Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 18.03.1999, Seite 16

"Wir wollen Frieden,Demokratie und eine politische Lösung"

Interview mit Erdogan Aydin (ÖDP)

Erdogan Aydin ist unterstützendes Mitglied der Partei für Freiheit und Solidarität (ÖDP) in der Türkei. Die ÖDP ist aus einem Sammlungs- und Neuformierungsprozeß der türkischen Linken hervorgegangen. Erdogan Aydin ist Schriftsteller und hat u.a. ein sechsbändiges Werk über den Islam verfaßt. Er wurde wegen seiner politischen Tätigkeit verfolgt und 1984 zum Tod verurteilt; aufgrund eines Amnestiegesetz verbrachte er 11 Jahre (1980-91) im Gefängnis. Auf Grund dieser Verfolgung ist es ihm verboten, vollwertiges Mitglied der ÖDP zu sein, d.h. er hat in der Partei nur aktives, nicht passives Stimmrecht. Ein Drittel der Mitglieder der ÖDP fallen unter diese Regelung. Aydin sitzt als unterstützendes Mitglied im Vorstand der ÖDP. Zur Zeit befindet er sich auf einer Veranstaltungstournee durch die Bundesrepublik. Seinen Aufenthalt in Köln nutzte die SoZ zu einem Interview über die Haltung der Partei zur kurdischen Frage.

Die Verhaftung Öcalans hat in der Türkei zu zahlreichen Repressalien gegen Kurden geführt. Die ÖDP kandidiert zu den Parlamentswahlen, die am 18.April stattfinden sollen. Hat die neue politische Lage zu einer Veränderung ihrer Schwerpunkte im Wahlkampf geführt?
  Die Kontrolle der Regierung über die Gesellschaft hat sich seit der Ergreifung Öcalans sehr verstärkt; die Regierungspartei DSP (Mitte-Links) hat dadurch sogar an Ansehen und Stärke gewonnen. Die Regierung ist besonders brutal vorgegangen, weil sie sich davon erhofft hat, den Einfluß der islamistischen Partei zurückdrängen zu können.
  Wir konnten die Aktionen der Regierung nicht verhindern, darauf haben wir keinen Einfluß. Für uns ist das Wichtigste, daß wir für eine multikulturelle, multinationale und multireligiöse Gesellschaft eintreten, das ist unsere Hauptparole. Unsere Wahlpolitik hat sich nicht verändert; durch die Zurückdrängung der Islamisten hat sich das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft aber verändert und wir hoffen, mit unseren Forderungen jetzt mehr Gehör zu haben.
 
  Fordert die ÖDP Autonomie für das kurdische Volk?
  Wir fordern die Einführung von Demokratie in der Türkei, damit die Kurden in der Lage ist, ungehindert ihre Forderungen zu stellen. Die Kurdinnen und Kurden müssen frei sagen können, was sie wollen, und dürfen dafür nicht verfolgt werden. Wir kämpfen für die Demokratisierung der Türkei.
 
  Die ÖDP macht sich die kurdische Forderung nach Autonomie nicht direkt zu eigen?
  Wir fühlen uns nicht berechtigt, für andere etwas zu fordern. Es muß sich die Gesellschaft aber so ändern, daß alle Teile der Bevölkerung ihre Forderungen stellen können.
 
  Leistet die ÖDP eine aktive Unterstützung für die derzeitigen Aktionen der Kurdinnen und Kurden in der Türkei?
  Die ÖDP fordert die Einrichtung eines unabhängigen Gerichts für Öcalan. Wir wollen eine politische Lösung des Konflikts und treten deshalb dafür ein, daß ein Klima geschaffen wird, in dem eine solche Lösung möglich ist und Schritte zu einem Frieden eingeleitet werden können. Wir fordern deshalb einen demokratischen Prozeß für Öcalan. Er soll vor ein Gericht gestellt werden, das nach internationalen Rechtsmaßstäben arbeitet.
 
