Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 18.03.1999, Seite 11

Fortsetzung der EU mit anderen Mitteln

PDS zu Europawahlen

In Suhl fand am 6. und 7.März der Europaparteitag der PDS statt. Am ersten Tag diskutierten die Delegierten über 107 Seiten Antragsmaterial und beschlossen ein Wahlprogramm. Am zweiten Tag wählte eine nach dem Wahlgesetz getrennt einberufene VertreterInnenversammlung die Bundesliste der Partei zu den Europawahlen am 13.Juni.
  Während die stellvertretende Parteivorsitzende Sylvia-Yvonne Kaufmann mit überzeugender Mehrheit (328 von 377 Stimmen) zur Spitzenkandidatin gewählt wurde, erhielt André Brie auf Platz 2 der Liste nur 214 (56,7%) von 377 Stimmen. Hans Modrow hatte nach offener Intervention des Vorsitzenden Lothar Bisky und entsprechendem Druck aus der Parteispitze auf die Kandidatur für Platz 2 verzichtet. Er kandidierte dann nach Wahl der Agrarexpertin Cristel Fiebiger (Platz 3) erfolgreich auf Platz 4 der Liste. Alle anderen Bewerber für Platz 2 galten von vornherein als chancenlos. Das dennoch miserable Ergebnis für Brie ist nicht allein als demonstrativer Sympathiebeweis für den letzten DDR-Ministerpräsidenten zu werten. Auch die zahlreichen Meldungen unmittelbar vor dem Parteitag, wonach sich die PDS bis 2002 im Bund koalitionsfähig machen und den sogenannten Gewinnern der Gesellschaft öffnen solle, machten aus manchem Wahlzettel einen Denkzettel. Nicht das Ergebnis "Modrow hinter Brie" war für viele Beteiligte enttäuschend, sondern die Tatsache, daß PDS-Parteitage noch immer nicht beim eigenen demokratischen Selbstverständnis angekommen sind. Wer an Spitzenkandidaturen hinter den Kulissen zurrt oder sie durch Verzicht vorwegnimmt, entmündigt Parteivolk und Delegierte.
  Auf Platz 5 der Liste wurde überraschend Feleknas Uca aus Niedersachsen gewählt. Die 23jährige kurdische Arzthelferin hatte in ihrer Vorstellung deutlich die Rüstungs- und Interventionspolitik der Bundesregierung sowie die Politik gegenüber der Türkei kritisiert. Sofern die PDS mit 5% plus x in das Straßburger Parlament einzieht, ist ihr ein Mandat sicher. Für die noch interessanten Plätze 6 und 7 wurden Helmuth Markov, Elektroingenieur aus Brandenburg, und Brigitte Triems, Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes, nominiert. Leo Mayer, Siemens-Betriebsrat aus München, sorgte als DKP-Mitglied für einige Aufregung und legte die Nervosität der Parteitagsregie bloß. Mit gewisser Berechtigung hatte die Versammlungsleitung an einen früheren Parteitagsbeschluß erinnert, wonach auf offene Listen keine Mitglieder anderer Parteien gewählt werden sollen. Der Beschluß hat zwar politisches Gewicht, kann aber aus formalen Gründen nicht bindend sein. Nachdem Leo Mayer das passive Wahlrecht zuerst abgesprochen worden war, mußte Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch nach Protesten und einer Auszeit die Rücknahme dieser Entscheidung bekannt geben. Mayer wurde nach diesem Eklat auf Platz 12 der 14köpfigen Liste gewählt.
  So sehr solche Personalentscheidungen die augenblickliche Stimmungslage in der PDS widerspiegeln - für die weitere Entwicklung sind die programmatischen Entscheidungen bemerkenswert. Wichtigstes Ergebnis: Die PDS änderte ihr "Nein-aber" gegenüber der Europäischen Union zum "Ja-aber". In der Präambel konnte aufgrund einiger Anträge das offene "Bekenntnis" zur EU gerade noch vermieden werden. Es heißt dort jetzt differenziert: "Die PDS ist eine europäische sozialistische Partei. Sie sagt Ja zur europäischen Integration". Diese Formel stellt in Rechnung, daß die EU nicht mehr verhinderbar, allenfalls veränderbar ist. An ihrer "grundsätzlichen Kritik der EU in ihrer derzeitigen Verfaßtheit" will die PDS dennoch festhalten. Das hebt sie positiv von Konservativen und Rot-Grün ab. Die zentralen Aussagen im Programm lauten:
  - Die PDS fordert eine Korrektur der Währungsunion durch eine Sozial-, Beschäftigungs- und Umweltunion.
  - Sie fordert eine Demokratisierung der Entscheidungsprozesse und mehr Rechte für das Europäische Parlament.
  - Sie tritt ein für gleiche Rechte, für einen europäischen Grundrechtekatalog sowie umfassende Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze.
  - Sie tritt ein für das Grundrecht auf Asyl entsprechend der europäischen Menschenrechtskonvention und für besondere Maßnahmen gegen Frauenhandel.
  - Sie fordert eine Erweiterung der EU, um die politische und ökonomische Spaltung Europas zu überwinden. Gegen konservative Kerneuropaideen! Für solidarische internationale Weltwirtschaftsbeziehungen.
  - Für ein ziviles Europa - Ablehnung von europäischen Rüstungsprojekten, WEU und NATO.
  - Die PDS will Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus in Europa entschieden bekämpfen.
  Drei wichtige Aspekte aus der Programmdebatte seien hier genannt:
  1. Versuche, die PDS auf zukünftige Zustimmung zu möglichen Kriegseinsätzen im europäischen Rahmen einzustimmen, gab es auf dem Parteitag nicht. Nur E.Schmähling forderte in einem Antrag, NATO und WEU durch die OSZE als "gesamteuropäische Sicherheitsorganisation" zu ersetzen, was militärische Funktionen nicht ausdrücklich ausschließen würde. Der Antrag Schmählings wurde abgelehnt. Es bleibt dabei, daß die PDS die OSZE nur als "nichtmilitärische" Einrichtung akzeptiert.
  2. Streit gab es auch bei diesem Parteitag wieder um die Frage der Arbeitszeitverkürzung. Die Antragskommission wollte die Forderung nach Lohn- und Personalausgleich nicht in den Programmtext übernehmen. Sinngemäße Begründung: Wir wollen keine Tarifpolitik machen, schon gar nicht auf europäischer Ebene. Mit knapper Mehrheit wurde diese Position zurückgewiesen und die Formulierung für Lohn- und Personalausgleich angenommen. Leider vermied es der Parteitag in diesem Zusammenhang, die Forderung nach einer europäischen Arbeitszeitordnung zu formulieren, statt nur die derzeitigen Arbeitszeitrichtlinien in der EU in Frage zu stellen. In Bezug auf die Europäisierung und Internationalisierung von Gewerkschafts- und betrieblichen Mitbestimmungsrechten bietet das Wahlprogramm einige wichtige neue Anhaltspunkte.
  3. Ein niveauvoller Schlagabtausch entwickelte sich im Rahmen der Programmdebatte zwischen Agrarpolitikern der PDS und der Bundesarbeitsgemeinschaft Internationalismus über Einfuhrbarrieren der EU gegen landwirtschaftliche Produkte aus der Dritten Welt, europäische Bananenordnung etc.Wendet sich die PDS zum Schutz hiesiger Agrarbetriebe gegen "unkontrollierte Billigimporte" und/oder setzt sie sich dafür ein, daß sogenannte Entwicklungsländer mit ihren Produkten in der EU faire Chancen erhalten? Das Wahlprogramm entwickelte zur europäischen Agrarpolitik und zur Agenda 2000 neue Vorschläge.
  Die PDS ist trotz ihrer derzeitigen Defizite die einzige politische Kraft in der Bundesrepublik, die in der Lage ist, eigene linke und sozialistische Akzente auf europäischer Ebene zu setzen. "Europa schaffen ohne Waffen" - lautet denn auch das erste Wahlplakat.
  Bernhard Strasdeit
 


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