Sozialistische Zeitung |
Geringfügige Beschäftigung - ursprünglich als Ausnahme gedacht - ist heute für
Millionen, vor allem Frauen, die einzige Möglichkeit, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Keine andere Beschäftigungsform wurde
in den letzten Jahren so stark ausgeweitet. Damit einher ging die Aufsplittung sozial abgesicherter Arbeitsplätze in geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse.
Den Betroffenen versperren die 630-Mark-Jobs wirtschaftliche Eigenständigkeit und soziale Absicherung; im Alter führen sie
oftmals zu Abhängigkeit von der Sozialhilfe.
Notwendig wären eigentlich Regelungen, die geringfügige Beschäftigung für die Arbeitgeber nicht länger
lukrativ machen und die Aufsplittung vorhandener Arbeitsplätze verhindern. Darüber hinaus müssen geringfügig
Beschäftigte einen vollständiger Zugang zum Sozialversicherungssystem erhalten.
Nachdem die PDS-Gruppe im Bundestag in der letzten Wahlperiode einen entsprechenden Antrag einbrachte, der von den anderen Fraktionen
abgelehnt wurde, widmete sich jetzt die "rot"-grüne Bundesregierung diesem Thema. Der Ausweitung der 630-Mark-Jobs
sollte entgegengetreten und die soziale Absicherung der Beschäftigten verbessert werden. Sie erarbeitete in Gesetz, dem die Mehrheit im
Bundestag zustimmte - am 19.03.1999 wird es dem Bundesrat vorgelegt.
Von dem formulierten Ansprüchen ist der Gesetzentwurf weit entfernt. Er dient eher der Entlastung der Sozialversicherungssysteme als
dem Schutz der Beschäftigten; für die Arbeitgeber sind die neuen Regelungen ein Nullsummenspiel.
Ausweitung statt Einschränkung gefördert
Für die Arbeitgeber bleibt diese Beschäftigungsform noch immer attraktiv und vor allem billig. Die bisher zu entrichtende
Pauschalsteuer wurde zugunsten von Beiträgen in die Renten- und Krankenversicherung abgeschafft - die finanzielle Belastung bleibt sich
etwa gleich. Der einzige Vorteil ist: den Arbeitgebern wurde endlich die Möglichkeit genommen, diese Kosten auf die
Beschäftigten abzuwälzen.
Eine Ausweitung geringfügiger Beschäftigung ist vor allem in Ostdeutschland zu befürchten, und nicht nur, weil sie für
die Arbeitgeber lukrativ bleibt. Durch die Angleichung der Geringfügigkeitsgrenze - d.h. ihre Anhebung in Ostdeutschland um 100 Mark -
werden 630-Mark-Jobs dort von der Bundesregierung faktisch gefördert. Vor dieser Entwicklung haben viele Sachverständige aus
Gewerkschaften, kirchlichen Organisationen und Frauenverbänden auf der vom Bundestagsausschuß für Arbeit und
Sozialordnung organisierten Expertenanhörung im Februar gewarnt.
Die Gewerkschaft NGG verwies in diesem Zusammenhang darauf, daß die Tariflöhne (Ost) im Hotel- und Gaststättenbereich
in den unteren Lohngruppen zwischen 10 und 11 Mark liegen. Eine Teilzeitbeschäftigung zwischen 13 und 14 Wochenstunden wäre
damit noch eine geringfügige Beschäftigung. Bei einem versicherungspflichtigen Arbeitverhältnis zwischen 15 bis 17
Wochenstunden erhielten die Beschäftigten einen Bruttolohn von 750 Mark.
Für viele Beschäftigte, in erster Linie Frauen, wird sich die Umwandlung ihrer Teilzeitstelle in eine geringfügige rechnen -
sie werden am Ende des Monats mehr Geld in der Geldbörse haben. Dies geht nur um dem Preis mangelnder sozialer Absicherung, aber
das wird die, die von ihrem Einkommen aus Teilzeitbeschäftigung kaum leben können, nicht davon abhalten, in Minijobs zu
wechseln.
Deshalb muß man auch denen entgegentreten, die sich positiv auf die Angleichung der Geringfügigkeitsgrenze beziehen und darin
einen Abbau der Lohndiskriminierung in Ostdeutschland sehen. Mit der gesetzlichen Festlegung der Geringfügigkeitsgrenze wird ein
Billiglohnsektor zementiert der fatale Konsequenzen nach sich ziehen wird. Niedrigere Löhne, die Förderung geringfügiger
Beschäftigung und die Aufsplittung weiterer sozial abgesicherter Arbeitsplätze werden Ostdeutschland als Niedriglohnland
festschreiben.
