Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 10

Das Ende der Salami

Im Regierungslager regt sich Widerstand gegen Kriegspolitik

Auch wenn mancher die Entwicklung vorhergesehen haben mag - das Tempo, in dem sich die Grünen von einer pazifistischen zu einer kriegführenden Partei wandelten, bleibt atemberaubend. Hatte Fischer schon seit Jahren seine bellizistischen Neigungen - immer schön mit Menschenrechten verbrämt - durchblicken lassen, so waren von der Grünen Militärexpertin Angelika Beer noch im August 1998 ganz andere Töne zu hören gewesen. Rühe, meinte sie damals anläßlich von Gelöbnisfeiern, wolle die Öffentlichkeit auf einen Krieg einstimmen. Jahrelang war sie als Exponentin des linken Flügels gern gesehene Rednerin auf Antikriegsveranstaltungen und Protetsten gegen die deutsche Türkei-Politik.
  Doch nur knapp zwei Monate nach ihrem Auftritt in Kiel gegen öffentliche Rekrutenvereidigungen wäre sie um ein Haar Staatssekretärin im Kriegsministerium geworden, hätte Verheugen, und nicht Scharping, den Minister-Job bekommen. Ihre Rolle in den Koalitionsverhandlungen beschrieb sie seinerzeit so: "Meine Aufgabe war es, die Partei ein stückweit mitzunehmen." Und wer sollte dafür besser geeignet sein, als die langjährige Kritikerin deutscher Rüstungspolitik, als die intime Kennerin deutscher Wühldiplomatie, die vor nicht allzu langer Zeit selbst vor der inoffiziellen Außenpolitik gewarnt hat, die mit der Unterstützung aller möglichen tatsächlichen oder eingebildeten nationalen Minderheiten betrieben wird.
  Und sie spielt diese Rolle weiter. Die Frage sei gewesen, versucht sie in einem Brief die Grüne Basis auf Kurs zu bringen, "vor ethnischen ‚Säuberungen‘ weg(zu)schauen - oder den Versuch zu unternehmen, Friedensbereitschaft mit militärischen Mitteln zu erzwingen." Während sie die Pazifisten auffordert, in der Partei zu bleiben, um "zu verhindern, dass Forderungen nach einer einseitigen Aufrüstung der UCK Realität werden" und "nach diesem Krieg eine präventive Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten", verrät sie an anderer Stelle schon einmal, wie wir uns diese vorzustellen haben. Nach so einer Intervention, meinte die Ex-Linke Anfang des Monats in einem NDR-Interview, kann der Kosovo nur noch unabhängig sein. Ein Balkan-Konzept sei in aller Munde und es werde sich wohl auch die groß-albanische Frage stellen.
  Hatten die verbliebenen grünen Kriegsgegner nach den Koalitionsverhandlungen noch stillgehalten und den Vertrag, in dem bereits die grüne Zustimmungen zu Militäreinsätzen unter UNO-Kommando niedergeschrieben war, villeicht nicht so ernst genommen, scheinen sie nun langsam aufzuwachen. Immerhin sieben Mitglieder der Grünenfraktion stimmten am 26.3. im Bundestag gegen den Angriff auf Jugoslawien, unter ihnen Christian Ströbele und Annelie Buntenbach. In einer gemeinsamen Erklärung werfen sie der NATO Eskalation vor und kritisieren den Bruch des Völkerrechts, der rechtlich in die Zeit vor Gründung der UNO zurückführe. Die NATO sei nicht der richtige Weg zur Durchführung international legitimierter Einsätze zur Friedenserhaltung und -Erzwingung. "Wir sehen allein in der UN die internationale, völkerrechtlich legitimierte Handlungsebene, die es zu stärken gelte." Ob für sie deutsche Militäreinsätze in diesem Zusammenhang akzeptable sind, lassen sie allerdings offen.
  Daß die ganze Diskussion seit den Achtzigern um Blauhelmeinsätze u.ä. zu der jetztigen Situation geführt hat, klingt in einer anderen Erklärung grüner Antimilitaristen an. "Nachdem mittels einer Salamitaktik die friedenspolitischen Positionen in der bundesdeutschen Gesellschaft und bei den GRÜNEN in den letzten Jahren aufgeweicht worden sind, können wir heute sagen: Die Salami ist an ihrem Ende angekommen. Der Rubikon ist überschritten. Die BR Deutschland beteiligt sich an einem Angriffskrieg", heißt es in einem Aufruf der Grünen Anti-Kriegs-Initiative, der von ca. 700 Parteimitgliedern und einigen (wenigen) Kreisverbänden unterschrieben wurde. Initiert hatte ihn Uli Cremer aus Hamburg, der bis zum Februar Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden der Grünen war. Gefordert wird von den Grünen Kritikern ein sofortiger Stop der Kampfhandlungen. Ein auszuhandelndes Friedensabkommen solle durch OSZE und UNO überwacht werden. An den dafür notwendigen "internationalen Einheiten soll sich Deutschland in angemessener Form beteiligen." Die Salamitaktik hat also auch bei der Anti-Kriegs-Initiative durchaus Spuren hinterlassen. Während an keiner Stelle der Gedanke auftaucht, Deutschland (oder auch andere NATO-Staaten) könnten womöglich ein Interesse an der kritisierten Eskalation gehabt haben, stimmt man nun durch die Hintertür Einsätzen zu, solange sie unter einem formalen UNO- bzw. OSZE-Kommando stehen. Angesichts dessen, daß sich inzwischen abzeichnet, daß die NATO nicht mehr auf dem Oberkommando einer "Friedenssicherungstruppe" bestehen wird, könnte sich das als Schwachstelle in der Argumentation der Kritiker erweisen. Aber immerhin ist derzeit der innerparteiliche Druck stark genug, daß ein Sonderparteitag durchgesetzt werden konnte. Der soll am 13.5. stattfinden, in sicherer Entfernung zu den Ereignissen.
