Sozialistische Zeitung |
Wo gibt es noch politische Gefangene? China, Kuba, Jugoslawien sind die Länder, die in unseren
Medien auf den Pranger gestellt werden. Wer weiß schon von politischen Gefangenen in den USA.
Ramona Africa kann davon ein Lied singen. Sie ist Mitglied von Move, einer politisch-spirituellen Bewegung in den USA. Schwerverletzt
überlebte sie 1985 die staatlich angeordnete Bombardierung des Move-Anwesens in Philadelphia. Viele ihrer Freunde kamen im
Flammeninferno ums Leben. Danach saß sie noch jahrelang im Gefängnis. Jetzt versucht sie, das Leben des Move-Mitglieds und
bekannten Journalisten Mumia Abu-Jamal zu retten, der seit 16 Jahren wegen eines umstrittenen Urteils in der Todeszelle sitzt.
Romona Africa war eine von 300 Delegierten aus der ganzen Welt, die sich über Ostern in Berlin auf einer Arbeitskonferenz über
Perspektiven für die Freilassung der politischen Gefangenen weltweit verständigen wollten. Da saßen Mitglieder aus
guatemaltekischen Verschwundenenorganisationen neben Menschenrechtsaktivisten aus Kurdistan und den "Hijos" aus
Argentinien.
Deren Sprecher Juan ist im Knast geboren worden, bevor seine Mutter ermordet wurde. Verwandte schmuggelten den drei Monate alten
Säugling zu Verwandten nach Spanien. Erst als Jugendlicher erfuhr er über das Schicksal seiner Mutter. Seitdem ist er mit anderen
Kinder von Opfern der Militärdiktatur am Aufspüren der Folterer beteiligt. Deren Häuser wurden mit Parolen
besprüht, in den Stadtteilen werden Informationsflugblätter verteilt. Die Aktion machte in ganz Argentinien einen so nachhaltigen
Eindruck, daß der argentinische Präsident sie mit einem speziellen Gesetz verbieten ließ.
Federführend bei der Kongreßvorbereitung war die Gruppe "Libertad!" aus dem Rhein-Main-Gebiet. Seit sieben Jahren
verfolgte sie allen Rückschlägen zum Trotz mit Ausdauer das Konferenzprojekt. Ursprünglich hatte sich der politische
Zusammenhang für die Freilassung der Gefangenen aus der RAF engagiert. Doch seit Anfang der 90er Jahre setzte ein
Zerfallsprozeß ein, der die immer schon kleine Gefangenensolidarität zusammenbrechen ließ.
Während sich viele AktivistInnen ganz aus der politischen Arbeit zurückzogen, propagierte Libertad! die internationale Ausweitung
ihrer Arbeit. "Wir haben einfach gemerkt, daß eine auf ein Land begrenzte Solidaritätsarbeit zum Scheitern verurteilt
ist", meinte Mitorganisatorin Ursula Quack.
Der Wunsch aller Anwesenden nach einer bessere internationalen Vernetzung der Gefangenenarbeit, ging nur teilweise in Erfüllung.
Mehrere Vorschläge wurden in die Abschlußerklärung aufgenommen, bedürfen aber zum Teil noch der
Konkretisierung. Ein internationales Netzwerk soll aktuelle Informationen über die Situation der Gefangenen in den verschiedenen
Ländern liefern und per Internet verbreiten.
Bei akuter Bedrohung einzelner Gefangen sollen nach dem Vorbild "Urgent Action" von Amnesty International
Solidaritätskampagnen in Gang gesetzt werden. Sowohl eine internationale Zeitung als auch ein Taschenkalender mit dem Schwerpunkt
"politische Gefangene" sollen in mehreren Sprachen gedruckt werden. Ein internationaler Solidaritätstag für die
politischen Gefangenen weltweit soll Druck machen.
Bisher stehen mit dem aus der lateinamerikanischen Tradition kommenden 10.Dezember und den 18.März aus der Tradition der Pariser
Kommune und der europäischen Arbeiterbewegung gleich zwei Solidaritätstage zur Auswahl.
Allerdings fehlte es auch nicht an kritischen Stimmen. Mehrere lateinamerikanische Delegierte beklagten, daß die Probleme ihrer
Länder auf den Kongreß unterrepräsentiert gewesen seien. Der Vorwurf des Eurozentrismus machte schnell die Runde, wurde
aber von der Kongreßvorbereitung vehement zurückgewiesen. Ein Hamburger Delegierter erinnerte an das praktisch Machbare:
"Nicht an Vorschlägen sondern an Menschen, die sie umsetzen, mangelt es."
Eine andere Warnung kam von einer iranischen Delegierten: "Ich war schon häufiger auf solchen Konferenzen. Tagelang wird
diskutiert und alle Übel dieser Welt werden gegeißelt. Weil aber konkrete Vorschläge zur Umsetzung gefehlt haben, hat sich
für die politischen Gefangenen nichts geändert."
Peter Nowak