die innenpolitische Lage in Griechenland und in der Türkei einigermaßen stabil, wenngleich es um die
Ökonomie beider Länder schlecht bestellt und die Überschuldung der öffentlichen Haushalte in beiden Staaten
offenkundig und galoppierend ist.
Sicher ist auch, daß bisher die USA und die EU wenig Interesse an einem offenen Konflikt zwischen den Nato-"Partnern"
Griechenland und Türkei haben. Allerdings wäre zu überprüfen, inwieweit die Triadenkonkurrenz USA-EU nicht zu
neuen Konstellationen führt, inwieweit nicht "Großmachtinteressen" gerade hier unter Ausnutzung
"natürlicher" Konflikte dazu beitragen können, latente Spannungen in einen offenen Krieg zu übertragen. Immerhin
"funktionierte" jede Militarisierung der Konflikte auf dem Balkan seit 1990 auf diese Art.
Unbestreitbar ist: Thessaloniki ist für Schwarz-Rot-Gold derzeit nur Etappe.
Winfried Wolf