Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 17

Die Kosovo-Albaner - eine unterdrückte Nation?

Es wird behauptet, der Kosovo sei seit 1000 Jahren ein Teil Serbiens. Viele reaktionäre Regime verwenden eine solche irrationale "Geschichte", um ihre Herrschaft über Regionen zu rechtfertigen, in denen unterdrückte Nationen leben.

Vor 1000 Jahren gab es keine Staaten im modernen Sinne. Die Vorläufer der Albaner, die Illyrer, lebten in der Region 2000 Jahre vor den Slawen. Im 14.Jahrhundert gab es ein großes von Serben regiertes Reich, das zahlreiche Nationalitäten beherbergte, darunter auch Albaner, woher die Idee stammt, daß der Kosovo "immer ein Teil Serbiens" gewesen sei.
  Serbien rebellierte im 19.Jahrhundert gegen das Osmanische Reich und erlangte 1827 seine Unabhängigkeit. Die anderen Völker hatten ihre eigenen Bewegungen für Unabhängigkeit, auch die Albaner. Es gab keine "natürlichen" oder "legalen" Grenzen, bloß Regionen größerer oder geringerer Konzentration der einen oder anderen ethnischen Gruppe.
  Die stärksten neuen kapitalistischen Staaten - Griechenland, Bulgarien, Serbien - schnappten sich 1912/13 die europäischen Besitztümer des zerfallenden Osmanischen Reichs, darunter Kosovo und Mazedonien.
  Die Bevölkerung des Kosovo bestand überwiegend aus Albanern und leistete in diesem Krieg erbitterten Widerstand. Die serbische Monarchie unterdrückte sie erbarmungslos. In einem Bericht der Carnegie-Kommission hieß es: "Häuser und ganze Dörfer wurden niedergebrannt, unbewaffnete und unschuldige Menschen massenhaft niedergemetzelt, unglaubliche Gewaltakte, Plünderungen und Brutalitäten jeder Art begangen … mit dem Ziel, den ethnischen Charakter der ausschließlich von Albanern bewohnten Regionen völlig zu verändern."
  Nach dem Ersten Weltkrieg wurde unter englisch-französischer Schirmherrschaft für die südslawischen Völker ein neuer jugoslawischer Staat geschaffen, an dessen Spitze die serbische Monarchie stand. Die Monarchie unterdrückte die Bestrebungen aller nichtserbischen Völker. Die verbotene Kommunistische Partei trat für das Recht auf Selbstbestimmung und eine radikale Umstrukturierung Jugoslawiens in eine gleichberechtigte Föderation all seiner Völker ein.
  Die Albaner waren keine Slawen, und sie waren Muslime. Aus diesen Gründen fand die serbische Dynastie, es sei das Beste, sie zu eliminieren. Die albanische Bevölkerung wurde um die Hälfte reduziert, etwa 400.000 Menschen flüchteten nach Albanien bzw. in die Türkei.
  Im Zweiten Weltkrieg erfaßte die von Tito und den kommunistischen Partisanen geführte Widerstandsbewegung gegen die Besetzung Jugoslawiens durch die Nazis das ganze Land. Viele auf der Linken, die Nationen politischen Strömungen zuordnen, als ob Nationen nicht aus verschiedenen sozialen Klassen bestünden, glauben, "die Serben kämpften gegen Hitlers Faschisten, während alle anderen auf dem Balkan auf der Seite der Nazis standen". Deshalb betrachten sie alle Serben als progressiv ("nur Serben" kämpften gegen Hitler), während alle Kroaten als Faschisten gelten, die den von der Ustascha geführten Marionettenstaat im Nazi-besetzten Kroatien unterstützten.
  Es gab damals in Jugoslawien aber zwei Marionettenstaaten: die Ustascha in Kroatien und das Regime des Generals Nedi´c in Serbien, das im Kern die serbischen Monarchie aus der Zeit vor dem Krieg fortsetzte. Das "serbische" Belgrad war die erste Stadt in Europa, die als "judenfrei" deklariert wurde. Das Regime baute die Organisation der Tschetniks auf, die Regime-Gegner terrorisierten.
