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Das Bündnis für Arbeit wird neu aufgelegt. "Das Bündnis ist tot", hatte DGB-
Chef Schulte im April 1996 verkündet. Zu Recht. Die selbst auferlegte Zurückhaltung bei den Lohnverhandlungen und die
Bereitschaft Schultes zur Kürzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als Gegenleistung für die Halbierung der Arbeitslosenquote
brachten jenes 50-Punkte-Programm ein, von dem meist nur die symbolische Kürzung der Lohnfortzahlung genannt wird.
Und was Unternehmer und Regierung auf Bundesebene nicht haben durchsetzen können, wurde mit betrieblichen und regionalen
Bündnissen nachgeholt: Lohnverzicht, Absenkung der unteren Lohngruppen durch Lohndifferenzierung, Arbeitsverdichtung;
Einstiegslöhne für Langzeitarbeitslose bis zu 20% unter Tarif, Streichung bzw. Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld
und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Senkung der Ausbildungsbezüge um bis zu 30%, Samstagsarbeit als Regelarbeitszeit um nur
einiges zu nennen. Nach einer Befragung von Betriebs- und Personalräten sind in 24% (Betriebsräte) bzw. 12%
(Personalräte) der Unternehmen "Bündnisse für Arbeit" vereinbart worden.
All diese "Errungenschaften" haben dazu beigetragen, im Rahmen der "Prekarisierungspyramide" auch die
Lebensbedingungen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zu verschlechtern. Nur Betriebsräte - die Mehrheit der in der
erwähnten Studie vom WSI befragten - scheinen noch zu glauben, die massive Arbeitszeitflexibilisierung habe den Beschäftigten
mehr Zeitsouveränität gebracht - und nicht den Unternehmen flexiblere Verfügemasse.
Von den versprochenen Arbeitsplatzeffekten wird nicht mehr gesprochen. Schlimmer noch: "Damit ist das klassische Instrument der IG
Metall, über die Verteuerung der Mehrarbeit Druck auf Einstellungen auszuüben, wirkungslos geworden. Durch die lohnpolitische
Neutralisierung der Überstunden werden diese jetzt erst recht zur hauptsächlichen Kapazitätsreserve, werden Einstellungen
weitgehend überflüssig." (Bergmann u.a. in: Reform des Flächentarifvertrags?)
Dennoch streben alle am neuen Bündnis für Arbeit beteiligten Seiten an, ausgerechnet durch flexible Arbeitszeiten,
Überstunden, die 1998 um rund 20 Millionen gegenüber 1997 angestiegen waren, abzubauen. Gemeint sein kann nur deren
Vergütung.
Neueinstellungen unter Tarif und sonstige Tarifbrüche sind also längst Bestandteil der gewerkschaftlich geduldeten Tagesordnung -
entgegen den Beschlüssen diverser Gewerkschaftstage. Der Abbau von Arbeitsplätzen wie die Verschlechterung der
Arbeitsbedingungen geht - so oder so - munter weiter.
Die Gewerkschaftslinke läßt wie beim ersten Bündnis ein kategorisches und begründetes "Kein Bündnis
für Arbeit!" hören. Die Mehrheit der Deutschen scheint hingegen der Meinung, "daß ein Bündnis für
Arbeit die Beschäftigungskrise mildern kann" (Faz vom 5.12.98). Diese Umfrage dürfte glaubwürdig sein, denn
"bei aller chronischen Unzufriedenheit mit den konkreten Formen und Ergebnissen der ‚Sozialpartnerschaft hat die Masse der
Lohnabhängigen immer noch ihre grundlegende Prämisse geteilt, die Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit des
(hiesigen) Kapitals zu erhalten. Nicht bloß die Gewerkschaftsbürokratie, sondern auch die Basis sah und sieht sich daher
gezwungen, dem Druck des Kapitals und der herrschenden Meinung nachzugeben" (Imhof, Der Grundirrtum der B&G-Linken). Die
Gewerkschaftslinke scheint nicht zu überzeugen - weil sie nicht die richtigen Argumente hat?
