Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 18

Zwischen Amnesty International und Roter Hilfe

Berliner Kongress über internationale Solidarität

Wo gibt es noch politische Gefangene? China, Kuba, Jugoslawien sind die Länder, die in unseren Medien auf den Pranger gestellt werden. Wer weiß schon von politischen Gefangenen in den USA.
  Ramona Africa kann davon ein Lied singen. Sie ist Mitglied von Move, einer politisch-spirituellen Bewegung in den USA. Schwerverletzt überlebte sie 1985 die staatlich angeordnete Bombardierung des Move-Anwesens in Philadelphia. Viele ihrer Freunde kamen im Flammeninferno ums Leben. Danach saß sie noch jahrelang im Gefängnis. Jetzt versucht sie, das Leben des Move-Mitglieds und bekannten Journalisten Mumia Abu-Jamal zu retten, der seit 16 Jahren wegen eines umstrittenen Urteils in der Todeszelle sitzt.
  Romona Africa war eine von 300 Delegierten aus der ganzen Welt, die sich über Ostern in Berlin auf einer Arbeitskonferenz über Perspektiven für die Freilassung der politischen Gefangenen weltweit verständigen wollten. Da saßen Mitglieder aus guatemaltekischen Verschwundenenorganisationen neben Menschenrechtsaktivisten aus Kurdistan und den "Hijos" aus Argentinien.
  Deren Sprecher Juan ist im Knast geboren worden, bevor seine Mutter ermordet wurde. Verwandte schmuggelten den drei Monate alten Säugling zu Verwandten nach Spanien. Erst als Jugendlicher erfuhr er über das Schicksal seiner Mutter. Seitdem ist er mit anderen Kinder von Opfern der Militärdiktatur am Aufspüren der Folterer beteiligt. Deren Häuser wurden mit Parolen besprüht, in den Stadtteilen werden Informationsflugblätter verteilt. Die Aktion machte in ganz Argentinien einen so nachhaltigen Eindruck, daß der argentinische Präsident sie mit einem speziellen Gesetz verbieten ließ.
  Federführend bei der Kongreßvorbereitung war die Gruppe "Libertad!" aus dem Rhein-Main-Gebiet. Seit sieben Jahren verfolgte sie allen Rückschlägen zum Trotz mit Ausdauer das Konferenzprojekt. Ursprünglich hatte sich der politische Zusammenhang für die Freilassung der Gefangenen aus der RAF engagiert. Doch seit Anfang der 90er Jahre setzte ein Zerfallsprozeß ein, der die immer schon kleine Gefangenensolidarität zusammenbrechen ließ.
  Während sich viele AktivistInnen ganz aus der politischen Arbeit zurückzogen, propagierte Libertad! die internationale Ausweitung ihrer Arbeit. "Wir haben einfach gemerkt, daß eine auf ein Land begrenzte Solidaritätsarbeit zum Scheitern verurteilt ist", meinte Mitorganisatorin Ursula Quack.
  Der Wunsch aller Anwesenden nach einer bessere internationalen Vernetzung der Gefangenenarbeit, ging nur teilweise in Erfüllung. Mehrere Vorschläge wurden in die Abschlußerklärung aufgenommen, bedürfen aber zum Teil noch der Konkretisierung. Ein internationales Netzwerk soll aktuelle Informationen über die Situation der Gefangenen in den verschiedenen Ländern liefern und per Internet verbreiten.
  Bei akuter Bedrohung einzelner Gefangen sollen nach dem Vorbild "Urgent Action" von Amnesty International Solidaritätskampagnen in Gang gesetzt werden. Sowohl eine internationale Zeitung als auch ein Taschenkalender mit dem Schwerpunkt "politische Gefangene" sollen in mehreren Sprachen gedruckt werden. Ein internationaler Solidaritätstag für die politischen Gefangenen weltweit soll Druck machen.
  Bisher stehen mit dem aus der lateinamerikanischen Tradition kommenden 10.Dezember und den 18.März aus der Tradition der Pariser Kommune und der europäischen Arbeiterbewegung gleich zwei Solidaritätstage zur Auswahl.
  Allerdings fehlte es auch nicht an kritischen Stimmen. Mehrere lateinamerikanische Delegierte beklagten, daß die Probleme ihrer Länder auf den Kongreß unterrepräsentiert gewesen seien. Der Vorwurf des Eurozentrismus machte schnell die Runde, wurde aber von der Kongreßvorbereitung vehement zurückgewiesen. Ein Hamburger Delegierter erinnerte an das praktisch Machbare: "Nicht an Vorschlägen sondern an Menschen, die sie umsetzen, mangelt es."
  Eine andere Warnung kam von einer iranischen Delegierten: "Ich war schon häufiger auf solchen Konferenzen. Tagelang wird diskutiert und alle Übel dieser Welt werden gegeißelt. Weil aber konkrete Vorschläge zur Umsetzung gefehlt haben, hat sich für die politischen Gefangenen nichts geändert."
Peter Nowak


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