Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 18.03.1999, Seite 15

Mit Aussteigermodellen gegen die Weltwirtschaftskrise?

Zur Existenzgelddebatte

Vom 19. bis 21.März veranstaltet die Gruppe FelS ("Für eine linke Strömung") in Berlin eine Arbeitskonferenz zum Thema "Kritik der Lohnarbeitsgesellschaft - Für Existenzgeld und Arbeitszeitverkürzung". Die Konferenz wendet sich vorwiegend an Jobberinitiativen sowie jene Teile der Erwerbslosenbewegung, die den Kampf gegen ihre Ausgrenzung mit einer allgemeinen Orientierung auf Überwindung der Erwerbsarbeit zu verbinden suchen. Der folgende Beitrag setzt sich kritisch mit dem Einleitungsbeitrag zur Konferenzzeitung "Schluß mit dem Stress!" auseinander.
  Begreife die Krise als Chance!" - so könnte man den Einstieg beschreiben, den der Einleitungsbeitrag zur Konferenzzeitung wählt. Angeführt wird: 1. der kapitalistische Weltmarkt verändert sich, weil neue Verwertungsbedingungen es diktieren; 2. im Zuge von Mai 68 und den neuen sozialen Bewegungen haben sich aber auch die Lebensweisen und -vorstellungen verändert. Die Anordnung suggeriert einen möglichen Gleichklang der Entwicklung und der Interessenlagen, der einem doch - betrachtet man die Verwüstungen, die die kapitalistischen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht haben - im Hals stecken bleibt.
  Immerhin gibt der (nicht genannte) Autor zu, daß die Losung "Existenzgeld für alle!" antikapitalistisch sein kann, es aber nicht muß, will heißen: Sie wird auch von bürgerlichen Ideologen als Baustein im neoliberalen Modernisierungsprogramm verwendet. "Wie die Begriffe Postfordismus oder Globalisierung kann auch die Existenzgeldforderung zum Vokabular eines kapitalistischen Modernisierungsprogramms zählen." Wie grenzt links sich ab? So: "Während die wirtschaftsliberale Seite eine neue, flexibilisierte Billigarbeitskraft schaffen will, die der Staat mit 400, 500 Mark Zuzahlung im Monat vor absoluter Verarmung schützen soll, geht es beim Existenzgeld-Arbeitstreffen im Frühjahr darum, die Forderung nach Existenzgeld in den Kontext linker Debatten zu stellen."
  Das ist noch reichlich abstrakt, so als würde eine Argumentation allein dadurch progressiv, daß man sie "in einen anderen Kontext stellt". An dieser Stelle würde man sich eine ausführliche kritische Auseinandersetzung mit den neoliberalen Ideologien vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" wünschen, die bei Denkschulen wie der bayrisch-sächsischen Zukunftskommission, aber auch in den Entwürfen für eine neue Beschäftigungspolitik der EU-Kommission zur Forderung nach einem "Bürgergeld" führen, das sich vom "Existenzgeld" nur der Höhe nach unterscheidet (ersteres beliefe sich derzeit auf 800 DM - eine Forderung, die sich auch die Grünen zu eigen gemacht haben; das zweite, im Einklang mit den Forderungen der Erwerbsloseninitativen, auf 1500 Mark + Warmmiete).
  Leider bleibt diese Auseinandersetzung sehr oberflächlich. Sie stellt das Theorem vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" nicht in Frage; die Arbeitsgruppe "Ende der Lohnarbeit" akzeptiert diese Prämisse sogar ausdrücklich als Ausgangspunkt der eigenen Überlegungen, indem sie die kapitalistische Krise, die zur anhaltenden Massenerwerbslosigkeit geführt hat, nicht als eine Krise der Verwertungsbedingungen analysiert, sondern als Krise der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Damit hat die neoliberale Ideologie ihr erstes Ziel schon erreicht: Massenarbeitslosigkeit wird nicht mehr als Ausdruck der Zerstörungskraft des Kapitalismus verstanden, sondern gewissermaßen als "Naturereignis", ahistorischer Sachzwang, wenn nicht gar als erster, heilsamer Schritt aus dem Arbeitszwang heraus. So gesehen hat es eine bestimmte Logik, daß in der Ausgestaltung der Arbeitslosigkeit die Chance gesehen wird, die Lohnarbeit zu überwinden.
  Die Kritik am Bürgergeldansatz bezieht sich deshalb auch nicht auf die Erwerbslosigkeit als solche, sondern darauf, daß die bürgerlichen Modelle versuchen, "irgendwie die kapitalistische Regulierung zu reformieren" und die Sozialversicherungen zu "modernisieren" - was immer das heißen mag. Hauptkritik ist, daß der Arbeitszwang bleibt - was wunder, wird doch die Lohnarbeit mit dem Bürgergeld nicht abgeschafft, sondern nur anders abgestützt!
  Aber auch der linke Existenzgeldansatz scheint die "Abschaffung der Lohnarbeit" und das "Versprechen nach einem guten Leben für alle" für eine ausreichende Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit zu halten. Die Forderung nach Geld greift aber weder die Lohnsklaverei an, noch verschafft sie den vielen Erwerbslosen, die dies wollen, einen neuen - oder überhaupt einen - Lohnarbeitsplatz. Solche Erwerbslose gibt es tatsächlich, und sie sind in der Mehrzahl, auch wenn Linke bei ihrer Suche nach dem guten Leben es häufig nicht wahrhaben wollen.
