Sozialistische Zeitung |
Mit jedem Tag, den dieser Krieg länger dauert, tritt die Verlogenheit seiner Begründung deutlicher
hervor und wird offenkundiger, wie die Bevölkerung der kriegführenden NATO-Länder psychologisch bearbeitet
wird.
Lüge Nr.1: Bundeskanzler Schröder behauptet, die Diskussion um einen möglichen Einmarsch von Bodentruppen sei
"rein theoretisch". Tatsache ist: 3000 US-Soldaten sind bereits im Zusammenhang mit der Stationierung der Apache-Hubschrauber
in Albanien stationiert. "Noch am gleichen Tag, an dem die NATO in Washington ihre Kosovo-Erklärung bekanntgab, in der man
Hinweise auf Bodentruppen vergebens sucht, informierte das amerikanische Verteidigungsministerium über die Verlegung eines
gepanzerten Verbandes mit etwa 2400 Soldaten nach Albanien." (FAZ, 26.4.) Zuvor war bekannt geworden, daß ca. 3000
Fallschirmjäger einberufen werden.
Die USA sind bereit, den Bodentruppeneinsatz notfalls auch allein zu machen und treffen bereits Vorbereitungen. Die NATO ist startbereit,
"wenn die Umstände reif sind, sehr rasch hineingehen zu können".
Die diplomatischen Bemühungen Rußlands wollten die USA diesmal nicht, wie die von Primakow, zur Gänze
abbürsten und sprachen von einem "möglichen Fortschritt". Aber in der Sache bleiben sie hart: Bedingung für die
Beendigung des Kriegs ist die Stationierung von NATO-Truppen - wie immer sie sich hinter einer "internationalen Friedenstruppe"
verstecken mögen. Nur deshalb führen sie diesen Krieg.
Vor diesem Hintergrund nimmt sich Fischers "Friedensinitiative" lächerlich aus. Sie macht nur einen Sinn: der grünen
Mitgliedschaft vorzumachen, trotz Kriegseinsatz wäre die grüne Regierungsbeteiligung wichtig, damit nicht der NATO das Feld
überlassen, sondern auch die UNO ins Spiel gebracht wird - die zweite Lüge.
Mittlerweile gibt die NATO Durchhalteparolen aus: "Wir werden siegen, weil wir siegen müssen." Das heißt nichts
anderes als daß die NATO die Durchsetzung ihres Kriegsziels nunmehr zur Prestigefrage erkärt hat, koste es, was es wolle. Die
laufenden diplomatischen Bemühungen haben nur den Zweck, für die Vorbereitung einer Bodenintervention Zeit zu gewinnen und
die Bedingungen zu schaffen, daß Rußland entweder Milosevic doch noch umstimmt und zur Kapitulation bewegt, oder bei einer
Bodeninvasion der NATO still hält.
Die Lüge Nr.3 kann man fast vorwegnehmen. Sie wird lauten: Die NATO schafft im Kosovo einen "sicheren Hafen" für
die Kosovo-Albaner. Ein solcher wurde nach dem Golfkrieg auch in Irakisch-Kurdistan geschaffen. Seither hängen die Flüchtlinge
dort am Tropf der Hilfsorganisationen. Die zerstörten Dörfer und Anlagen wurden nicht wieder aufgebaut, wirtschaftlich gibt es
keinerlei Perspektive für eine eigenständige Entwicklung.
Albanien ist schon, wie auch Mazedonien, durch die Zustimmung zur Truppenstationierung zu einer Art "inoffiziellem Protektorat"
(FAZ) geworden. Ein "sicherer Hafen" im Kosovo wäre nur ein anderes Wort für dessen Ausdehnung. Sein
Hauptzweck wäre die Kanalisierung der Flüchtlingsströme - weg von den Nachbarstaaten, vor allem Mazedonien. Die
Sorge, daß die Flüchtlinge möglichst bleiben, wo sie herkommen, überwiegt bei weitem die Sorge darüber,
wovon sie denn nachher leben sollen?
Die EU hat eine "Wiederaufbauhilfe" im Wert von 800 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Was ist diese Hilfe wert, wenn
täglich ein Mehrfaches dessen zerstört wird? Allein in Serbien werden die angerichteten Schäden bisher auf 100 Milliarden
Dollar geschätzt. Wie ernst kann man die Versprechen auf eine ökonomische und soziale Entwicklung der Region nehmen, wenn
der Westen gleichzeitig ehrgeizige Aufrüstungsprogramme für die "Nach"-Kriegszeit fordert und auf leere Kassen
verweist? Der Zusammenhang zwischen sozialer Ausweglosigkeit und Nationalismus ist offenkundig. Wie soll sich im Kosovo und in Serbien
etwas verbessern, wenn die Bombenangriffe die örtliche Wirtschaft um Jahrzehnte zurückgeworfen haben?
Der Krieg tobt nicht nur in Serbien; er prägt den Alltag in Süditalien, in Wien fahren Panzer auf, in allen europäischen
Ländern wird für die Unterstützung "unserer Friedensengel" mobilisiert; und nach dem Krieg werden Lohn- und
Leistungsempfänger erst richtig zur Kasse gebeten werden. Schon jetzt kostet der Einsatz 441 Mio. Mark, die über den normalen
Wehretat hinausgehen. Die Bundesregierung hat drastische Sparmaßnahmen angekündigt. An der Heimatfront wird die
Propagandaschlacht um die Köpfe und Stimmungen geführt. Und es ist jetzt schon klar: Mit der Einstellung der Bombenangriffe
wird dieser Krieg nicht zu Ende sein.
Wie lange das Zerstörungswerk der NATO noch anhält, hängt auch von den Aktivitäten der Antikriegsbewegung ab.
Mit jedem Tag, an dem offensichtlicher wird, daß die NATO den Krieg in Wahrheit für ihre neuen Weltherrschaftspläne
führt, bekommt die Kriegsgegner Zulauf. Mitten im Ersten Weltkrieg hat die sozialdemokratische Linke Europas ihren Aufruf für
den sofortigen Friedensschluß und die Absetzung der alten kriegführenden Mächte erlassen. Eine solche
"Zimmerwalder Konferenz" brauchen wir heute wieder. Sie müßte sich um die Forderungen herum finden, die heute
nicht mehr voneinander zu trennen sind: Nein zum Krieg! Grenzen auf für alle Flüchtlinge! Arbeitsplätze statt Bomben!
Angela Klein