Sozialistische Zeitung |
Viele Menschen unterstützen den Krieg der NATO auf dem Balkan, weil sie gegen die Vertreibung der
Albaner aus dem Kosovo sind. Anders als im Golfkrieg ist auf dem Balkan nicht auf den ersten Blick ersichtlich, daß "Blut
für Öl" vergossen wird. Angeblich verteidigt die NATO hier nur hehre "Werte" wie Demokratie, Freiheit und
Selbstbestimmung.
Die UNO-Flüchtlingskommissarin Sagato Ogata vermeldet für den Zeitraum von Ende März 1998 bis zum Beginn der
NATO-Intervention am 1999 200.000 Flüchtlinge; seither 420.000. Das bedeutet: Die NATO ist nicht die Ursache für die Flucht
der Albaner aus ihrer Heimat, aber sie hat ihre Situation erheblich verschärft und bisher nur erreicht, daß im Kosovo der
Übergang von Flucht zu systematischer Vertreibung eingeläutet wurde.
Menschenrechte sind unteilbar. Wer der albanischen Bevölkerung dadurch zu Autonomierechten verhelfen will, daß er die
serbische Zivilbevölkerung tötet, ihre Häuser und Spitäler zerbombt und ihre Infrastruktur soweit demoliert, daß
wirtschaftliches Leben zum erliegen kommt, kann nicht für sich beanspruchen, "humanitär" zu handeln. Der will Unrecht
beseitigen, indem er noch größeres Unrecht anrichtet.
Das Eingreifen von UNO und NATO hat bisher auch nicht das multiethnische Zusammenleben der Völker befördert, eher die
ethnische Teilung (siehe Bosnien), die nur auf Grund der NATO-Präsenz nicht zu neuen Kriegsausbrüchen führt. Den jetzigen
Krieg hat die NATO begonnen, um den Vertrag von Rambouillet durchzusetzen, der vorsah, in der jugoslawischen Provinz Kosovo die
Autonomie wiedereinzuführen. Schon wenige Tage nach dem Beginn der Bombardierungen war klar, daß dies unrealistisch war.
Der einzige Ausweg, der aus diesem Krieg tatsächlich möglich scheint, läuft auf eine Teilung des Kosovo und die
Zementierung der ethnischen Trennung von Serben und Albanern hinaus. Die noch multiethnischen Republiken Montenegro und Mazedonien
werden damit akut gefährdet.
Das Elend der Flüchtlinge wird instrumentalisiert. Für die Kampfeinsätze gibt die NATO täglich 600 Millionen Mark
aus; aber wegen der Aufnahme von 40.000 Flüchtlingen in Deutschland gibt es schon Geschrei, und die Öffentlichkeit ist sich nicht
zu schade, das als eine Heldentat zu feiern, wo doch die Hauptlast der 600.000 Flüchtlinge auf den ärmsten Ländern Europas,
Albanien und Mazedonien, lastet. Die USA verfrachten ihr Flüchtlingskontingent (20.000) "für einige Wochen" auf die
Guantanamo-AirBase und lassen sie nicht mal ins Land. Dafür werden 8000 NATO-Soldaten nach Albanien geschickt -
vordergründig, um die Flüchtlingshilfe zu koordinieren. Wenn die NATO die Infrastruktur des Landes aber erst einmal nach den
eigenen Bedürfnissen ausgerichtet hat, wird sich schon unentbehrlich gemacht haben.
Bundesdeutsche Medien und Regierung versuchen, mit Menschenrechtsrhetorik eine fanatische antiserbische Hetze und einen kollektiven Wahn
herbeizureden, bei dem Milosevic zu Hitler und die Serben zu einem Volk von Mördern gemacht werden, gegen die jedes Mittel erlaubt
sein soll. Scharping redet von "Völkermord" und "Konzentrationslagern", en passant werden die Verbrechen der
Nazis damit auf eine Stufe gestellt und verharmlost. Die Flüchtlingskommissarin muß laufend dementieren: Nein, albanische
Intellektuelle wurden nicht erschossen, zurückkehrende Flüchtlinge nicht als "menschliche Schilde" benutzt.
Solches Handeln hat mit humanitärer Hilfe für eine unterdrückte Bevölkerung nichts zu tun. Es hat vielmehr damit zu
tun, daß die NATO neben dem vorgeblichen noch ein anderes Kriegsziel verfolgt - möglicherweise das einzige, das sie durchsetzen
kann: die Stationierung von Truppen in der albanischen und südserbischen Region und die Zerstörung eines großen Teils des
militärischen und wirtschaftlichen Potentials Serbiens.
Die Zerstörung ist ein Ziel an sich geworden, und sei es nur, um "das Gesicht zu wahren" und ein "vorzeigbares
Ergebnis" zu haben. "Es geht . nicht nur um das Schicksal der Vertriebenen. Es geht auch um das der NATO. Nimmt sie die von
Milosevic angestrebten Fakten hin, so gibt sie die Rolle auf, die sie mit ihrem neuen strategischen Konzept für sich in Anspruch nimmt.
Dieses Konzept steht nun auf dem Prüfstand..." (FAZ, 6.4.99).
Der sofortige Abzuge der NATO-Truppen aus dem Balkan und ein striktes Nein zu jeder Form von Protektorat ist die Voraussetzung für
jede Lösung, die wirklich auf eine Veränderung der innenpolitischen Verhältnisse in Serbien und auf eine Föderation
multiethnischer Republiken setzt. Ein Kosovo oder Teil-Kosovo unter NATO-Protektorat wäre nichts anderes als ein imperialistischer
Brückenkopf auf dem Balkan, der von Serbien als eine permanente Bedrohung aufgefaßt würde. Unter solchen
Umständen kann sich weder eine demokratische Opposition in Serbien, noch eine Selbstverwaltung der Kosovo-Albaner
entfalten.
Angela Klein