  Unterstützt die ÖDP die Forderung nach einer internationalen Friedenskonferenz?
  Wir finden eigentlich, daß das Problem in der Türkei gelöst werden muß. Erst mal muß es Frieden in der Türkei geben, dann kann es eine Debatte über eine politische Lösung geben. Dazu müssen sich aber die politischen Strukturen in der Türkei ändern. Seit der Gründung der ÖDP ist die Forderung nach Frieden und nach Rechten für die Unterdrückten ihre Hauptparole.
 
  Bei den vorhergehenden Wahlen ist die ÖDP ein Wahlbündnis mit der kurdischen Partei HADEP eingegangen. Das ist diesmal nicht zustandegekommen. Warum?
  Wir wollten mit allen linken Kräften in der Türkei ein Bündnis haben. Wir hatten auch mit HADEP verschiedene Diskussionen darüber. HADEP hat gefordert, daß das Wahlbündnis wieder ihren Namen trägt; das haben wir aus zwei Gründen nicht akzeptieren können. Der eine ist ein formaler: wir haben schon das letzte Mal unter dem Namen von HADEP kandidiert; beim zweiten Mal würde die ÖDP verboten werden.
  Der zweite Grund war ein politischer. In der Türkei gibt es eine starke nationalistische Welle, die können wir mit einer Kandidatur unter dem Emblem von HADEP nicht brechen. Wir haben mit HADEP darüber diskutiert, daß wir - vor allem im westlichen Teil des Landes - unabhängig von ihnen, unter eigenem Siegel, der nationalistischen Welle entgegentreten müssen. Wir haben leider keine gemeinsame Lösung gefunden, wir bedauern das.
 
  HADEP kandidiert auch?
  Ja, in allen Landesteilen.
 
  Mit welchem Wahlergebnis für die ÖDP rechnet ihr?
  Ungefähr 3 Prozent, es gibt auch Anzeichen, daß wir mehr, vielleicht 5 Prozent, bekommen könnten. Es kann auch passieren, daß die CHP (hervorgegangen aus der Spaltung der früheren, von Bülent Ecevit geführten, CHP nach dem Militärputsch) die Zehn-Prozent-Klausel nicht schafft. Dann würde sie sich aller Voraussicht nach spalten - ein Teil würde zur DSP abwandern, der andere Teil zu uns kommen, das würde die linken Kräfte in der Türkei stärken. Die Zehn- Prozent-Klausel ist auch der Grund dafür, daß Linke ihre Stimmen zumeist auf die CHP konzentrieren.
  Bei den Umfragen schneidet zur Zeit Ecevits Partei (die regierende DSP) am stärksten ab, sie liegt noch vor den Islamisten. Die Islamisten wollen die Wahlen deshalb auch zeitlich hinauszögern, während die Regierung sie so schnell wie möglich durchführen will. Das Militär will das auch.
 
  Gibt es auf der Linken noch andere Kandidaturen?
  Es gibt außer der ÖDP noch zwei andere linke Parteien in der Türkei: die EMEP (hinter ihr steht DIDF) und die SIP, die aus der moskauorientierten KP hervorgegangen ist; sie werden unter 1% bleiben. Außerdem gibt es noch eine sog. "Arbeiterpartei" (IP), aber die ist nationalistisch und man kann sie deshalb nicht zur Linken rechnen.
 
  Das Interview führte Angela Klein
 
  Anmerkung der Redaktion: Es gibt in der ÖDP unterschiedliche Auffassungen zur kurdischen Frage. Einige möchten den Dialog mit Vertretern des Kemalismus führen; andere, die ebenfalls in der Minderheit sind, möchten eine deutlichere Identifikation mit dem Kampf des kurdischen Volkes und meinen, daß jetzt die Zeit gekommen ist zu sagen: "Wir sind alle Kurden!" Die ÖDP- Führung hat auch abgelehnt, mit HADEP eine gemeinsame politische Erklärung zu den Wahlen herauszugeben.
 


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