Die Gewerkschaftsspitzen stehen mittlerweile offen zur Politik der Standortkriege durch Standortsicherung. "Damit Deutschland wieder
stimmt", so die IG-Metall-Broschüre zur Tarifrunde 99, will man die "Schlacht für die Arbeit" (L.Jospin)
gewinnen. Der (noch) proklamierte Verzicht auf den Lohnverzicht trotz Bündnis für Arbeit wird von der IG Metall und der
ÖTV mit der Rolle der Binnennachfrage für die Konjunktur begründet, denn die soll ja bekanntlich gut für
Arbeitsplätze sein.
Die Unternehmerseite hat also nichts zu befürchten. Entsprechend sagt sie jetzt schon zu, nichts zuzusagen: "Niemand kann von uns
quantifizierte Zusagen über Ausbildungs- und Arbeitsplätze verlangen" (BDA-Präsident Hundt, FR, 7.12.98). Und der
nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Schartau deutet bereits an, die Gewerkschaft könne nicht in Bonn auf Partnerschaft setzen
und in den Tarifverhandlungen "gleichzeitig den Krieg erklären" (Spiegel 51/98). So also sieht das Ende vom "Ende der
Bescheidenheit" aus.
Alternativen?
"Die IGM reagiert nur defensiv, läßt sich von den Arbeitgeberverbänden die Problemdefinitionen vorgeben, und daher
bleibt ihre Argumentation in allen wesentlichen Momenten der neoliberalen Hegemonie verhaftet" (Bergmann a.a.O.). Wir als
Gewerkschaftslinke konnten nicht verhindern, daß die Mehrheit der Lohnabhängigen mangels realistischer und attraktiver
Alternativen zur Lohnarbeit dieser Politik zustimmt.
In vielen Diskussionsrunden und auf Konferenzen zum ersten Bündnis wurde deutlich, daß es gilt, die alternativlose Akzeptanz der
Lohnabhängigkeit, und nicht deren Symptome "Sozialpartnerschaft" oder "Bündnis für Arbeit" zu
kritisieren. Und dennoch erklingen derzeit auch aus kritischen Gewerkschaftskreisen nur Neuauflagen: "Kein Bündnis für
Arbeit!", so der "Stuttgarter Aufruf" 1998 (SoZ 16-17/1998).
Wie bereits im Februar 1996 in einer Erklärung des DGB-Ortskartells Eisenach "Für eine neue Opposition von unten!"
wird nun wieder ein Aktionsprogramm von Arbeitern und Angestellten aller Branchen und Nationalitäten sowie von Arbeitslosen
gefordert, begleitet durch die "Thesen über die Notwendigkeit einer organisierten linken Strömung in den
Gewerkschaften" von Tom Adler und Bernd Riexinger, Mitgliedern des Stuttgarter "Zukunftsforum Gewerkschaften" (vgl.
express 9/98).
Bündnis der (Gewerkschafts-)Linken - wofür?
"Grundsicherung, gesetzliche Arbeitszeitregelungen, Mindestlohn usw. - dies alles sind Stichworte für eine Re-Regulierungspolitik.
Nun wird niemand etwas gegen eine Verbesserung der gesetzlichen Regelungen haben ... Aber hier drücken sich Gewerkschaften und
linke Sozialpolitiker nur um das Problem: Denn was können die parlamentarischen Sozialpolitiker schon im Gesetzeswerk bewegen,
wenn es keine außerparlamentarische soziale Mobilisierung, also Kämpfe gibt?" (Gruppe Blauer Montag, express
10/98.)
Können wir konsequent Widerstand leisten - auch außerhalb des Tellerrands traditioneller Großbetriebe und international -,
wenn wir auf Arbeit fixiert bleiben und doch nur Lohnarbeit meinen? Die Beschränkung auf Lohnarbeit festigt auch dieses System und
damit ein grundsätzliches Interessenbündnis für den Erhalt der Lohnarbeit.