  Tatsächlich läßt sich die Lohnarbeit nicht dadurch abschaffen, daß man klammheimlich darauf hofft, sie werde allmählich aussterben. Entgegen den Prophezeiungen der neoliberalen Ideologen ist es - betrachtet man das gesamte Arbeitsvolumen weltweit - nämlich überhaupt nicht so, daß der Gesellschaft "die Arbeit" ausgeht. Was stattfindet ist eine Polarisierung und vielfältige Aufspaltung des Arbeitsmarkts: In der Stahl- und Automobilindustrie z.B. wird ein immer größeres Volumen an Gütern mit immer weniger Menschen produziert - Fabriken und Baustellen sind gespenstisch menschenleer geworden. Gleichzeitig wird viel von dieser Produktion in andere Erdteile ausgelagert. Auf der anderen Seite nimmt der Anteil an Arbeiten in den Dienstleistungenbereichen zu; dort aber kann die Produktivität nicht so einfach gesteigert werden, deshalb werden - mit Hilfe des gesellschaftlichen Drucks, den die Massenarbeitslosigkeit ausübt - die Löhne so weit gesenkt, daß Arbeitskräfte billiger werden als Maschineneinsatz. Die Gewerkschaften weisen seit Jahren daraufhin, daß allein in der BRD gleichzeitig zwei Entwicklungen stattfinden: die einen akkumulieren Überstunden, ohne die sie vielfach unter das vom Existenzgeld angepeilte Einkommensniveau fallen würden; die anderen werden überflüssig gemacht.
  Was real stattfindet, ist - klassisch marxistisch - der Aufbau einer gigantischen industriellen Reservearmee, um Löhne und Sozialleistungen massiv zu drücken, damit die Profitrate wieder steigt. Die endgültige Abschreibung eines großen Teils der Erwerbslosen vom Arbeitsmarkt und ihre weitere Alimentierung durch die Sozialhilfe ist durchaus eine der bürgerlichen Strategien, den gewünschten Druck auf den Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten. Der Zwang in Billigjobs und Arbeit für Sozialhilfe eine andere.
  Die Forderung nach Existenzgeld hebelt diese Strategie nicht aus; sie läßt die Herrschaft der Unternehmer über die Fabriken und Büros unangefochten, und damit auch die Lohnarbeit. Die abzuschaffen ist ein sehr richtiges und erstrebenswertes Ziel - aber es geht nur von innen, "aus dem Herzen der Bestie", also von der Seite der Erwerbstätigen her, nicht von außen, mit der Forderung nach mehr Einkommen für die Erwerbslosen.
  Das klingt jetzt andersherum borniert - und ist so nicht gemeint. Gerade die Billiglohnstrategie, die sozialdemokatische Regierungen (und die EU) fahren, verdeutlicht, daß es einen engen Zusammenhang zwischen dem Abbau von Erwerbslosigkeit, der Abwehr von Lohnsenkungen und der Abwehr von Senkungen der Sozialleistungen gibt - man denke nur an das "Lohnabstandsgebot".
  Dieser Zusammenhang wird noch vielfach ignoriert, von Gewerkschaften ebenso wie von Erwerbslosen. Erst seine Wiederherstellung würde in den Betrieben einen Gegendruck gegen die tagtägliche Erpressung schaffen, die Belegschaften sollten sich zwischen Lohnsenkung und Rausschmiß entscheiden; würde Arbeitslosen die Kraft geben, Widerstand zu leisten gegen die Drohung: entweder Billigarbeit oder Streichung der Sozialhilfe! Das sind doch die Entscheidungsituationen, in die Unternehmer wie Behörden jeden einzelnen hineinmanövrieren wollen - und mit denen die Gewerkschaften sie oft genug allein lassen!
  In den 70er Jahren konnten viele ihre Lebensentwürfe noch darauf aufbauen, auf der Basis von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe ein "alternatives Leben und Arbeiten" zu praktizieren. Das geht immer weniger - weil man von den Sozialleistungen immer weniger leben kann, und weil der Zwang zu einer "normalen" Arbeit immer stärker wird. (Übrigens ist auch nicht wahr, daß die heutige Sozialhilfe "die moderne Gestalt der Armenfürsorge" sei. Das BSHG enthält immerhin die Auflage, den individuellen Bedarf zu berücksichtigen. Auch das soll in Frage gestellt werden. Die Rolle rückwärts zurück zu einer neuen Armenfürsorge - z.B. in Form eines Existenzgelds, das seiner Höhe nach diesen Namen nicht verdient - steht uns noch bevor.)
  Falsch an der Existenzgelddebatte ist nicht die Forderung, daß auch all diejenigen, die nicht oder nicht voll einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ein existenzsicherndes Einkommen beziehen müssen. Diese Forderung ist völlig richtig und sehr notwendig - sonst würde dem Lohndumping von der anderen Seite, der Seite der Erwerbslosen her, das Tor aufgemacht. Falsch ist die Leichtfertigkeit, mit der neoliberale Prämissen dabei übernommen werden - und damit ein theoretisches Gebäude, das Erwerbslose gerade nicht in die Lage versetzt, gesellschaftliche Bündnispartner zu suchen und zu finden.
  Schlußfolgerung: Die zwei Forderungen: Mindesteinkommen (wie man es immer nennen mag) von 1500 DM plus Warmmiete und Umverteilung der Arbeit gehören eng zusammen. Wenn eine für sich allein steht, läuft die Sache in die falsche Richtung.
  Angela Klein
 


zum Anfang