  Die Tschetniks kämpften anfänglich gegen das Ustascha-Regime, da ihr Ziel eines "Großserbien" im Widerspruch zum "Großkroatien" der Ustascha stand. Doch der Hauptfeind der Tschetniks waren die Partisanen, weshalb erstere schließlich zu vollständigen Kollaborateuren der Nazis wurden. Nach dem Krieg ließ Tito den Tschetnikführer Mihailovic hinrichten.
  So wie es auf allen Seiten Kollaborateure gab, so gab es auch auf allen Seiten Partisanen. Widerstandsaktionen fanden zum weitaus größten Teil in Bosnien und Kroatien statt. Laut jugoslawischen Statistiken gab es auf dem Höhepunkt des Krieges Ende 1943 in Kroatien 122.000 aktive Partisanen, in Bosnien waren es 108.000, in Serbien 22.000. Selbstverständlich waren viele Partisanen in Kroatien und Bosnien ethnische Serben. Viele waren auch Muslime, die von allen verfolgt wurden. Nur die Partisanen versprachen eine bosnische Republik innerhalb der von ihnen befürworteten jugoslawischen Föderation. Der muslimische Klerus verurteilte auch die Verfolgung von Juden und Serben. Die bosnischen Muslime erlitten die größten Verluste pro Kopf von allen Nationalitäten in Jugoslawien.
  Titos jugoslawische Föderation war für die nichtserbischen Nationalitäten ein großer Fortschritt gegenüber dem alten Jugoslawien, weil sie nun ihre eigenen Republiken hatte. Den Albanern im Kosovo, wenngleich eine der Hauptbevölkerungsgruppen in Jugoslawien, wurde keine eigene Republik gewährt, sondern nur Autonomie innerhalb der serbischen Republik. Unter dem Druck einer wachsenden albanischen nationalen Bewegung verstärkte Tito jedoch in der Verfassung von 1974 die Autonomie des Kosovo und sicherte ihm auf Bundesebene gegenüber den sechs Republiken eine gleichberechtigte Vertretung.
  Dieser Schritt war Zielscheibe der wachsenden serbischen nationalistischen Bewegung in den späten 80er Jahren, die mit dem Eindringen von "Marktkräften" in die Wirtschaft wie in die Ideologie, ein neues "Großserbien" für die aufstrebende serbische Bourgeoisie schaffen wollte. Auf dieser Welle kam Milosevic an die Macht; er wollte alle seine Gegner beseitigen, die noch an Titos Losung von "Brüderlichkeit und Einheit" glaubten. Dabei ging er so weit, die gesamte Nachkriegsföderation als gigantische antiserbische Verschwörung darzustellen, die vom Vatikan und der Komintern in der Person des kroatischen Kommunisten Tito ausgeheckt worden war.
  1989 schaffte Milosevic die verfassungsmäßige Autonomie des Kosovo einseitig und widergesetzlich ab; damit wurde der Prozeß eingeleitet, der zum Ende Jugoslawiens führte.
  Im Kosovo führte Milosevic Lohnunterschiede für albanische und serbische Arbeiter ein, feuerte Hunderttausende albanische Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst, machte Hunderte albanischer Ärzte und Tausende Lehrer arbeitslos - womit die albanische Bevölkerung auch diese Dienstleistungen entbehrte - und führte die serbische Sprache und das kyrillische Alphabet als obligatorische Amtssprache ein.
  Die Tschetniks wurden wiederbelebt - darin liegt der Ursprung von Milosevics "Sozialistischer" Partei und der seiner Koalitionspartner Vuk Draskovic (Serbische Erweckungsbewegung, die sich auf die Monarchie, die Kirche und die Tradition beruft) und Vojislav Se?selj (Serbische Radikale Partei, die offen rassistisch ist).
  Unter den bosnischen Serben ist es die Serbische Demokratische Partei (SDS) von Radovan Karadzic, die aus der Tschetniktradition kommt. Es sind diese Kräfte, die "faschistisch" sind, nicht "die" Serben.
  Michael Karadjis

Gekürzt aus: "Green Left Weekly" (Sydney), Nr.353, 17.3.1999.


zum Anfang