Sozialistische Zeitung |
Wenn die Parteichefin Antje Radcke und die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, über den Balkankrieg und ihre "innere Zerissenheit" reden, kann ein Zuhörer schnell den Eindruck gewinnen, nicht die Flüchtlinge aus dem Kosovo seien die Leidtragenden des Krieges, sondern die Parteispitzen der Grünen. Wie siehst du zur Zeit die Stimmung in der Partei?
A.Gebhard: Die zitierten grünen Frontfrauen haben von Anfang an gesagt, das dieser Kriegseinsatz jeden Grünen innerlich zerreißen wird. Man wird sehen, ob es die Grünen insgesamt als Partei zerreißt. Gerade erst sind relevante Details des Rambouillet-Abkommens von der deutschen Presse veröffentlicht worden. Demnach sollte Jugoslawien seine eigene Besetzung mit
unterzeichnen. Es ist klar, daß Milosevic diesen Vertrag nicht unterschreiben konnte und der Kriegseinsatz wird immer fraglicher.
Wenn nun selbst Staatssekretär Ludger Volmer behauptet, daß er über den Inhalt des Abkommens nichts wußte und Angelika Beer erklärt, nach dem heutigen Wissensstand hätte sie dem Einsatz nicht zugestimmt, dann frage ich mich, warum sie sich nicht für einen sofortigen Stopp der Luftangriffe einsetzen.
Zur Zeit gibt es viele Parteiaustritte bei den Grünen. Andererseits stehen altgediente Parteimitglieder wie der Hamburger Uli Cremer, bis Februar 1999 Sprecher der Bundearbeitsgemeinschaft Frieden im Fachbereich Außenpolitik und expliziter Kriegsgegner, der Partei trotz
allem immer noch zur Seite. Welche Perspektive haben Kriegsgegner heute bei den Grünen?
Das wird sich deutlich auf dem Parteitag am 13.Mai zeigen. Aus unserer Sicht ist das Programm der Grünen immer noch ein pazifistisches Programm - zumindest aber in großen Teilen noch ein Antimilitaristisches. Dieses Gepäck über Bord zu
werfen, fällt vielen altgedienten Parteimitgliedern schwer. Es gibt die Hoffnung, den Kurs noch einmal drehen zu können.
Wollen sich die Kriegsgegner bei den Grünen zusammenschließen und gemeinsam die Parteiführung unter Druck setzen?
Wir als GAJB haben schon vor dem 24.März klar gemacht, daß wir gegen Kriegseinsätze jeder Art sein werden. Zusammen
mit den anderen antimilitaristischen Kräften wollen wir auf dem Parteitag die Probe aufs Exempel und laden sie schon vor dem Parteitag
am 9.Mai nach Köln ein, um über die Zukunft der Partei zu diskutieren.
Werden die bei den Grünen verbliebenen antimilitaristischen Kräfte geschlossen die Partei verlassen, wenn sie auf dem Parteitag
eine Niederlage erleiden?
Das kann ich mir durchaus vorstellen, zumal wir vor dem Kosovo-Einsatz überhaupt nicht gefragt worden sind und über viele
Köpfe in der Partei hinweg entschieden worden ist. Viele Funktionärsträger der Grünen sind sehr schnell auf
Regierungslinie eingeschwenkt. Das kennen wir schon von den zahlreichen Regierungsbeteiligungen auf Landesebene.
Wie sehen die grünen Kriegsgegner die Rolle der PDS, die sich als einzige Partei im Bundestag konsequent gegen den NATO-Einsatz
ausspricht?
Das Verhältnis ist sehr zwiespältig. Auf der einen Seite teilen die grünen Kriegsgegner die Positionen der PDS. Allerdings
befindet sich die PDS auch in einer recht komfortablen Rolle. Sie ist nicht in der Regierung und kann ganz anders agieren als die Grünen.