Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 18.03.1999, Seite 13

Von Gummiknüppeln zu Gummigeschossen

Aufstandsbekämpfung im EU Beitrittsgebiet Polen

Wenn bei -18 Grad Celsius die Wasserwerfer gegen bäuerliche Proteste aufgefahren werden, dann findet sich das deutsche Fernsehen, ebenso wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), auf der wärmeren Seite.
  Mit wohligem Entsetzen blickte die westeuropäische Zeitungsleserschaft aus gutgeheizten Fernsehzimmern in den letzten zwei Monaten auf die sozialen Straßenkämpfe in Rumänien und Polen. Wer hätte gedacht, daß sich mit dem freien Fall in den Kapitalismus so prompt auch die Bilder von Klassenkämpfen aus dem Mittelosteuropa der Vorkriegszeit wieder einstellen: der Kampf um Brennholz in Rumänien, offenes Feuer auf Bergarbeiter und 18 Jahre Haft für ihren Anführer - in Polen zeitgleich Proteste der Bauern, die sich nicht mit Korrekturen am Milchpreis begnügen, sondern den Sturz der Regierung einleiten wollen, die katholische Kirche herausfordern und - Wasserwerfern, Knüppeln, ab Februar auch Gummigeschossen der Polizei zum Trotz - vorläufig den Fernverkehr des Landes stillegen? Ließe sich die Genugtuung der Westeuropäer beim Konsumieren der Nachrichten vom Kollaps osteuropäischer Primärwertschöpfung auf die Leserschaft der "Bauernstimme" zuspitzen?
  Mir fällt dazu ein Biobauer ein, einer "hart am Markt", ganz im Sinne des AbL-Vorsitzenden. Als ihm das Projekt einer Partnerschaft mit polnischen Produzenten vorgestellt wurde, schloß er die Diskussion mit den Worten "solange die Polen bei mir auf dem Hof schaffen, sind sie mir schon recht; halt nur, daß sie nicht bei sich sowas wie bei uns auf die Beine stellen, womöglich noch für unseren Markt produzieren."
  Der tüchtige Schwabe kann beruhigt sein: der Schutz des Food-Markts in Euroland gegen Osten, ja seine beeindruckenden Exportmöglichkeiten in diese Region sind zufriedenstellend vom Biobierstammtisch auf den polnischen Staatsschutz mit seiner Sonderfahndung gegen politisierte Bauern und seinen hubschraubergestützten mobilen Eingreiftruppen entlang der Westeuropäischen Exportadern ausgelagert worden.
  Für einen Zentner Kartoffeln wurde polnischen Landwirten im Herbst 1998 noch 2,50 DM versprochen, wenn man sie überhaupt abliefern ließ. Kaum einer von ihnen hat für dieses Ehrenwort vom Händler bis Februar Bargeld gesehen. Das Realeinkommen der polnischen Landbewirtschaftenden fiel im letzten Jahr um weitere 30%. Gerade die Marktbetriebe mit Fremdkapital haben derzeit akute Liquiditätsengpässe.
  So dominieren denn auch die ehemals wohlhabenden Bauern die Straßensperren im Nachbarland, nicht das ländliche Proletariat, über das die WHO zu berichten weiß, daß 10% polnischer Kinder aus Armutsgründen fehl- und mangelernährt sind, besonders in den großagrarischen, ländlichen Räumen des Westen und Nordens.
  Unter solchen Bedingungen fällt chemische Düngung oder Pestizideinsatz in vielen Betriebstypen flach - man schmeckt es dem polnischen Brot an, und jedem Fruchtsaft. Der übrigens ist im polnischen Lebensmittelhandel wesentlich teurer als in Deutschland, während selbst für das ostpolnische Lohnniveau von derzeit 20 Zloty (9 Mark) Tagelohn allein das Pflücken der Rohware nur über familiäre Selbstausbeutung realisierbar ist.
  Ein hervorragendes Feld für westeuropäische Industrielle der Lebensmittelbranche also, aber keine Bedingungen, die favorisieren "etwas auf die Beine zu stellen" wie unser Schwabe sagt, Umstellung auf ökologischen Landbau etwa. Die Zahl der Mitgliedsbetriebe im von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderten Anbauverband "Ekoland" ist in diesem Jahr sogar rückgängig - wohl eine einmalige Entwicklung in ganz Europa.
 