In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß das neue Gesetz für geringfügig Beschäftigte
natürlich nicht automatisch eine Anhebung ihres Verdienstes auf 630 Mark bedeutet. Die Geringfügigkeitsgrenze dient lediglich,
ebenso wie die gesetzlich festgeschriebene Wochenarbeitszeit, der Definition von geringfügiger Beschäftigung. Das heißt
Beschäftigte, die in bis zu 15 Wochenstunden nicht mehr als 630 Mark verdienen, gelten als geringfügig Beschäftigte -
für sie gelten die Regelungen des neuen Gesetzes. Ein Anspruch auf Anhebung des Arbeitsentgelts ergibt sich daraus nicht.
Frauen zurück an Heim und Herd
Die neuen gesetzlichen Regelungen über Mini-Jobs fördern das klassische "Familienernährermodell". Damit
begibt sich die "rot"-grüne Bundesregierung in die frauenpolitische Tradition der Kohl-Regierung. Frauen werden in die
"Zuverdienerinnenrolle" gedrängt, eine lebenslange, eigenständige Existenzsicherung wird ihnen erschwert.
Bei gemeinsamer steuerlicher Veranlagung eines Ehepaares wird das Arbeitsentgelt des/der geringfügig beschäftigten
Ehepartners/in - in der Regel Frauen - nicht mit einbezogen. Bei einer Familie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen
Jahresbruttoeinkommen des Ehemanns von 50.000 DM ist das jährliche Haushaltseinkommen um 2000 DM höher, wenn die
Ehefrau geringfügig beschäftigt ist, als wenn sie versicherungspflichtig Teilzeit arbeitet. Diese Differenz ergibt sich, obwohl das
aus versicherungspflichtiger Tätigkeit erzielte Bruttoeinkommen etwa 5500 DM über dem Einkommen aus geringfügiger
Beschäftigung liegt (Frankfurter Rundschau vom 15.12.1998).
Von dem Privileg profitieren Frauen und ihre Familien jedoch nur, solange sie nicht geschieden werden, was immerhin bei jeder dritten Ehe
der Fall ist. Im Falle der Scheidung hat die Frau weder einen eigenständigen Versicherungsschutz noch einen Arbeitsverdienst, von dem
sie leben kann. Bekommt sie Unterhalt vom Mann, zählt er als zusätzliches Einkommen, und sie muß ihren Verdienst aus der
geringfügigen Beschäftigung versteuern. Sie wird dann das Los vieler Frauen teilen, die in prekäre und niedrig entlohnte
Arbeitsverhältnisse abgedrängt werden, und im Alter an die Sozialhilfe verwiesen.
Ohne Netz und doppelten Boden
Eine Absicherung der geringfügig Beschäftigten durch die Sozialversicherung sieht das neue Gesetz nicht ernsthaft vor. Lediglich in
der Rentenversicherung erwerben geringfügig Beschäftigte Ansprüche - allerdings eingeschränkt: Künftig
muß der Arbeitgeber einen Rentenbeitrag von 12% für die 630-Mark-Kräfte zahlen - daraus entsteht ihnen ein
Rentenanspruch. Weil der Arbeitgeber jedoch nicht den vollen Beitrag von 19,5% entrichtet, werden die Beschäftigten auch nicht die
vollen Leistungen erhalten.
Hinzu kommt ein kaum nachvollziehbares Konstrukt, das den Rentenentgeltpunkt - die Grundlage der Rentenberechnung - für diese
Beschäftigten entwertet. Die Betroffenen haben allerdings die Möglichkeit, den Rentenbeitrag aus der eigenen Tasche aufzustocken;
sie erhalten dann auch die vollen Leistungen. Doch selbst wenn dies jeder Frau anzuraten ist - man kann nicht ernsthaft davon ausgehen,
daß.viele dies tun; allein wegen ihres geringen Einkommens werden sie dazu nicht in der Lage sein.
Die "rot"-grüne Bundesregierung hat damit nicht nur eine Rentenversicherung zweiter Klasse geschaffen, sie hat auch eine
unterschiedliche Bewertung von Erwerbsarbeit eingeführt. Viele JuristInnenverbände sehen in der Regelung eine mittelbare
Diskriminierung von Frauen und einen Verstoß gegen EU-Recht.
