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Nach langwierigen Verhandlungen erzielten die EU-Agrarminister am 11.März in Brüssel eine
Einigung über den Agrarhaushalt, den bedeutendsten Verhandlungsposten im Rahmen der Agenda 2000. Allerdings überschreitet
das Budget von 614 Milliarden Mark für die Jahre 2000 bis 2006 die Vorgabe der EU-Regierungschefs Ende Februar auf ihrem
Sondergipfel in Bonn: knapp 15 Milliarden Mark teurer ist der Finanzplan der Landwirtschaftsminister. Nur die spanische und die irische
Regierung konnten sich mit dem vorläufigen Kompromiß der EU-Landwirtschaftsminister anfreunden.
Auch die Begeisterung des österreichischen EU-Agrarkommissars Franz Fischler ist verständlich, aber überzogen. Er spricht
von der "größten Reform in der Geschichte der EU". Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß der
ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission zumindest bis ins Jahr 2003 in Richtung der herkömmlichen Subventionspraxis
modifiziert worden ist. Heute erhalten 20 Prozent der durchrationalisierten Großbetriebe im Ackerbau und in der intensiven
Massentierhaltung den Löwenanteil von 80% der jährlich gezahlten 80 Milliarden Mark. Die große Anzahl der
kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetriebe muß sich mit weniger als 20 Milliarden Mark zufrieden geben. Die
Größenordnung der landwirtschaftlichen Betriebe in Europa reicht von einem halben Hektar bis hin zu 6000 Hektar, in Deutschland
beträgt die durchschnittliche Größe 30 Hektar.
Im wesentlichen haben die Agrarminister die Absenkung der garantierten Mindestpreise für Getreide und Milch zeitlich gestreckt und die
Preissenkung für Rindfleisch von 30 auf 20% reduziert. Die Preissenkung für Milch geht einher mit einer schrittweise
Erhöhung der Quote, die im Jahr 2006 ganz wegfallen soll. Auf dem Milchmarkt werden allerdings erst ab 2003 die
Stützungspreise zurückgenommen, und zwar in drei Schritten von jeweils fünf Prozent. Gleichzeitig verzögert sich auch
die Einführung der Direktzahlungen an die Landwirte, die den Einkommensverlust durch die Reduzierung der Stützungspreise zum
Teil auffangen soll.
Gezielte staatliche Stützungskäufe von Rindfleisch sollen in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Dadurch
soll die möglicherweise durch die reduzierte Preissenkung angeregte Überschußproduktion etwas eingedämmt werden,
denn schon heute lagern 500.000 Tonnen unverkäufliches Rindfleisch in den staatlichen Kühlhäusern der Mitgliedstaaten.
Doch die Lobby der Massentierhalter hat sich eine Hintertür offen gehalten. Als neues Instrument zur Preisstützung können sie
künftig mit staatlichen Beihilfen private Lagerhaltung betreiben, wenn der Marktpreis den von der EU festgelegten Grundpreis zu
überschreiten droht.
Total ablehnend zeigte sich Portugal. Doch auch die französische und die niederländische Regierung stimmen nur unter Vorbehalt
zu. Sie kritisierten die Überschreitung der Ausgabenobergrenze und wollen die weiteren Entscheidungen zur Finanz- und Strukturpolitik
auf dem EU-Sondergipfel der Regierungschefs am 24./25.März in Berlin abwarten.
Frankreichs Agrarminister Jean Glavany betonte das Interesse seiner Regierung, den Ausgabenrahmen durch eine stufenweise Absenkung der
landwirtschaftlichen Einkommensbeihilfen einzuhalten. Dahinter steckt nach Einschätzung der Faz die Befürchtung,
"Frankreich könne in der Schlußphase der Agenda-Verhandlungen eine nationale Mitfinanzierung der EU-Agrarpolitik
aufgezwungen werden".
Obwohl Bundeskanzler Gerhard Schröder schon Anfang März erklärt hatte, das Abfangen der Mehrausgaben im Agrarsektor
durch eine nationale Kofinanzierung sei vom Tisch, hat die Bundesregierung nun einen neuen Entwurf für einen Gesamtkompromiß
zur Agenda 2000 vorgelegt, der wiederum die Option für eine Kofinanzierung beinhaltet. Die Bundesregierung verspricht sich davon eine
finanzielle Entlastung. Der Vorschlag findet auch die Unterstützung der italienischen, britischen, niederländischen, schwedischen
und österreichischen Regierung.
Die offene Frage, wie mit einem höheren Budget die EU-Osterweiterung in die Wege geleitet werden soll, haben die Agrarminister nicht
geklärt. Auch die "Jahrtausendrunde" der Welthandelsorganisation Ende des Jahres in Washington wird einiges an
Konfliktpotential bereithalten. US- amerikanische und australische Farmerverbände bezeichnen den Kompromiß zur Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) der EU nach wie vor als "Hindernis für den Handel" und werden dementsprechend Druck auf ihre
Regierungen ausüben.
Doch zunächst einmal steht Schröder als Gastgeber des kommenden EU- Sondergipfels erheblich unter Erfolgsdruck. Selbst
Fischler gab zu, jede Vereinbarung stehe unter dem Vorbehalt eines Gesamtkompromisses auf dem Berliner Sondergipfel. Er warnte
gleichzeitig davor, das Landwirtschaftspaket "aufzumachen und damit alte Debatten wiederzubeleben". Andere Vertreter der EU-
Kommission erklärten gegenüber der "Financial Times", daß es sehr unwahrscheinlich sei, daß die
Regierungschefs wegen einer "solch niedrigen Summe" die bisher erreichten Ergebnisse dieser komplizierten Verhandlungen erneut
zur Debatte stellen würden.
Parteifreunde Schröders wie der für Europa zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen,
warnt vor einem Scheitern, das die deutsche Europa-Debatte national "abdriften" lassen würde. Mit seinen Parolen hat
Schröder selbst einen großen Teil dazu beigetragen: seine ersten offiziellen Äußerungen zur Agenda 2000 bezogen sich
auf eine deutsche Nettoentlastung ihrer Beiträge zum EU-Haushalt. Heute hält sich Schröder eher zurück und auch die
Töne Josef Fischers zur "Beitragsgerechtigkeit" auf dem jüngsten EU-Außenministertreffen klingen relativ
verhalten. Denn beide wissen, daß die Aufwertung des Euro und die Börsenhausse nach dem Abgang des Finanzministers Oskar
Lafontaine mehr als hinfällig wäre, wenn die Agenda 2000 nicht wie geplant verabschiedet wird.
Gerhard Klas