Arbeit ist in der Tat eine "seltsame Sucht" (Paul Lafargue). Bereits in den 50ern schrieb Hannah Arendt: "Was uns bevorsteht,
ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch
versteht." Das könnte auch ein Grund zur Freude sein.
Jedoch versucht man statt dessen, künstlich Nachfrage nach Arbeitskraft zu schaffen, die das Kapital in immer geringerem Maße
braucht. Es braucht allerdings Arbeitswilligkeit - doch brauchen wir Arbeit um jeden Preis? Wie würden wir die gesellschaftlich
notwendige Arbeit verteilen und gestalten? Welcher Stellenwert bliebe ihr? Hier sind undogmatische (Gewerkschafts-)
Linke noch sprachlos.
Für viele arbeitende Menschen bedeutet Arbeit einerseits Stress, Lebensverkürzung, zeitlicher/körperlicher Druck, sie macht
krank, ist Freiheitsberaubung, Tretmühle. Freizeit verkommt zum Ausgleich zur Arbeit und verspricht Erholung, Entspannung, Spaß
und Freiheit. Und sie wird nicht nur immer kürzer, sondern auch teurer. Ein Teufelskreis aus Konsum und Überstunden, der es so
schwer macht, für Arbeitszeitverkürzung (auch mit vollem Lohnausgleich) zu mobilisieren.
Andererseits wissen oder ahnen viele, daß Arbeit auch das Selbstwertgefühl steigern kann, das Gefühl gibt, gebraucht zu
werden, soziale Bezüge und Kontakte vermittelt. Sie kann Hobby sein, Lebenssinn, Erfüllung, Anerkennung und Bestätigung.
Zur Erfüllung dieser menschlichen Bedürfnisse bietet die kapitalistische Gesellschaft Lohnarbeit und/oder Konsum an - beides
für die "breiten Massen" untrennbar miteinander verbunden. So sind viele geradezu dazu verdammt, in noch so entfremdeter
und prekärer Arbeit die Erfüllung dieser Bedürfnisse zu suchen.
Kurzfristig müssen wir wohl akzeptieren, daß für die meisten Lohnabhängigen ein bekanntes Übel den Vorteil
hat, zumindest bekannt zu sein. Auch das fixiert die Abhängigkeit, obwohl die meisten eigentlich wissen, daß eine diese
Bedürfnisse langfristig erfüllende Arbeit keine Lohnarbeit sein kann. Die Suche nach einem besseren Leben wie nach einer
besseren Arbeit bedeutet daher, die Suche nach einer besseren Gesellschaftsordnung, die wir erst zögernd wieder aufnehmen.
Hier hat das Verschwinden der (nur scheinbaren) Systemalternative uns nachhaltig paralysiert. Wird Lohnarbeit aber - weil angeblich
alternativlos - gleichgestellt mit Geld, Lebensstandard, Luxus und gilt die Überzeugung, "je beschissener die Arbeit, desto mehr
Kompensation brauche ich", bleibt sie ein Disziplinierungsmittel und die berühmte "Karotte vor dem Esel".
Der praktizierte Zwang zur Arbeit ist entwürdigend. Selbst von den Betroffenen der Ausselektierung nicht voll
"Funktionsfähiger" wird erwartet, möglichst bald Arbeit zu haben oder zumindest haben zu wollen. Selbst
Vorruheständler müssen sich beim Arbeitsamt melden.
Es ist blanker Zynismus auf der erreichten Stufe der Produktivkräfte den Menschen auch nur eine Halbierung der Arbeitslosigkeit zu
versprechen und sie zur Arbeitswilligkeit zu zwingen.