  Ware gegen Ware
 
  Not macht in der Tat erfinderisch - aber was erfährt davon schon die reichere Hälfte des Kontinents? Während im Februar 1999 noch die Landstraßen blockiert werden, sind die Fenster der warmen Stube bereits zugehängt mit Jungpflanzenkästen, damit sie vom Holzofen wie von der Februarsonne gleichermaßen für die kommende Saison begünstigt werden.
  Gegen die holländischen Gemüsefabriken mit subventioniertem Erdgas und EU-finanzierten Umschlagplätzen in mittlerweile jeder polnischen Region kann diese liebe Mühe letztlich nur Groschen erwirtschaften, und das auch nur auf illegalisierten Märkten in Stadtrandbereichen.
  Seit die EU-Milchhygieneverordnung auch in Polen gilt wird auf vielen Höfen neuerdings um 3 Uhr morgens aufgestanden, um die Sommermilch mit Brunnenwasser zur Stunde der Ablieferung auf die obligatorischen 8 Grad Celsius abgekühlt zu haben. Alles, was dann noch wärmer ist, darf Homo Europaeicus nach EU-Raison nämlich höchstens noch an seine Schweinen verfüttern.
  Es hat sich schnell herumgesprochen, daß die Melkeimeraußenwand im Sommer als Kühlfläche nicht ausreicht. Deshalb werden nun allerorts Polyäthylenflaschen mit kaltem Wasser in die Eimer gestellt. Trotzdem wird die neue Hygienephilosophie aus Euroland von den Molkereien vielerorts genutzt, um mit der Drohung, von kleinen Melkern gar nichts mehr anzukaufen, den Milchpreis auf unter 20 Pfennig pro Liter zu drücken.
  Auch die großen Proteste des Februars, die Autobahnblockaden und Straßenschlachten mit 800 Landwirten an einem Ort, begannen mit kleinen Einfällen. So erlaubt die Straßenverkehrsordnung - ähnlich der Gesellschaftsordnung, die sie hervorgebracht hat - anderen mit Fug und Recht auf der Nase herumzutrampeln.
  Während im Alltag Fußgänger und TraktoristInnnen am schwächeren Ende stehen, wurde der Spieß nun spontan umgedreht. So läßt sich der Zebrastreifen über eine "Europäische Verkehrsader" (in Polen gibt es so etwas noch) beidseitig im Gänsemarsch benutzen - stundenlang. Das waren - wohlgemerkt - die Einfälle des Monats August 1998, als die Getreideernte vor dem polnischen Dreschtermin aus Spekulationsgründen bereits aus der EU importiert worden war; in voller Höhe, drei Millionen Tonnen.
 
  Meister der Netzwerkarbeit
 
  Seitdem hat sich die Lage der Landbewirtschaftenden zugespitzt, die Ignoranz der Regierung ebenfalls. Hatte die rechtsliberale "Solidarnosc"-Regierung im ersten Haushalt ihrer Amtszeit das Agrarbudget bereits um 30% zusammengestrichen, so soll es 1999 halbiert werden und somit deutlich unter das landwirtschaftliche Steueraufkommen fallen.
  Als die grüne Fraktion des Europaparlaments vor einem Jahr zum Shakehands in die polnische Hauptstadt eingeflogen wurde, lagen sich der polnische Landwirtschaftsminister und der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf im polnischen Regierungsviertel in den Armen. Ja, sagte der bauernbewegte Gast aus Deutschland, eine so weitgehende Übereinstimmung in allen inhaltlichen Fragen hätten sie nicht erwartet; man könne sagen, fügte sein Mitarbeiter Lorenzen hinzu, dieser Minister habe praktisch "unser Programm".
  Ein Blick also auf den politischen Freund jenseits der Oder: Jacek Janiszewski ist Funktionär einer rechtsklerikalen Partei. Er kommt aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet bei Szczecin. Seine Hauptkompetenz besteht darin, wie es in den polnischen Medien heißt, mit "Westlern umgehen zu können".
  Schon vor seiner zweiten Amtsübernahme im Herbst 1997 glänzte er mit einer "bäuerlichen Initiative West-Ost", einem Forum von Agrarindustriellen, die sich das mondäne Luxushotel von Miedzyzdroje auf Wolin zu ihrem Stammtischsitz erwählten. Als Leiter der regionalen Treuhand vermakelte er über die Anwaltskanzlei seiner Frau Land an deutsche Interessenten, was Ausmaße annahm, die einige Beteiligte schließlich ins Gefängnis brachten, aber da war Janiszewski schon Minister.
  Auch seine Wahlkampagne ließ er über Agrarindustrielle seines Freundeskreises finanzieren. Das konnte ihm die liberale Zeitschrift "Gazeta wyborcza" in einer für das Land beispiellosen Folge von Enthüllungsartikeln nachweisen. Janiszewskis politische Gönner waren zuvor von ihm durch persönliche Intervention bei der Privatisierung von landwirtschaftlichem Gemeineigentum begünstigt worden. Die Vorwürfe hielten jeder Anfechtung stand - der Minister auch.
  Nimmt es da noch wunder, daß eine solche Figur auch die Bauernproteste der letzten Monate politisch überlebt? "Er hat eine Rolle nach außen zu spielen, für die EU", erklärt der stellvertretende Chefredaktor des Kurier Poranny, der auflagenstärksten Zeitung im polnischen Nordosten, "nach innen macht er vordringlich die Drecksarbeit - eine Person, politisch immun gegen jeden Vorwurf aus dem Land". Bis zum EU-Beitritt, so versprach Janiszewski, habe er den Anteil produzierender Landwirte in Polen von derzeit 28 auf 5% gesenkt. Für diese ehrgeizige Aufgabe wird der Minister politisch ausgehalten.
 
