Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 2

Die neue Gesprächskultur

Es gibt Begriffe, deren wahre Bedeutung sich erst in der Praxis erschließt. Wer erinnert sich nicht an die so warmherzig empfohlene Streitkultur? Heute wissen wir: Dies bedeutet, in ein fremdes Land deutsche Tornados zu schicken, um es in Schutt und Asche zu legen. Die letzte sprachliche Erfindung - sie stammt vom ÖTV-Vorsitzenden Herbert Mai - heißt: "neue Gesprächskultur". Sie soll zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaft und Regierung im "Bündnis für Ausbildung, Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" eingeübt werden, um "am gleichen Strang zu ziehen". Das aber sei nur möglich, meint Kollege Mai, wenn in den Gesprächen "ein anderes Klima" herrscht, man nicht in der "Kultur des Mißtrauens" verharrt. Er tritt darum für eine "Benchmarking" getaufte Arbeitsgruppe ein, die in einem sogenannten "Datenkranz" Rahmenbedingungen vorlegt. Wissenschaftler und Regierungsvertreter sollen Statistiken über Bereiche wie Investitionen, Finanzpolitik, Lohnkostenfaktoren vorlegen, alle Beteiligten sollen "bis an die Grenze des Zumutbaren" bei der Suche nach Lösungen gehen.
  Was aber bedeutet das in der neoliberalen Politik erfundene "Benchmarking"? Es geht dabei um die Auswahl von Daten. Aber je nachdem, welche Wertmaßstäbe an eine ideale Leistung der Volkswirtschaft angelegt wird, kommen Wissenschaftler zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gehen sie von möglichst geringer Staatsquote, Steuersenkung für Unternehmer, Reduzierung von Arbeitskosten aus, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, sind die Ergebnisse vorprogrammiert. Sie lauten: mäßige Lohnabschlüsse, weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und noch weniger Steuern für Unternehmer.
  In der Frage der "Einbeziehung der Lohnpolitik in das Bündnis für Arbeit" geht es nicht um einen "innergewerkschaftlichen Streit", sondern um Glaubwürdigkeit und Zukunft der Gewerkschaftsbewegung. Klaus Lang, Leiter der tarifpolitischen Abteilung der IG Metall, hat dies offenbar begriffen. Er schreibt: "In einer Zeit, in der weite Teile der veröffentlichten und öffentlichen Meinung von neoliberaler Angebotsdoktrin durchtränkt sind, wo der Sachverständigenrat und die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute fast ausnahmslos und einfallslos Jahr für Jahr das Credo angebotsorientierter Wirtschaftspolitik und Lohnpolitik herunterbeten, wollen die Metallarbeitgeber nicht nur in Tarifauseinandersetzungen ihre Position vertreten, was legitim ist." Sie wollen "die IG Metall durch öffentlichen und politischen Druck zu einer tarifpolitischen Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) drängen, die auf eine klare Forderungsbegrenzung unterhalb des sozial Angemessenen und volkswirtschaftlich Vernünftigen hinausläuft".
  Das angebotspolitische Dogma, eine moderate Lohnpolitik werde automatisch zu mehr Arbeits- und Ausbildungsplätzen führen, sei doch durch die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts widerlegt worden, schreibt Klaus Lang. Er vergißt auch nicht, die neue Koalition daran zu erinnern, daß sie sich verpflichtet hat, die "Waffengleichheit im Arbeitskampf" wieder herzustellen, sprich den alten §116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) wieder so zu ändern, daß alle von Arbeitskampffolgen Betroffenen außerhalb eines umkämpften Tarifgebietes einen Anspruch auf Kurzarbeiter- bzw. Arbeitslosengeld haben.
  Vor wenigen Monaten nannte BDI-Vorsitzender Henkel das "Bündnis für Arbeit" schlicht "Konsenssoße". Wollte Kollege Mai sie ihm durch seine "neue Gesprächskultur" schmackhaft zubereiten?
  Jakob Moneta
 


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