Ein eigenständiger Krankenversicherungsschutz ist gar nicht erst vorgesehen. Zwar zahlt der Arbeitgeber künftig 10%
Beiträge für geringfügig Beschäftigte, die bereits gesetzlich versichert sind; Leistungen entstehen den Betroffenen
daraus aber keine. An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich, daß es der Bundesregierung weniger um die Absicherung der Frauen als um
die Sanierung der Krankenversicherung geht.
Es wird noch zu prüfen sein, inwieweit die neue Regelung überhaupt verfassungsmäßig ist. Bei der
Krankenversicherung handelt es sich um eine gesetzliche Pflichtversicherung; aus der Beitragszahlung müssen Leistungen
entstehen.
Dadurch, daß die Arbeitgeber ausschließlich Beiträge für gesetzlich versicherte Beschäftigte zahlen
müssen, alle anderen, z.B. Besserverdienende oder BeamtInnen nebst EhepartnerInnen, jedoch davon ausgenommen sind, entsteht ein
Kostengefälle. Die schon gesetzlich Krankenversicherten kommen den Arbeitgeber 10% teurer. Das widerspricht der
Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt und damit Art. 3 des Grundgesetzes.
Ein Leistungsanspruch aus der Arbeitslosenversicherung ist für geringfügig Beschäftigte ebenfalls nicht vorgesehen. Verliert
die Frau ihren 630-Mark-Job hat sie weder Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe, noch auf Qualifizierungs- oder
Umschulungsmaßnahmen des Arbeitsamtes. Besonders letzteres wäre notwendig, um die Chancen auf einen qualifizierteren,
versicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu erhöhen. Auskunft darüber, warum ies ausgeschlossen ist, wenn sie nach eigenen Aussagen
den geringfügig Beschäftigten mit ihrem Gesetz den Schritt in eine versicherungspflichtige Beschäftigung ermöglichen
wollte, hat die Bundesregierung leider nicht gegeben.
Betriebsrat ausgehebelt
Im ersten Gesetzentwurf war eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgesehen, die ein Mitspracherecht der Betriebsräte
bei der Umwandlung von gesicherten in geringfügige Arbeitsplätze vorsah. Es sollte ihnen auch eine Mitbestimmung bei der
Einstellung geringfügiger Beschäftigter eingeräumt werden. Diese Regelung wurde auf einer Anhörung von
Sachverständigen der Arbeitgeberseite kritisiert, weil sie der betrieblichen Interessenvertretung ein Instrument an die Hand gebe, womit
sie kurzfristige Einstellungen (z.B. wegen höherer Aufträge) blockieren könnten. Dies würde zu
Wettbewerbsverzerrung führen.
Auch die VertreterInnen der Gewerkschaften äußerten sich kritisch zu dieser Regelung. Sie merkten an, daß nicht in allen
Betrieben ein Betriebsrat existiert. Außerdem bemängelten sie, den Betriebsräten würde die Lösung eines
arbeitmarktpolitischen Problems aufgebürdet. Die Bundesregierung nutzte die Kritik, um die geplante Änderung des
Betriebsverfassungsgesetzes wieder rückgängig zu machen.
So ganz nebenbei enthält das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung auch Verschlechterungen für
Auszubildende. Wurde bislang die Geringfügigkeitsgrenze jedes Jahr neu berechnet und erhöht, ist sie nun auf die Höhe von
630 Mark festgeschrieben.
Die Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, für Azubis mit einer Ausbildungsvergütung in der Höhe der
Geringfügigkeitsgrenze die vollen Beiträge für die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung abzuführen. Die
Festlegung auf 630 Mark führt dazu, daß immer mehr Auszubildende die Hälfte der Versicherungsbeiträge selbst tragen
müßen. Die von der PDS vorgeschlagene Beibehaltung der bisherigen Regelung für Auszubildende wurde von der Mehrheit
des Bundestages abgelehnt.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat einmal mehr gezeigt, daß die neue Regierung zu keinem Politikwechsel geführt hat. Auch
"Rot"-Grün sieht sich als verlängerten Arm der Arbeitgeber - eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten ist
nicht vorgesehen.
Elke Breitenbach
Elke Breitenbach ist Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion der PDS.