Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 19

Christa Wolf zum 70.Geburtstag

"Aber was sind Tatsachen? Die Spuren, die Ereignisse in unserem Innern hinterlassen."

Unselig" nannte ein DDR-Kritiker diesen Satz Christa Wolfs. Seit Anfang der 50er Jahre herrschte in der DDR eine Gleichsetzung von Aktion mit Realismus und Reflexion mit Dekadenz. Diesem Realismus-Dogma entsprachen Christa Wolfs Werke im Laufe ihrer literarischen Entwicklung immer weniger.
  Auf dem "Bitterfelder Weg" 1959 sollten die Schriftsteller näher an die zentralen Konfliktpunkte der materiellen Produktion herangeführt werden. Die SED-Politik forderte, daß die Literatur den Produktionsprozeß unmittelbar stimulieren sollte.
  Die 2.Bitterfelder Konferenz 1964 wies der Literatur zudem noch eine prognostische Funktion zu. Literatur über die Zeit des Faschismus, wie in Kindheitsmuster (1976) von Christa Wolf, und über die Frühphase der DDR stieß dagegen auf Unverständnis. Dies blieb so bis zum 8.Parteitag der SED 1971, und DDR-AutorInnen, die sich nicht daran hielten, mußten mit Nichtveröffentlichung rechnen.
  Bereits in ihrer Erzählung "Der geteilte Himmel" (1963) wich Christa Wolf aber von den traditionellen aktionsbetonten Erzählstrukturen ab. An ihren beiden KontrahentInnen, einem bürgerlichen Intellektuellen und einer Sozialistin, beleuchtete sie den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, ein Thema, das sie auch später nicht mehr losließ.
  Christa Wolfs politisch-ästhetische Umstrittenheit läßt sich am Beispiel ihres 1968 erstmals erschienen Romans Nachdenken über Christa T. am deutlichsten aufzeigen. Hier entzog sie sich in Thema und Form erstmals vollkommen einer funktionalisierten Ästhetik und setzte Maßstäbe für die Nach-Bitterfelder Erzählprosa.
  Der "naive" Realismus wurde gebrochen, indem das Erzählen selbst zum Gegenstand des Erzählens wurde. Außerdem entwickelte sie ihr Konzept von Individualität unter sozialistischen Bedingungen weiter, indem sie es mit dem Aufzeigen gesellschaftlicher Widersprüche verband. Der Roman ist indirekt ein Aufruf zur aktiven Gesellschaftsveränderung, denn es geht ihr um die Bewahrung und Rückgewinnung eines revolutionären Bewußtseins in einem von Verdinglichung bedrohten Sozialismus. Dies wurde von den LiteraturbürokratInnen aber ganz anders gesehen.
  Dennoch stieß Nachdenken über Christa T. auf beiden Seiten der Mauer auf große Resonanz, jedoch aus unterschiedlichen Motiven. Im Westen vereinnahmte man sie gegenüber der DDR triumphierend als Dichterin der "Innerlichkeit", ein Etikett, das ihr im Osten umgekehrt Verriß und Kritik einbrachte. Auf dem Plenum des ZK der SED 1969 gab es eine scharfe Abgrenzung von der ästhetischen Konzeption Christa Wolfs. Als dieser Roman, der die Autorin berühmt machte, in der DDR nach vielen Verzögerungen in minimaler Auflage herauskam, war Christa Wolf schon nicht mehr Kandidatin des SED-Zentralkomitees und wurde in der DDR-Presse mehr und mehr totgeschwiegen.
  Schon zuvor hatte Christa Wolf auf dem 11.Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 für das verpönte Subjektive in der Literatur plädiert. Es wurde ihr immer unmöglicher, literaturpolitische Kompromisse einzugehen und zugleich ihrem eigenen künstlerischen Anspruch zu genügen.
  Christa Wolfs Werke beschäftigen sich mit der Spannung zwischen den ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und individuellen Möglichkeiten - und deren oft unvollkommener Verwirklichung. In Kein Ort. Nirgends (1979) schildert sie eine fiktive Begegnung zwischen Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist, die beide am Rand der Gesellschaft leben und später Selbstmord verüben, weil sie die Spannungen zwischen sich und den Normen der Gesellschaft nicht mehr aushalten.
  Ihr Günderrode-Aufsatz endet mit dem Hinweis auf einen Zustand, der bis heute nicht aufgehört hat und in der Zeit um 1800 seinen Anfang nahm: "Die rigorose Arbeitsteilung zeitigt ihre Ergebnisse. Die Produzenten der materiellen und die der geistigen Werte stehen einander fremd an verschiedenen Ufern gegenüber, daran gehindert, gemeinsam lebbare Umstände hervorzubringen. Der Zerstörung, die nicht immer offensichtlich ist, sind sie alle ausgesetzt."
  Im Frühsommer 1990, also noch vor dem Fall der Mauer, erschien ihre Erzählung "Was bleibt". Dieser Versuch, ihre sich über Jahrzehnte hinziehende Bespitzelung durch die Stasi zu thematisieren, wurde öffentlich zurückgewiesen. Man warf ihr vor, sie wolle sich zu einer Verfolgten des Regimes stilisieren, dabei sei sie in Wirklichkeit so etwas wie eine "Staatsdichterin" der DDR gewesen. Anfang 1993 weitete sich der Literaturstreit zu einer Stasi-Debatte um Christa Wolf aus, als sie selbst bekanntgab, daß in den Akten der Gauck-Behörde in Berlin ein IM-Vorgang (IM = Informelle MitarbeiterIn) aus den Jahren 1959 bis 1962 über sie existiert. Sie hatte der Stasi aber damals nicht viel mehr als generelle Einschätzungen geliefert, so daß diese bald das Interesse an ihrer Mitarbeit verlor.
  Zudem war Christa Wolf schon vor ihrer Anwerbung jahrelang von der Stasi beobachtet worden, und zwar von 1955 bis 1959. Die Kontrolle wurde nach 1962, und vor allem mit dem Beginn des Operativen Vorgangs "Doppelzüngler" gegen das Ehepaar Wolf, noch verschärft. Von der Presse wurde jedoch nur ihre Zeit als IM ausgeschlachtet.
  Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß durch die Reduzierung ihrer Person auf die IM-Tätigkeit eine Schriftstellerin stellvertretend beschädigt werden sollte. Ihre Unbestechlichkeit gegenüber den Forderungen der Partei auch in literarischen Angelegenheiten, ihre Kritik am oberflächlichen Optimismus des real existierenden sozialistischen Staates läßt die einseitigen Vorwürfe mehr als fragwürdig erscheinen.
  Monika Piendl
 


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