Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 8

Grüner Menschenrechtseifer

AntirassistInnen besetzen Parteizentrale

Knapp 30 Aktivistinnen und Aktivisten aus antirassistischen Gruppen in Nordrhein-Westfalen besetzten am Mittwoch für mehrere Stunden die Bundesparteizentrale der Grünen in Bonn. "Willkommen im Club der Kriegstreiber!" lautete das Motto, unter dem die Besetzer einige prominente Grüne wie Umweltminister Jürgen Trittin, Staatssekretär Ludger Volmer und die verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer zum Pressegespräch vor laufender Kamera eingeladen hatten.
  Doch die Prominenz war nicht zu sprechen. "In unserer Partei gibt es keine Kriegsbefürworter", reagierte statt dessen ein Pressereferent der Grünen nach Angaben der Besetzer auf das Anliegen. Parteichefin Antje Radcke erklärte sich zwar zu einem Gespräch bereit, allerdings nicht vor laufender Kamera. "Sie wissen genau, wie die Sache funktioniert", erklärte eine Teilnehmerin der Aktion gegenüber der SoZ, "wenn keine Promis auf dem Film zu sehen sind, wird der sowieso nicht gezeigt". Nach mehreren Anlaufversuchen hätte sich Radcke schließlich in ihrem Büro eingeschlossen.
  Mit ihrer Aktion wollten die Besetzer auf die Doppelmoral der Grünen aufmerksam machen, die einerseits "humanitäre" Bomben auf Belgrad befürworten, andererseits aber Waffenlieferungen und Abschiebungen in die Türkei mittragen. "Ein Minderheitenproblem muß nur entsprechend instrumentalisiert und aufbereitet werden, dann kann die NATO ihre humanitären Kämpfer schicken", heißt es in einer Presseerklärung von "Kein Mensch ist illegal". Die Besetzer wollen weder für die Serben noch für die Albaner Partei ergreifen. Es sei nicht ihre Sache, sich "an einer Ethnisierung des Sozialen zu beteiligen".
  "Für KurdInnen gilt der Menschenrechtseifer der grünen Juniorpartner nicht", so "Kein Mensch ist illegal". Ganz im Gegenteil: die ersten "rot"-grünen Waffenlieferungen an die Türkei werden gerade parlamentarisch auf den Weg gebracht. Die Rede ist von 250 Schützenpanzern des Typs "Fuchs" und mehreren U-Booten. Außerdem sollen 1800 Panzer mit deutschem Knowhow in der Türkei selbst gefertigt werden.
  Gleichzeitig transportieren alle zwei Wochen Chartermaschienen der rumänischen Fluggesellschaft Tarom von Deutschland aus Hunderte abgelehnte kurdische Asylbewerber zurück in die Türkei, obwohl türkische und deutsche Menschenrechtsorganisationen fast täglich auf die "alarmierende Entwicklung" der Menschenrechte im Vorfeld der türkischen Wahlen hinweisen: willkürliche Massenfestnahmen, Folter, Verschwindenlassen. Die Adressaten dieser Hinweise sind Außenminister Josef Fischer und seine Mitarbeiter. Von Menschenrechtsaktivisten werden sie regelmäßig aufgefordert, auf die Änderung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes hinzuwirken und so die Grundlage für einen Abschiebestopp zu legen.
  Der gültige Lagebericht stammt noch von der alten Bundesregierung. "Kurden werden nicht verfolgt" oder "Folter an Abgeschobenen ist ein Einzelfall" ist dort zu lesen. Das reicht nicht aus, um Abschiebungen zu verhindern. Ein neuer Lagebericht sei zwar in Arbeit, doch werde noch "an ihm gefeilt", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Menschenrechtsaktivisten sehen darin einen Hinweis auf "diplomatische Rücksichtsnahme" gegenüber dem NATO-Partner Türkei. Sie vermuten außerdem, daß das Auswärtige Amt jede "ungeschminkte Formulierung" im Lagebericht vermeiden wolle, die die Anerkennungsquote kurdischer Flüchtlinge erhöht.
  Abschiebungen stehen nun möglicherweise auch einem Teil der 400 kurdischen Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl bevor, deren Frist für Eingaben beim nordrhein-westfälischen Innenministerium offiziell am 6.April ausgelaufen ist. Der zuständige Abteilungsleiter im Innenministerium, Hans Engel, erklärte, er wolle nach Ablauf der Frist gemäß der "Aktenlage" entscheiden - es seien "aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu erwarten".
  Kurdistan, Kosovo, Jugoslawien: überall ist es die Zivilbevölkerung, die unter den Kriegen leidet. "Die Frauen und Kinder auf der Flucht und die Männer, die sich durch Flucht und Desertation der Beteiligung an der Gewaltmaschine entziehen, sind die Kriegspartei, auf deren Seite wir stehen", erklärt "Kein Mensch ist illegal". Sie wollen ihren Kampf um "offene Grenzen" fortsetzen und Strukturen vorbereiten, die den illegalen Grenzübertritt ermöglichen. "Das könnte ein praktischer Schritt sein, die Strategie der Herrschenden zu untergraben, die Flüchtlinge in den Armenhäusern Europas zu kasernieren", so die Besetzer.
  Gerhard Klas
 


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