  Uli Cremer ist dennoch verhalten optimistisch, daß die Bellizisten in die Schranken verwiesen werden könnten. "Die Ausgangssituation der Initiative", so Cremer in einem Gastbeitrag im Neuen Deutschland, "ist heute besser, als 1998" auf dem Magdeburger Parteitag. Andere teilen diesen Optimisimus nicht, manche sprechen gar davon, den Grünen drohe die Spaltung. Aus der ganzen Republik mehren sich die Nachrichten von Austritten. Einzelne treten auch zur PDS über. In Tübingen trat die Fraktionsvorsitzende im örtlichen Stadtrat und Mitarbeiterin der Informationsstelle Militarisierung, Claudia Haydt, aus. Ihren Schritt begründete sie u.a. damit, daß "durch ehemals pazifistische Identifikationsfiguren die Kriegsrhetorik hoffähig gemacht" wurde. Im Gegensatz zu den beiden zuvor genannten Aufrufen weist sie auch auf die gespannte internationale Lage hin, die von der NATO geschaffen wurde. Die Auswirkungen auf das Ost-West-Verhältnis seien "alles andere als der direkte Weg zum Weltfrieden". Im krassen Gegensatz dazu hatte Angelika Beer aus der Opposition Chinas - ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats und von der NATO brüskiert - geschlossen, daß die Weltorganisation reformiert gehöre. Der Balkankrieg als Sprungbrett für die Deutschen auf einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat?
  In noch deutlicheren Worten weist unterdessen eine Erklärung der SPD München auf die Gefahr der Ausweitung des Konflikts hin: "Der Abgriff der NATO auf Jugoslawien hat den Weltfrieden in unverantwortlicher Weise gefährdet und alle vertrauensbildenden Maßnahmen der letzten Jahre mit einem Schlag zunichte gemacht", heißt es in einem Text, der von zahlreichen Funktionsträgern aus der bayerischen Hauptstadt unterschrieben wurde. Auch acht sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete, darunter die Jusovorsitzende Andrea Nahles, wandten sich mit ihrer Kritik der Bundesregierung gemeinsam an die Öffentlichkeit. Anders als die zitierten Erklärungen aus den Reihen der Grünen spielen sie auch auf die krisenverschärfende Politik Deutschlands im Vorfeld des Angriffs an: "Genauso (wie die Politik Milosevics) verurteilen wir aber die Übergriffe und den Terror der UCK. Wir fragen vor diesem Hintergrund auch, warum keine Anstrengungen unternommen wurden, um den Waffenfluß aus Albanien an die UCK zu unterbinden. Es ist bezeichnend und besorgniserregend zugleich, daß in der Nacht der (ersten) Luftangriffe die UCK serbische Einheiten angegriffen hat."
  Auf dem Sonderparteitag am 12.4., der zur Wahl Schröders zum SPD-Vorsitzenden einberufen worden war, trat die Partei-Linke mit einem eigenen Antrag in Erscheinung. In dem wurde ein Waffenstillstand und ein Ausnutzen der russischen Vermittlungsbemühungen gefordert. Eine UN-Truppe bestehend aus Soldaten aus Mitgliedsländern, die nicht an den Kampfhandlungen beteiligt sind, sollten die Rückkehr der Flüchtlinge decken. Außerdem hieß es im Antrag, "In ihrer Ablehnung des Einsatzes von Bodentruppen unterstützt der Parteitag die Bundesregierung nachdrücklich." Erwartungsgemäß fand dies nur bei einer Minderheit Zustimmung. Die Mehrheit der Delegierten mochte sich nicht für ein Verbot des Einsatzes von Bodentruppen aussprechen.
  Auch in den Gewerkschaften sorgt der NATO-Krieg für heftige Auseinandersetzungen. In einer ersten Erklärung hatte DGB-Chef Schulte den Angriff ausdrücklich gut geheißen. "Wenn Verhandlungen nicht weiterführen, um Massenmord und Massenvertreibung zu verhindern, gibt es zu einem Einsatz von Streitkräften keine Alternative. Der DGB unterstützt daher das Ziel der Bundesregierung, auf diesem Wege Verhandlungsergebnisse zu erzwingen", ließ Schulte ungefragt nur wenige Stunden, nachdem die ersten Bomben gefallen waren, verbreiten. Anfang April schwächte der DGB-Bundesvorstand diesen Schulterschluß nur unwesentlich ab, in dem er die Suche nach Verhandlungslösungen einforderte, aber gleichzeitig erklärte, daß der Beschluß des Bundestags zum Militäreinsatz "respektiert" werde. Auch vom IG-Metall-Vorstand gab es eine windelweiche Erklärung, in der die Konfliktparteien aufgefordert werden, sich "auf der Basis der Friedensvereinbarungen von Rambouillet" zu einigen, und sich ansonsten um eine Verurteilung des NATO-Angriffs herumgedrückt wurde.
  Von der gewerkschaftlichen Basis gibt es dagegen deutlich kritischere Stimmen. Betriebsräte und IGM-Mitglieder bei Siemens haben z.B. eine Unterschriftenkampagne gestartet, die sich an die Fraktionen der Regierungsparteien richtet, in der ein Ende der Bombardements gefordert wird. Bleibt zu hoffen, daß diese Initiative Nachahmer findet.
  Wolfgang Pomrehn
 


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