  Suche nach politischen Freunden... und Dämonen
 
  Am 19.2.1999 unterschrieb Janiszewskis regierende politische Gruppierung eine Erklärung über Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der Partei des italienischen Neofaschisten Gianfranco Fini. Dieser nutzte die Gelegenheit der Einladung durch seine polnischen Freunde, um auf einem Abstecher im Konzentrationslager Auschwitz vor laufenden Kameras die historische Bedeutung und Berechtigung seines "fascismo buono" zu erläutern.
  Es war der blutjunge Parteifreund des Landwirtschaftsministers (selber Jahrgang, 1960), Kaminski, der wenige Wochen zuvor persönlich bei Pinochet vorsprach, um ihm aus Anlaß der feierlichen Überreichung einer polnischen Muttergottes seinen besonderen Dank für "Pinochets engagierten Einsatz gegen den Sozialismus" auszusprechen.
  So war denn bei der Dämonisierung der Medienfigur der Bauernproteste, Andrzej Lepper, durch die Regierungspartei auch der Vorwurf zentral, er wäre in den 70er Jahren in der Polnischen Arbeiterpartei gewesen, ein Schema, das die westlichen Medien nur zu gern übernahmen, um die polnischen Bauernproteste im ganzen zu stigmatisieren.
  Wie aber läßt sich eine landesweite Basisbewegung als Privatkrieg des gescheiterten Landwirts Lepper darstellen? Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere unter den LeserInnen an eine einprägsame Erfahrung Gorlebener Gespräche zwischen Polizeischilder hindurch. Beamte für Staatssicherheit zeigen sich meist fest davon überzeugt, daß die Demonstrierenden einer stringenten Kommandostruktur unterliegen müßten, sie seien auf Gedeih und Verderb auf eine einheitliche, ideologisierte Weltsicht eingeschworen und würden in erster Linie motiviert von der Aussicht auf die Austragung von Aggressionen durch körperliche Gewalt. Sprich der Staatsdiener des gleichnamigen Gewaltmonopols ist in der Regel überzeugt, daß eine Demonstration nach eben jenen Prinzipien funktionieren muß, die ihre eigene Veranstaltung bei der Stange halten.
 
  Perspektive des autoritären Charakters
 
  Kaum ein Kommentator im Westen hat über dieser einfältigen Perspektive bspw. die Arbeitsteilung innerhalb der polnischen Bauernbewegung registriert, ihre spontan agierenden, lokal und situativ entscheidenden Teilnehmer an der Basis.
  Auch auf Landesebene wird komplexer agiert; Andrzej Lepper und seine radikale Partei prescht aktionistisch vor und die oppositionelle Bauernpartei PSL zieht politisch nach. Die katholisch orientierten Kräfte werden über die Landsolidarität in die Aktionen eingebunden, eine Organisation, die einmal der nun regierenden städtischen "Solidarität" nahestand.
  Die polnischen Maschinenringe bringen ein linkes Spektrum der landwirtschaftlichen Produzenten in die Proteste und ihre Forderungen ein. Dieses Vierergespann politischer Formationen für den ländlichen Raum, das über Jahren lernen mußte, schlagfertig zu agieren, erwies sich in dem Moment als politisch durschlagend, sobald auf Initiative (und auf dem Rücken) der Basis tatsächlich der Fernverkehr zum Erliegen kam.
  So nur konnte es zu den Verhandlungen und dem "Pakt für das Dorf" vom 9. und 10.Februar 1999 kommen, zu dem sich die Regierung trotz aller Beteuerungen vom Vortag gezwungen sah. Lepper nahm an den Konsensgesprächen nicht teil.
  Die Stärke der Bewegung liegt in ihrer Vielfalt, die Überzeugungskraft der westlichen Berichterstattung dagegen in ihrer Einfalt. Für Graefe zu Baringdorf stand bei seinem Polenbesuch letztes Jahr angesichts seiner "fabelhaften" Kontakte und der Sondierungen im Ministerium "in vertrautem Kreis" ein Gespräch mit der polnischen Agraropposition nicht auf der Agenda. Bleibt zu fragen, ob diese Option für den AbL-Vorsitzenden auch persönlich eine "Agenda 2000" bleiben wird, immerhin sind bald Wahlen...
 
  Martin Kraemer
 
  Der Autor ist Mitarbeiter des European University Institute bei Florenz (Kontakt: <kraemer@datacomm.iue.it>. Der Artikel erschien ursprünglich - stark gekürzt - in der "Bauernstimme" (3/99), der Zeitung der AbL.
 


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