Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 8

‘Verbrechen der Wehrmacht‘

Ausstellung jetzt in Köln

Seit dem 4.April 1999 kann die Ausstellung des Instituts für Sozialgeschichte Hamburg (J. P. Reemtsma) über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs im Kölner Stadtmuseum und im NS-Dokumentationszentrum (EL-DE-Haus) besichtigt werden. Angesichts des Krieges in Jugoslawien gewinnt sie zusätzliche aktuelle Bedeutung. Das sollte nicht daran hindern, sie "für sich" zu betrachten und keine vorschnellen Parallelen zu ziehen.
  Die Ausstellung möchte einer Legende entgegentreten, die sich durch die Geschichte der Bundesrepublik und der Bundeswehr zieht: Hitler sei der Verbrecher an der Spitze gewesen und die SS habe die Verbrechen ausgeführt. Die Wehrmacht habe zwar einen Krieg geführt, sich aber an Völkermord und Vertreibungen nicht beteiligt.
  Städtenamen wie Oradour und Lidice - Stätten der Liquidierung aller Menschen an einem Ort durch SS-Truppen - seien eben Ausnahmen. Daß solche Orte quer durch ganz Europa, besonders aber im Osten liegen und zu Hunderten zählen, wußten nur Eingeweihte. Bundeswehrkasernen nach Hitlers Generälen zu benennen, war kein Problem. "Unsere Väter waren keine Verbrecher", hieß die Parole.
  In mühseliger Kleinarbeit, vor allem nach Fotos und Material aus Privatbeständen, widerlegten die Forscher des Instituts diese Sicht der Dinge. Was Antifaschisten, die den Krieg überlebt hatten, was Überlebende der Massaker in Rußland, Polen, Griechenland, auf dem Balkan immer wußten: die AusstellungsinitiatorInnen fanden die schriftlichen und fotografischen Beweise, zum Teil im Gepäck der beteiligten Soldaten.
  Daraus entstand eine Ausstellung, die sich auf Rußland und Jugoslawien - speziell Serbien - konzentriert, und deren Aufmachung den Betrachter nicht losläßt. Viele Schwarzweißfotos, allermeist kleinformatig, wie aus einem Album entnommen (was auch oft den Tatsachen entspricht), knappe Texte, Pläne und Karten der Eroberer, Tagesbefehle und ihre Ausführung - man wird durch die Ausstellung immer tiefer in die tatsächlichen Geschehnisse, Verbrechen, Morden, Folter, Massenerschießungen hineingezogen.
  Insbesondere nach dem Überfall der Nazitruppen auf Rußland, nach der Ausweitung des Krieges in Osteuropa häufen sich die Verbrechen der Wehrmacht im Gefolge der Besetzung. Dabei werden auch Juden gejagt, dabei wird der "Kommissar-Befehl" auf alle "Bolschewisten" - also Kommunisten in den Reihen der Sowjetarmee - ausgedehnt, und da werden alle Widerstandsaktionen von Partisanen mit der Ausrottung ganzer Dörfer und willkürlich herausgegriffener Geiseln beantwortet.
  Man muß schon nah an die Fotos herangehen, um das Geschehen zu erkennen - und merkt, wie wichtig es ist, nicht einem Antikriegsfoto in Großformat, sondern zahllosen Einzelfotos, oft von Amateurqualität, gegenüberzustehen, gezwungen zu sein, näherzukommen.
  Ausdrücklich weist die Ausstellung darauf hin, daß viele Fotos entgegen dem Verbot, "Hinrichtungen" im Bild festzuhalten, von beteiligten Soldaten privat aufgenommen wurden. Bei Gefallenen oder Heimgekehrten fanden sich dann die Abzüge. Manche Familie trennte sich erst nach dem Tod des Soldaten von solchen "Erinnerungsstücken".
  Eine besonders abscheuliche "Bestrafungsaktion" der Wehrmacht in Serbien dokumentiert die Ausstellung mit einer Wand voll mit mehreren hundert Paßfotos der Ermordeten. Jugendliche, Männer, ein paar Frauen, mehrere Familiennamen tauchen gleich mehrfach auf - das sind einige hundert von über viertausend wegen Partisanenaktivitäten ermordeten Einwohner einer einzigen Stadt. Während sonst die Opfer anonym bleiben: hier sind sie als Personen kenntlich, deren Familien und Orte nach wie vor auffindbar sind.
  Verbrechen der deutschen Wehrmacht nach über fünfzig Jahren in Wort und Bild sind nicht nur in dieser Ausstellung erfaßt. Antifaschistische Literatur darüber findet man auf dem begleitenden Büchertisch satt. Aber nichts hat so wie diese Ausstellung für politische Unruhe gesorgt.
  Zu Beginn der Wanderausstellung in München kam es zu einer gemeinsamen Gegenaktion von CSU und NPD. Oft durfte die Ausstellung nicht am gewünschten Ort gezeigt werden, etwa im Frankfurter Römer. Fast in jeder Stadt protestierten Neofaschisten. Immer unter dem Schutz der Polizei, die oft genug Gegendemonstranten verhaftete, wie in Bonn oder Münster. Im Saarland wurde eine Bombe geworfen - Täter nicht gefaßt.
  Soldatenverbände, REPs und CDU beklagten die "Verächtlichmachung Verstorbener", die "Beschimpfung" der Täter als Verbrecher, die "Verallgemeinerung" von Taten einzelner auf die gesamte Wehrmacht.
  Ralph Giordano sagte in einer Fernsehdiskussion angesichts der "Einerseits-andererseits"-Abwägungen von Historikern sinngemäß: Das Entscheidende ist, daß die Wehrmacht sich an einem verbrecherischen Krieg beteiligte.
  Und die Ausstellung beweist nur erneut, daß er auch mit verbrecherischen Mitteln geführt wurde. Die Armeen sicherten mit ihrem Krieg die Vernichtung der Juden in Osteuropa, die Ausrottung von Teilen der osteuropäischen Bevölkerung unter Rassegesichtspunkten, sie beteiligte sich an Strafaktionen gegen Partisanen.
  Der Protest gegen die Ausstellung ist Ausdruck dafür, daß die politische Rechte nicht nur die Aufklärung über die Verbrechen Einzelner verhindern möchte, sondern vor allem, daß die Rechtfertigung der verbrecherischen Politik nicht aufgearbeitet werden soll.
  Eine makabre Ergänzung zur Ausstellung ist die Darstellung von Illustriertentiteln aus der Nachkriegszeit, auf denen Soldaten und Taten der Wehrmacht verherrlicht werden. Quick und Revue, Landserhefte und Romane zeigen, woher Falschinformation, Unkenntnis und Verdrängung bewußt gesteuert wurden.
  "Als erstes stirbt die Wahrheit im Kriege" - der mühsame Versuch, sie wieder auszugraben, ist mit der Wehrmachtausstellung nur gegen den tatkräftigen Widerstand der Täter und ihrer politischen Nachfolger gelungen.
  Diese Ausstellung müßte eine Pflichtveranstaltung der politischen Aufklärung für Soldaten werden, gerade jetzt, aber dafür sind die Chancen fast null in einer Zeit, in der wieder das Militär die Politik macht, und die Verbrechen nur "von der anderen Seite" begangen werden.

Rolf Euler

Die Wehrmachtausstellung ist vom 4.4. bis 24.5.1999 im Kölnischen Stadtmuseum (Zeughausstr.1-3) und im NS-Dokumentationszentrum (EL-DE-Haus) (Appellhofplatz 23-25) zu sehen.
 


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