Was setzt die Gewerkschaftslinke dem entgegen? Mit der positiven Abkoppelung von Geld und Arbeit über Einkommen für alle ist
die Sinnfrage für die Arbeitssüchtigen noch nicht vom Tisch. Es ist und bleibt ein ambivalentes Verhältnis zur Arbeit,
solange wir für die Arbeitsgesellschaft zugerichtet werden und bleiben. Wir brauchen kein Bündnis für, sonder ein
Bündnis gegen Lohnarbeit, ein sicherlich langfristig angelegtes, für das wir realistische und attraktive Bilder einer gerechten
Gesellschaftsordnung (wieder) entwickeln müssen.
Der grassierenden Selbstbescheidung, um den Arbeitsplatz nicht zu gefährden, müssen wir aber bereits kurzfristig ein neues
Anspruchsdenken entgegensetzen. Hierzu gehören auch (aber nicht nur) "unverschämte" Ansprüche auch an die
Qualität der notwendigen Arbeit und Produkte.
Ein solches Bündnis gegen lohnabhängige Arbeit und für Arbeits- wie Lebensqualität (nennen wir es doch mal so, da
andere Begriffe nun verpönt sind) setzt aber auch voraus, Begriffe wiederzugewinnen. Der wichtigste ist der der
Solidarität.
Solidarität - mit wem?
In der Theorie sieht die Wiederinbesitznahme noch relativ einfach aus: "Solidarität ist für uns nicht nur ein moralisches
Prinzip, sondern lebensnotwendig … wir müssen Gewerkschaften als Interessenorganisation aller einrichten, die auf den Verkauf ihrer
Arbeitskraft zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, besonders angesichts der Tatsache, daß immer weniger Menschen
einer ‚normalen Beschäftigung nachgehen." Doch wie setzen wir das praktisch um, wenn selbst linke Betriebsräte oft
genug Stammbelegschaften gegen "Fremdfirmenarbeiter" verteidigen?
Wir müssen neue Wege für den politischen Alltag finden, ohne uns auch in einer re-regulierten Lohnarbeit einzurichten. Dafür
muß das aktuelle "Alle für sich und niemand für alle" durch ein "Nicht nur für uns, sondern für
uns und alle" ersetzt werden. Hierfür gibt es bereits gute Ansätze: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
unterstützen eure Forderung nach Entfristung der Arbeitsverträge und zusätzlichen Einstellungen. Auch wenn Ihr einen
Arbeitsplatz habt und wir keinen, haben wir doch dieselben Interessen. Denn mit dieser Personalpolitik will die Geschäftsleitung die
Arbeitsbedingungen verschlechtern und die Angst vor Arbeitslosigkeit ausnutzen, um Überstunden zu erpressen und kranke Kolleginnen
und Kollegen trotzdem zur Arbeit zu zwingen. Wir wiederum müssen befristete Arbeit annehmen und es wird für uns immer
schwieriger, sich dem Druck zu widersetzen, Arbeit unter Tarif - insbesondere bei Zeit- und Leiharbeitsfirmen - anzunehmen. Indem
Erwerbslose und Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden, können die Gewinne noch weiter steigen. Deshalb verstehen wir
Solidarität von Beschäftigten und Erwerbslosen nicht als Verzicht von euch zu unseren Gunsten und umgekehrt. Wir sitzen
gemeinsam in einem Boot: Je besser es den Beschäftigten geht, desto besser geht es den Erwerbslosen. Je besser es den Erwerbslosen
geht, desto besser geht es den Beschäftigten." (Grußwort des IG-Metall-Arbeitskreises Arbeitslose an die
Betriebsversammlungen bei Daimler-Chrysler in Bremen.)
Nur solche solidarische Grundlage, Wege aus der Arbeitsfixierung und eine überzeugende, zu konkretisierende Alternative zur
Lohnabhängigkeit machen zusammen aus den Bündnissen für Arbeit endlich kein Thema mehr.
Mag Wompel
Dieser Beitrag vom Januar 1999 wurde stark gekürzt. Die vollständige Fassung ist im Internet unter
http://www.germany.labournet.org zu finden.